NATO gegen Russland in der Ukraine

Ein Lackmustest für Trotzkisten

Beim nachfolgenden Text handelt es sich um eine Übersetzung der englischen Erklärung “NATO v Russia in Ukraine – A Litmus Test for Trotskyists“, die am 10. Oktober 2022 auf bolsheviktendency.org erschien. Knapp eine Woche nach der Veröffentlichung unserer Erklärung hat die im Text erwähnte Internationalistische Gruppe (IG) ihre Position mit der Behauptung korrigiert, es habe ein Umschlag von Quantität zu Qualität in der Frage der NATO-Beteiligung am Konflikt stattgefunden, der es erforderlich mache, den Krieg nicht länger als Konflikt zwischen zwei abhängig-kapitalistischen Regionalmächten zu definieren, sondern als einen imperialistischen Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland. Daher beziehen sie nun auch eine militärische Seite mit Russland gegen den NATO-Stellvertreter Ukraine. Wir begrüßen diese Kurskorrektur der IG, halten aber ihre Erklärung, warum sie nicht von Anfang an diese Position bezogen, für eine fadenscheinige und in sich widersprüchliche Ausrede, wie wir in “Better late than never – IG correction on Russia v NATO…’should be more precise and more honest’” (“Besser spät als nie – IG-Korrektur zu Russland gegen NATO…’sollte präziser und ehrlicher sein'”) schreiben.

Der russische Einmarsch in der Ukraine hat den Niedergang des US-Imperialismus beschleunigt, seine europäischen „Partner“ und die NATO insgesamt stark geschwächt und gleichzeitig seinen Einfluss in Lateinamerika und im „indopazifischen Raum“ verringert. Dieser Konflikt hat den politischen Charakter jeder vorgeblich marxistischen Formation auf der ganzen Welt auf die Probe gestellt und die Verwirrung, die Feigheit und den politischen Bankrott der überwiegenden Mehrheit der vorgeblich trotzkistischen Gruppen, insbesondere derjenigen, die in den imperialistischen Kernländern angesiedelt sind, drastisch erhellt.

Der Begriff des „russischen Imperialismus“, den reformistische Linke verwenden, um die Unterstützung für die Ukraine (und damit auch für ihre NATO-Paten) zu rechtfertigen, spielte 2018 eine zentrale Rolle bei unserem Bruch mit der in Neuseeland ansässigen Fraktion der Internationalen Bolschewistischen Tendenz. Wie wir damals feststellten: „[ist] politische Klarheit … ein wesentliches Qualitätsmerkmal für eine kleine revolutionäre Propagandagruppe, wenn sie eine positive Rolle im Kampf um eine lebensfähige, in der Arbeiterklasse verwurzelte leninistische Führung spielen soll“.

Der Vorbote des gegenwärtigen Konflikts war der von den USA unterstützte Maidan-Putsch in Kiew im Jahr 2014, der selbst eine Episode in einer Kampagne zur Erhöhung des Drucks auf Russland durch die USA und ihre NATO-Verbündeten war, die bereits seit über zwei Jahrzehnten im Gange war (siehe [auf Englisch]: „Ukraine, Russland und der Kampf um Eurasien – Tektonische Verschiebungen in der globalen Politik“). In einer wichtigen Erklärung, die kurz nach Beginn der russischen „militärischen Sonderoperation“ veröffentlicht wurde, haben wir einige wichtige Momente dieser Geschichte Revue passieren lassen und festgestellt, dass die Lage in den wenigen Monaten vor der Eröffnung der Feindseligkeiten wie folgt war:

„Putin machte bereits deutlich, dass, wenn die NATO-Aktivitäten in der Ukraine nicht beendet und ihre geplante Expansion in die Ukraine nicht kategorisch abgelehnt würden und/oder wenn es Versuche gäbe, neue Waffen in der Nähe der russischen Grenzen zu stationieren, die Antwort ‚militärtechnische‘ Gegenmaßnahmen sein würden, nicht nur gegen die Ukraine, sondern möglicherweise auch gegen die USA und ihre Verbündeten.“

Wir schrieben:

„Die russischen Militäraktionen gegen die Ukraine sind taktisch aggressiv, aber strategisch defensiv. Revolutionäre geben Putin keine politische Unterstützung, erkennen aber an, dass Russlands Recht auf Selbstverteidigung das Recht einschließt, die NATO-Anbindung der Ukraine zu kappen.“

Die unerbittliche Osterweiterung der NATO in den drei Jahrzehnten seit der Zerstörung der Sowjetunion, die als Eindämmung der von Russland ausgehenden potenziellen „Bedrohung“ gerechtfertigt wurde, sollte in Wirklichkeit die Grundlage für die Aufteilung Russlands in mehrere kleinere, leichter zu kontrollierende Neokolonien schaffen. Als die UdSSR 1991 implodierte, war Dick Cheney, US-Verteidigungsminister in der republikanischen Regierung von George H. W. Bush, ein prominenter Verfechter dieser Politik (laut Robert Gates, dem Verteidigungsminister unter Barack Obama). Zbigniew Brzezinski, ein glühender antisowjetischer Ideologe, der als Nationaler Sicherheitsberater von Jimmy Carter den reaktionären islamistischen Dschihad gegen das modernisierende, säkulare Regime der mit Moskau verbündeten Demokratischen Volkspartei Afghanistans anführte, befürwortete ebenfalls die Osterweiterung der NATO als Schritt zur „Dezentralisierung“ Russlands:

„…Die Erweiterung der NATO und der EU sollte in bewussten Schritten erfolgen. Unter der Annahme eines anhaltenden amerikanischen und westeuropäischen Engagements wird hier ein spekulativer, aber realistischer Zeitplan für diese Phasen vorgestellt: Bis 1999 werden die ersten drei mitteleuropäischen Mitglieder in die NATO aufgenommen worden sein, obwohl ihre Aufnahme in die EU wahrscheinlich nicht vor 2002 oder 2003 erfolgen wird; bis 2003 wird die EU wahrscheinlich Beitrittsgespräche mit allen drei baltischen Republiken aufgenommen haben, und die NATO wird ebenfalls Fortschritte in Bezug auf die Mitgliedschaft dieser Länder sowie Rumäniens und Bulgariens erzielt haben, so dass ihr Beitritt wahrscheinlich vor 2005 abgeschlossen sein wird; zwischen 2005 und 2010 dürfte auch die Ukraine, sofern sie bedeutende interne Reformen durchgeführt und sich als mitteleuropäisches Land zu erkennen gegeben hat, für erste Verhandlungen mit der EU und der NATO bereit sein.

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In Anbetracht der Größe und Vielfalt des Landes wären ein dezentralisiertes politisches System und die freie Marktwirtschaft am ehesten geeignet, das kreative Potenzial des russischen Volkes und Russlands enorme natürliche Ressourcen freizusetzen. Ein locker konföderiertes Russland – bestehend aus einem europäischen Russland, einer sibirischen Republik und einer fernöstlichen Republik – würde es auch leichter haben, engere Wirtschaftsbeziehungen mit seinen Nachbarn zu pflegen. Jede der konföderierten Einheiten wäre in der Lage, ihr lokales kreatives Potenzial auszuschöpfen, das jahrhundertelang von Moskaus schwerer bürokratischer Hand unterdrückt wurde. Im Gegenzug wäre ein dezentralisiertes Russland weniger leicht für eine imperiale Mobilisierung empfänglich.“
Foreign Affairs, September/Oktober 1997

Brzezinskis zynisches Palaver über die Entfesselung des „kreativen Potenzials des russischen Volkes“ durch die Balkanisierung seines Landes war ein dürftiger Deckmantel für das eigentliche Ziel, einen potenziellen geopolitischen Konkurrenten auszuschalten und gleichzeitig seine „riesigen natürlichen Ressourcen“ für die Ausbeutung durch US-Konzerne zu öffnen. Die Motivation des Kremls, in die Ukraine einzumarschieren, war ein defensiver Schritt, der darauf abzielte, die NATO von Russlands Grenzen zurückzudrängen. Die westlichen imperialistischen Massenmedien haben dies in ihrer wilden Propaganda, in der sie Putin als eine Hitler-ähnliche Figur anprangerten, die von wahnsinnigen russischen Expansionsgelüsten angetrieben wird, völlig ignoriert.

