TB Nr.3: II. Nepalesischer Maoismus: Vom „Volkskrieg“ zum „Mehrparteiensystem“

Als Ursprung des Kommunismus in Nepal wird oft ein Streik im Jahr 1947 in der Biratnager Jute- und Tuchfabrik unter der Führung von Man Mohan Adhikari, einem Aktivisten der Kommunistischen Partei Indiens, ausgemacht. Der Biratnager Streik, der erste bedeutende industrielle Kampf in Nepal, begründete eine starke kommunistische Tradition in der Arbeiterbewegung. Im September 1949 verbanden sich Adhikari und seine Anhänger mit Pushpa Lal Shrestha und linken Dissidenten des Nepalesischen Nationalkongress, um die Kommunistische Partei Nepals (KPN) zu bilden.

Die Weigerung des Königs, die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung zu ermöglichen, gab der KPN einen Fokus für populäre Agitation. Während die Partei den Delhi-Kompromiss ablehnte, begrüßte sie die entkräftende stalinistische Zwei-Etappen-Strategie und forderte eine All-Parteien-Konferenz, eine Übergangsregierung und eine Verfassunggebende Versammlung, im Wesentlichen die gleichen Forderungen, die die KPN(M) später vorbringen würde. Zwei Jahrzehnte lang war die KPN von bitterem Personalismus und internem Hickhack über die Frage zerstritten, ob die klassenkollaborationistische „erste Etappe“ einen „antifeudalistischen“ Block mit der NCP gegen die Monarchie zur Folge haben sollte oder ein „antiimperialistisches“ Bündnis mit anderen bürgerlichen Parteien (und sogar der Monarchie) gegen die NCP, der als Handlanger von Imperialismus und indischem Expansionismus gesehen wurde. Zunächst rief die KPN zur Bildung einer Volksfront „fortschrittlicher Kräfte“ auf, um sich der NCP zu widersetzen. 1955 ließ die Partei ihre Forderung nach einer Republik fallen und akzeptierte den König als verfassungsmäßiges Staatsoberhaupt – ein Schritt, der den zusätzlichen Nutzen hatte, den rechtlichen Status der KPN wiederherzustellen.

1959 stimmte König Mahendra den ersten allgemeinen Wahlen Nepals unter den Bedingungen einer vom Palast diktierten Verfassung zu, die die Monarchie mit ultimativer Autorität ausstattete. Als die siegreiche Kongresspartei eine bescheidene Reform der Überbleibsel des Birta-Grundeigentumssystems vorschlug, berief sich der König auf eine Notstandermächtigung, löste das Parlament auf, verbot politische Parteien und ließ ihre Führer verhaften. Die Kongresspartei versuchte einen weiteren Aufstand von indischem Territorium aus zu organisieren, aber die Planung wurde abgebrochen, als 1962 der Ausbruch von Kämpfen zwischen China und Indien Nehru veranlasste, die Unterstützung für die Rebellen fallen zu lassen. Die NCP musste ihrerseits widerwillig die Monarchie als Kraft für „Stabilität“ im Kalten Krieg akzeptieren.

Mahendras Auflösung des Parlaments und die Ausrufung einer neuen „parteilosen Demokratie“ (Panchayat) im Jahr 1962 spaltete die KPN in mehrere konkurrierende Fraktionen. Das Zentralkomitee begrüßte, unterstützt von den rechtesten Elementen, die Entscheidung des Königs als „progressiv“. Andere in der KPN sprachen sich für einen Block mit der NCP zur Wiedereinsetzung des Parlaments aus. Die größte Fraktion unter Führung von Mohan Bikram Singh schlug die ursprüngliche Forderung der Partei einer Verfassunggebenden Versammlung vor. Die KPN(M) leitet sich von Singhs KPN (Vierter Kongress) ab, die sich 1979 zur „Ausbildung von Guerilla, Proletarisierung der Parteikader, Schaffung separater Basisgebiete, Maßnahmen gegen lokale Betrüger, und die Einleitung einer Agrarerhebung“ (zitiert in Thapa) verpflichtete. Bis 1996 blieb dieses Engagement ganz und gar rhetorisch.

