Was ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)?

Der multipolare Flügel der deutschen Arbeiteraristokratie

Der lange Weg von der Formierung eines Wagenknecht-Lagers in der Partei Die Linke (PDL) hin zur endgültigen Abspaltung und Gründung einer eigenen Partei ist beendet. Die neue Partei ist keine linke Antwort auf den Niedergang und die Rechtsentwicklung der PDL. Die Gründung des BSW ergibt sich aus dem Scheitern der PDL als glaubwürdiger linker Kraft, deren Führungspersonal, Wagenknecht eingeschlossen, eher auf Ämterjagd war, als dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, parlamentarische Vertreter von Arbeiterinteressen zu sein und sich in den Landesregierungen, in denen sie vertreten war, an Angriffen auf die Arbeiterklasse beteiligte. Mit dabei waren auch Klaus Ernst, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine, die heute wichtige Persönlichkeiten des BSW sind. Wir beschrieben 2011 den realen Charakter der PDL:

„DIE LINKE tut alles, damit die [gewerkschaftlichen] Mobilisierungen so klein wie möglich bleiben. Massenaktionen gegen Regierungspolitik sieht die Partei ungern. Sie bewirbt sich ja längst für eine Regierungsbeteiligung in Bund und Ländern. Wichtig ist ihr, dass die Gegner des Sozialabbaus sich innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens bewegen. … DIE LINKE hat diese Arbeiter als Wähler für ihre notwendigen Parlamentssitze im Auge, und nicht als Empfänger von Mobilisierungsaufrufen für klassenkämpferische Aktionen, um den Sozialraub zu bekämpfen. Mit derzeit zwei Regierungsbeteiligungen hat DIE LINKE ihren Anteil daran, dass der Sozialabbau so reibungslos wie möglich verwirklicht wird.“
Bolschewik 28, 2011

Die kapitalistische Konterrevolution von 1990 öffnete dem deutschen Imperialismus Tür und Tor für Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter in Ost- wie auch in Westdeutschland. Sie schuf auch die Voraussetzung dafür, dass deutsches Kapital eine gutausgebildete Arbeiterklasse in Osteuropa vorfand und die industrielle Fertigung im großen Stil ins osteuropäische Ausland verlagerte. Das Ausspielen des deutlich niedrigen Lohnniveaus im osteuropäischen EU-Ausland bei gleichzeitiger Schließung zahlreicher Industrieanlagen erzeugte die Vorlage für die Angriffe auf den Sozialstaat durch die Hartz IV-„Reformen“ der rot-grünen Schröder-Regierung, die eine bedeutende Schicht der Arbeiterklasse verarmen ließen. Breite aber erfolglose Gegenproteste mündeten damals zunächst in der SPD-Linksabspaltung Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) und deren Fusion mit der PDS zur PDL zu einer zweiten bürgerlichen Arbeiterpartei neben der SPD.

Migration und Sozialabbau – Wagenknecht setzt auf Protektionismus

Als die Große Koalition 2015 über eine Millionen Geflüchtete aus dem immer noch von imperialistischen Regime Change-Versuch geplagten Syrien und dem kriegsverwüsteten Afghanistan aufnahm, gewann die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) massiv an Zulauf, zunächst unter ehemaligen rassistischen CDU-Wählern, die den wirtschaftsliberalen Zuwanderungskurs der CDU ablehnten und in der neu gegründeten AfD ihre neue politische Heimat fanden. In ihrem Weißbuch zur Sicherheitspolitik 2016 erklärte die Merkel-Regierung:

„Migration an sich ist kein Risiko für die Sicherheit Deutschlands. Im Gegenteil: Unser Land ist aufgrund seiner demographischen Entwicklung auf legale, rechtmäßige Zuwanderung angewiesen.“

Dabei ging es dem deutschen Kapital vor allem darum, Migration als Sparmaßnahme einzusetzen. Zum einen erhoffte sich die herrschende Klasse, durch einen Braindrain gut ausgebildete Migranten aus wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern anzuwerben, um damit im eigenen Bildungssystem sparen zu können; zum anderen zielte diese Maßnahme darauf ab, den gerade auf gesellschaftlichen Druck hin verabschiedeten Mindestlohn zu unterminieren, indem die Merkel-Regierung Neuankömmlinge, die Nachqualifizierungen zu absolvieren hatten, vom Mindestlohn ausnahm. Das traf die breite Mehrheit, da Qualifikationen aus Syrien und anderen Ländern oft nicht anerkannt wurden. Trotz anfänglicher Kritik übernahm die SPD diese Maßnahmen nach der Formierung einer Großen Koalition mit der CDU. Der DGB stellte 2018 fest, dass das Lohnniveau der in Deutschland Arbeitenden deutlich hinter dem Produktivitätszuwachs hinterherhinkte, was die Profitabilität des deutschen Kapitals stärkte. Die Ausnahme vieler Migranten vom Mindestlohn durch die Große Koalition war Wasser auf die Mühlen der AfD. Insbesondere im Osten, wo das Lohnniveau für gleiche Arbeit auch 25 Jahre nach der kapitalistischen Konterrevolution deutlich unter dem westdeutscher Arbeiter liegt, gewann die AfD deutlichen Zuspruch. Das Nach-Unten-Treten auf Migranten, die angeblich mit luxuriösen Sozialleistungen versorgt würden und die man abschieben müsse, um Haushaltslöcher zu stopfen, erschien diesen rückständigen Schichten plausibler, als die Kluft zwischen der sozialdemokratischen Rhetorik der PDL und ihrer neoliberalen Taten, die sich dort, wo sie mitregierte, an den Angriffen auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse beteiligte. Als vielleicht eklatantester Tiefpunkt der sozialen Angriffe, die die PDL mitzuverantworten hatte, war die Ignorierung des Resultats des Berliner Volksentscheids „Deutsche Wohnen und Co enteignen“, der sich gegen die horrenden Mietpreise in Berlin richtete und von dem eine bundesweite Signalwirkung ausging. Als Teil einer Regierungskoalition mit der SPD in Berlin hatte sich die PDL auf die Fahne geschrieben, die parlamentarische Repräsentantin des Mehrheitswillens der Mieter zu sein. Als 60% aller Teilnehmer für den Volksentscheid und damit für die Enteignung der Vermietergesellschaften bei gleichzeitiger Entschädigung der Investoren „deutlich unter Marktwert“ stimmten, verhinderte die PDL einfach mit einer technischen Begründung die Umsetzung des demokratischen Mehrheitswillens.

Die PDL bekämpfte den Sozialabbau nicht, der unter der Großen Koalition weitervorangetrieben wurde, während die AfD, die rhetorisch ab und zu auch mal Bezug auf „deutsche Arbeiter“ nimmt, ihn durchweg unterstützte. Wir schrieben 2020:

„Das deutsche Kapital nahm gezielt Flüchtlinge vom Recht auf den Mindestlohn aus, als die Grenzen geöffnet wurden, um diejenigen aufzunehmen, die vor der durch den deutschen Imperialismus verursachten neokolonialen Ausbeutung, den Umweltkatastrophen und Kriegen fliehen mussten. Marxisten haben die Aufgabe, volle Staatsbürgerrechte für alle Migranten und damit auch das Recht auf Arbeit für diese zu fordern. In Gewerkschaften müssen sie dafür eintreten, Migranten zu organisieren und sich für verbesserte Arbeits- und Lebensbedingungen stark zu machen. Die wachsende Verzweiflung innerhalb der Arbeiterklasse, deutlich zu sehen an den Arbeitskampfmaßnahmen der letzten Monate, zum Beispiel bei Amazon oder in den Pflegeberufen, deutet an, dass gerade im Niedriglohnsektor die Lebensstandards der dort Beschäftigten ein unerträgliches Maß erreicht haben.“
Bolschewik 37, 2020

Statt glaubhaft dafür einzutreten, die Kürzungen durch Streiks zu bekämpfen und sich jeglicher Regierungsteilnahme zu verweigern, die diese fortführt, trat der Wagenknecht-Flügel der PDL für einen Arbeitsmarkt-Protektionismus ein, der bei der Vergabe von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen in Deutschland lebende Arbeiter Vorzug vor Migranten gibt. Als sie 2018 den Verein #aufstehen gründete, der als Testballon des BSW gelten darf, verglichen wir Wagenknechts Positionen zur Migration mit denen der PDL:

„Auf dem letzten Parteitag ist Wagenknecht mit ihrer rechten, bürgerlich-moderaten Flüchtlingspolitik durchgefallen. Gewonnen haben aber Positionen, die im politischen Alltagsbetrieb der PdL keine Rolle spielen, da sie überall wo sie (mit-)regiert, abschiebt und das gleiche mit Flüchtlingen macht, was in anderen Bundesländern auch geschieht. Es ist nicht nur Wagenknecht, die sich nach rechts bewegt: Bodo Ramelow (Ministerpräsident in Thüringen /PdL) möchte auch, wie Union und SPD, dass die Maghreb-Staaten (Tunesien, Algerien, Marokko) in Leugnung der Menschenrechtssituation als sichere Herkunftsstaaten behandelt werden. Als Gegenleistung möchte Ramelow bessere und schnellere Asylverfahren.“
Bolschewik 36, 2019

Zugleich gab es laut der Zeit bundesweit zwischen Anfang 2015 und Ende 2019 mehr als 10.000 rassistische Übergriffe, davon 267 Brandanschläge. Die linksliberalen Mobilisierungen um #unteilbar, die sich für die Integration der Geflüchteten einsetzten und damit ein Zeichen „gegen Rechts“ bzw. die AfD setzen wollten und die auch Unterstützung innerhalb der Mehrheit der PDL fanden, lehnte Wagenknecht ab, weil sie sich für offene Grenzen einsetzten. Trotz der Teilnahme der Basis der PDL an #unteilbar, in der sie sich zwar unter ferner liefen auch gegen den Ausschluss Geflüchteter vom Mindestlohn aussprach, aber keine konkreten Schritte zur Umsetzung dieser Forderung unternahm, beteiligte sich die PDL-Führung im Gegensatz zu ihrer „solidarischen“ Rhetorik an Abschiebungen überall dort, wo sie in Regierungsverantwortung stand. Dem rhetorisch liberalen Kurs der Mehrheits-PDL in der Migrationsfrage stellte Wagenknecht eine deutschnationale Position entgegen. Die Positionen der PDL und Wagenknechts führten aber lediglich dazu, dass weder Opfer rassistischer Gewalt noch die Lebensstandards der Arbeiterklasse verteidigt wurden, sondern die Abwärtsspirale des Ausspielens sozialer Frage und Migration sich fleißig weiterdrehte. Nach wie vor ertrinken Tausende Migranten jedes Jahr im Mittelmeer und finden rassistische Übergriffe statt, während sich die Ausbeutung der Arbeiterklasse weiter verschärft.

Wagenknechts nächster Streich war die Veröffentlichung von „Die Selbstgerechten“ wenige Monate vor der Bundestagswahl, in dem sie mit der Entwicklung der PDL abrechnete und ihr alternatives Programm für ihre Partei vorstellte. Darin formulierte sie eine nationalistische, an konservativen Werten orientierte Sozialpolitik, eine Zurückweisung von Solidarität mit Flüchtlingen und Migranten, und spielte dieses Themenfeld bewusst gegen die Verarmung der einheimischen Bevölkerung aus. Sie übernahm verbal das Programm anderer bürgerlicher Parteien und machte Zugeständnisse an die AfD. Wagenknecht hoffte, durch diese Zugeständnisse rückständige Arbeiter zur Wahl der PDL zu bewegen und zugleich eine eigene Gefolgschaft um sich herum in der PDL aufzubauen.