Russlands Wirtschaft – eine Nettoausfuhrquelle von Mehrwert

Wladimir Lenin hat die Haltung der Marxisten zu Kriegen, die von imperialistischen Unterdrückern geführt werden, klar von denjenigen unterschieden, die gegen Unterdrückung geführt werden:

„Kurz: ein Krieg zwischen imperialistischen (d. h. eine ganze Reihe fremder Völker unterdrückenden und sie in das Netz der Abhängigkeit vom Finanzkapital verstrickenden usw.) Großmächten oder im Bunde mit ihnen ist ein imperialistischer Krieg. Ein solcher Krieg ist der Krieg von 1914-1916. ‚Vaterlandsverteidigung‘ ist Betrug in diesem Krieg, ist dessen Rechtfertigung.

Ein Krieg gegen imperialistische, d. h. unterdrückende Mächte von Seiten der unterdrückten (z. B. kolonialen Völker) ist ein wirklich nationaler Krieg. So ein Krieg ist auch heute möglich. Die ‚Vaterlandsverteidigung‘ seitens eines national unterdrückten Landes gegen ein national unterdrückendes ist kein Betrug, und die Sozialisten sind keineswegs gegen die ‚Vaterlandsverteidigung‘ in einem solchen Kriege.“
— Wladimir Lenin, Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „Imperialistischen Ökonomismus“, 1916

Lenins Beschreibung der Funktionsweise des Imperialismus vor einem Jahrhundert besitzt auch heute noch volle Gültigkeit:

„In ökonomischer Hinsicht ist der Imperialismus (oder die ‚Epoche‘ des Finanzkapitals – nicht um Worte geht es) die höchste Entwicklungsstufe des Kapitalismus, und zwar eine Stufe, auf der die Produktion so sehr Groß- und Größtproduktion geworden ist, dass die freie Konkurrenz vom Monopol abgelöst wird. Das ist das ökonomische Wesen des Imperialismus. Das Monopol findet seinen Ausdruck sowohl in den Trusts, Syndikaten usw. als auch in der Allmacht der Riesenbanken, im Aufkauf der Rohstoffquellen usw. als auch in der Konzentration des Bankkapitals usw. Das ökonomische Monopol ist die Hauptsache.
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Das große Finanzkapital eines Landes ist stets in der Lage, seine Konkurrenten auch in einem fremden, politisch unabhängigen Lande aufzukaufen, und tut dies auch immer. Ökonomisch ist dies durchaus zu verwirklichen. Die ökonomische ‚Annexion‘ ist durchaus ‚verwirklichbar‘ ohne die politische, und sie kommt auch ständig vor. In der Literatur über den Imperialismus finden wir auf Schritt und Tritt solche Hinweise, wie z. B., dass Argentinien in Wirklichkeit eine ‚Handelskolonie‘ Englands, Portugal faktisch ein ‚Vasall‘ Englands ist u. dgl. Das ist richtig: die ökonomische Abhängigkeit von den englischen Banken, die Verschuldung an England, der Aufkauf der Eisenbahnen, der Gruben, des Bodens usw. durch England – all das macht die genannten Länder zu einer ‚Annexion‘ Englands im ökonomischen Sinne, ohne Verletzung der politischen Unabhängigkeit dieser Länder.“
— Ebenda

Leo Trotzki stellte fest, dass die imperialistische Ausbeutung dadurch entsteht, dass wirtschaftlich fortgeschrittenere Länder rückständigere Länder gezielt ausnutzen:

„Die Ungleichheit der Entwicklung hat den fortgeschrittenen Ländern enorme Vorteile geschaffen, welche, obgleich in verschiedenem Grade, sich weiterentwickelten auf Kosten der rückständigen Länder, diese ausbeutend, als Kolonie unterwerfend, oder zumindest ihren Aufstieg zur kapitalistischen Aristokratie verhindernd. Die Vermögen Spaniens, Hollands, Englands, Frankreichs sind nicht allein durch Plünderung ihres eigenen Kleinbürgertums, sondern auch durch die systematische Plünderung ihrer überseeischen Besitzungen entstanden. Die Ausbeutung der Klassen wurde vervollständigt und ihre Macht wuchs durch die Ausbeutung der Nationen.“

— Leo Trotzki, Marxismus in unserer Zeit, 1939

Sam King, ein australischer Marxist, skizzierte einige zeitgenössische Unterschiede zwischen imperialistischen und nicht-imperialistischen Ländern (eine Kategorie, zu der er zu Recht Russland zählt):

„Die Forbes Global 2000-Liste gibt uns auch einen Hinweis auf den Grad der Beteiligung der verschiedenen nationalen Kapitale an den zweiundachtzig Wirtschaftssektoren, die Forbes zur Kategorisierung verwendet. Die Dritte Welt verfügt über 85 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur 21 Prozent der börsennotierten Unternehmen (414 von 2.000). Bei der überwältigenden Mehrheit dieser Dritte-Welt-Firmen handelt es sich um inländisch orientierte Finanz-, Öl- und Versorgungsunternehmen. Die Größe dieser Unternehmen und damit ihre Aufnahme in die Liste spiegelt im Allgemeinen die Größe ihrer Inlandsmärkte und den Grad ihrer inländischen Monopolstellung wider. Darüber hinaus finden sich in den größeren Ländern der Dritten Welt einige Bau-, Chemie- oder Produktionsunternehmen auf der Liste, ebenfalls vorwiegend für den lokalen Markt, wie z. B. das indische Unternehmen Tata Motor (das den Inlandsmarkt dominiert) oder das chinesische Unternehmen Dongfeng Motor.
Darüber hinaus gibt es eine kleine Anzahl international wettbewerbsfähiger Unternehmen, die jeweils die verschiedenen Wettbewerbsmerkmale der größten Staaten der Dritten Welt zum Ausdruck bringen. Aus Mexiko kommen zwei Getränkehersteller und ein internationales Telekommunikationsunternehmen, aus Indien Software und IT-Dienstleistungen, aus Russland Gas, Metalle und Waffentechnik und aus China Produktionsunternehmen für Haushaltsgeräte und Unterhaltungselektronik.”
—Sam King, Imperialism and the development myth, 2021

King bemerkte:

„Selbst der ärmste imperialistische Staat, Spanien (Einkommen [in BIP pro Kopf] US$ 25.555), verdient fast doppelt so viel wie die bestverdienenden Dritte-Welt-Staaten Argentinien (US$ 13.432) und Chile (US$ 13.416) und dreimal so viel wie Mexiko, Brasilien und China, Russland und die Türkei: So groß ist die kleinste Kluft zwischen den beiden unterschiedlichen Welten.”
—Ebenda

Michael Roberts, ein marxistischer Wirtschaftsexperte aus Großbritannien, lehnt die Annahme, dass Russland ein imperialistischer Ausbeuter sei, ebenso ab:

„Die russische Wirtschaft ist nach wie vor ein ‚Ein-Trick-Pony‘, das von Öl und Gas abhängig ist, die vor dem Krieg mehr als die Hälfte seiner Exporte ausmachten, während der Rest aus Getreide, Chemikalien und Metallen bestand – keine Exporte von Spitzentechnologie. Das bedeutet, dass Russland keinesfalls Mehrwert durch den Handel mit anderen Ländern erwirtschaftet, sondern dass die fortgeschritteneren kapitalistischen Volkswirtschaften und ihre multinationalen Konzerne Nettotransfers von Mehrwert aus Russland erhalten.
Putin mag denken, dass Russland eine imperialistische Macht sein kann, aber die wirtschaftliche Realität ist, dass Russland nur eine große periphere Wirtschaft außerhalb des von den USA geführten imperialistischen Blocks ist, wie Brasilien, China, Indien, Südafrika, die Türkei, Ägypten usw. – wenn auch mit einem größeren Militär als die meisten.“
thenextrecession.wordpress.com, 15. August 2022

Wie Trotzki betonte, hat die Frage, ob ein Land imperialistisch ist oder nicht, wichtige programmatische Auswirkungen für Marxisten:

„Der unterdrückende Imperialismus der fortgeschrittenen Nationen kann nur deshalb existieren, weil rückständige Nationen, unterdrückte Nationalitäten, koloniale und halbkoloniale Länder auf unserem Planeten weiterbestehen. Der Kampf der unterdrückten Völker für nationale Vereinigung und Unabhängigkeit ist doppelt fortschrittlich, denn einerseits bereitet er günstigere Bedingungen für ihre eigene Entwicklung vor, während er andererseits dem Imperialismus Schläge erteilt. Das im besonderen ist der Grund, warum die Sozialisten im Kampf zwischen einer zivilisierten imperialistischen demokratischen Republik und einer rückständigen barbarischen Monarchie eines kolonialen Landes trotz seiner Monarchie zur Gänze auf der Seite des unterdrückten Landes und gegen das Unterdrückerland stehen, ungeachtet seiner ‚Demokratie‘.“
–Leo Trotzki, Lenin und der imperialistische Krieg, 1938

Ehemalige sowjetische Satellitenparteien bekennen sich zur neutralen Haltung des Dritten Lagers in der Ukraine

Viele ehemals mit der Sowjetunion verbündete [Kommunistische] Parteien, darunter die britische, die irische und die türkische, haben eine Haltung der beiderseitigen Niederlage eingenommen, anstatt Russland zu unterstützen. Bei Ausbruch der Feindseligkeiten schloss sich die Kommunistische Partei Großbritanniens (CP/B) sofort einer Erklärung des Weltfriedensrats an, in der das Recht auf Selbstbestimmung für die russischsprachige Mehrheit im Donbass, auf der Krim und in anderen Regionen der Ost- und Südukraine effektiv verneint wurde:

„Wir, die unterzeichnenden politischen Parteien, begrüßen die Erklärung des Weltfriedensrates vom 25. Februar 2022, sie:

fordert alle Seiten des Russland-Ukraine-Konflikts auf, den Frieden und die internationale Sicherheit durch einen konstruktiven politischen Dialog wiederherzustellen und zu sichern, und erklärt, dass das russische und das ukrainische Volk sowie die Völker der Region von diesem militärischen Konflikt nichts zu gewinnen haben.

Verurteilt die politischen und militärischen Manöver der USA, der NATO und der Europäischen Union seit dem Euromaidan-Putsch von 2014, nach dem reaktionäre Kräfte mit offener Unterstützung der westlichen imperialistischen Mächte die Macht in Kiew übernommen haben.

Bekräftigt den Widerstand gegen die Osterweiterung der NATO, ihre militärische Aufrüstung in Osteuropa und die Einkreisung der Russischen Föderation.

Erklärt, dass die einseitige Anerkennung der Unabhängigkeit der ukrainischen Provinzen durch Russland nicht nur die Gründungsprinzipien der Charta der Vereinten Nationen untergräbt, sondern auch eine Rechtfertigung für den künftigen Missbrauch solcher Methoden durch die imperialistischen Mächte gegen andere Nationen schafft.

Erkennt an, dass es in diesem Konflikt um die Kontrolle von Energieressourcen, Pipelines, Märkten und Einflusssphären geht.“
communistparty.org.uk, 1. März 2022 (eigene Übersetzung)

Der brutale achtjährige Feldzug gegen die prorussischen Separatisten im Donbass, der von militärischen Einheiten des Rechten Sektors, Asow, Tornado, Dnipro, Aidar und anderen offen faschistischen Formationen geführt wurde, war ein wichtiger Faktor für Putins Entscheidung, einzugreifen. Im Gegensatz zu den USA und den anderen „demokratischen“ imperialistischen NATO-Raubtieren ist Russland nicht darauf aus, sich den natürlichen Reichtum schwächerer Länder anzueignen; vielmehr verkauft es die Energieressourcen an die Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) mit einem erheblichen Preisnachlass:

„…Russland konnte seinen Nachbarn subventionierte Preise für die Ausfuhr von Öl, Gas und anderen Rohstoffen anbieten. Dieser Mechanismus funktionierte angesichts der anhaltenden Verknappung der Energie- und Rohstoffressourcen in der Welt und des damit einhergehenden konstanten Anstiegs der Weltmarktpreise für russische Exporte relativ gut. Vergessen wir nicht, dass in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Volkswirtschaften der meisten GUS-Länder im Wesentlichen sowjetisch und damit energie- und rohstoffintensiv blieben, was die starke Abhängigkeit dieser Länder von der Lieferung billiger Energie und Rohstoffe aus Russland vorprogrammierte.
Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wurde der ‚Erzeugermarkt‘ jedoch durch den ‚Verbrauchermarkt‘ ersetzt, wodurch die Bedeutung der russischen Energieprämien für die Nachbarstaaten allmählich abnahm. ….
Moskau versuchte, seine Nachbarn anzulocken, indem es für sie Vorzugsbedingungen für den Zugang zum russischen Markt für Waren und Dienstleistungen sowie zum Arbeitsmarkt in Form von Arbeitsmigration aus den GUS-Staaten schuf. Solche Präferenzen waren im Kontext des raschen Wachstums der russischen Wirtschaft im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts und der mangelnden Bereitschaft oder Unvorbereitetheit der meisten GUS-Länder, die Konsum- und Arbeitsmärkte des ‚fernen Auslands‘ aktiv zu erkunden, von großer Bedeutung.“
ip-quarterly.com, 31. März 2022 (eigene Übersetzung)

In Deutschland sind sowohl die Kommunistische Organisation (KO) als auch ihre Mutterpartei, die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), in eine Diskussion über die Rolle Russlands in der Weltwirtschaft und das Wesen des heutigen Imperialismus verwickelt. Wir sind der Meinung, dass die elegante und einfache Formel in den „Leitsätzen zur Orientfrage“, die 1922 vom Vierten Kongress der Kommunistischen Internationale angenommen wurden, auch heute noch uneingeschränkt gültig ist: “Das Wesen des Imperialismus besteht in der Ausnutzung der verschiedenen Entwicklungsstufen der Produktivkräfte in den verschiedenen Gebieten der Weltwirtschaft zwecks Erzielung monopolistischer Extraprofite.” Anstelle dieses traditionellen leninistischen Ansatzes neigt die stalinistische Führung sowohl der KO-Mehrheit als auch der DKP zu einem ursprünglich von der Kommunistischen Partei Griechenlands entwickelten Ansatz, den die KO wie folgt wiedergibt:

„Der Imperialismus ist ein globales System gesellschaftlicher Beziehungen, das alle kapitalistischen Länder umfasst, nicht nur die USA, Japan und Westeuropa. Auch andere Staaten, in denen (monopol-)kapitalistische Verhältnisse bestehen, wie etwa China, können keinen antiimperialistischen Charakter annehmen. Eine Rückentwicklung vom Monopolkapitalismus zum Kapitalismus der freien Konkurrenz ist nicht möglich, weil sie den grundlegenden Entwicklungsgesetzen der kapitalistischen Produktionsweise widerspricht, insbesondere dem Gesetz der fortschreitenden Konzentration und Zentralisation des Kapitals.

Der antiimperialistische Kampf muss sich deshalb gegen das Kapital und das kapitalistische System als Grundlage des Imperialismus richten. Als Kommunisten in Deutschland sehen wir den deutschen Imperialismus, d.h. die deutsche Monopolbourgeoisie und ihren Staat als unseren Hauptgegner an. Wir kämpfen aber Seite an Seite mit unseren Genossen auf der ganzen Welt gegen den Imperialismus als Ganzes, als weltweites System. Besonders hervorzuheben sind daher auch die EU als imperialistisches Bündnis, die aufstrebenden Ökonomien der BRICS-Gruppe und der US-Imperialismus als nach wie vor militärisch gefährlichster imperialistischer Pol der Welt.“
kommunistische.org, 1. Juli 2018

Lenin hat ein ähnliches Argument schon vor über hundert Jahren ins Lächerliche gezogen:

„Der fortgeschrittene europäische (und amerikanische) Kapitalismus ist in eine neue Ära des Imperialismus eingetreten. Folgt daraus, dass nur noch imperialistische Kriege möglich sind? Eine solche Behauptung wäre absurd. Sie würde die Unfähigkeit offenbaren, ein bestimmtes konkretes Phänomen von der Gesamtsumme der vielfältigen Phänomene zu unterscheiden, die in einer bestimmten Epoche möglich sind. Eine Epoche heißt gerade deshalb Epoche, weil sie die Gesamtheit der verschiedenen Phänomene und Kriege umfasst, typische und untypische, große und kleine, einige, die den fortgeschrittenen Ländern eigen sind, andere, die den rückständigen Ländern eigen sind.“
– Lenin, 1916, a. a. O.

