Nein zur EU-Verfassung!
Die Sehnsucht des deutschen Kapitals nach dem Osten
Im Mai 2005 wurden in Europa in verschiedenen Ländern Referenden über die Annahme der EU-Verfassung durchgeführt. Das Ziel war die erneute Annahme der Verträge von Rom, Luxemburg und Maastricht, die den eigentlichen Inhalt der 1999 beschlossenen EU-Verfassung darstellen. In Deutschland wurde jedoch kein Referendum darüber abgehalten. In einem der ökonomisch bedeutendsten Staaten Europas beschloss die Schröder-Regierung, eigenmächtig über die Zukunft Deutschlands in der EU zu entscheiden. In Frankreich und den Niederlanden ergaben die Referenden hingegen ein klares “Nein” gegen die Verfassung. Vor allem in den Arbeitervierteln wurde mehrheitlich gegen die Verfassung gestimmt. Dies ist selbst im einzigen Arbeiterviertel Luxemburgs der Fall, während die Zustimmung im restlichen Land eindeutig ist.
Die Ablehnung der EU-Verfassung bedeutet nicht das Ende des Projekts. Vielmehr verkündet die Website der EU-Kommission, dass die EU nun Kampagnen in allen Mitgliedsstaaten initiiert, um den “Bürgern die Angst vor Europa” zu nehmen. Diese bezieht sich berechtigterweise vor allem auf den Verlust von Arbeitsplätzen, das Absinken des Lohnniveaus und den europaweiten Generalangriff auf soziale Errungenschaften.
Die Ursache der “Angst vor Europa” ist ganz wesentlich in der imperialistischen Osterweiterung der EU zu sehen. Sie öffnete vor allem den Unternehmern der imperialistischen Mitgliedsstaaten nach der Konterrevolution neue Märkte und verschärfte die Konkurrenz um günstige Standortbedingungen europaweit. Die Einbindung der ehemaligen deformierten Arbeiterstaaten erleichtert die Senkung des Lohnniveaus sowohl hierzulande als auch in den osteuropäischen Ländern selbst.
Es ist nicht die Aufgabe von KommunistInnen, das Rad der kapitalistischen Entwicklung ins protektionistische Zeitalter zurückzudrehen und lediglich für einen umfassenden Sozialstaat unter kapitalistischen Bedingungen zu kämpfen, auch wenn wir die Errungenschaften der Arbeiterklasse in diesem Staat verteidigen. Doch ist dies nur ein Abwehrkampf. Der Kampf für ein keynesianistisches Programm ist unweigerlich mit nationalistischen Tönen und der Spaltung der internationalen Arbeiterklasse verbunden, wie Lafontaines Wahlkampfrede in Chemnitz verdeutlichte. Die Aufgabe von Revolutionären ist es, mittels revolutionärem Klassenkampf den Kapitalismus in Europa und weltweit zu stürzen und an seiner Stelle die sozialistische, demokratisch gelenkte Planwirtschaft zu setzen.
Antikommunismus als Mitgliedschaftskriterium
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit ihrer Entstehung als Bollwerk gegen den Kommunismus gestellt. Die strategische Lage zu den deformierten Arbeiterstaaten des Warschauer Paktes, das Streben, zum imperialistischen Block zu gehören und die Mitgliedschaft in der NATO sind alle Teil dieser Ausrichtung. Die europäische Integration war von den imperialistischen Staaten dazu auserkoren, den kapitalistischen Teil Deutschlands politisch an den Westen zu binden, um erneute imperialistische und nationale Alleingänge wie im Nationalsozialismus zu verhindern. Daher war die Bundesrepublik Mitbegründerstaat der EGKS, einer Vorgänger-Organisation der EU, die die ersten Formen europäischen Freihandels zunächst im Montansektor in klarer Abgrenzung zum Ostblock forcierte. Die bundesrepublikanische Bourgeoisie nutzte die europäische Integration, um von 1949 an für die Wiedervereinigung mit der DDR unter kapitalistischen Vorzeichen zu kämpfen. Zielsetzung war die Schaffung eines mächtigen Deutschlands, das nach dem verlorengegangenen Zweiten Weltkrieg wieder weltweit in der Lage sein sollte, im globalen imperialistischen Konkurrenzkampf bestehen zu können.
Bei der diplomatischen Abwicklung der deutschen Wiedervereinigung wurde deutlich, dass die Bundesrepublik de facto die Mitsprachemöglichkeiten seiner imperialistischen Konkurrenten – der französischen und britischen Bourgeoisie – gering hielt und im wesentlichen mit den Regierungen der USA und der Sowjetunion verhandelte. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde offensichtlich, dass die europäische Integration tatsächlich weniger auf die Schaffung eines europäischen Staatswesens abzielt, sondern vielmehr eine langfristige strategische Allianz darstellt. Dies zeigten die Folgejahre der Konterrevolution um so deutlicher.