PDL gibt Pazifismus auf

Als sich abzeichnete, dass die SPD und die Grünen in den Bundestagswahlen im Herbst 2021 die Mehrheit stellen würden und sich damit eine Gelegenheit für eine Regierungsbeteiligung bot, warf die Mehrheit der PDL-Führung auch ihren Pazifismus über Bord. Die Evakuierung deutscher Truppen aus Afghanistan nach der Niederlage der 20-jährigen imperialistischen Besatzung, bei der die Imperialisten und ihre lokalen Verbündeten laut Eingeständnis der New York Times mehr Zivilisten ermordet hatten als die Taliban, kam zu einem kritischen Zeitpunkt des Wahlkampfs, an dem Grüne und SPD das Bekenntnis zur NATO zur Gretchenfrage erklärten. Der Mehrheit der PDL war die Aussicht auf eine erste Regierungsbeteiligung auf Bundesebene und die damit verbundenen Posten zu wichtig, um an ihrem halbseidenen Pazifismus festhalten zu wollen. Die Mehrheit der PDL-Parlamentarier enthielt sich bei der Abstimmung über einen Bundeswehreinsatz zur  Evakuierung Deutscher aus Afghanistan oder stimmte sogar zu. In der Parlamentsfraktion der PDL gab es nur sieben Gegenstimmen, zwei von ihnen wichtige Persönlichkeiten des zukünftigen BSW, Andrej Hunko und Sevim Dağdelen.

Als Russland auf die imperialistische Umzingelung durch die NATO mit der Sondermilitäroperation (SMO) in der Ukraine reagierte, gab es dann für die Mehrheits-PDL kein Halten mehr. Auf ihrem Parteitag vom 27. Juni 2022 verabschiedete die PDL unter der neu gewählten Vorsitzenden Janine Wissler, einem ehemaligen Mitglied von Marx21, den deutschen Anhängern Tony Cliffs und dessen Nachfolgern, die folgende Resolution, die so auch von Marx21 selbst hätte stammen können:

„Seit Jahren betreibt Russland eine Politik, die darauf abzielt, den Einflussbereich der alten Sowjetunion wiederherzustellen. Es wird versucht, autoritäre Vasallen-Regime einzurichten oder – wo das nicht gelingt –, die Staaten zu destabilisieren, aufzulösen oder Territorien mit militärischer Gewalt und Krieg zu okkupieren. Kasachstan, Transnistrien, Georgien und die Niederschlagung der belarussischen Aufstände legen über diese Politik deutlich Zeugnis ab. Russland ist eines der geostrategischen Machtzentren im von fossilen Brennstoffen getriebenen Kapitalismus, in dem unterschiedliche Akteure um Zugang zu Ressourcen und Einflusssphären kämpfen, auch mit dem Mittel des Krieges. Es wird deutlich, dass Russland eine imperialistische Politik verfolgt.“
Die-linke.de, 27. Juni 2022

Der Antrag forderte neben der Einführung eines Preisdeckels für russische Energie auch die imperialistische Bundesregierung auf, den sich in Europa befindlichen Besitz der abhängig-kapitalistischen herrschenden Klasse Russlands zu beschlagnahmen:

„Die Bundesregierung muss ihrer Verantwortung für das Einfrieren von Vermögenswerten russischer Oligarchen im nationalen und europäischen Rahmen nachkommen. … Wir solidarisieren uns mit dem Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen den russischen Angriff.“

Wagenknecht, die versucht hatte, die Formulierung über den russischen Imperialismus streichen zu lassen, scheiterte, was die PDL-Mehrheit näher an Bundeskanzler Scholz rücken ließ, der im September 2022 bei einer Rede vor den Vereinten Nationen der Putin-Regierung „blanken Imperialismus“ vorgeworfen hatte. Während die PDL unter Wissler nur Sanktionen befürwortete, die „sich gegen Putins Machtapparat und den militärisch-industriellen Komplex und damit gegen die Fähigkeit zur Kriegsführung richten“ und solche ablehnte, „die sich vor allem gegen die Bevölkerung richten oder zur Verarmung im Globalen Süden beitragen“, kritisierten Wagenknecht und Klaus Ernst, ein weiterer künftiger BSW-Mitstreiter, die Sanktionen der Bundesregierung durchweg.

Auch den Versuch der PDL des „Greenwashings“ der NATO-Umzingelung des abhängig-kapitalistischen Russlands, indem sie Russland vorhielt, moralisch minderwertig zu sein, weil die dortige vergleichsweise schwache Wirtschaft vom Verkauf fossiler Brennstoffe abhängig ist, machte Wagenknecht nicht mit. Das Greenwashing der PDL reflektierte den Einfluss der vergleichsweise starken Umweltbewegung in Deutschland auf die PDL-Jugend solid‘, die durch Fridays For Future dominiert wird, deren Anführerin Luisa Neubauer Mitglied bei den Grünen ist. Mit Beginn der SMO spielten die Grünen innerhalb der Ampelkoalition den Einpeitscher für die NATO-Aggression und -Sanktionen gegen Russland. Trotz des Images der Grünen als Umweltpartei demonstrierten ihre Regierungsvertreter, allen voran Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock, dass ihnen der reale Kampf gegen die Klimakatastrophe gleichgültig ist, sofern es gelänge, „Russland zu ruinieren“ wie Baerbock es formulierte. Die Energieausfälle und Preissteigerungen, die die Sanktionen gegen preisgünstige russische Energie erzeugten, versuchten die Grünen durch die Wiederaufnahme der Braunkohleförderung und durch den Import US-amerikanischen Fracking-Gases zu kompensieren. Auf die Aussicht potentieller Proteste gegen die Preissteigerungen für Energie reagierte Baerbock anlässlich eines EU-Außenministertreffens in Prag Ende August 2022 folgendermaßen:

„‚Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: „Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht“, dann werde ich diese Versprechen einhalten. Egal, was meine deutschen Wähler denken.‘“
welt.de, 1. September 2022

Diese Aussage wurde sowohl von der AfD als auch Wagenknecht in einer Rede, garniert mit nationalistisch-populistischen Tönen, aufgegriffen, in der sie die Ampelkoalition als „die dümmste Regierung Europas“ bezeichnete, weil die Auswirkungen der Sanktionen insbesondere die Lohnabhängigen und den Mittelstand trafen. Wagenknecht suggerierte, da sowohl die russische aber vor allem die US-Wirtschaft durch die hohen Energiepreise profitierte, dass die Grünen eher Interessenvertreter des US-Imperialismus seien und forderte die Regierung auf, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Ihr ging es dabei primär um die Wettbewerbsfähigkeit, die vom fortgesetzten Import günstigen russischen Gases abhing; schließlich sind die vier Industriezweige, in denen der deutsche Imperialismus führend ist – Autoproduktion, Chemikalien, Elektronik und die mittelständisch geprägte Maschinenproduktion –, allesamt energieintensiv. Alleine 2021 betrug der Anteil der Industrieproduktion am deutschen Bruttoinlandsprodukt 26.6%, verglichen mit dem Frankreichs von 16.8%, der USA von 18.4% und Japans von 29% in der imperialistischen Konkurrenz. Die mit den Sanktionen verbundenen Energiepreissteigerungen trafen auch die ausgelagerte Industrieproduktion des deutschen Kapitals in den abhängig-kapitalistischen Ländern der EU. Bereits im September 2022 zeichnete das renommierte Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im branchenüblichen Jargon ein düsteres Bild, das sich seitdem mit zunehmender Geschwindigkeit realisiert hat:

„Je schneller es trotz des krisenhaften geopolitischen Umfelds gelingt, die Versorgungsrisiken zu reduzieren und Preisspitzen für Strom und Gas abzubauen, umso schneller können positive Erwartungseffekte wirken und Gefahren weiterer Ansteckungseffekte – etwa Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten – reduziert werden. Mit andauernden Belastungen auf dem gegenwärtigen Niveau sind aber langfristige Folgewirkungen für die Wirtschaftsstruktur und den damit verbundenen Lebensstandard zu erwarten. … Abrupte Unterbrechungen von komplexen Produktionsprozessen und Zuliefernetzwerken können diese dauerhaft beeinträchtigen und damit Strukturbrüche auslösen, welche die industrielle Produktion am Standort Deutschland nachhaltig schädigen und eine De-Industrialisierung einleiten. Dies wirkt über vielfältige Verbundeffekte auch in den unternehmensnahen Dienstleistungssektor hinein.“
IW-Konjunkturprognose Herbst 2022: Konjunktureinbruch in Deutschland, 27. September 2022

Wagenknecht machte sich zudem einen Namen damit, dass sie nach der Zerstörung der Nord Stream II-Pipelines durch den US-Imperialismus für Aufklärung durch eine offizielle Anfrage sorgen wollte, was die Bundesregierung aus NATO-Bündnistreue torpedierte. Die Berliner Zeitung berichtete:

„Die Bundesregierung sei ‚nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können.‘ Grund dafür sei die ‚Third-Party-Rule‘ für die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste. Danach unterliegt der internationale Erkenntnisaustausch besonders strengen Geheimhaltungsauflagen. ‚Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.‘ Im Klartext: Es gibt vermutlich Erkenntnisse, die die Bundestagsabgeordneten aber nicht erfahren dürfen.“
Berliner-zeitung.de, 16. Oktober 2022

Neben dem Wagenknecht-Flügel innerhalb der PDL machte nur die rechtspopulistische AfD auf die fatalen Auswirkungen der anti-russischen Sanktionen auf die Wirtschaft aufmerksam, die durch den US-Angriff auf Nord Stream II noch einmal verschärft wurden. Die deutschen Leitmedien und Polit-Elite versuchten daraus, eine Wesensgleichheit des Wagenknecht-Flügels und der AfD zu konstruieren. In einem Interview mit dem konservativen Magazin Focus deutete Wagenknecht an, dass sie wie die AfD explizit um das Kleinbürgertum buhlt:

„Wagenknecht: Gerade Menschen mit wenig Geld sind aktuell oft am Verzweifeln. Selbst viele Familien aus der Mittelschicht können die extremen Energiekosten nicht stemmen. Unternehmen stehen vor der Pleite. Wir helfen der Ukraine doch nicht, indem wir unsere Wirtschaft zerstören.
[Focus:] Geht es Ihnen denn überhaupt um die Ukraine?
Wagenknecht: Es ist vor allem unsere Verantwortung, die Menschen zu vertreten, die jetzt Angst vor dem sozialen Absturz haben. Die um ihr Lebenswerk fürchten. Ich habe eine Mail von einem Bäckermeister bekommen, der vor dem Aus steht. Die Interessen dieser Menschen müssen wir vertreten. Oder sollen wir das der AfD überlassen?“
focus.de, 24. September 2022

Anders als die AfD leugnete Wagenknecht nicht die Existenz des Klimawandels. Sie kritisierte jedoch die sozialen Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen gegen den Klimawandel auf die Arbeiterklasse und die Profitabilität des kleinbürgerlichen Mittelstands. Die Bundesregierung hatte beispielsweise ein Wärmepumpengesetz beschlossen, dass zwar lobenswerterweise das Heizen mit fossilen Brennstoffen schrittweise reduzieren will, ohne dabei zunächst über die Kosten nachzudenken. Wagenknecht griff die Abwälzung der Kosten der Klimakatastrophe und ihrer Bekämpfung auf die Arbeiterklasse und das Kleinbürgertum scharf an, ohne Gegenvorschläge zu machen. Ihr Referenzrahmen des Kapitalismus, der lediglich sozialer gestaltet werden müsse, stand ihr hier im Weg.