Viele Jahre lang war die KPN (Marxisten-Leninisten) die wichtigste maoistische Gruppe, die 1971 im Jhapa-Aufstand in Ost-Nepal entstanden war, der einzigen bedeutenden kommunistischen Agrarrevolte vor dem „Volkskrieg“ der KPN(M). Indem sie sich die maoistischen Naxalbari-Guerilla im benachbarten Indien und die Roten Garden der chinesischen Kulturrevolution zu Vorbildern nahmen, beschlossen Mitglieder des Bezirkskomitees von Jhapa, ländliche „Klassenfeinde“ zu beseitigen und es gelang ihnen, sieben zu exekutieren, bevor sie durch staatliche Repression zerschlagen wurden. Dies gescheiterte militärische Abenteuer inspirierte viele Anhänger anderer stalinistischer Splittergruppen und führte 1990 zur Entstehung der KPN (Marxisten-Leninisten [ML]) als der größten kommunistischen Formation.

Trotz ihrer militanten Vorgeschichte, beugte sich die KPN (ML) konsequent der Nepalesischen Kongresspartei. 1979 entfachte sie eine Studentenbewegung gegen das autokratische Panchayat-System, die schnell breite Unterstützung erzielte. Aber als die Kongresspartei (von Indien aus operierend) ein Abkommen mit dem König aushandelte, um das Problem durch Abhaltung eines Referendums zu regeln, demobilisierte die KPN (ML) die Bewegung. Das Militär ging dann dreist vor, um das Ergebnis durch eine Kombination aus Einschüchterung der Wähler und Fälschung von Wahlzetteln zu beeinflussen.

Auch wenn die nepalesische Wirtschaft Ende der 1980er Jahre immer noch überwiegend auf Landwirtschaft beruhte, hatte sie einen bedeutenden Dienstleistungs- und Industriesektor entwickelt. Viele Händler investierten erheblich in Hotels und andere touristische Einrichtungen, während die Errichtung von Teppich- und Bekleidungsfabriken die nepalesische Exportbilanz auf Dauer von landwirtschaftlichen hin zu industriellen Gütern verschob. Die Einführung imperialistisch diktierter „Strukturanpassungsprogramme“ in der Mitte der 1980er Jahre „liberalisierte“ Vorschriften für Investitionen und erleichterte das Eindringen ausländischen Kapitals, vor allem aus Indien und den Vereinigten Staaten. All diese Akteure hatten ein Interesse, einen ihrer Wirtschaftskraft entsprechenden politischen Einfluss zu bekommen.

Plebejische Beschwerden gegen das Regime hatten einen völlig anderen Charakter. In den 1960er Jahren verteilte König Mahendras Landreform lediglich 1,5 Prozent der Ackerflächen um und teilte, was von den kommunalen Ländereien blieb, in einzelne Parzellen auf, die zu klein waren, um rentabel zu sein. Dies hatte den Effekt, die Not der landlosen und armen Bauern zu verschlechtern, da viele neue „befreite“ Kleinbauern in Schulden und Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern gerieten. „Strukturanpassung“ und Privatisierung beseitigten unterdessen die Subventionen für Strom, Wasser, Treibstoff und Güter der Grundversorgung, die den ländlichen und städtischen Armen das Überleben ermöglicht hatten.