Jeder Rahmen, der Russland, Indien, Brasilien, Südafrika und den deformierten chinesischen Arbeiterstaat als Bestandteile des „Imperialismus als Ganzes“ einschließt, kann angehende Revolutionäre nur verwirren und desorientieren. Solch verworrenes Geschwätz leugnet nicht nur die Realität der „real existierenden“ imperialistischen Ausbeutung, sondern verlangt logischerweise auch, dass diejenigen, die sich ihm anschließen, den gegenwärtigen Konflikt sowie ähnliche Konflikte in der Zukunft in einem neutralen „Dritten Lager“ aussitzen.

WSWS, TF, IG: „Weder Washington noch Moskau“

Neben den verschiedenen stalinistischen Befürwortern der Neutralität in diesem Konflikt gibt es ein breites Spektrum von vorgeblichen Trotzkisten, die im gleichen Boot sitzen. Viele selbsternannte trotzkistische Strömungen, die die Idee ablehnen, dass Russland eine imperialistische Macht ist, und die aggressive Expansion der NATO ablehnen, haben sich dennoch geweigert, im aktuellen militärischen Konflikt Partei zu ergreifen. Die türkische Devrimci İşçi Partisi (DIP-Revolutionäre Arbeiterpartei) hat die Anprangerung von US/NATO-Provokationen mit Erklärungen kombiniert, dass Revolutionäre nicht neutral bleiben können – und zögert dennoch aus Gründen, die uns unklar bleiben, sich ausdrücklich für einen russischen militärischen Sieg auszusprechen (siehe: „On RedMed’s ‘International Anti-Imperialist and Anti-War Declaration’“).

Die World Socialist Web Site (WSWS – herausgegeben von David Norths Socialist Equality Party [SEP – in Deutschland Soziale Gleichheitspartei (SGP)]) bezeichnet Putins militärische Initiative als im Wesentlichen defensiv und übt scharfe Kritik sowohl an den NATO-Imperialisten als auch ihren ukrainischen Marionetten. Dennoch weigern sich die North-Anhänger standhaft, in dem Konflikt Partei zu ergreifen, obwohl sie zu aufschlussreichen Kommentaren über die Beweggründe verschiedener Pseudotrotzkisten fähig sind, die behaupten, Russland und China (von der SGP fälschlicherweise als „kapitalistisch“ bezeichnet) seien imperialistische Mächte:

„Doch welchen politischen Zweck erfüllt es, wenn die Beschreibung Chinas und Russlands um den Begriff ‚imperialistisch‘ ergänzt wird? Im Hinblick auf die praktische Politik liegen die Absichten klar zutage. Erstens wird die zentrale und entscheidende Rolle des amerikanischen, europäischen und japanischen Imperialismus relativiert und damit heruntergespielt. Dies erleichtert den Pseudolinken die aktive Zusammenarbeit mit den USA bei Regime-Change-Operationen wie beispielsweise in Syrien, wo die Assad-Regierung von Russland unterstützt wird. Zweitens, und das ist das Wesentliche, rechtfertigt die Bezeichnung Chinas und Russlands als imperialistisch – und damit implizit als Kolonialmächte, die ethnische, nationale, sprachliche und religiöse Minderheiten unterdrücken – die Unterstützung vom Imperialismus geförderter nationaler ‚Befreiungsaufstände‘ und ‚Farbrevolutionen‘ innerhalb der Grenzen der bestehenden Staaten durch die Pseudolinken.“
wsws.org, 18. Februar 2016

Die WSWS, die seit langem die räuberischen Gelüste des US-Imperialismus gegenüber Russland erkannt hat, weigert sich, die logische Schlussfolgerung aus ihrer Analyse zu ziehen, vermutlich aus Angst, als ‚Putin-Versteher‘ verleumdet zu werden. Während sie verschiedene pabloistische und shachtmanistische Strömungen, die die Denunziationen des ‚russischen Imperialismus‘ durch die bürgerlichen Medien nachplappern, zu Recht verurteilt, hat sich die SGP entschieden, eine Position im ‚Dritten Lager‘ zwischen den beiden Konfliktparteien einzunehmen:

„Der Ausweg aus dieser Katastrophe, die in den jetzigen Krieg mündete, kann nicht in einem Bündnis mit dem US-Nato-Imperialismus oder mit dem kapitalistischen Regime Putins gefunden werden, sondern nur durch den vereinten Kampf der ukrainischen, russischen und internationalen Arbeiterklasse gegen alle kriegführenden Staaten. Die Arbeiterklasse in Russland wie auch in der Ukraine muss an dem Grundsatz festhalten: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“
wsws.org, 30. Juni 2022

Die Neutralität der North-Anhänger hat sie nicht daran gehindert, die zentrale strategische Frage zu erkennen, die sich heute in der Ukraine stellt, und die Tatsache, dass die imperialistische Aggression, die sich zunächst gegen Russland richtet, letztlich auf China ausgeweitet wird:

„Die imperialistischen Nato-Mächte finanzieren ihren Stellvertreterkrieg in der Ukraine mit dem Ziel, die Kontrolle über die riesige russische Landmasse zu erlangen, die die weltweit größten Vorkommen an Öl, Gas und strategischen Mineralien aufweist. Außerdem ist dieser von den USA angeführte imperialistische Feldzug Teil umfassenderer Vorbereitungen auf einen Krieg gegen China. Russland hingegen interveniert militärisch im Ausland, nicht um Kolonien zu erobern und auszubeuten, sondern um geostrategische Garantien gegen imperialistische Interventionen zu erhalten.“
wsws.org, 29. Juni 2022

Aus diesen richtigen Prämissen zieht die SGP jedoch eine völlig ungerechtfertigte Schlussfolgerung:

„Die [russische] Invasion am 24. Februar selbst wurde zwar vom Imperialismus provoziert, war aber ein [im englischen Original erscheint zusätzlich: „bankrotter und“] verzweifelter Versuch, das Druckmittel des Regimes bei den Verhandlungen mit den imperialistischen Mächten zu verstärken. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Invasion wurde von den imperialistischen Mächten als dringend benötigter Vorwand genutzt, um ihre lang gehegten Kriegspläne gegen Russland umzusetzen und ihre militärische Aufrüstung für eine imperialistische Neuaufteilung der Welt zu eskalieren.“
wsws.org, 3. September 2022

Putins „militärische Sonderoperation“ war weder „bankrott“ noch besonders verzweifelt. Es war ein sorgfältig kalkulierter Schritt, der darauf abzielte, Russlands Anfälligkeit für imperialistische Aggressionen durch die Neutralisierung des ukrainischen NATO-Stellvertreters zu verringern. Trotz einiger Fehlkalkulationen und unvorhergesehener Schwierigkeiten ist es nach wie vor sehr wahrscheinlich, dass der Kreml, sofern der Konflikt im Wesentlichen auf die Ukraine beschränkt bleibt, letztlich Erfolg haben und das NATO-Bündnis ernsthaft geschädigt wird, wenn es überhaupt überlebt. Politische und wirtschaftliche Kommentatoren des gesamten politischen Spektrums rechnen in den kommenden Monaten mit massiven sozialen Unruhen in ganz Europa, wenn die kapitalistischen Herrscher versuchen, den Arbeitern die Kosten der enorm teuren Militärintervention in der Ukraine und der spektakulär kontraproduktiven Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufzubürden. Die gesamte Architektur der imperialen US-Herrschaft, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurde – einschließlich der privilegierten Stellung des Dollars als Weltreservewährung – scheint nun ernsthaft in Gefahr zu sein.

Unabhängig davon, ob Putins militärische Initiative letztendlich erfolgreich ist oder nicht, ist es dumm, wenn die WSWS den Versuch des Kremls, die Bemühungen der NATO in der Ukraine zum Scheitern zu bringen, als „bankrott“ bezeichnet. Was man eher als „bankrott“ bezeichnen könnte, ist die feige Weigerung der North-Anhänger, Partei zu ergreifen, selbst wenn sie anerkennen, dass Russlands bonapartistisches kapitalistisches Regime einen Verteidigungskampf gegen imperialistische Aggression führt.