Das Come-Back des deutschen Imperialismus
Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes fand bei den Mitgliedsstaaten eine politisch-ökonomische Neuorientierung statt, da der Kommunismus als gemeinsames Feindbild weggebrochen war. Die Öffnung des ehemaligen Ostblocks führte zu verstärktem Wettbewerb zwischen den einzelnen Nationalstaaten der EU um die neuen Absatzmärkte. Für die Perspektiven der deutschen Bourgeoisie eröffneten sich völlig neue Chancen. Mittlerweile nutzen deutsche Unternehmer die vergleichsweise billigen und gut ausgebildeten Arbeiter aus Osteuropa. So betreibt VW in der Tschechischen Republik ein Werk, weil Lohnniveau und Sozialabgaben dort erheblich geringer als in Deutschland sind. Das sind direkte Auswirkungen der Konterrevolution. In den neuen Migliedsstaaten Osteuropas, aber nicht nur dort, setzt ein Prozess des Steuerdumpings ein, der die jeweiligen Standortbedingungen für das internationale Kapital verbessern soll und dessen Kosten auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden. Lohn- und Sozialdumping sind an der Tagesordnung. Die soziale Lage der Arbeiterklasse hat sich in allen Beitrittsländern verschlechtert.
Die Tatsache, dass die Ökonomien verhältnismäßig stark vom Agrarsektor dominiert sind, wird zu weiterer Arbeitslosigkeit führen, da die EU darauf drängt, den Anteil des Agrarsektors an der gesamten Wirtschaft auf 3,2% zu beschränken. Der Finanzsektor der osteuropäischen Mitgliedsstaaten wird bereits von Banken aus Deutschland, Österreich, Belgien und Italien dominiert. Die Abhängigkeit der neuen Mitglieder wird durch die hohe Auslandsverschuldung insbesondere bei westeuropäischen und US-amerikanischen Gläubigern geschürt. Aber auch der Bereich der Presse wird beispielsweise in Polen, aber auch in den Ländern der Beitrittskandidaten wie Rumänien, von deutschen Verlagen kontrolliert (Winfried Wolf: “Alles abräumen” in Konkret 11.2005). Nach anfänglichem Wachstum der osteuropäischen Ökonomien kehrt nun Stagnation ein. Dies verschärft ihre Lage noch zusätzlich.
Der deutsche Imperialismus wurde allerdings auch außerhalb der EU und ihren Vorläufern aktiv. So erklärte der damalige Außenminister Kinkel, gestärkt durch die Konterrevolution in Ostdeutschland und den Anschluss an die Bundesrepublik, schon 1992 Kroatien und Slowenien für unabhängig, um Jugoslawien den Bestimmungen des internationalen Freihandels zu unterwerfen. Damit legte die deutsche Bourgeoisie bewusst einen wichtigen Schalter für das Blutvergiessen auf dem Balkan um. Die Taktik der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens wurde von Teilen der Bourgeoisien der anderen EU-Mitglieder verurteilt, da sie erkannten, dass ein Auseinanderbrechen Jugoslawiens in einen Bürgerkrieg münden würde. Das Ergebnis des Konflikts war, dass Slowenien heute schon Mitglied der EU ist und Kroatien auf der Liste der Beitrittskandidaten steht.
(Siehe dazu BOLSCHEWIK Nr. 13 und 15)
Der Türkei-Beitritt
Auch die Türkei drängt auf die Mitgliedschaft in der EU. Die scheitert derzeit jedoch an der Uneinigkeit verschiedener Fraktionen des europäischen Kapitals. Sollte die Türkei Mitglied werden, so droht auch ihrer Wirtschaft das Schicksal der osteuropäischen Mitglieder und die türkische Arbeiterklasse wird die Rechnung bezahlen müssen. Daher sind die Illusionen von Teilen der kurdischen und türkischen Linken, der Beitritt würde zur Demokratisierung des politischen Systems der Türkei führen, völlig unbegründet. Aufgrund der ökonomischen Sachzwänge, die ein EU-Beitritt mit sich bringen würde, sind verstärkter Sozialabbau, Arbeitslosigkeit und Lohnsenkungen vorprogrammiert. Die Türkei würde mit einem starken Repressionsapparat noch stärker gegen die türkische und kurdische Arbeiterklasse vorgehen. Da die kurdisch-nationalistische PKK in der Bundesrepublik auf der Terrorliste steht und in den anderen Mitgliedsstaaten wenig Sympathie genießt, werden die europäischen Bourgeoisien das Vorgehen gegen sie als legitim ansehen. Kommunisten müssen aber auch Illusionen in eine protektionistische Türkei bekämpfen, da diese keine Perspektive für verbesserte Lebensumstände der türkischen und kurdischen Arbeiterklasse mit sich bringt.