1989 gelang es der KPN (ML), die Unterstützung von etwa einem Dutzend linker Gruppierungen zu gewinnen, um eine Jana Andolan („Volksbewegung“) gegen das verfassungsmäßige Verbot politischer Parteien in Gang zu bringen. Diese Initiative wurde unterstützt durch die Kongresspartei und den Teil der herrschenden Klasse, den sie repräsentierte. Seit der ersten „Massenveranstaltung“ im Februar 1990 ließ es die KPN (ML) zu, dass die NCP als öffentliches Gesicht und Propagandist für die Bewegung agierte, um die Monarchie nicht zu befremden. Allerdings radikalisierten brutale Polizeirepression und Massenverhaftungen die Proteste auf dem Lande und in den Städten. Die Kampagne wuchs sieben Wochen lang bis zu ihrem Höhepunkt am 6. April 1990, als sich 10.000 Jyapu Bäuerinnen, bewaffnet mit Sensen, dem Marsch von Arbeitern in Kathmandu auf den Palast anschlossen. Mit roten Fahnen und Forderungen für das Ende der Monarchie hatten sich die Demonstranten nach links, weit jenseits von NCP und KPN (ML), bewegt. Als sich die Menge dem Palast näherte, eröffnete das Militär das Feuer und massakrierte rund 1500 Menschen. Um den Zorn der Massen zu dämpfen und die Demonstranten zu demobilisieren, unterzeichneten der König, die NCP und die von der KPN (ML) geführte Linksfront am 9. April schnell ein Abkommen zur Aufhebung des Verbots politischer Parteien. Nachdem sich die Massenproteste gelegt hatten, fegten die NCP und der Monarch die Forderung der KPN (ML) nach einer gewählten Verfassunggebenden Versammlung beiseite und setzten stattdessen ein begrenztes „Komitee für einen Verfassungsentwurf“ ein, das Vertreter der KPN (ML) einschloss.

Der Ausschuss erarbeitete eine Verfassung, die ein parlamentarisches Mehrparteiensystem erlaubte, aber die Monarchie mit einer bedeutenden „Notfall“ermächtigung ausstattete. Wie schon zuvor 1951 die „Demokratierevolution“, öffnete die Jana Andolan einen Weg zu Regierungspositionen und Pfründen für politisch unzufriedene Teile der privilegierten Eliten. In beiden Fällen waren alle Flügel der herrschenden Klasse gegen eine nennenswerte Mobilisierung der Werktätigen aus der Furcht heraus, sie könnte möglicherweise eine Bedrohung für das gesamte System des Privateigentums darstellen. Das Beharren der KPN (ML) darauf, dass Kämpfe der Arbeiter und Bauern ihre bürgerlichen „Verbündeten“ nicht beleidigen dürften, war eine weitaus wertvollere Garantie für die Ausbeuter als alles, was ihr Sicherheitsapparat hätte zuwege bringen können.

Die tatsächliche Erfahrung des Klassenkampfes in Nepal widerlegt alle Behauptungen, dass das primäre Ziel für die arbeitenden Menschen die Beseitigung des „Feudalismus“ sein sollte. Trotzkis Betrachtungen zur Lage in China 1927 lassen sich in vollem Maße auf das heutige Nepal anwenden:

“Wie sich herausstellte, brachte die Bourgeoisie nicht eine einzige politische Gruppe hervor, die damit einverstanden war, am revolutionären Kampf gegen Bucharins Feudalismus teilzunehmen. Und das nicht zufällig. In China gibt es keine adeligen Herren, die in Opposition zur Bourgeoisie stehen. Der Grundeigentümer ist im allgemeinen der städtische Bourgeois. Der kleine Grundbesitzer, der Kulak, der niedere Landadlige, ist eng mit dem Wucherer und dem städtischen Bourgeois verbunden.