Zwei andere Strömungen, Left Voice (die amerikanische Sektion der in Argentinien ansässigen Trotzkistischen Fraktion [TF – in Deutschland Klasse Gegen Klasse bzw. Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)]) – siehe: „Trotskyist Fraction on Ukraine – Centrist Waffling“ (Trotzkistische Fraktion zur Ukraine – zentristisches Schwanken)) und die in New York ansässige Internationalist Group (IG) [in Deutschland die Internationalistische Gruppe], die ebenfalls die USA für die Provokation des Konflikts anprangern und alle Behauptungen über einen „russischen Imperialismus“ zurückweisen, haben sich der WSWS angeschlossen und eine neutrale Position eingenommen.

Die TF erklärte schlüssig, warum das heutige Russland als ein abhängiges und nicht als ein imperialistisches, kapitalistisches Land betrachtet werden sollte:

„Auch wenn bestimmte Merkmale des russischen Staates die ‚Illusion einer Supermacht‘ schaffen, verdecken sie die Tatsache, dass Russland in Wirklichkeit einem typischen Fall von ‚ungleicher und kombinierter Entwicklung‘ unterworfen ist. Es hat von der Sowjetunion und dem Kalten Krieg ein riesiges Atomwaffenarsenal und eine dominante Stellung in mehreren internationalen Institutionen geerbt. Außerdem hat Putin nach dem Debakel der Jelzin-Jahre die Staatsmacht wiederhergestellt und gestärkt, während er die prokapitalistischen Bemühungen Jelzins konsolidierte und vertiefte.

Dennoch stützt sich die russische Wirtschaft fast ausschließlich auf den Export von Rohstoffen (insbesondere Öl und Gas, Metalle und landwirtschaftliche Erzeugnisse) und ist nach wie vor in hohem Maße von westlicher Technologie und Finanzierung abhängig. Russlands internationale Einflussmöglichkeiten beschränken sich weitgehend auf die ehemaligen Grenzen der UdSSR, trotz teilweiser Erfolge im Nahen Osten und in Afrika. Alles in allem wird Russland immer mehr zu einer Regionalmacht, wobei sein echter internationaler Einfluss begrenzt bleibt.“
klassegegenklasse.org, 19 März 2022

Auch die Hintergründe des aktuellen militärischen Kräftemessens wurden kompetent skizziert:

„Die Wurzeln des Konflikts zwischen Russland, der Ukraine und der NATO gehen auf das Ende des Kalten Krieges mit dem Triumph der USA, der Auflösung der Sowjetunion und der kapitalistischen Restauration zurück. Nachdem es unter Boris Jelzin einen historischen Einbruch erlitten hatte, ist Russland unter Putins bonapartistischem Regime wieder zu einer Macht geworden. Diese hat zwar nicht den Status der ehemaligen Sowjetunion und beruht auf einer vom Erdöl abhängigen Rentenökonomie. Doch sie hat das Atomwaffenarsenal der ehemaligen UdSSR geerbt, was ihr eine geopolitische Ausstrahlung verleiht, die weit über ihre materiellen Grundlagen hinausgeht und Putins Ambitionen nährt, die internationale Bühne im Interesse des russischen Kapitalismus zu beeinflussen.
Neben der Förderung prowestlicher Regierungen in der Nachbarschaft Russlands haben die USA die Osterweiterung der NATO vorangetrieben, die nach und nach die Länder einbezog, die zum ehemaligen Einflussbereich der Sowjetunion gehörten. … Die Logik hinter diesem expansiven Vorgehen der USA ist das strategische Ziel, eine Politik der Halbkolonisierung Russlands voranzutreiben.“
klassegegenklasse.org, 23. Februar 2022

Die Konfrontation in der Ukraine, die durch die unerbittliche Expansion der NATO ausgelöst wurde, dreht sich in der Tat um die Frage, ob der US-Imperialismus sein „strategisches Ziel der Halbkolonisierung Russlands“ erreichen wird. Marxisten können in einem solchen Kampf nicht neutral sein; aber für die TF unterstützen diejenigen, die Russlands Versuch beistehen, sich dem imperialistischen Eindringen zu widersetzen, im Grunde auch Putins reaktionäres bonapartistisches Regime:

„Auch wenn es weniger sind, gibt es diejenigen, die darauf bestehen, dass Russland und China eine fortschrittliche Alternative zum US-amerikanischen und westlichen Imperialismus darstellen. Diese Position lässt den repressiven Bonapartismus von Putins Regime außer Acht, das heute mit besonderer Brutalität auf den Antikriegsaktivismus in Russland reagiert. Diejenigen, die auf dieser Seite stehen, neigen auch dazu, alle außenpolitischen Schritte Putins als ‚Verteidigungsmanöver‘ gegen den hegemonialen US-Imperialismus zu bewerten und rechtfertigen damit offen und schändlich die reaktionäre russische Invasion in der Ukraine und deren nationale Unterdrückung.“
leftvoice.org, 31. März 2022 (eigene Übersetzung)

Als die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan und im Irak einmarschierten, stellten sich Marxisten auf die Seite der halbkolonialen Opfer. Das bedeutete nicht, dass sie die Taliban oder die reaktionäre baathistische Diktatur Saddam Husseins unterstützten. Marxisten ergreifen bei Streiks und anderen Formen des Klassenkampfes Partei, ohne die bürokratischen Gewerkschaftsführer, die sie führen, politisch zu unterstützen. Dasselbe Kriterium gilt für antiimperialistische militärische Konflikte: Den Sieg der einen Seite über die andere zu befürworten, bedeutet nicht, dass man das Programm und die Praxis derjenigen, die den Kampf führen, politisch unterstützt – es bedeutet lediglich, dass der Sieg der einen Seite über die andere die Interessen der Arbeiterbewegung und/oder der Unterdrückten voranbringen wird.

Die IG lehnt wie die TF jedes Geschwätz vom „russischen Imperialismus“ ab, ist sich jedoch unbehaglich bewusst, dass dies im Widerspruch zu ihrer Haltung der Neutralität in dem Kampf steht, in dem die Kräfte des Kremls gegen die der NATO und ihrer ukrainischen Stellvertreter stehen. Die IG versucht auf lächerliche Weise, die Quadratur des Kreises zu vollbringen, indem sie leugnet, dass die USA und ihre NATO-Verbündeten in den Konflikt verwickelt sind:

“Dies ist jetzt ein Krieg zwischen dem russischen kapitalistischen Staat mit seinem nationalistischen Herrscher in Moskau und dem der Ukraine, dessen nationalistisches Regime in Kiew als Handlanger der westlichen Imperialisten fungiert und faschistische Kräfte einsetzt, um die russischsprachige Bevölkerung im Südosten der Ukraine zu belagern. Wir Trotzkisten rufen zum revolutionären Defätismus auf beiden Seiten in diesem reaktionären nationalistischen Krieg auf, zum internationalistischen proletarischen Kampf gegen beide kapitalistischen Regime und vor allem gegen die US-amerikanischen und europäischen Machthaber, die diesen Flächenbrand ausgelöst haben.
Wir erklärten [früher], dass ‚wenn die Zusammenstöße zu einem ausgewachsenen Krieg zwischen Russland und der Ukraine führen, Trotzkisten für eine Politik des revolutionären Defätismus in diesen beiden Regionalmächten eintreten und die Arbeiter aufrufen würden, sich aktiv den Kriegsanstrengungen „ihrer“ Bourgeoisien zu widersetzen und einen unnachgiebigen Klassenkampf gegen die kapitalistischen Herrscher in Moskau und Kiew zu führen.‘…. Gleichzeitig stellten wir fest, dass, wenn sich der Konflikt ‚in einen Krieg der imperialistischen Unterstützer der Ukraine gegen Russland verwandeln würde, dies eine ganz andere Sache wäre.‘“
internationalist.org, 28. Februar 2022

Die faktenwidrige Behauptung der IG, dass „die imperialistischen Hintermänner der Ukraine“ keine bedeutende Rolle in dem Konflikt spielen, ignoriert die Tatsache, dass die US/NATO-Achse das ukrainische Militär seit Jahren reorganisiert, ausbildet und ausrüstet und es schrittweise operativ integriert. Wir haben einige Aspekte davon in unserer Februar-Erklärung dokumentiert:

„Im Jahr 2013 wurde ein ‚Defence Education Enhancement Programme‘ (DEEP) ins Leben gerufen, um das ukrainische Militär zu modernisieren. Auf der NATO-Website heißt es, DEEP fördere ‚die Verteidigungsfähigkeit und den Aufbau von Institutionen. Durch die Stärkung demokratischer Institutionen leistet es einen wichtigen Beitrag zu den Bemühungen der NATO um Stabilität im euro-atlantischen Raum und darüber hinaus.‘ Im Jahr 2015 wurde die Ukraine in die NATO-Unterstützungs- und Beschaffungsagentur (NSPA) aufgenommen, was ihr den Zugang zu Rüstungsgütern ermöglichte. Zwei Jahre später erklärte die Ukraine die NATO-Mitgliedschaft zu einem strategischen nationalen Ziel.“
Bolschewik Nr. 40, 9. März 2022

In einem Beitrag auf unserer Website vom August stellten wir fest:

„Die ukrainische Regierung wie auch ihr Militär sind derzeit völlig abhängig von massiven Finanz- und Waffenzuführungen des Imperialismus und dienen lediglich als Spielball des US-Imperialismus, der seit langem das Ziel verfolgt, Russland zu zerstückeln. Im Jahr 2020 prahlte Adam Schiff, ein führender Politiker der Demokratischen Partei, damit, die Ukraine zu benutzen, um ‚Russland zu bekämpfen‘, und erst diese Woche enthüllte Vadym Skibitsky, der stellvertretende Leiter des ukrainischen Militärgeheimdienstes, dass die USA die effektive Kontrolle über die Bestimmung der Ziele für das berühmte HIMARS-Artilleriesystem behalten:
„‚Skibitsky sagte der britischen Zeitung Telegraph, dass es vor den Angriffen Konsultationen zwischen US-amerikanischen und ukrainischen Geheimdienstmitarbeitern gebe und dass Washington ein effektives Vetorecht bei der Festlegung der Ziele habe, obwohl er sagte, dass US-Beamte keine direkten Informationen über die Ziele liefern.‘“

Im Mai gab die IG selbst die folgende (zutreffende) Einschätzung der Situation:

„Die USA rasen und stolpern irrational auf einen Weltkrieg, möglicherweise einen Atomkrieg, zu. Zusammen mit seinen Verbündeten in der imperialistischen Nordatlantikvertragsorganisation (NATO) schickt Washington immer schwerere Angriffswaffen an das faschistisch verseuchte ukrainische Militär. Doch die USA haben den Untergang Russlands als dramatisches Beispiel für die militärische Stärke der USA und der NATO und als implizite Bedrohung für China im Visier. Die USA schwören, Russland zu besiegen und sein Militär zu schwächen, so dass es auf Jahre hinaus ‚geschwächt‘ sein wird, wie Pentagon-Chef General Lloyd Austin sagte.“
internationalist.org, Mai 2022 (eigene Übersetzung)

Wie stellt sich die IG-Führung vor, dass die USA beabsichtigen, „Russland zu besiegen und sein Militär zu schwächen“ *, während sie selbst nicht in den Konflikt involviert sind? Angesichts der Tatsache, dass die „faschistisch verseuchten“ ukrainischen Streitkräfte bekanntermaßen unter dem Kommando der USA/NATO operieren, ist die absurde Leugnung einer nennenswerten imperialistischen Beteiligung durch die IG eindeutig nichts anderes als eine feige Rechtfertigung für eine Politik, die von der Anpassung an politische Rückständigkeit getrieben wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Führer der Gruppe nicht bereit sind, zuzugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Führerkulte verschiedener Couleur praktizieren routinemäßig diese Art von „Prestigepolitik“, doch ist dies ein Ansatz, der der bolschewistisch-leninistischen Tradition völlig fremd ist, in der die IG zu stehen behauptet.

Pseudotrotzkisten übernehmen die Verurteilung des „russischen Imperialismus“ durch die US-Regierung

Der Preis für die verworrenste Position zur Ukraine geht an Socialist Action (SA), die von Jeff Mackler geleitete US-Gruppe, die zwar nicht offen Partei in dem Konflikt ergreift, aber andeutet, dass sie den „russischen Imperialismus“ irgendwie der amerikanischen Version vorzieht:

„Würden wir die Augen vor der Realität der Ereignisse in der Ukraine seit dem faschistischen Putsch der USA im Jahr 2014 verschließen, und den US-Imperialismus mit dem russischen gleichsetzen, lägen wir falsch…. Die Tatsache, dass der US-Imperialismus einen von Faschisten angeführten Putsch geplant und inszeniert hat, der zum Teil darauf abzielt, die russischsprachige Minderheit, 30 Prozent der Bevölkerung, auszulöschen, und dass dieselbe US-Regierung versucht, die Aufnahme der Ukraine in die NATO zu arrangieren, die mit Atomwaffen vor der Haustür Russlands ausgestattet ist, kann nicht aus jeder ernsthaften Bewertung des sich heute entfaltenden ukrainischen Krieges entfernt werden. Auch das Existenzrecht der unterdrückten russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine, d. h. ihr Recht auf Selbstbestimmung, kann uns nicht gleichgültig oder neutral sein lassen. Sie haben zu Recht um russische Hilfe gegen den Ansturm einer von den USA eingesetzten faschistischen Regierung gebeten. Wir haben nichts dagegen, dass Russland diese Hilfe leistet, auch wenn Putins Motive für die Ausweitung der russischen Hilfe gelinde gesagt zweifelhaft sind.“
socialistaction.org, 11. April 2022

Obwohl sie „nichts“ gegen eine Intervention Putins zur Verteidigung der prorussischen Bevölkerung im Donbass gegen „den Ansturm einer von den USA eingesetzten faschistischen Regierung“ haben, sind Mackler und Co. zu kleinmütig, um offen für einen russischen militärischen Sieg über die NATO und ihre ukrainische Stellvertreterarmee einzutreten. Bei der Erläuterung der Position der SA zum „sich entfaltenden ukrainischen Krieg“ beruft sich Mackler auf verschiedene jüngste US-Interventionen in anderen neokolonialen Ländern:

„Ohne den geringsten Zweifel unterstützen wir das Recht aller armen und unterdrückten Nationen und Völker, frei von imperialistischen Kriegen und Eroberungen zu sein. Dieser Grundsatz gilt uneingeschränkt für alle belagerten Nationen, einschließlich Syrien, Venezuela, Nicaragua und Afghanistan, auch wenn wir mit dem Wesen und der Politik ihrer Regierungen nicht einverstanden sind.“
„In Syrien fiel die Regierung von Bashar al Assad einem zehnjährigen Krieg mit den USA, der NATO und den Golfstaaten zum Opfer, in dem 500.000 Syrer abgeschlachtet wurden. … Der damalige Außenminister der US-Regierung, John Kerry, bereitete sich darauf vor, eine weitere Putschregierung zu installieren, die den USA hörig gewesen wären, doch die Syrer, unter Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts, baten die Russen um Hilfe. Das Ergebnis war die Niederlage dieses US-Regime-Change-Horrors.“
— Ebenda

Es gehört schon eine Menge Dreistigkeit dazu, wenn Mackler Syrien anführt, denn SA hat im Bürgerkrieg dieses Landes zu verschiedenen Zeitpunkten beide Seiten unterstützt: zunächst die „revolutionären“ islamistischen Reaktionäre, die die Diktatur von Bashar al-Assad stürzen wollten, und dann wechselten sie (ohne Erklärung oder Eingeständnis) zu einer Unterstützung des „antiimperialistischen“ herrschenden Baath-Regimes. Mackler erwähnte nicht den NATO-Angriff auf Libyen im Jahr 2011; auch in diesem Fall hat SA ihre ursprüngliche Position zynisch und verdeckt umgestellt (siehe: „Socialist Action: Time to Own Up-‘Russian Imperialism’ & Flip-flops on Syria and Libya“).

Die meisten revisionistischen „trotzkistischen“ Strömungen sind weniger heuchlerisch. Die britische Socialist Workers Party (SWP, führende Sektion der von Tony Cliff gegründeten International Socialist Tendency [in Deutschland Marx21]) hält Russland für „imperialistisch“, bezeichnet das Selenskyj-Regime aber richtigerweise als einen Stellvertreter der NATO. Rob Ferguson schrieb in der Zeitschrift International Socialism Journal: „Die russische Invasion [in der Ukraine] trägt die Kennzeichen aller imperialistischen Kriege“, und forderte „den Rückzug der russischen Truppen und die Unterstützung russischer Antikriegsaktivisten“, während er gleichzeitig feststellte, dass Sozialisten „sich der Expansion der NATO und ihrer Eskalation des Krieges widersetzen müssen“.