Dass es Wagenknecht in ihren Auslassungen zur russischen SMO keineswegs um eine Unterstützung der russischen SMO ging, sondern lediglich um ein gedeihliches Auskommen mit Russland, um Energie zum Vorteil der deutschen Wirtschaft importieren zu können, zeigt ihre Forderung nach Verhandlungen statt Krieg in ihrem „Manifest für Frieden“. Das Manifest, das Wagenknecht gemeinsam mit der Feministin Alice Schwarzer verfasste, und mit dem sie zu einer Großdemonstration in Berlin am 25. 2. 2023 aufrief, argumentiert:

„Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass ‚wir‘ einen ‚Krieg gegen Russland‘ führen. Im Ernst? … Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!“
aliceschwarzer.de, 10. Februar 2023

Wie weit sich das politische Klima in Deutschland in der Frage der Unterstützung des deutschen Imperialismus nach rechts verschoben hat, zeigt sich in der Verdammung selbst der Forderung nach Verhandlungen mit der russischen Regierung als „Putin-freundlich“. Äußerungen, die die russische SMO wie kritisch auch immer unterstützen, hatte die Bundesregierung in der Zwischenzeit ohnehin für illegal erklärt, was einigen Personen Geld-, Gefängnisstrafen sowie die Einfrierung der Vermögenswerte einbrachte, die es gewagt hatten, den regierungsoffiziellen Narrativ infrage zu stellen. Dem Versuch der Leitmedien, eine Wesensgleichheit zwischen Wagenknecht und der AfD zu konstruieren, um dadurch den legitimen, wenn auch pazifistisch verwässerten und angepassten Protest gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung zu delegitimieren, begegnete Wagenknecht dadurch, dass sie ein organisiertes Auftreten der AfD und anderer Rechter an der Demonstration vom 25. Februar 2023 untersagte und dies durch Ordner durchsetzen ließ. Dadurch, dass weite Teile der deutschen Linken, beseelt vom Kampf gegen „die bösen Autokraten“ Russlands vollkommen ins NATO-Regierungslager gewechselt sind oder zumindest ihre Positionen angepasst haben, um im Mainstream nicht als „Putinknechte“ diffamiert zu werden, war die Wagenknecht‘sche Demonstration ein Schritt nach vorne, was an sich symptomatisch für den gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck ist. Auch zum Genozid an den Palästinensern blinkte Wagenknecht etwas linker als der PDL-Bundesvorstand, der argumentierte:

„Wir verurteilen den Antisemitismus und die Taten der Hamas. Es gibt keine Rechtfertigung für die Morde und Entführungen, für Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Aus der Geschichte des Holocaust, des Antisemitismus ist der Staat Israel eine historische Notwendigkeit, die niemals zur Debatte steht. Wir werden weiter jedem Antisemitismus hier entgegentreten, im Land der Täter. Das bleibt unsere Verantwortung, gerade in diesen Zeiten.“
Die-linke.de, 11. Oktober 2023

Auf einer Demonstration unter dem Motto „Nein zu Kriegen“ am 25. November 2023 bekannte sich Wagenknecht explizit zum Existenzrecht Israels, stellte aber den israelischen Völkermord auf eine Stufe mit dem Ghettoausbruch der Hamas:

„‚Wir alle waren am 7. Oktober entsetzt und schockiert über die furchtbaren Massaker der islamistischen Hamas, über die Morde an unschuldigen Zivilisten, an Frauen und an Kindern.‘ Nichts, kein Unrecht dieser Welt, rechtfertige solche Verbrechen. Aber sie finde, ‚wir sollten genauso schockiert sein und genauso entsetzt sein über die rücksichtslosen Bombardements im Gazastreifen‘.“
zeit.de, 25. November 2023

Auch hier zeigte sich, dass Wagenknechts biederer Pazifismus auf keinem wirklichen Verständnis von nationaler Unterdrückung beruht und dennoch waren ihre Bemerkungen links von der offen pro-zionistischen PDL, deren Abgeordneter und Co-Vorsitzende der Rosa Luxemburg-Stiftung, Jan Korte, Ägypten dazu aufforderte, seine Grenzen für die Vertreibung der Bewohner Gazas zu öffnen, dessen Territorium sich die Netanyahu-Regierung einverleiben will.

Das BSW formiert sich – „zu 80 Prozent Gewerkschafter“

Bereits nach der Formierung von #aufstehen hatte sich der national-populistische Wagenknecht-Flügel immer weiter von der zunehmend linksliberal beeinflussten Rest-PDL entfremdet und führte damit in den vergangenen Jahren zu Gerüchten einer Spaltung. Am 25. Januar 2024 fand dann der Gründungsparteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht statt. Die Popularität Wagenknechts innerhalb der Friedensbewegung, die bis hinein ins AfD-Milieu und Corona- und Klimawandelleugnern reicht, zwang die BSW-Führung zunächst dazu, behutsam handverlesene Mitglieder in die Partei zu lassen und begrenzte die Mitgliedschaft zunächst auf 440. Laut Ntv hat das BSW aber mittlerweile 8000 Mitgliedsanträge und 17000 registrierte Unterstützer. Bereits mit der Gründung von #aufstehen 2018 hatte der zum Faschisten gewandelte ehemalige Linke Jürgen Elsässer zu dessen Unterwanderung aufgerufen. Direkte Übertritte aus der AfD soll ein Riegel vorgeschoben werden wie Wagenknecht der Berliner Zeitung gegenüber betonte:

„Es habe bereits Fälle gegeben, in denen Anträge abgelehnt worden seien. ‚Zum Beispiel, wenn Leute direkt aus der AfD zu uns übertreten wollen‘, sagte sie. In einem Fall sei der Name manipuliert gewesen – und es habe sich sogar um einen Noch-Funktionär bei der AfD gehandelt, sagte die 54-Jährige.“
Berliner-zeitung.de, 20. März 2024

Aber es geht bei der Mitgliederbeschränkung keineswegs nur um die Ausgrenzung Rechter. Das Wagenknecht- und gewerkschaftsnahe Onlineportal Nachdenkseiten kommentierte die Mitgliederbegrenzung wie folgt:

„Parallel dazu erfolgte die Aufnahme von rund 400 weiteren, streng handverlesenen Mitgliedern nach der Maxime, dass man die junge, noch nicht gefestigte Partei vor ‚Spinnern‘, ‚Glücksrittern‘, ‚Narzissten‘ und ‚Extremisten‘ schützen müsse. Ein Verfahren, dass bei einigen nicht berücksichtigten Beitrittswilligen durchaus für Verbitterung sorgte. Darunter auch einige langjährige Mitstreiter der am 8. Januar gewählten Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht, wie der Musikproduzent und ehemalige Bundestagsabgeordnete Diether Dehm und die ehemalige Bundestagsabgeordnete Pia Zimmermann, die laut Medienberichten ‚im Namen von 27 Genossen‘ in einem Schreiben an Wagenknecht und ihre Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali gegen ihre Aussperrung aus dem BSW protestierten.“
nachdenkseiten.de, 29. Januar 2024

Im Gegensatz zu diesen Genossinnen und Genossen aus der PDL nahm das BSW den ehemaligen SPD-Oberbürgermeister Düsseldorfs Thomas Geisel auf, der dem Nachrichtensender Ntv seine sozialkonservative Sicht der Probleme darlegte, die so durchaus auch von der CDU und der AfD geteilt werden könnten:

„Der Industriestandort werde von sinnlosen Verboten und Symbolpolitik gelähmt, der soziale Zusammenhalt sei zunehmend gefährdet, die Politik verstecke sich hinter Identitätspolitik und Genderdebatten.“
N-tv.de, 8. Januar 2024

Trotz Wagenknechts ständiger Betonung des armen Kleinbürgers besteht die erste Mitgliederwelle, insbesondere das Führungspersonal, aus prominenten ehemaligen Parlamentariern der PDL wie dem ehemaligen Gewerkschaftssekretär Klaus Ernst, Sevim Dağdelen, Andrej Hunko, Fabio De Masi, dem einstigen Parlamentarischen Geschäftsführer der PDL, Alexander Ulrich und dem Unternehmer Ralph Suikat, der ebenfalls zuvor PDL-Parlamentarier war und der sich für eine stärkere Besteuerung der Reichen einsetzte. Insgesamt ist das BSW zum jetzigen Zeitpunkt mit 10 Sitzen im Bundestag vertreten, die aus ihrer Vorzeit in der PDL stammen. Die Tagesschau berichtete:

„Tatsächlich kommt allerdings rund die Hälfte der Mitglieder aus Wagenknechts und Mohamed Alis alter Partei. Ex-Linke übernehmen nahezu alle Plätze in den Parteigremien und in der Organisation des Parteitags. Zwei Europakandidaten waren oder sind zudem Mitarbeiter Wagenknechts, genauso wie der Generalsekretär der Bundespartei und der Landeskoordinator für Brandenburg. Menschen, die früher in der SPD, den Grünen oder sogar der FDP waren, finden sich zwar auch, sie sind aber vorerst Einzelfälle.
Lars Leopold war noch 2022 Spitzenkandidat der Linken in Niedersachsen. In seinem Wahlwerbespot wetterte er gegen ‚reiche Arschlöcher‘ in der Politik. Leopold, Tattoos, Ohrringe, hochgekrempelte Ärmel, sagt, er habe sich zunehmend von seiner alten Partei entfremdet. Soziale Kernthemen hätten nur auf Plakaten eine Rolle gespielte.
Beim BSW sei das anders, zudem stehe man für echte Friedenspolitik. Leopold rechnet damit, dass noch weitere Übertritte folgen werden.”
tagesschau.de, 27. Januar 2024

In einem Interview mit dem Neuen Deutschland schätzt der ehemalige Vorsitzende des PDL-Kreisverbands Oberland, Rolf Walther, den Anteil der Gewerkschafter an der BSW-Mitgliedschaft auf 80%. Dass das BSW bewusst versucht, Arbeiter anzuziehen und führende Mitglieder sich positiv auf den Bahnstreik der GDL berufen, der die eigene Anreise zum Gründungsparteitag erschwerte, zeigt ein mittlerweile nicht mehr online verfügbarer Bericht auf msn.com, auf den wir am 9. Februar zugriffen:

„Zimmermann saß viele Jahre für die Linke im Bundestag, sie ist selbst Gewerkschafterin. Da überrascht es nicht, wenn sie betont: ‚Trotzdem unterstützen wir den GDL-Streik. Es kann nicht sein, dass die Bahn sich die großen Kuchenstücke schnappt und für die Arbeitnehmer nur Krümel bleiben.‘
Auch die rund 40 Erstmitglieder aus Bayern kommen in Fahrgemeinschaften zum Parteitag. Dort ist der frühere Linke-Chef Klaus Ernst für die Koordination zuständig. ‚Der Streik ist wichtig, und es ist unerträglich, wenn Demokraten dieses Grundrecht immer gerade dann infrage stellen, wenn es tatsächlich genutzt wird‘, sagt der Bundestagsabgeordnete der Berliner Zeitung. …
‚Ich kandidiere ganz sicher nicht fürs Europaparlament‘, sagt Klaus Ernst der Berliner Zeitung. ‚Aber ich freue mich, dass wir mit Dr. Friedrich Pürner und Patrick Rostek zwei Mitglieder aus Bayern haben, die sich um einen Listenplatz bewerben.‘ Pürner war einst Gesundheitsamtsleiter von Aichach, er machte sich als Kritiker der bayrischen Corona-Politik einen Namen. Rostek ist Gewerkschaftssekretär von Verdi Niederbayern.“

Zugleich holte sich das BSW mit Thomas Geisel jemanden ins Boot, der die Agenda 2010 der rot-grünen Schröder-Regierung lobte, die zur Massenverarmung Arbeitsloser und Gründung der PDL als Reaktion darauf geführt hatte. Das hinderte das BSW nicht daran, Geisel nach Fabio De Masi als zweiten Kandidaten für die Europawahl zu nominieren, was für ein erstes Murren an der Basis sorgte:

„Dezentes Grummeln an der Basis signalisierte am Sonnabend allerdings das Wahlergebnis für den langjährigen SPD-Funktionär und ehemaligen Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, der für den 2. Platz auf der Liste für die EU-Wahlen nominiert wurde. Während sich der Spitzenkandidat Fabio De Masi und der für Platz 3 aufgestellte frühere Top-Diplomat Michael von der Schulenburg über Zustimmungswerte von 97,5 bzw. 97,8 Prozent freuen konnten, erhielt Geisel lediglich 77,8 Prozent. Bei aller Parteitagsdisziplin stoßen Geisels unermüdliche Bekenntnisse zu Gerhard Schröders Agenda-2010-Politik vielen dann wohl doch recht sauer auf. Auch bei den Beisitzer-Wahlen für den Parteivorstand erhielt Geisel mit nur 66 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis.“
nachdenkseiten.de, a. a. O.