Wenn man nicht mit Worten spielt, gibt es keinen Feudalismus in China. Im chinesischen Dorf gibt es ein Verhältnis zwischen Eigentümern und Leibeigenen, das jedoch nicht durch feudale, sondern durch bürgerliche Eigentumsformen und eine bürgerliche sozialpolitische Ordnung gekrönt wird […] Natürlich nehmen in China Armut und Knechtschaft unmenschliche Formen an, wie man ihnen selbst im Zeitalter des Feudalismus kaum begegnete. Dennoch beruht der Versuch, Feudalismus in China zu kreieren, mehr noch sein Vorherrschen, nicht auf Tatsachen, sondern auf dem bloßen Wunsch, die Kollaboration mit der Bourgeoisie zu rechtfertigen. Die Fakten haben sich gerächt. In China gab es keine solche Bourgeoisie oder einen Teil der Bourgeoisie, die zustimmen würden, einen revolutionären Kampf gegen den Feudalismus, d. h. gegen sich selbst zu führen.”
Trotsky 1976, S. 263f [Eig. Übers.]Trotsky, Leo: Leon Trotsky on China / Ed. by Les Evans and Russell Block. Introd. by Peng Shu-tse : New York : Monad Press, 1976. 696 S.

Langer Marsch in Richtung bürgerlicher Demokratie

1991 fusionierte die KPN (ML) mit einer kleineren stalinistischen Organisation und nannte sich in CPN (Unified Marxist Leninist) [dt.: KPN (Vereinigte Marxisten-Leninisten)] um, gemeinhin UML genannt. Mit der Einführung eines bürgerlich-parlamentarischen Systems, begann die UML wie gewöhnliche Sozialdemokraten zu funktionieren, die vor den Wahlen Versprechen abgaben, die sie hinterher brachen. Man Mohan Adhikari, der neue Präsident der UML, tat die Bezeichnung „kommunistisch“ geradeheraus als bloßes „Markenzeichen“ ab:

“Aber die Leute erkennen den Namen wieder. Ich persönlich hätte keine Schwierigkeiten, ihn zu ändern. In einem anderen Land könnten wir Sozialdemokraten sein.”
Khadka 1995 [Eig. Übers.]Khadka, Narayan: Factionalism in the Communist Movement in Nepal. In: Pacific Affairs Bd. 68 (1995), No. 1 (Spring 1995), S. 55-76

Prachanda von der KPN(M) prangerte die UML an, auf die Perspektive der Neuen Demokratie zu verzichten, um „die reaktionärsten Revisionisten“ (Karki & Seddon 2003, S. 245 [Eig. Übers.]) zu werden.

Doch die feige Fixierung auf Wahlen und der Eifer der UML, mit bürgerlichen Parteien zu regieren, sind absolut logische Begleiterscheinungen der klassenkollaborationistischen Zwei-Etappen-Strategie. Auf ihrem ersten Kongress 1993 billigte die UML den Begriff der „Mehrparteien-Volksdemokratie“ als Weg zu einem

“Mehrparteienstaat und zu einer pluralistischen Gesellschaft mit stetem Kampf gegen Feudalismus, Monopolkapitalismus und allen Formen von Unterdrückung und Ausbeutung.”
Khadka 1995 [Eig. Übers.]Khadka, Narayan: Factionalism in the Communist Movement in Nepal. In: Pacific Affairs Bd. 68 (1995), No. 1 (Spring 1995), S. 55-76

Als die Massenmobilisierung von April 1990 Panchayat nach 30 Jahren zu einem Ende zwang, gab es weit verbreitete Hoffnung, dass „Demokratie“ irgendwie zur Befreiung von aufreibender Unterdrückung führen könnte. Es dauerte nicht lange, bis diese Illusionen sich verflüchtigten, als die Massen

“zunehmend verstanden, dass eine radikale Bodenreform, die Befreiung der Frauen, das Recht auf Selbstbestimmung der Nationalitäten und soziale Gerechtigkeit nicht im Rahmen der Verfassung von 1990 im Parlament durchgesetzt werden konnten.”
Verma & Navlakha 2007, S. 1840 [Eig. Übers.]Verma, Anand Swaroop; Navlakha, Gautam: Peoples War in Nepal : Genesis and Development. In: Economic and Political Weekly (19 May 2007).