Die SWP betrachtet jedes kapitalistische Land, das in der Lage ist, um Einfluss jenseits seiner nationalen Grenzen zu kämpfen, als „imperialistisch“:

„Erstens ist der Imperialismus ein globales System, das kapitalistische Staaten in Konflikte verwickelt. Zweitens spiegelt der Imperialismus eine Phase der kapitalistischen Entwicklung wider, in der sich der Produktionsprozess über nationale Grenzen hinaus ausweitet, so dass Staat und Kapital zunehmend voneinander abhängig werden. Die Unternehmen verlassen sich auf die Staaten, um ihre politische, wirtschaftliche und militärische Macht auszuüben und das Kapital gegen seine Konkurrenten zu schützen, während die Staaten ihrerseits vom wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungsstand des Kapitals abhängen, um ihre Macht auszuüben.“
isj.org, 28. Juni 2022 (eigene Übersetzung)

Lenin vertrat eine andere Auffassung: Er betrachtete nur die Länder als imperialistisch, die über einen ausreichend hohen wirtschaftlichen Entwicklungsstand verfügten, um systematisch Werte aus rückständigeren Regionen abzuschöpfen. Auch die Verdrängung des Industrie- durch das Finanzkapital war für ihn ein zentrales Merkmal des Imperialismus:

„Der Kapitalismus ist so weit entwickelt, daß die Warenproduktion, obwohl sie nach wie vor ‚herrscht‘ und als Grundlage der gesamten Wirtschaft gilt, in Wirklichkeit bereits untergraben ist und die Hauptprofite den ‚Genies‘ der Finanzmachenschaften zufallen.“         
— Wladimir Lenin, Der Imperialismus – Das höchste Stadium des Kapitalismus, 1916

Die Vorherrschaft des Finanzkapitalismus unterscheidet den modernen Imperialismus von den Imperien früherer Epochen:

„Kolonialpolitik und Imperialismus gab es schon vor der letzten Stufe des Kapitalismus und sogar vor dem Kapitalismus. Das auf der Sklaverei beruhende Rom betrieb eine Kolonialpolitik und praktizierte Imperialismus. Aber ‚allgemeine‘ Abhandlungen über den Imperialismus, die den grundlegenden Unterschied zwischen den sozioökonomischen Formationen ignorieren oder in den Hintergrund stellen, verkommen unweigerlich zu den fadenscheinigsten Banalitäten oder Prahlereien, wie der Vergleich: ‚Groß-Rom und Groß-Britannien‘. Selbst die kapitalistische Kolonialpolitik der früheren Stadien des Kapitalismus unterscheidet sich wesentlich von der Kolonialpolitik des Finanzkapitals.“
Ebenda

Die Cliff-Anhänger behandelten das Finanzkapital nie als zentralen Aspekt des Imperialismus, sondern betonten eher die Fähigkeit, geopolitischen Einfluss auszuüben:

„Der Drang zum Wettbewerb ist ein ständiges, inhärentes Merkmal des globalen Systems. Wenn eine Periode imperialistischer Konflikte zu Ende geht, entsteht eine neue, die unweigerlich zu neuen, potenziell noch intensiveren imperialistischen Rivalitäten führt….
Russland ging aus dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums mit einer stark geschwächten wirtschaftlichen, staatlichen und militärischen Infrastruktur hervor, doch war es keineswegs machtlos. Russland erbte das zweitgrößte Atomwaffenarsenal der Welt und verfügte über die größten konventionellen Streitkräfte in der Region. Die meisten der neu unabhängigen ehemaligen Sowjetstaaten waren in hohem Maße von den russischen Energielieferungen und von der industriellen und wirtschaftlichen Infrastruktur abhängig, die in Jahrzehnten sowjetischer Macht aufgebaut worden war. Russlands Versuch, sich in die Weltwirtschaft zu integrieren, seine Energiestrategie und sein Hegemonialanspruch waren eng miteinander verbunden. 1993 war der Export von Rohstoffen zur Lebensader der russischen Wirtschaft geworden. …
Russland setzte seine imperialistische Macht strategisch ein und nutzte nationale und ethnische Spaltungen bis hin zu offenen Konflikten und Kriegen aus.“
— isj.org, a.a.O.

Die größte einheimische Konkurrentin der SWP, die Socialist Party of England and Wales (SP [in Deutschland die Sozialistische Organisation Solidarität]), die vorgibt, sich an orthodoxeren leninistischen Kriterien zu orientieren, hat dennoch sowohl Russland als auch den deformierten chinesischen Arbeiterstaat zu „imperialistischen“ Mächten erklärt:

„Der Imperialismus ist fieberhaft damit beschäftigt, neue Märkte in der neokolonialen Welt zu erschließen, wobei die USA, die EU-Nationalstaaten, China und Russland alle an die Tür klopfen.“
socialismtoday.org, 13. September 2019 (eigene Übersetzung)

Als die Feindseligkeiten in der Ukraine ausbrachen, näherte sich die SP mit ihrer Position des doppelten Defätismus der Position der SWP an:

„Sozialist*innen und die breitere Arbeiter*innenbewegung müssen Putins militärische Invasion verurteilen, die den Tod vieler unschuldiger Zivilist*innen und weitreichende Zerstörung mit sich bringen werden. Das CWI stellt sich entschieden gegen alle kapitalistischen Kriegstreiber*innen und reaktionären nationalen Chauvinismus, der Arbeiter*innen gegeneinander ausspielt. Das CWI wendet sich auch gegen die Nato und die westlichen kapitalistischen Mächte, die für die Verschärfung der militärischen Spannungen in der Region mitverantwortlich sind, welche nun in der Ukraine zu einem neuen Krieg geführt haben. Es ist die Arbeiter*innenklasse der Ukraine und Russlands und darüber hinaus, die für den Krieg teuer bezahlen wird, nicht die Oligarch*innen und herrschenden Eliten in Moskau, Kiew und Washington….
Wir sagen: Stoppt den Krieg in der Ukraine; Abzug der russischen Truppen und Ende der Bombardierung; Abzug der NATO-Truppen aus Osteuropa; Nein zu ethnischer Spaltung und Säuberung; für das Recht auf Selbstbestimmung und volle demokratische Rechte für alle Minderheiten; für die Einheit der Arbeiter*innen und einen gemeinsamen Kampf gegen Kriegstreiber*innen, Oligarch*innen und das System des Kapitalismus, das Armut, Arbeitslosigkeit, ethnische Spaltungen und Kriege schafft.“
solidaritaet.info, 25. Februar 2022

Doch als sich das russophobe bürgerliche Propaganda-Sperrfeuer verstärkte, rückte die SP von ihrer früheren Haltung ab, dass „Das ukrainische Volk … von einem Stellvertreterkrieg zwischen den westlichen imperialistischen Mächten und der regionalen imperialistischen Macht, Russland, auf schreckliche Weise in Mitleidenschaft gezogen [wird].“ Im Mai erklärte CWI-Sekretär Tony Saunois in einer Polemik gegen einen degenerierten ehemaligen „Revolutionär“, der zu einem offenkundig NATO-freundlichen Sozialdemokraten geworden war: „Revolutionäre Sozialist*innen unterstützen voll und ganz das Recht der ukrainischen Arbeiter und des ukrainischen Volkes, sich zu verteidigen und gegen ausländische Invasoren zu kämpfen.“ Anstatt zu fordern, dass die westliche imperialistische Allianz Osteuropa verlässt, riet Saunois seinen Lesern lediglich: „Kein Vertrauen in westliche Mächte und deren Militärbündnisse, einschließlich der NATO.“ Der CWI-Chef machte deutlich, dass diese Schwerpunktverlagerung ein Entgegenkommen auf die populären pro-imperialistischen Illusionen war:

„Während des Krieges hatte ein Teil der Bevölkerung in der Ukraine und im Westen die Erwartung und Hoffnung, dass die Nato dem ukrainischen Volk etwas Schutz und Unterstützung bieten könnte. Diese Hoffnungen schwinden jedoch von Tag zu Tag – vor allem in der Ukraine, da die Nato es aus ihrer Sicht versäumt, entschlossen einzugreifen. Trotz aller vorübergehenden Illusionen, die in die NATO bestehen, haben Sozialist*innen die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und die Realität dessen, was solche Institutionen darstellen, geduldig zu erklären. Der imperialistische Charakter der NATO zeigte sich deutlich bei ihrer Intervention auf dem Balkan im Kosovo 1999 und in Libyen 2011.  Die katastrophalen Folgen, die darauf folgten, verdeutlichen das Wesen dieses Militärbündnisses kapitalistischer Mächte. Die Duldung ausländischer Interventionen durch die NATO-Mitgliedsstaaten zeigt sich in der stillschweigenden Akzeptanz der faktischen türkischen Kontrolle über Nordzypern seit der Invasion von 1974.“
solidaritaet.info, 26. Mai 2022

Die Ausrichtung der SP/CWI auf Bevölkerungsschichten, die darüber enttäuscht sind, dass die NATO nicht mehr gegen den russischen „Imperialismus“ in der Ukraine unternommen hat, bringt sie in eine enge politische Nähe zur Alliance for Workers Liberty (AWL), die die Politik aus Whitehall regelmäßig „kritisch“ unterstützt. Die AWL hat zusammen mit verschiedenen anderen pro-imperialistischen Reformisten (einschließlich der französischen NPA (Le Nouveau Parti Anticapitaliste) und den deutschen Pabloisten der Internationalen Sozialistischen Organisation) das Europäische Netzwerk der Solidarität mit der Ukraine unterzeichnet, das erklärt:

„Aus diesen Gründen stehen wir an der Seite des Widerstands des ukrainischen Volkes gegen die Aggression des russischen Imperialismus und seinen Versuch, das zaristische und später das sowjetische Imperium wieder zu errichten.
Wie bei anderen nationalen Befreiungskämpfen ist unsere Solidarität mit dem Volk der Ukraine bedingungslos und unabhängig von einem Urteil über seine politische Führung, weil es allein der Ukraine und den Ukrainer:innen obliegt, über die Zukunft ihres Landes zu entscheiden.“
workersliberty.org, 9. Juni 2022 (das deutsche Original befindet sich hier)

Sozialnyi Rukh, ein ukrainischer Bestandteil dieser russenfeindlichen Kombination, wurde von der WSWS als mit dem US-Imperialismus über die National Endowment for Democracy (NED) und USAID (The United States Agency for International Development) verbunden entlarvt. Die AWL, die die NATO dafür kritisierte, dass sie „der Ukraine nicht das gibt, was sie in ihrem Selbstverteidigungskrieg braucht“, solidarisierte sich in einem Artikel vom 30. März offen mit den Verteidigern von Mariupol, ohne zu erwähnen, dass viele von ihnen Mitglieder des faschistischen Asow-Bataillons und ähnlicher rechtsextremer Formationen waren.

Besiegt die NATO-Imperialisten in der Ukraine! Es lebe der Trotzkismus!

Der gegenwärtige Konflikt in der Ukraine wirft die Frage der Verteidigung der abhängigen kapitalistischen Länder gegen die USA und andere imperialistische Aggressoren unverblümt auf. Als die ersten Schüsse fielen, waren wir überrascht, wie wenige Gruppen und Einzelpersonen unter denjenigen, die sich auf das Erbe des Trotzkismus berufen, bereit waren, klar und unmissverständlich dazu aufzurufen, dass das russische Militär die Imperialisten und ihre Stellvertreter in der Ukraine besiegen sollte. Wir hoffen, dass die eher subjektiv-revolutionären Elemente in diesem Milieu mit der Politik der Neutralität des Dritten Lagers brechen und sich uns anschließen werden, um einen militärischen Sieg des Kremls über die US/NATO-Imperialisten zu unterstützen:

„Ohne Putins reaktionärem bonapartistischen Regime auch nur einen Zentimeter politische Unterstützung zu gewähren, erkennen Marxisten an, dass ein russischer Sieg die imperialistische Achse USA/NATO schwächen und künftige militärische Aggressionen gegen den deformierten Arbeiterstaat China und andere auf der US-Abschussliste erschweren wird; umgekehrt würde ein Sieg des ukrainischen NATO-Vertreters weitere Aggressionen fördern.
Wir unterstützen die Streiks griechischer und italienischer Arbeiter gegen die NATO-Waffenlieferungen an die Ukraine und lehnen ähnliche Aktionen der weißrussischen Arbeiter ab, die versuchen, die russische Aufrüstung zu blockieren. Das Chaos und die blutige militärische Aggression, die der globale Imperialismus hervorgebracht hat, können nur durch eine sozialistische Weltrevolution beendet werden. Das erfordert den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei auf internationaler Ebene…“
bolsheviktendency, 8. Juli 2022

Der gegenwärtige Konflikt in der Ukraine hat die tiefgreifende politische Degeneration der meisten vermeintlich „trotzkistischen“ Gruppierungen in der Welt deutlich vor Augen geführt. Ihre Unfähigkeit, der Lawine der imperialistischen Propaganda über die „arme kleine Ukraine“ zu widerstehen, erinnert an die unrühmliche Kapitulation der großen Mehrheit der Zweiten Internationale im August 1914. Die erbärmliche AWL spiegelt den krassen Sozialpatriotismus der rechten Sozialdemokraten jener Zeit wider, während die SP und die SWP eher Positionen vertreten, die denen des sozialpatriotischen Mainstreams entsprechen. Die WSWS, die IG und die TF nähern sich mit ihren oft abstrakt richtigen Beobachtungen über die Wurzeln des Konflikts und ihrer politisch feigen Weigerung, in den sauren Apfel zu beißen und die entsprechenden programmatischen Schlussfolgerungen zu ziehen, in etwa der kautskyanischen Mitte-Links-Positionierung an. Die einfache Wahrheit ist, dass ein russischer militärischer Triumph über die globale imperialistische Allianz in der Ukraine die Unterdrücker schwächen und damit dazu beitragen wird, die Bedingungen für ein Wiederaufleben des Klassenkampfes im eigenen Land zu schaffen. Eine NATO-Niederlage wird auch jeden künftigen Versuch der USA, ihrer Vasallen und Verbündeten, aggressive Schritte gegen die deformierten Arbeiterstaaten Kuba, Vietnam, Nordkorea und China sowie Venezuela, Iran, Nicaragua oder andere neokoloniale Ziele einzuleiten, enorm erschweren.

Die grundlegende Frage, die sich heute in der Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO in der Ukraine stellt, ist dieselbe wie in den 1930er Jahren, als unsere trotzkistischen Vorläufer den militärischen Widerstand Chinas gegen die aggressiven japanischen Imperialisten unterstützten:

„Im Krieg zwischen zwei imperialistischen Ländern dreht es sich weder um Demokratie noch um nationale Unabhängigkeit, sondern um die Unterdrückung der zurückgebliebenen nicht-imperialistischen Völker. In einem solchen Krieg befinden sich beide Länder auf derselben historischen Stufe. Die Revolutionäre in beiden Armeen sind Defätisten Aber Japan und China befinden sich nicht auf derselben historischen Stufe. Der Sieg Japans würde die Versklavung Chinas, den Stillstand seiner ökonomischen und sozialen Entwicklung und eine furchtbare Verstärkung des japanischen Imperialismus bedeuten. Chinas Sieg dagegen würde die soziale Revolution in Japan und die freie, d.h. von äußerer Unterdrückung ungehinderte Entwicklung des Klassenkampfes in China bedeuten.
*                                  *                                  *
Die Eiffelianer stellen dieser «nationalen und sozialpatriotischen» Politik die Politik des Klassenkampfes gegenüber. Sein ganzes Leben lang hat Lenin diese abstrakte und sterile Gegenüberstellung bekämpft. Das Interesse des Weltproletariats legt diesem die Pflicht auf, den unterdrückten Völkern in ihrem nationalen und patriotischen Kampf gegen den Imperialismus beizustehen. Wer dies bis heute, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Weltkrieg, zwanzig Jahre nach der Oktoberrevolution, nicht begriffen hat, den soll die revolutionäre Vorhut als ihren schlimmsten inneren Feind unbarmherzig von sich weisen.“
— Leo Trotzki, Über den chinesisch-japanischen Krieg, 23. September 1937

Anmerkungen

* Pentagon chief says US wants to see Russia ‘weakened’

Update: Am Tag, nachdem wie diesen Artikel veröffentlichten, stimmte der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg unserer Sichtweise zu, dass „Russlands Sieg die Niederlage der NATO ist“.