In einer Presseerklärung vom 19. März (ab ca. 8.45 Minuten) machte Wagenknecht aber deutlich, dass sie nach wie vor die Hartz-„Reformen“ für verwerflich hielt und machte diese für die Entstehung eines großen Niedriglohnsektors verantwortlich.

Das Europawahlprogramm des BSW – „Wirtschaftliche und sicherheitspolitische Eigenständigkeit“ des deutschen Imperialismus

Die Wahlprogramme reflektieren die reformistischen Konzepte des BSW, und werden gepaart mit Sozialkonservatismus. Das Europawahlprogramm des BSW beschreibt die ursprüngliche Intention der „europäischen Einigung“ wie folgt:

„Die europäische Idee von Frieden, Wohlstand, sozialer Sicherheit und Freiheit stand am Anfang der europäischen Einigung. Viele Menschen haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg für diese Idee engagiert. Sie wollten die Schrecken des Krieges, Nationalismus und Gewaltherrschaft für immer hinter sich lassen und in eine bessere Zukunft aufbrechen. Sie besannen sich auf die gemeinsamen europäischen Traditionen: Demokratie, Aufklärung, Solidarität. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Menschen in Westeuropa näher zusammengerückt: auf Reisen, im Studium oder am Arbeitsplatz. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs kamen Millionen Osteuropäer hinzu. Über Jahrzehnte ging diese Entwicklung Hand in Hand mit verstärkter Kooperation und Integration – von der Montanunion über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bis zur Europäischen Union (EU). Wenngleich der Integrationsprozess nie ohne Konflikte verlief, erlebte Europa in der Nachkriegszeit Jahrzehnte des Aufschwungs und des Friedens.“
Das Programm für die Europawahl 2024

Diese eigenartige Geschichtsschreibung des BSW vergisst dabei sowohl den brutalen imperialistischen Überfall auf Serbien 1999 als auch, dass die Vorgängerorganisationen der EU in erster Linie als antikommunistisches Bollwerk gegen die deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas und die Arbeiterklasse Westeuropas gerichtet war. Um diese effektiv bekämpfen zu können, mussten die Imperialisten Europas versuchen, ihre Interessenkonflikte dem größeren Ziel der Unterminierung der bürokratischen Planwirtschaften unterzuordnen. Dabei waren die Vorgängerorganisationen der EU die wirtschaftspolitischen Werkzeuge, während die NATO als eine „imperialistische Einheitsfront“ gegen die Staaten des Warschauer Paktes und zur fortgesetzten Unterwerfung semi-kolonialer Länder diente. Die europäischen Imperialismen, insbesondere Deutschland, nutzten die Zerschlagung der bürokratisch-deformierten Planwirtschaften im Zuge der kapitalistischen Konterrevolutionen von 1989 bis 1991 zu weiteren Angriffen auf die Sozialstandards und Löhne sowohl der einheimischen wie auch der osteuropäischen Länder, in die sie nun ungehindert expandieren konnten. Durch diese Verklärung der eigenen Geschichte kann das BSW sowohl das US-Kapital als auch die „Brüsseler Institutionen“ für die Einführung neoliberaler Deregulierung verantwortlich machen:

„Viele europäische Länder haben in den zurückliegenden Jahren wichtige Teile ihrer Industrie verloren, der Anteil Europas an der Weltwirtschaft und am Welthandel schrumpft. Dabei fallen wir nicht nur im Vergleich zu den Wachstumsregionen Südostasiens zurück, sondern seit einiger Zeit auch im Vergleich zu den USA. Die einst starken europäischen Sozialstaaten wurden in den meisten Ländern von einem angelsächsisch geprägten Blackrock-Kapitalismus abgelöst, der von großen Finanz- und Digitalkonzernen gesteuert und von börsen-notierten Unternehmen geprägt wird und in dem Mittelstand und Arbeitnehmer unter die Räder geraten. Die Europäische Union hat sich diesem Prozess nicht entgegengestellt, sondern ihn befördert und aktiv vorangetrieben.“
Das Programm für die Europawahl 2024

Es mutet wie ein schlechter Witz an, dass ausgerechnet Geisel der diese Angriffe auf die deutsche Arbeiterklasse bis heute lobt, zu einem führenden Europawahlkandidaten des BSW ernannt wird. Statt anzuerkennen, dass allen voran das deutsche Kapital an dieser Deregulierung und der Zerstörung der wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen interessiert war und Industrien in Niedriglohnländer auslagerte, um besseren Zugang zu den Märkten der abhängig-kapitalistischen Länder zu erlangen, schreibt das BSW die Schuld daran allein dem bösen angelsächsischen Kapital zu.

Abgesehen von den nationalistischen Projektionen des BSW hat der US-Imperialismus den Ukrainekonflikt tatsächlich dazu genutzt, um auch seinen transatlantischen „Partnern“ im internationalen Wettkampf um Marktanteile und Profite in die Suppe zu spucken, wie das Nachrichtenportal German Foreign Policy festhielt:

„Berlin hat in der Rivalität mit Washington im vergangenen Jahr mehrere schwere Rückschläge erlitten. Zum einen haben beim Vorgehen des transatlantischen Bündnisses im Ukraine-Krieg auf militärischer Ebene die NATO und mit ihr die USA klar das Kommando inne. Es kommt hinzu, dass auf ökonomischer Ebene die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom US-Geschäft mit dem Abbruch aller ökonomischen Beziehungen zu Russland gestiegen ist; das schließt die neue Abhängigkeit von US-Flüssiggas ein.[1] Letztere wird durch die Sprengung der Nord Stream-Pipelines, die mittlerweile selbst Berliner Regierungsmitarbeiter in Hintergrundgesprächen einer westlichen Macht anlasten, auf Dauer verfestigt.[2] Parallel hat wiederum die Biden-Administration mit ihren Hunderte Milliarden US-Dollar schweren Investitionsprogrammen begonnen, Industrie aus Europa sowie vor allem aus Deutschland im großen Stil abzuwerben; Wirtschaftskreise warnen längst vor einer Deindustrialisierung der Bundesrepublik.“
German-foreign-policy.com, 23. Januar 2023

Darüber hinaus hat der US-Imperialismus begonnen, von seinen NATO-Partnern Gefolgschaft auch im Umgang mit China zu fordern, beispielsweise von Volkswagen und BASF, die mittlerweile einen Großteil ihrer Profite in der Volksrepublik erwirtschaften. Volkswagen erwirtschaftete 2022 laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeine 70% seines Gewinns im Reich der Mitte. Gleichzeitig bereitet der Aufstieg des deformierten Arbeiterstaats China dem deutschen Imperialismus Kopfzerbrechen. Jörg Kronauer fasste die widersprüchliche Lage des deutschen Imperialismus, der sich immer noch einen bedeutenden Anteil gesellschaftlichen Reichtums aus der Volksrepublik aneignet, hinsichtlich Chinas wie folgt zusammen:

„Da wird ein Land, auf das die deutsche Wirtschaft für ihr Wachstum und für ihre technologische Entwicklung vielleicht mehr denn je angewiesen ist, zu gefährlicher Konkurrenz, und dies übrigens nicht zuletzt dank deutscher Investitionen: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat schon im Januar 2019 versucht, die widersprüchlichen Aspekte in einem ‚Grundsatzpapier‘ zusammenzuführen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Einerseits sei China ‚als dynamisch wachsender Markt … einer der wichtigsten wirtschaftlichen Partner‘, heißt es in dem Papier; an allzu heftigen Konflikt oder an einem Decoupling habe ‚die deutsche Industrie kein Interesse‘. Andererseits müsse man auch in Rechnung stellen, dass in wachsendem Maß ‚deutsche und chinesische Hersteller in direkter Konkurrenz‘ zueinander stünden; dabei würden sie ‚auch auf Drittmärkten … immer stärker zu Konkurrenten‘. An dieser Stelle, urteilte der BDI, komme ein drittes Moment hinzu: dass nämlich die starke chinesische Industrie nicht allein ‚Ausdruck eines dynamischen Unternehmertums in China, sondern auch maßgeblich durch gezielte staatliche Förderung und Lenkung begründet‘ sei.“
– Jörg Kronauer, Der Aufmarsch, 2022

Der auf der bürokratisch geplanten Wirtschaft fußende, relativ krisenfreie Aufstieg Chinas hat auch regionale Konsequenzen. Denn er eröffnet auch anderen Ländern der Region Handelsmöglichkeiten jenseits der alten imperialistischen Zentren, die sich seit der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise von 2008 im Gegensatz zur Volksrepublik in relativer Stagnation befinden. Das BSW lehnt allzu aggressives Säbelrasseln gegenüber Russland und China ab und bekennt sich zur Multipolarität:

„Wir wollen dazu beitragen, dass die Europäische Union sich auf ihre politische, wirtschaftspolitische und sicherheitspolitische Eigenständigkeit besinnt und so primär die Interessen der Bürger der Mitgliedsstaaten der Union vertritt. Europa muss eigenständiger Akteur auf der Weltbühne werden, statt Spielball im Konflikt der Großmächte zu sein und sich den Interessen der USA unterzuordnen. Eine multipolare Welt liegt im europäischen Interesse, eine neue Blockkonfrontation mit zunehmenden Handelsbeschränkungen und ausufernden Wirtschaftssanktionen schadet Europa. Wir wollen Sanktionen abbauen, den Zugang zu den Rohstoffen und Energieträgern Russlands und Zentralasiens ermöglichen sowie den Ausbau der Überland-Handelswege zu den Wachstumsregionen Asiens offenhalten. Auch darf Europa nicht länger eine digitale Kolonie der Vereinigten Staaten sein, sondern muss eine eigenständige digitale Infrastruktur aufbauen, die die Bürger vor Überwachung und Manipulation schützt.“
Europawahlprogramm, a.a.O., Hervorhebung im Original

Dennoch versucht sich das BSW, dem deutschen Kapital anzudienen, indem es die Bundesrepublik durch den Aufstieg Chinas bedroht sieht und die zunehmend aggressiven imperialistischen Drohgebärden gegen den fortgesetzten Aufstieg Chinas zu einem Konflikt umdichtet, für den Beijing mitverantwortlich ist:

„Während sich das politische Machtzentrum der Welt zunehmend nach Asien und in den globalen Süden verschiebt, intensiviert sich die Rivalität zwischen China und den USA um die globale Vorherrschaft. Vor diesem Hintergrund dürften Spannungen und Konflikte in den kommenden Jahren weiter zunehmen.“
Europawahlprogramm, a.a.O.

Vielleicht meint (ab 18.50 Minuten) Thomas Geisel mit seiner Anmerkung auf der Pressekonferenz vom 8. Januar über „Sozialdemokraten, die sich in der Tradition Willy Brandts und Helmut Schmitts sehen, … in der SPD heimatlos geworden“ sind, neben deren Eintreten für größere Unabhängigkeit gegenüber den USA unter anderem durch den Beginn des Bezugs preisgünstiger Energie aus der Sowjetunion (und bis vor kurzem Russland) auch Brandts konterrevolutionäre Politik des „Wandels durch Annäherung“ im Verhältnis zur Volksrepublik.

Das BSW redet also dem deutschen Imperialismus, der die dominante Kraft in der EU darstellt, das Wort und will ihn weiter gegenüber der internationalen Konkurrenz stärken:

„Zu den großen Aufgaben, die einer Lösung harren, gehört eine europäische Digitalstrategie, die uns von den US-Datenkraken ebenso unabhängig macht wie von chinesischen IT-Ausrüstern. Dazu gehört ein europäisches Zahlungssystem, das europäische Souveränität gegenüber Washingtoner Sanktionsdrohungen ermöglicht. Wir brauchen eine Re-Industrialisierung Europas, die Arbeitsplätze und Wohlstand zurückbringt, statt einer Energie- und Sanktionspolitik, die Europa weiter zurückwirft und dazu führt, dass die Europäer im Großkonflikt zwischen den USA und China zerrieben werden.“
Ebd.