1994 bildete Adhikari die erste nationale „kommunistische“ Regierung in Südasien. Während ihrer neun Monate im Amt versagte die UML darin, selbst bescheidene Maßnahmen zur Bodenreform zu erlassen und tat wenig, um die Privatisierungen rückgängig zu machen, die während des früheren Regimes von der Kongresspartei durchgeführt worden waren. Sie setzte von der Weltbank und dem IWF aufgezwungene Maßnahmen zur „Strukturanpassung“ durch, die beitrugen, das Verhältnis von Nepals Schuldendienst zu den Exporten (ein grober Index für den Grad der Beherrschung durch imperialistische Financiers) auf beispiellose 35 Prozent zu verschieben. Adhikari empfing (und ignorierte) vor der Auflösung seiner Regierung im Juli 1995 eine 38-Punkte-Version der Liste von 40 Forderungen der KPN(M), die der NCP im Februar 1996 vor dem Griff zu den Waffen ausgehändigt wurde.

Der unmittelbare Funke für den „Volkskrieg“ scheint eine Welle heimtückischer Polizeirepression gewesen zu sein, die darauf abzielte, dem Widerstand in den maoistischen Hochburgen Rolpa und Rukum das Rückgrat zu brechen. Die Kampagne unter der Bezeichnung „Operation Romeo“, die durch wahllose Verhaftungen, Folter, Vergewaltigungen und außergerichtliche Hinrichtungen gekennzeichnet war, ging nach hinten los. Wie ein maoistischer Kader bemerkte:

“Sie hoben einen Stein auf, um ihn auf ihre eigenen Füße fallen zu lassen.”
Thapa & Sijapati 2004, S. 50 [Eig. Übers.]Thapa, Deepak. ; Sijapati, Bandita: A kingdom under siege : Nepal’s Maoist insurgency, 1996 to 2003. The Printhouse, 2004.

Der maoistische Aufstand zapfte ein tiefes Reservoir von Wut und Frustration unter den ländlichen Werktätigen an. Die KPN(M) sammelte Unterstützung auf der Grundlage ihrer uneingeschränkten Verurteilung des bestehenden Ausbeutungssystems und ihrer Bereitschaft, einen Kampf zu organisieren, um Nepal in eine Neue Demokratie zu verwandeln. Während die KPN(M) die „nationale Bourgeoisie“ als festen revolutionären Verbündeten in der Theorie beibehielt, verurteilte sie alle anderen politischen Parteien rundweg als reaktionär oder revisionistisch. Dies hielt die Identität sowohl der „nationalen Bourgeoisie“ als auch ihrer politischen Vertreter (mit denen eine „Einheitsfront“ geschmiedet werden sollte) in der Schwebe.

Nur der Eklektizismus der 40 Forderungen trübte noch das Wasser. Einige der wichtigen sozialen Ziele könnten nur durch die Zerschlagung des bürgerlichen Staates erreicht werden, z. B. die Dominanz des ausländischen Kapitals zu beenden, das Land denen zu geben, die es bebauen, und Arbeit für alle zu gewährleisten. Die meisten Vorschläge galten jedoch Reformen: Redefreiheit, Schluss mit den „Sonderrechten und Privilegien des Königs“, gleiche Eigentumsrechte für Frauen, Autonomie für ethnische Minderheiten, Widerruf ungleicher Verträge mit Indien, Entwurf einer neuen Verfassung durch „Volksvertreter“, etc. Ein paar hatten eindeutig reaktionäre Implikationen, wie der fremdenfeindliche Aufruf, „kulturelle Verschmutzung“ infolge der Einfuhr von Hindi-Filmen, Zeitungen und Zeitschriften zu beenden. Pradip Nepal, ein UML-Sprecher, sagte:

“Die Forderungen waren im Großen und Ganzen ähnlich wie die Forderungen aller in die parlamentarische Politik eingebundenen Oppositionsparteien und hätten durch die generelle Entscheidung des Kabinetts erfüllt werden können. Selbst reine rechtsgerichtete [monarchistische] Parteien wie die Nepal Sadvawana Partei und die Rastrya Prajatantra Partei erheben heute ähnliche Forderungen.”
Karki & Seddon 2003, S. 407 [Eig. Übers.]Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494 S.