Im dritten Golfkrieg um den Irak traten die Grenzen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beziehungsweise einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zutage. Britannien, Italien, Spanien und die Niederlande sowie damalige Aufnahmekandidaten wie Polen zogen mit in den Krieg, während die Regierungen Schröder und Chirac es vorzogen, als “Friedenstauben” zu posieren.
Der Wiederaufstieg des deutschen Militärismus
Nach dem Ende des Kalten Krieges änderte sich die Aufgabenstellung der deutschen Bundeswehr, die während der Blockkonfrontation als Verteidigungsarmee fungieren sollte. Unter dem Etikett der “Friedensarmee” wurden schon wenige Jahre nach der Konterrevolution zunächst sogenannte Friedenseinsätze in Kambodscha und Somalia Anfang der 90er Jahre ausgeführt, um die Doktrin der Verteidigungsarmee zu beenden und die Bundeswehr auch in den Augen der Bevölkerung für imperialistische Angriffskriege vorzubereiten. Unter der Losung “Nie wieder Auschwitz” zog dann die rot-grüne Schröder-Regierung in den Krieg gegen Serbien, dem Fischer vorwarf, es führe die industrielle Massenvernichtung von Kosovo-Albanern durch. Das Motto ermöglichte einerseits die Relativierung der Ermordung von 6 Millionen Juden, die von der deutschen Bourgeoisie und ihren lumpenproletarischen Unterstützern während des Nazifaschismus betrieben wurde. Andererseits beseitigten die NATO-Streitkräfte das ihnen unliebsame Milosevic-Regime und setzten sich massiv für die Wahl einer ihnen gefälligen Regierung ein. Noch heute sind deutsche Truppen auf dem Balkan stationiert.
Mit den Anschlägen des 11. 9. 2001 nahm die Bundeswehr nun auch an Feldzügen anlässlich des “Krieges gegen den Terror” teil. So stehen mittlerweile deutsche Truppen in Afghanistan, denn damit – so der ehemalige Verteidigungsminister Struck – werde “unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt”. Am imperialistischen Krieg gegen den Irak wollte die Schröder-Regierung sich offiziell nicht beteiligen. Faktisch stellte die Bundesregierung den angreifenden Mächten aber ABC-Spürpanzer “Fuchs” sowie AWACS-Überwachungsflugzeuge zur Verfügung, mit Hilfe derer der irakische Flugraum überwacht und irakische Flugzeuge ins Visier genommen werden konnten. Derzeit wird die Bundeswehr unter der Parole des “Krieges gegen den Terror” von einer Verteidigungsarmee zu einer schnellen Eingreiftruppe umstrukturiert, die weltweit agieren kann. Wir treten für den Sieg jeder angegriffenen Neokolonie gegen die Invasoren und damit für die Niederlage des deutschen Imperialismus ein.
Der Krieg Europas gegen die MigrantInnen
Der “Krieg gegen den Terror” führt dazu, MigrantInnen muslimischen Glaubens zunächst unter Generalverdacht zu stellen. Aber er richtet sich auch gegen die Opfer imperialistischer Unterdrückung und Ausbeutung, die verständlicherweise versuchen, in die imperialistischen Staaten zu gelangen. Die EU versucht, dies mit allen Mitteln zu verhindern. So wurde schon 1985 im Schengen-Abkommen die Zukunft der Festung Europa skizziert. Das Ergebnis lässt sich heute eindrucksvoll in der erfolgreichen Abwehr des Flüchtlingsstroms auf die spanischen Enklaven Melilla und Ceuta dokumentieren, bei der zahlreiche Flüchtlinge von marokkanischen Grenzsoldaten auf europäisches Geheiß hin getötet oder schwer verletzt wurden. Zum Teil setzten die marokkanischen Soldaten die Flüchtlinge auch mitten in der Sahara aus, um sie dort ihrem Schikksal zu überlassen.
Bundesinnenminister Schily, bekannt für sein rigides Durchgreifen gegen Kritiker und MigrantInnen, forderte sogar Anfang letzten Jahres die Errichtung von EU-subventionierten Flüchtlingslagern in Nordafrika, damit Asylbewerber gar nicht erst nach Europa gelangen könnten. Kein Wunder daher, dass gerade Deutschland als das Land mit der strengsten Asylgesetzgebung der rassistischen EU gilt. Das Recht auf Asyl wurde Anfang der 90er Jahre unter dem Druck faschistischer Brandanschläge und mit den Stimmen der SPD-Parlamentarier faktisch abgeschafft. Wir fordern volle Rechte für alle MigrantInnen, die es hierher geschafft haben! Weg mit allen Einwanderungsbeschränkungen! Schluss mit allen Abschiebungen! Nur die internationale soziale Revolution kann die menschenunwürdigen Lebensverhältnisse beseitigen.