Mit dieser Melange aus pro-imperialistischem Protektionismus, der die imperialistischen Mächte Europas, inklusive Deutschlands, zu „Spielbällen der Großmächte“ umdefiniert, versucht sich das BSW dem deutschen Kapital anzudienen, gerade wenn das BSW Deutschland zur „digitalen Kolonie der Vereinigten Staaten“ erklärt, ohne zu erwähnen, dass die Bundesregierung seit Jahren ebenfalls in gleichem Umfang seine eigenen Bürger digital ausspioniert. Anders als andere Mitbewerber um Regierungsposten fordert das Wagenknecht-Bündnis vom deutschen Imperialismus und dem anderer EU-Länder, doch bitte etwas diplomatischer zu handeln, statt zu verstehen, dass Kriege nicht vom Kapitalismus in seinem Monopolstadium getrennt werden können. So wird auch der Konflikt in der Ukraine zu einem „Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland“ reduziert, ohne dabei Deutschlands Rolle als zweitgrößtem Waffenlieferanten der Ukraine zu erwähnen, dessen herrschende Klasse in ihrer überwältigenden Mehrheit diesen Versuch, „Russland zu ruinieren“, als in ihrem Interesse begreift. Mit der imperialistischen Realität konfrontiert, fallen dem BSW nur pazifistische Floskeln ein:

„Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab. Wir wehren uns dagegen, dass immer mehr Ressourcen in Waffen und Kriegsgerät fließen, statt in die Bildung unserer Kinder, die Erforschung umweltschonender Technologien oder unsere Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Atomare Aufrüstung und eskalierende Konflikte zwischen den Atommächten setzen das Überleben der Menschheit aufs Spiel und müssen beendet werden. Wir streben eine neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit an. Die Bundeswehr hat den Auftrag, unser Land zu verteidigen. Für diese Aufgabe muss sie angemessen ausgerüstet sein. Den Einsatz deutscher Soldaten in internationalen Kriegen lehnen wir ebenso ab wie ihre Stationierung an der russischen Grenze oder im Südchinesischen Meer. Eine Militärallianz, deren Führungsmacht in den zurückliegenden Jahren fünf Länder völkerrechtswidrig überfallen und in diesen Kriegen mehr als 1 Million Menschen getötet hat, schürt Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen und trägt so zu globaler Instabilität bei. Statt eines Machtinstruments für geopolitische Ziele brauchen wir ein defensiv ausgerichtetes Verteidigungsbündnis, das die Grundsätze der UN-Charta achtet, Abrüstung anstrebt, statt zu Aufrüstung zu verpflichten, und in dem sich die Mitglieder auf Augenhöhe begegnen. Europa benötigt eine stabile Sicherheitsarchitektur, die längerfristig auch Russland einschließen sollte.“
Bsw-vg.de, ohne Datum

In dieser Passage zeigen sich die „realpolitischen“ Illusionen des BSW, die linker klingen als die Befürworter in allen anderen Großparteien des €300 Milliarden-schweren Sondervermögens für die Bundeswehr, einschließlich der PDL, um den deutschen Imperialismus im Ukrainekonflikt und weiteren Konflikten „kriegstauglich“ zu machen. Dass sich aber auch das BSW vorstellen kann, die Finanzierung der Bundeswehr voranzutreiben, deutet der Nebensatz über die angemessene Ausrüstung der Bundeswehr an.

Das BSW fordert eine Re-Industrialisierung Europas in Zeiten fallender Profitraten und wirtschaftlicher Stagnation, die im Kontext niedrigerer Löhne im Globalen Süden nichts weiter als eine Utopie bleiben muss; schließlich wird sich das deutsche Kapital kaum dafür begeistern können, Produktionsprozesse nach Deutschland zurückzuholen, die es bewusst aufgrund niedrigerer Löhne und höherer Ausbeutungsraten in die semi-koloniale Welt ausgelagert hat. Die Ausbeutung des Globalen Südens durch das deutsche Kapital soll laut BSW weitergehen, nur eben sozial verträglich:

„Importe aus Drittstaaten, die sich Wettbewerbsvorteile durch Steuer-, Sozial- und Umweltdumping verschaffen wollen, sollten mit angemessenen Importzöllen belegt werden. Dabei muss eine faire weltweite Arbeitsteilung entwickelt werden, die den Ländern des globalen Südens eine Perspektive bietet.“
Europawahlprogramm, a.a.O.

Aber wie genau diese faire Perspektive in Anbetracht der ungleichen Wirtschaftsmacht des imperialistischen Deutschlands in seinen Beziehungen zu den Ländern des Globalen Südens gestaltet werden soll, bleibt unerwähnt, denn sie würde die Profitrate deutscher Großkonzerne aber auch des Mittelstands beschneiden. Allein durch die Leistung eines „Beitrags zur Qualifizierung und Ausbildung von Menschen aus ärmeren Ländern“ oder die Aufforderung an Deutschland, doch bitte seine „Abwerbeprogramme in Ländern des Globalen Südens einzustellen“, wie das BSW es fordert, können in der semi-kolonialen Welt weder materielle Grundlagen für wirtschaftliche Entwicklung geschaffen noch das Wertgesetz international außer Kraft gesetzt werden, mit Hilfe dessen sich das deutsche Kapital am Globalen Süden bereichert.

Migration und Arbeiterrechte

Dennoch setzt sich das BSW für eine restriktive Einwanderungspolitik ein und fordert sogar von semi-kolonialen Regierungen ein, doch bitte allen Einwohnern eine Perspektive zu bieten, die durch imperialistische Ausbeutung und Krieg systematisch zerstört wurde:

„So verständlich es ist, dass Menschen in Europa einen Ausweg aus Armut, Unter-entwicklung und ökonomischer Misere suchen, so klar ist auch, dass Migration nicht die Lösung für das Problem von Armut und Ungleichheit in der Welt ist. Auch wenn es einigen Menschen, dadurch gelingt ihre Lebensumstände zu verbessern, gilt dies nicht für die Mehrzahl der Menschen. … Es gibt auch ein Recht nicht fliehen zu müssen und eine Pflicht dieser Staaten, das ihren Bürgern zu garantieren. Wir brauchen mehr Ehrlichkeit in der Debatte: Zuwanderung und das Miteinander unterschiedlicher Kulturen können eine Bereicherung für die Zielländer sein. Das gilt aber nur, solange die Kapazitäten vor Ort nicht überfordert werden und Integration gelingt. In Frankreich und anderen Ländern, etwas schwächer ausgeprägt auch in Deutschland sind in den zurückliegenden Jahren durch eine völlig verfehlte Einwanderungspolitik islamistisch geprägte Parallelgesellschaften entstanden, in denen Recht und Gesetz nur noch eingeschränkt gelten, die Scharia gepredigt wird und Kinder im Hass auf die westliche Kultur aufwachsen.“
Ebd.

Migrationsursachen werden also neben imperialistischen Regime-Change-Versuchen auch semi-kolonialen Regierungen in die Schuhe geschoben, ohne dass das BSW eine realistische Lösung zur Abschaffung imperialistischer Ausbeutung bietet. Stattdessen befeuert das BSW mit rassistischen Klischees von islamistischen Parallelgesellschaften den Kampf innerhalb der Arbeiterklasse und versucht dadurch, ihre programmatische Inkompetenz zu kaschieren. Innerhalb der EU lehnt das BSW Migration aus dem EU-Ausland nicht ab und setzt sich lobenswerterweise für gleichen Lohn für gleiche Arbeit ein:

„Soziale Grundrechte und sozialer Fortschritt werden den wirtschaftlichen Binnenmarktfreiheiten untergeordnet. Das Ergebnis dieser Politik sind: schlechtere Löhne, prekäre Beschäftigung, Abbau gewerkschaftlicher Rechte und schwindende Tarifbindung, Armut, (Jugend-) Arbeitslosigkeit und wachsende Ungleichheit. Verstärkt wird dies durch die Folgen der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU und durch Modelle der Arbeitnehmerentsendung. Unternehmen nutzen das Sozial- und Lohngefälle innerhalb der EU, um billige Arbeitskräfte aus den ärmeren Ländern in Hochlohnländer zu holen. Das setzt hiesige Belegschaften unter Druck. Wir wollen ein Europa, in dem der Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts gestoppt und die Politik wieder am Gemeinwohl ausgerichtet wird. Dafür brauchen wir eine leistungsfähige öffentliche Daseinsvorsorge und deutlich mehr Investitionen in Bildung, Gesundheit und Wohnen. Arbeitnehmer aus verschiedenen EU-Ländern dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden: Das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort ist dafür unverzichtbar, weil es hiesige Belegschaften vor Dumping und Arbeitsmigranten vor Ausbeutung schützt.”
Ebd.

Doch wie dieser Schutz vor Lohndumping und Ausbeutung durchgesetzt werden soll und wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit zu verwirklichen wäre, erwähnt das BSW nicht. Unter dem Punkt „Soziale Gerechtigkeit“ fordert das BSW:

„Unser Ziel ist eine faire Leistungsgesellschaft mit echter Chancengleichheit und einem hohen Grad an sozialer Sicherheit. Eine hochproduktive Wirtschaft braucht qualifizierte und motivierte Beschäftigte. Die Voraussetzung dafür sind leistungsgerechte Löhne, sichere Arbeitsplätze und gute Arbeitsbedingungen. … Um Lohndrückerei zu verhindern, sollte die Tarifbindung wieder gestärkt und die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden. Wir unterstützen die Beschäftigten, ihre Gewerkschaften und Betriebs- bzw. Personalräte in ihrem Einsatz für Arbeitnehmerrechte und gute Arbeit. Zugleich braucht unser Land einen zuverlässigen Sozialstaat, der Zukunftsängste abbaut und vor einem sozialen Absturz im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter schützt. Die Privatisierung und Kommerzialisierung existentieller Dienstleistungen, etwa im Bereich Gesundheit, Pflege oder Wohnen, muss gestoppt werden, gemeinnützige Anbieter sollten in diesen Branchen Vorrang haben. Notwendig ist ein gerechtes Steuersystem, das Geringverdiener entlastet und verhindert, dass große Konzerne und sehr reiche Privatpersonen sich ihrem angemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens entziehen können.“
Bsw-vg.de, ohne Datum

Statt radikalem Wortgeklingel vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts, der sich immer noch im PDL-Programm findet, inklusive Bezug auf Marx, Engels und Luxemburg, mit dem die PDL ihre Angriffe auf die Arbeiterklasse kaschiert, zelebriert das BSW einen offenen Reformismus der Umverteilung des Wohlstands von oben nach unten, der gar nicht mehr so tut, als hätte er etwas mit Marxismus zu tun. Wie es die Umverteilung in Zeiten der sich verschärfenden Krise des deutschen Imperialismus bewerkstelligen möchte, erklärt das BSW nicht. Laut BSW-Programm sind es allein politische Probleme und keine die in der Struktur des Kapitalismus selbst angelegt sind, die für den wirtschaftlichen Niedergang verantwortlich sind:

„Noch hat unser Land eine solide Industrie und einen erfolgreichen, innovativen Mittelstand. Aber die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Unsere öffentliche Infrastruktur ist in einer für ein führendes Industrieland blamablen Verfassung. … Seit durch die Russlandsanktionen und vermeintliche Klimapolitik auch noch Energie schlagartig teurer wurde, droht unserem Land der Verlust wichtiger Industrien und hunderttausender gutbezahlter Arbeitsplätze. Viele Unternehmen erwägen eine Verlagerung ihrer Produktion ins Ausland. Andere sind in ihrer Existenz bedroht. Von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik und das Versagen der Kartellbehörden haben eine Marktwirtschaft geschaffen, in der viele Märkte nicht mehr funktionieren. Es sind marktbeherrschende Großunternehmen, übermächtige Finanzkonzerne wie Blackrock und übergriffige Digitalmonopolisten wie Amazon, Alphabet, Facebook, Microsoft und Apple entstanden, die allen anderen Marktteilnehmern ihren Tribut auferlegen, Wettbewerb untergraben und die Demokratie zerstören. Zu einem beachtlichen Teil ist die aktuelle Inflation auch Ergebnis eines durch zu große wirtschaftliche Macht verursachten Marktversagens.“
Ebenda