Natürlich hatte keine der Oppositionsparteien (einschließlich der UML) tatsächlich versucht, diese Politik umzusetzen, als sie im Amt waren. Ihr Versagen in Kombination mit der scheinbaren Seriosität der KPN(M), gab dem maoistischen Programm beträchtliche populäre Resonanz.

Während eines Jahrzehnts „Volkskrieg“ verfolgten die Maoisten eine zweigleisige (und letztlich widersprüchliche) Strategie. Einerseits unternahmen sie eine klassische Guerilla-Kampagne mit neu entstehenden Organen der politischen Verwaltung in ländlichen Basisgebieten, verteidigt von einer Bauernarmee. Zur gleichen Zeit setzte die Führung der KPN(M) weiterhin formelle und informelle Gespräche mit der Regierung und Oppositionsparteien auf der Grundlage ihres 40-Punkte-Programms fort. Die relative Geringfügigkeit vieler Forderungen öffnete die Tür zu Verhandlungen und machte es möglich, Oppositionsparteien, die einige Positionen der KPN(M) unterstützten, in die Rolle „fortschrittlicher“, „antiimperialistischer“ Bündnispartner zu bringen. Allmählich wurde die Liste zusammengestrichen, während drei „politische“ Forderungen die meiste Aufmerksamkeit erhielten: Übergangsregierung, Verfassunggebende Versammlung und Republik. Schon 2001 signalisierten die Maoisten sogar die Bereitschaft, die Forderung nach einer Republik im Interesse der Erzielung eines Kompromisses fallen zu lassen.

Linksmaoistische Kritiker der KPN(M) neigen dazu, die Entwicklung der Partei nach 2005 als einen Fall zu sehen, in dem die Verhandlungslogik die Gebote des „Volkskriegs“ erdrückt. Die Führer der KPN(M), wie die der KPN(ML) vor ihnen, werden als Anhänger der „rechten opportunistischen Linie“ verhöhnt, die aus unerklärlichen Gründen die Perspektive der Neuen Demokratie aufgegeben und hart erkämpfte Errungenschaften liquidiert haben, um am Tisch der Bourgeoisie zu sitzen. Diese Erklärung läuft darauf hinaus, das Scheitern einer Strategie den persönlichen Schwächen derer zuzuschreiben, die sie durchführen. Was diesen Analysen fehlt, ist jedwede Betrachtung der wesentlichen Verbindung zwischen „Volkskrieg“ einerseits und Klassenkollaboration andererseits. Der Erfolg der Guerilla-Kampagne ließ der KPN(M) nur zwei Optionen, nämlich zu versuchen, die herrschende Klasse zu stürzen oder irgendeinen modus vivendi nach Art der Neuen Demokratie auszutüfteln.

Dynamik des „Volkskriegs“

Wie die früheren Erfahrungen der Jhapa-Kämpfer und der indischen Naxaliten zeigen, gehen ländliche Aufstände selten darüber hinaus ein paar Grundherren zu exekutieren, bevor sie zerschlagen werden. Ihrem Wesen nach sind Bauernkämpfe von Zentren des Handels, der Industrie und der Finanzen isoliert. Selbst die ärmsten Bauern in Nepal, die Sukumbasi, sehen typischerweise im Erwerb von Grundstücken die Lösung ihrer Probleme. Ihr Überleben ist meist abhängig von Grundeigentümern und sie zaudern oft, sich in einem sehr riskanten Kampf auf Drängen der deklassierten Intellektuellen zu engagieren. Wenn Aufstände auf dem Land nicht sofort zerschlagen werden, überleben sie in der Regel, indem sie Gutsbesitzer und reiche Bauern versöhnen oder indem sie sich in sozial und geographisch ausgegrenzte Gebiete zurückziehen. Dies haben die Naxaliten im Wesentlichen erreicht, indem sie sich unter indigene „Stämme“ in Indiens Wälder begeben haben. Die Naxaliten halten sich nicht nur folglich von Städten und Gemeinden fern, sondern auch von der kapitalistischen Landwirtschaft im großen Maßstab in den stark von Polizei kontrollierten Ebenen (Banerjee 2006). Arbeiter haben, anders als Bauern, die soziale Macht, um den Strom der Gewinne, das Lebenselixier des Kapitalismus, zu unterbinden, auf Grund ihrer strategischen Beziehung zu Produktionsmitteln, Transportwesen und Kommunikation.