Dieses Problem gedenkt das BSW dadurch anzugehen, auf der einen Seite das Rad der kapitalistischen Geschichte durch „Monopolentflechtung“ zurückdrehen zu wollen, auf der anderen Seite Verstaatlichungen von Großkonzernen in Aussicht zu stellen:

„Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an. Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden. Die deutsche Industrie ist das Rückgrat unseres Wohlstands und muss erhalten bleiben.“

Oberflächlich betrachtet bietet das Wagenknecht-Bündnis so beiden Zielgruppen, dem durch Monopolmacht bedrohten Kleinbürgertum und der Arbeiterklasse etwas. Aber der Einsatz des BSW für Kleinunternehmer und den Mittelstand ist nicht mit diesen arbeiterfreundlichen Programmpunkten kombinierbar, insbesondere in Zeiten akuter Wirtschaftskrisen und Stagnation. Zwar äußerte Wagenknecht in der Pressekonferenz vom 12. März (ab 1.20 Minuten) Verständnis für die Streikenden der Bahn und Luftfahrt und stellte sich im Konflikt auf deren Seite, aber eine gezielt klassenkämpferische Strategie findet man beim BSW ebenso wenig, wie bei der PDL. Die widerspruchslose Durchsetzung der Sparmaßnahmen zugunsten des Kapitals auf Kosten der Arbeiterklasse, die Wagenknecht, Ernst und Co. zu PDL-Zeiten in den jeweiligen Regierungskoalitionen im Osten der Republik mitzuverantworten hatten, lassen nicht Gutes für potentielle BSW-Regierungsbeteiligungen erwarten.

Die Klientel des BSW

Dieser programmatische Mix, den man vielleicht innenpolitisch als ein „Weiter so“ des Sozialprogramms der PDL verstehen kann, positioniert das BSW moderat auf Seite der Streikenden und gegen eine Einschränkung des Streikrechts, leistet aber gleichzeitig mit dem Nach-Unten-Treten gegen Migration ihren eigenen Beitrag zur weiteren Senkung des Klassenbewusstseins. Ironischerweise wirkt diese Mischung selbst für manche migrantische Arbeiter ansprechend:

„Zu den bayerischen Wagenknecht-Anhängern zählt auch Murat Yilmaz: Der frühere Bandarbeiter und heutige Taxifahrer machte als ‚Betriebsrats-Rebell bei BMW‘ Schlagzeilen. Der frühere Chef einer kleinen Bandarbeiter- und Leiharbeitergewerkschaft ist überzeugt: ‚Geringverdiener oder die migrantische Unterschicht sind doch die großen Verlierer der heutigen Politik.‘ Yilmaz kritisiert die Flüchtlingspolitik scharf. Wenn mehr als zwei Millionen Schutzsuchende in weniger als einem Jahrzehnt nach Deutschland kämen, würde dies vor allem für Zugewanderte, die schon lange hier leben, massive Konkurrenz um knappe Ressourcen bedeuten. Bei Wohnraum oder Kita-Plätzen etwa.“
Abendzeitung-muenchen.de, 22. Dezember 2023

Das BSW unter Wagenknecht, die in der DDR aufwuchs und im Frühjahr 1989 in die SED eintrat und nach der kapitalistischen Konterrevolution zunächst in der stalinistischen Strömung „Kommunistische Plattform“ in der PDS tätig war, ist insbesondere in Ostdeutschland populär. Im Gegensatz zu Westdeutschland konnten dort Weniger etwas mit der virulenten russophoben Hysterie anfangen, die die Scholz-Regierung insbesondere nach Beginn der SMO schürte, insbesondere, nachdem die Sanktionen und der Anschlag auf Nordstream II die Energiepreise in die Höhe getrieben hatten. Während die PDL sich mittlerweile offen auf die Seite des deutschen Imperialismus geschlagen hat in dessen Versuch, die Russische Föderation zu zerschlagen, um sich die russischen Rohstoffe unter den Nagel zu reißen, und den israelischen Genozid in Gaza unterstützt, mutet Wagenknechts Pazifismus vergleichsweise progressiv an. Umfragen anlässlich der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sehen das BSW bei respektive 17 und 27 Prozent, was für das BSW ein Riesenerfolg wäre. Bei einer Umfrage des ZDF-Politbarometers vom Januar 2024 konnten sich 21 Prozent aller Wähler vorstellen, das BSW bei der nächsten Bundestagswahl zu wählen; die Meisten davon sind Wähler, die zuvor die PDL oder die AfD gewählt hatten, aber auch die rechten Freien Wähler und SPD-Wähler sind dabei. Hatte die PDL die meisten Stimmverluste an die AfD zu verbuchen, scheint ein nicht geringer Teil dieser Protestwählerschicht bereit zu sein, wieder „nach links“ zu schwenken. Ähnliche Phänomene gab es auch in Britannien nach dem Brexit im Zuge Corbyns kurzlebiger Übernahme der Labour-Führung, die eine Rückkehr sozialstaatlicher Maßnahmen versprach, oder bei den US-Wahlen 2016, in denen die Demokraten Rustbelt-Staaten und damit die Wahl gewonnen hätten, wäre der sich als Sozialdemokrat gebärdende Bernie Sanders statt der neoliberalen Technokratin Hillary Clinton als Präsidentschaftskandidat nominiert worden. Trotz aller kurzfristigen Erfolgsaussichten des BSW, die vor allem der PDL schaden werden, ist noch nicht entschieden, ob sich das BSW zur dritten bürgerlichen Arbeiterpartei Deutschlands mausern kann. Zwar nutzt das BSW geschickt die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse und des Kapitals in der Energiepreisfrage, um sich klassenübergreifend als Alternative anzubieten. Langfristige Konzepte allerdings fehlen dem BSW mit seiner innenpolitischen Ausrichtung auf Nationalismus und offenen Reformismus, und seiner außenpolitischen Orientierung auf stärkere Unabhängigkeit des deutschen Imperialismus von den transatlantischen und Freihandelsorganisationen wie der NATO und EU im Stile Willy Brandts genauso, wie der PDL oder SPD. Aber die Krise, in der sich die deutsche Gesellschaft befindet,die durch die Flucht Berlins nach vorn in ihrer aktiven Beteiligung am imperialistischen Abenteuer der NATO gegen Russland zur Kompensation der fallenden Profitraten durch die eigenen Sanktionen und die sich anbahnende militärische Niederlage des NATO-Stellvertreters Ukraine weiter verschärft wurde, ist langfristig auch nicht durch die Aufhebung der anti-russischen Sanktionen und mit einem etwas gedeihlicheren Auskommen mit der semi-kolonialen Welt, kombiniert mit biederem Reformismus, beizukommen. Das BSW ist lediglich der deutsche Ausdruck einer Spaltung der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern, wo die verheerenden Folgen der Privatisierungswellen und des Freihandels zu immer lauteren Rufen nach Protektionismus und nationaler Kontrolle über die eigene Wirtschaft geführt haben.

SOL und SAV: BSW ist Rechtsabspaltung

Die Spaltung des BSW von der PDL sorgt insbesondere bei vorgeblichen Trotzkisten für Verwirrung, die immer noch die Hoffnung hegen, dass sich vielleicht durch irgendeinen objektiven Prozess eine zentristische Strömung in der PDL herausbilden könnte, deren Führung dann übernommen werden kann. Zu nennen sind hier die beiden Spaltprodukte des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale (KAI), die Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) sowie die Sozialistische Alternative (SAV). SOL, die jetzigen deutsche KAI-Anhänger Taaffes, urteilen:

„Im Vergleich zur Linkspartei ist das BSW jedoch ein Schritt nach rechts und weg von sozialistischer Politik und der Idee, dass Veränderungen durch die Selbstaktivität der Millionen Lohnabhängigen erreicht werden muss. Die Linke wird diesem sozialistischen Anspruch nicht gerecht, das BSW hat diesen gar nicht und verbreitet die Illusion, dass sich soziale Verbesserungen dauerhaft im Kapitalismus umsetzen ließen.“
solidaritaet.info, 30. Januar 2024

Diese Einschätzung teilt die SAV, die sich mittlerweile der Internationalen Sozialistischen Alternative (ISA) angeschlossen hat:

„Die Rechtsabspaltung ist zunächst einmal eine Niederlage der LINKEN. Wir haben das Projekt ‚DIE LINKE‘ seit der Gründung der WASG unterstützt, alleine, weil die Existenz einer relevanten Partei links von der SPD die Kampfbedingungen für die Arbeiter*innenklasse verbessert – ihr Verschwinden wäre eine Schwächung. Die Perspektive, dass aus der LINKEN eine Massenpartei der Arbeiter*innenbewegung wird, ist in weite Ferne gerückt. DIE LINKE spielte in den ersten Jahren ihrer Existenz eine wichtige Rolle dabei, eine Gegenstimme zur herrschenden neoliberalen Ideologie zu sein.“
sozialismus.info, 23. Oktober 2023

Die Einschätzung, dass die PDL je „sozialistische Ansprüche“, beruhend auf der „Selbstaktivität der Millionen Lohnabhängigen“, hatte, blamiert sich schon daran, dass sich die Führung der damals etwas linkeren Komponente der PDL, die WASG, von Beginn an gegen eine linkssozialistische Orientierung und sämtliche vorgeblich trotzkistische Organisationen inklusive der SAV mit Ausschlussverfahren überzog, wie wir 2005 dokumentierten. Den wahren Charakter der PDL kannte auch die SAV, die zur Fusion der WASG mit der PDS zur PDL schrieb:

„Die Gründung der WASG führte zu Begeisterung und Aufbruchstimmung. Davon ist nichts übrig. Die Begeisterung ist der Unzufriedenheit und Frustration unter vielen Mitgliedern gewichen. Statt Mitgliederzuwachs gibt es Mitgliederverluste. Kein Zufall, denn mit dieser Auflösung der WASG in die Linkspartei.PDS werden die politischen Weichen umgestellt – in eine falsche Richtung. … Die Erfahrung der ‚Mitgestaltung‘ in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und vielen ostdeutschen Kommunen zeigt: die ‚Verantwortung‘ lastet so schwer auf der Partei, dass von Protest und antikapitalistischer Perspektive nichts übrig bleibt.“
sozialismus.info, 23. März 2007

Dennoch schätzen sowohl die SOL als auch die SAV die Kampfbedingungen innerhalb der PDL als schlechter als vor der BSW-Abspaltung ein, statt in ihr eine Befreiung von rechten Altlasten zu sehen. Die SAV ahnt, dass sie mit ihrer Einschätzung des BSW als Rechtsabspaltung falsch liegt, wenn sie über die Auswirkung der Spaltung schreibt:

„…die auf Regierungsbeteiligung und Anpassungskurs setzenden Teile der LINKEN sind durch die Spaltung zunächst gestärkt, auch, weil droht, dass zumindest ein Teil der Parteilinken dem Ruf Wagenknechts folgen werden.“
Ebenda

Es ist bezeichnend, dass auch die SOL den Eintritt der 2.000 Bewegungslinken, die bewusst erst nach Wagenknechts Austritt PDL-Mitglieder wurden, eher als Risiko, denn als Chance begreift:

„Welche Wirkung die 2000 Neumitglieder aus linksradikalen Gruppen und sozialen Bewegungen haben werden, bleibt abzuwarten. Auch wenn diese einige gute Positionen in ihrer Eintrittserklärung vertreten (Opposition gegen Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen u.a.), ist zu befürchten, dass durch sie auch identitätspolitische Positionen in der Partei gestärkt werden und nicht die Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse insgesamt gestärkt wird.“
solidaritaet.info, 23. Dezember 2023

20 Jahre nach ihrer Gründung ist offensichtlich, dass der „Marxismus“ der PDL eine schlechte Lüge ist, in die sowohl SOL als auch SAV bis heute investieren – trotz PDL-Unterstützung des deutschen Imperialismus im Kampf gegen das abhängig-kapitalistische Russland und Flankendeckung für den israelischen Genozid in Gaza. Zwar stimmt es, dass das BSW sowohl in der Genderfrage als auch der Migration etwas rechts von der PDL steht; über die offene Unterstützung des deutschen Imperialismus in seinen Kriegen um die Erhaltung der eigenen westlichen Hegemonie durch die PDL kann das allerdings nicht hinwegtäuschen. Statt den Austritt Wagenknechts und der Formierung des BSW als Stärkung des linken Parteiflügels zu betrachten – nur das wäre die logische Schlussfolgerung aus der Position, die das BSW als Rechtsabspaltung betrachtet – stehen sowohl SOL als auch SAV vor dem Scherbenhaufen ihres Tiefenentrismus, der es vermied, organisatorische Konsequenzen aus jedem noch so großen Verbrechen der PDL zu ziehen; seien es die Beteiligung an Privatisierungen öffentlichen Wohnraums, der Aufrüstung des Staatsapparats, die Abschiebungen von Migranten und nun auch die Befürwortung von Kriegen des deutschen Imperialismus und des israelischen Völkermords in Gaza. In einem Artikel zum Niedergang des KAI bemerkten wir, dass der „langfristige Eintritt in reformistische Massenorganisationen … zwangsläufig eine politische Anpassung an den Gastgeber“ erfordert. Sollte die PDL auseinanderfallen, wird die dem Tiefenentrismus innewohnende Angst vor sozialer Isolation zu einem Übertritt beider Organisationen in das BSW führen – sofern es die Hürden zur Mitgliedschaft senkt. In diesem Fall sind programmatische Anpassungen nicht ausgeschlossen. Dass beide Organisationen die Migrationsfrage und nationalistischen Protektionismus nicht als prinzipielles Hindernis betrachten, wurde deutlich, als die britische Schwesterorganisation für einen Arbeiter-Brexit warb und schrieb:

„Die Kontrolle über die Entscheidung, ob Asyl gewährt wird, kann nicht den Tories oder den ebenso gefühllosen Regierungen der übrigen EU überlassen werden. Die Arbeiterbewegung in ganz Europa sollte fordern, dass gewählte Ausschüsse gewöhnlicher arbeitender Menschen, einschließlich Vertretern von Migrantenorganisationen, das Recht haben, Asylfälle zu prüfen und Asyl zu gewähren. Viele Menschen aus der Arbeiterklasse – in Griechenland, aber auch in Großbritannien und anderen Ländern – haben das Gefühl, dass die öffentlichen Dienste und das Wohnungsangebot ihrer Länder bei allem Mitgefühl für das Leid der Flüchtlinge die Zahl der Schutzsuchenden nicht bewältigen können.“
socialistparty.org.uk, 9. März 2016 (Übersetzung durch die BT)

Die GAM, die PDL und das BSW

Die Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) als deutsche Sektion der Liga für eine Fünfte Internationale (L5I) gab der PDL seit ihrer Gründung als linker Massenpartei trotz aller Kritik an deren aktiven Angriffen auf die Arbeiterklasse automatische Wahlunterstützung. Wie auch die PDL bezog die GAM, wenn auch mit linker tönenden Floskeln, immer dann eine Seite, wenn sie vor die Wahl zwischen den imperialistischen Strategien des liberalem Freihandelskapitalismus oder nationalistischem Protektionismus gestellt wurde. Die britische Sektion der L5I beschrieb die Vorteile des Freihandelsimperialismus der EU anlässlich des Brexit-Deals in Worten, die ironischerweise an die Formulierungen des BSW zur „ursprünglichen europäischen Idee“ erinnert:

„Die Existenz einer international integrierten Wirtschaft und die Freizügigkeit der Arbeiter zwischen den Nationen sind Faktoren, die den Kampf für eine internationale Arbeiterbewegung unterstützen, die für eine sozialistische Alternative zu Krieg, Nationalismus und Umweltzerstörung durch den Kapitalismus kämpft.“
workerspower.uk, 24. März 2019 (Übersetzung durch die BT)

Die Unterstützung der GAM für die „international integrierte Wirtschaft“ der EU machte auch vor dem westlichen imperialistischen Militärbündnis NATO und deren Kriegen zur Durchsetzung optimaler Profitbedingungen in der semi-kolonialen Welt nicht halt. So stellte sich die GAM in den von der NATO mittels örtlicher Stellvertreter angezettelten Kriegen und Regime Change-Versuchen im Kosovo 1999 und Libyen 2011 konsequent auf die Seite des Imperialismus. In beiden Fällen bezog die L5I eine Seite mit den NATO-Stellvertretern der KLA im Kosovo und den libyschen, vom US-Imperialismus ausgebildeten, Jihadisten, die sie trotz ihrer Koordination mit der NATO zu Vertretern einer „Volksrevolution“ gegen das semi-koloniale Gaddafi-Regime verklärte. Das hielt sie aber nicht davon ab, ihre pro-imperialistische Stoßrichtung durch verbale Verdammung der NATO zu bemänteln. Diese rote Linie zieht sich bis zum jetzigen Konflikt in der Ukraine durch:

„Es handelt sich daher nicht nur, ja nicht einmal im Kern um den Überfall einer imperialistischen Macht (Russland) auf eine Halbkolonie (Ukraine), sondern die Einflussnahme der NATO-Staaten bildet selbst ein wesentliches Moment des Krieges. Der innerimperialistische Konflikt – einschließlich der Gefahr eines Weltkriegs – sind so vorherrschend, dass die Frage der Verteidigung der Ukraine gegen Russland in den Hintergrund gerät. Dies heißt nicht, dass wir den ukrainischen Arbeiter:innen sagen, dass sie die Hände in den Schoß legen und auf die Kapitulation der Ukraine warten bzw. deren Niederlage sogar betreiben sollten. Wo es möglich ist, unabhängig von ihrer reaktionären proimperialistischen Führung Widerstand gegen die Okkupation zu leisten, ist dieser natürlich gerechtfertigt, insbesondere um die Übergriffe welcher Armee auch immer zu bekämpfen.“
arbeiterinnenmacht.de, 29. April 2022

Neben vielen richtigen Einwänden über den Rassismus und der konservativen Haltung des BSW in der Transgenderdebatte ergibt sich die Kritik der GAM am BSW aus seinem „kritischen“ Zuspruch für das Freihandelskapital und dessen militärischen Arm. Das Wagenknecht-Bündnis bezeichnet sie als „Projekt … [mit] bürgerlichem populistischem Charakter“ (Neue Internationale Nr. 280). In einem Versuch, von der eigenen Unterstützung für den deutschen Imperialismus und seinen Stellvertreter Ukraine im Konflikt mit Russland abzulenken, wirft sich die GAM in ultralinke Pose:

„Auch wenn das Gründungsmanifest des BSW zu Recht die Aufrüstung der NATO anprangert, so bleibt es vollkommen utopisch. Schließlich muss auch in der Welt des BSW der Weltfrieden irgendwie garantiert werden. Aber wie? Inmitten des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen imperialistischen Mächten strebt es eine ‚neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit an‘. Die imperialistische Ordnung soll – ganz wie der Kapitalismus – nicht bekämpft, sondern nur reguliert werden – und zwar vorzugsweise von jenen Mächten, die heute die Welt dominieren. Deutschland soll dabei aktiv mitmischen, ja voranschreiten. So erfahren wir vom BSW: ‚Europa benötigt eine stabile Sicherheitsarchitektur.‘ … Wo der Staat keinen Klassencharakter mehr hat, verschwindet folgerichtig auch der deutsche Imperialismus. Imperialistisch sind allenfalls die anderen – sicherlich die USA, wohl auch China, vielleicht sogar Russland.“
Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Zwar stimmt es, dass Wagenknecht den „armen deutschen Imperialismus“ vom Konflikt zwischen den Großmächten USA und China bedroht sieht, aber es ist unverschämt, wenn sich die GAM als Antiimperialistin aufspielt, denn in ihrer Unterstützung der Ukraine überholt sie selbst den biederen Pazifismus des BSW rechts. So ist es nicht verwunderlich, wenn auch die GAM in der Spaltung zwischen PDL und BSW eine Seite mit der PDL bezieht, die, wie die GAM selbst, eine Politik des Burgfriedens mit der deutschen Bourgeoisie betreibt:

„Schließlich wird sich DIE LINKE gegen alle anderen Parteien – einschließlich des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) – als einzige Partei präsentieren, die überhaupt den Rechtsruck in Deutschland beim Namen nennt und gegen diesen steht.“
arbeiterinnenmacht.de, 20. November 2023

Die GAM nimmt den imperialistischen Krieg, die von ihm verursachte Energiekrise und die Unterstützung des zionistischen Genozids in Gaza durch die PDL als wesentliche treibende Faktoren des gesellschaftlichen Rechtsrucks gar nicht wahr, um keinen Bruch mit dem Umfeld zu verursachen, in dem sie rekrutieren möchte – der pro-imperialistischen PDL. Der Niedergang der PDL dürfte insofern mit dem der GAM einhergehen.

Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) – BSW ist bürgerlich

Klasse gegen Klasse (KgK), das Organ der RIO, wandelte seine Position zum Ukrainekrieg und Wagenknecht seit 2022 ebenso wie ihre Internationale der Trotzkistischen Fraktion (TF). Im September 2022 argumentierte RIO, dass die Verteidigung der Ukraine notwendig sei – „unabhängig von der von Selenskyj gepredigten Unterordnung unter die NATO“ –, lamentierte, dass die PDL Wagenknecht ausgerechnet für ihre richtigen Argumente gegen die anti-russischen Sanktionen kritisiere und stellte sich damit implizit auf die Seite der PDL im Konflikt mit Wagenknecht, die sie mainstreamtauglich als Wegbereiterin der Rechten bezeichnete:

„Wagenknecht verurteilt zwar den Krieg Russlands gegen die Ukraine, allerdings lautet ihre Forderung dabei die Aufnahme von diplomatischen Verhandlungen. Doch diese laufen letztendlich nur auf einen Kompromiss zwischen westlichen und russischen Kapitalfraktionen hinaus. Sie stellen keine Lösung für die ukrainischen Arbeiter:innen dar, denn egal ob Russland oder NATO, beide versuchen die Ukraine in ihre Abhängigkeit zu bringen. Insofern ist die Forderung von Diplomatie eine Anpassung an die Interessen der Machtblöcke und kein Garant für Stabilität, Sicherheit und Frieden in der Region. Stattdessen wäre es notwendig, für eine Anti-Kriegs-Bewegung in Russland zu werben, die der Ausgangspunkt für ein revolutionäres Ende von Putins reaktionärer Regierung wird, und zugleich in den NATO-Staaten gegen die Aufrüstungspolitik und den Militarismus der imperialistischen Mächte zu kämpfen. In der Ukraine selbst braucht der Widerstand gegen die russische Besatzung eine Perspektive, die unabhängig von der von Selenskyj gepredigten Unterordnung unter die NATO ist. Die Linkspartei hätte Grund genug, den Kuschelkurs Wagenknechts mit der deutschen Industrie und dem russischen Regime zu kritisieren.“
klassegegenklasse.org, 15. September 2022

So brachte RIO das Kunststück fertig, völlig wirklichkeitsfern „die Ukraine zu verteidigen“ und den Sturz der Putin-Regierung im Konflikt des abhängig-kapitalistischen Russlands mit den NATO-Imperialisten zu fordern – streng antiimperialistisch natürlich – aber zugleich den deutschen Militarismus bekämpfen zu wollen. Damit stand RIO damals rechts des Pazifismus von Wagenknecht und Co. Im Juli 2023 publizierte RIO dann einen Artikel eines führenden deutschen Genossen, der ursprünglich auf Englisch erschien, in dem er eine andere Gruppe zurecht darauf hinwies, was die Verteidigung der Ukraine in der Praxis bedeutete:

„Diese Genoss:innen geben vor, dass sie nicht die Regierung Selenskyjs unterstützen, sondern einen mythischen ‚ukrainischen Widerstand‘, der unabhängig von Selenskyj und der NATO ist. In mehreren Erklärungen konnten sie nicht sagen, wer einen solchen Widerstand bilden könnte. Die einzigen Kräfte vor Ort sind die ukrainische Armee und Milizen unter strenger Kontrolle der Regierung – die einzigen Gruppen, die irgendeine Art von Autonomie haben, sind die Nazis!“
klassegegenklasse.org, 8. Juli 2023

Vielleicht aufgrund dieser verspäteten Erkenntnis und weil die Appelle an die PDL keine Resultate zeigten, hatte RIO dann im Februar 2023 etwas mehr Verständnis für den Wagenknecht-Flügel und fasste seine „Attraktivität“ zurecht folgendermaßen zusammen:

„Der Grund, warum weite Teile des ihr nicht zugewandten Rests der Linkspartei gleichzeitig so schlecht auf [Wagenknecht] zu sprechen sind, aber sich nicht in Konfrontation mit ihren Positionen begeben, liegt daran, dass sie der ‚linkeste‘ Teil des deutschen Regimes sein wollen und es auf Landesebene auch zum Teil sind. Es fällt natürlich schwer, Wagenknecht für ihren Rassismus anzugreifen, wenn man selbst die höchste Abschiebequote Deutschlands mitverwaltet in Berlin. Genauso ist auffällig, dass mit Katharina König-Preuss und Jule Nagel mit die aggressivsten Zionistinnen der Linkspartei den Ausschluss Wagenknechts fordern. Und auch in der Frage des Krieges steht für weite Teile der Linkspartei die vermeintliche Unterstützung der Ukraine durch Sanktionen im Vordergrund, schließlich haben sie die Unterstützung eben jener auf ihrem letzten Bundesparteitag mehrheitlich beschlossen…“
klassegegenklasse.org, 23. Februar 2023

Andernorts schreibt KgK ebenfalls zutreffend:

„Während wir der LINKEN, die in den vergangenen 15 Jahren an über ein dutzend Abschiebe-, Zwangsräumungs-, Privatisierungs- und Militarisierungs-Regierungen beteiligt war, keine Träne nachweinen, ist zugleich klar, dass Wagenknecht keine tatsächliche Antwort für die Arbeiter:innen, die Jugend, Rentner:innen, Frauen, LGBTIQ- Personen und Migrant:innen bieten kann. Wir müssen daher zwei falsche Alternativen zurückweisen: einerseits die Resignation und den Rückzug auf die Rest-LINKE, um diesen zerbrechenden Apparat noch irgendwie zu retten, anstatt die notwendigen Schlussfolgerungen aus seinem strategischen Scheitern zu ziehen; und andererseits die Illusion, durch die Anpassung an und Unterstützung von Wagenknechts sozialchauvinistischen Programm die Grundlagen für eine ‚neue Linke‘ aufrecht zu erhalten.“
klassegegenklasse.org, 24. Oktober 2023

Wir teilen diese äquidistante Zurückweisung von PDL und BSW, fragen uns aber, ob RIO mit seiner Charakterisierung des BSW als „bürgerlicher Partei“, wie sie auf klassegegenklasse.org am 19. Januar 2024 schrieb, auch ihre Stellung für die Arbeiterbewegung als rein bürgerlich statt als bürgerliche Arbeiterpartei meint. Dafür würde jedenfalls die Betonung der Mitgliedschaft des Millionärs Ralf Suikat sprechen, der allerdings vorher PDL-Parlamentarier war und dessen vorherige Partei KgK zuvor als bürgerliche Arbeiterpartei beschrieb. Noch ist das BSW in weiten Teilen der radikalen Linken unpopulär. Vermutlich hält sich RIO auch in der Frage des Charakters des BSW alle Optionen offen, um dann ähnlich wie im Fall der Ukraine unbegründete Positionswechsel vollziehen zu können.

Aller schlechten Dinge sind drei – für eine revolutionäre Arbeiterpartei!

In ihrem Trennungsbrief von der PDL betont das BSW „die fehlende Konzentration [der PDL] auf soziale Gerechtigkeit und Frieden“. Aus der bisher bekannten sozialen Zusammensetzung des BSW aus vielen Gewerkschaftern, seiner zum Großteil aus Teilen von PDL-Parlamentariern bestehenden Führung und dem bieder-reformistischen „Sozialprogramm“ des BSW scheint die Reise des BSW in Richtung bürgerliche Arbeiterpartei zu gehen. Gerade das ermöglicht es dem BSW, Illusionen unter sowohl bisherigen PDL- und AfD-wählenden Arbeitern zu erzeugen, wodurch das BSW zu einem gefährlicheren Hindernis für die Erzeugung revolutionären Klassenbewusstseins wird. Lenin schrieb seinerzeit über bürgerliche Arbeiterparteien:

„Auf der geschilderten ökonomischen Grundlage haben die politischen Institutionen des neusten Kapitalismus – Presse, Parlament, Verbände, Kongresse usw. – die den ökonomischen Privilegien und Almosen entsprechenden politischen Privilegien und Almosen für die respektvollen, braven, reformistischen und patriotischen Angestellten und Arbeiter geschaffen. Einträgliche und ruhige Pöstchen im Ministerium oder im Kriegsindustriekomitee, im Parlament und in verschiedenen Kommissionen, in den Redaktionen der ‚soliden‘ legalen Zeitungen oder in den Vorständen der nicht weniger soliden und ‚bürgerlich-folgsamen‘ Arbeiterverbände – damit lockt und belohnt die imperialistische Bourgeoisie die Vertreter und Anhänger der ‚bürgerlichen Arbeiterparteien‘…Ohne Wählen geht es in unserem Zeitalter nicht; ohne die Massen kommt man nicht aus, die Massen aber können im Zeitalter des Buchdrucks und des Parlamentarismus nicht geführt werden ohne ein weitverzweigtes, systematisch angewandtes, solide ausgerüstetes System von Schmeichelei Lüge, Gaunerei, das mit populären Modeschlagworten jongliert, den Arbeitern alles mögliche, beliebige Reformen und beliebige Wohltaten verspricht – wenn diese nur auf den revolutionären Kampf für den Sturz der Bourgeoisie verzichten.“
– Wladimir Lenin, Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, Oktober 1916

Auch wenn dieser Text 1916 geschrieben wurde, könnte er über das jetzige BSW geschrieben sein. Damit wäre es die dritte, derartige Partei in Deutschland. Eine richtige Einschätzung des BSW und seinem Verhältnis zur Arbeiterbewegung Deutschlands ist unerlässlich, um daraus in Situationen, in denen es eine bedeutende Linksentwicklung unter wesentlichen Teilen der Mitglieder gibt, Taktiken wie kritische Wahlunterstützung oder Entrismus verfolgen zu können, um die Basis hin zu einer revolutionären Organisation brechen zu können. Aber zum jetzigen Zeitpunkt verspricht das BSW der Arbeiterklasse nicht mehr, als die PDL oder SPD. Derzeit besteht die Wahl zwischen PDL und BSW allein darin, welche Sektionen der Arbeiterklasse verraten werden sollen – sollen „besser“ noch mehr Migranten im Mittelmeer ertrinken und durch Folter in ihren Herkunftsländern sterben oder ist die Unterwerfung der russischen Arbeiterklasse unter das deutsche Kapital nach 1945 mittels ukrainischer Bandera-Anhänger sowie der Genozid an den Palästinensern zu „bevorzugen“? Während die PDL sich immer mehr dem marktliberalen und zunehmend aggressiven Imperialismus verschrieben hat, der international versucht, den Niedergang seiner Profitraten und globalen Hegemonie durch die unbeschränkte militärische Öffnung der Märkte in China und Russland aufrechtzuerhalten, positioniert sich das BSW als Vertreter des außenpolitischen Realismus, der die hegemonialen Bestrebungen des deutschen Imperialismus primär durch dessen Überlegenheit in seinen Außenhandelsbeziehungen sichern will. Marx und Engels schrieben im Kommunistischen Manifest:

„Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“

Der zunehmende Drang des deutschen Kapitals zum Militarismus und sein verbrecherischer imperialistischer Stellvertreterkrieg gegen das abhängig-kapitalistische Russland mit dem Ziel, Russland zu zerschlagen, um sich seine Rohstoffe unter den Nagel zu reißen, sind weitgehend aus den fallenden Profitraten des deutschen Kapitals zu erklären. Der biedere Pazifismus des BSW beruht auf der falschen Annahme, dass die Krise lediglich politisch herbeigeführt sei und nicht im Kapitalismus selbst begründet ist. Kommunisten treten für die Niederlage des deutschen Imperialismus und den militärischen Sieg Russlands ein, ohne dem bonapartistischen Putin-Regime auch nur einen Funken politische Unterstützung zu gewähren. Dies schließt ein Ende der anti-russischen Sanktionen sowie eine Ablehnung jeglicher Aufrüstung Deutschlands ein. Die Unterordnung unter die Imperialisten in deren Bestreben, „Russland zu ruinieren“, für die Aussicht, dem verbrecherischen NATO-Bündnis beitreten zu dürfen, haben bereits hunderttausende ukrainische Arbeiter mit ihrem Leben bezahlt. Mittlerweile regt sich an der ukrainischen Heimatfront Widerstand gegen die Zwangsmobilisierungen des faschistisch-durchsetzten Selenskij-Regimes.

Die Sparmaßnahmen auf Kosten der Arbeiterklasse bei gleichzeitiger drastischer Zunahme des Reichtums des Großkapitals kann nicht durch die „Monopolentflechtung“ und „fairen Wettbewerb“ beendet werden, die das BSW in Aussicht stellt, sondern nur durch die Verstaatlichung aller Betriebe und demokratische Wirtschaftsplanung, die an den Bedürfnissen der Arbeitenden ausgerichtet ist. Diese kann durch die Formierung einer revolutionär-sozialistischen Massenpartei erreicht werden, die eine betriebliche Verankerung hat und ökonomische Kämpfe konsequent mit einer revolutionären Perspektive verbindet. Eine solche Perspektive beinhaltet das Eintreten für alle Opfer imperialistischer Kriege durch konsequenten Kampf für die Niederlage des deutschen Imperialismus, und den Abzug deutscher Truppen von allen Auslandseinsätzen. Anders als die „Das Boot ist voll“-Rhetorik Wagenknechts setzen sich Marxisten für volle Staatsbürgerrechte für alle Migranten ein und fordern „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“. Dieser kann über gewerkschaftliche Kontrolle über sämtliche Einstellungen erreicht werden, um der Taktik der Bosse einen Riegel vorzuschieben, unorganisierte Arbeiter – migrantisch oder nicht – zu niedrigeren Löhnen mit dem Ziel der Senkung des allgemeinen Lohnniveaus zu beschäftigen. Kommunisten setzen sich für den Kampf gegen den Klimawandel ein und lehnen sämtliche Versuche des Kapitals ab, die Kosten für diesen auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Im Gegensatz zum Verständnis des BSW ist das dem Kapitalismus immanente Profitstreben wesentliche Ursache für die Zerstörung der natürlichen Grundlagen der Menschheit, die nur durch gezielte gesamtwirtschaftliche Planung im Weltmaßstab beendet werden kann. Um diese zu erreichen ist, sind neue Oktoberrevolutionen in allen Ländern der Welt von Nöten, die dem Kapital die Produktionsmittel entreißen und seine politische Macht in Form der bürgerlichen Repressionsapparate zerschlagen. Nur dann kann es ein friedliches Miteinander aller Menschen geben, dem sich die Bolschewistische Tendenz verschrieben hat. Sowohl die Konzepte der PDL als auch diejenigen Willy Brandts, die das BSW neu aufwärmen möchte, sind dazu unfähig.