Der außergewöhnliche Erfolg des „Volkskriegs“ in Nepal liegt an einer Reihe von Faktoren. Das beschwerliche Terrain bot einen gewissen Schutz, den wenig andere Bauernaufstände genossen, während das extrem unterentwickelte Straßen- und Schienennetz den Regierungstruppen erschwerte, Eroberungen der Guerilla zügig zurückzugewinnen. Economic and Political Weekly schrieb, dass rund zwei Drittel des Landes

“traditionell außerhalb der Reichweite von Entwicklungsprojekten, Sozialsystemen und Verwaltungseinheiten (einschließlich Polizei) geblieben waren.”
Banerjee 2006 [Eig. Übers.]Banerjee, Sumanta: Nepal: A New Flashpoint? In: Economic and Political Weekly Bd. 37 (2002), Nr. 36

Die vergleichsweise große Zahl landloser Bauern und das Fehlen von Großgrundbesitzern in weiten Teilen des Westens trugen dazu bei, dass das Zünglein an der Waage zugunsten des Aufstandes ausschlug. Ein weiteres wichtiges Element war die undifferenzierte Brutalität der Polizei und der Royal Nepal Army (RNA), wie die in Brüssel ansässige International Crisis Group (ICG) kürzlich festgestellte:

“Schon vor der signifikanten Eskalation Ende 2001 unter Beteiligung der RNA, waren Polizeiaktionen gegen die Maoisten brutal und richteten sich gegen alle, die verdächtig waren, Sympathisanten zu sein. Sie führten zu Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Folter, Vergewaltigungen und außergerichtlichen Hinrichtungen, sowie zu Fällen exzessiver Gewalt wie dem Niederbrennen eines ganzen Dorfes bei Khara im Bezirk Rukum im Jahr 2000. Diese Maßnahmen erhöhten nur die Popularität der Rebellen in den betroffenen Gebieten ….
ICG 2010, S. 7 [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal : Peace and Justice. Asia report. Bd. 184. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group,2010

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Die Armee versprach, den Maoisten eine „blutige Nase“ zu verpassen und stand seitens des Oberkommandos und des Palastes unter starkem Druck, Ergebnisse zu liefern. Aufgrund ihrer Unerfahrenheit in der Bekämpfung von Aufständen war die Armee nur in der Lage, Leichen zu liefern anstelle strategischer Vorteile. Eine Quelle, die während der letzten Stadien des Konflikts in engem Kontakt zur Armee stand, erinnerte sich, dass „entlang der Befehlskette enormer Druck für eine tägliche hohe Todesrate herrschte“. Es gab auch Anreize: Offizieren und Soldaten wurde gesagt, dass die Lieferung von Ergebnissen auch zu diesen Bedingungen, ihre Aussichten auf eine begehrte Position bei einer UN-Friedensmission verbessern würde.”
ICG 2010, S. 10 [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal : Peace and Justice. Asia report. Bd. 184. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group,2010

Von den 13.000 Menschen, die während des Bürgerkriegs getötet wurden, „starb die überwiegende Mehrheit durch die Hände des Staates“ (Ebd.). Im April 2002 erläuterte Innenminister Devendra Raj Kendal das Regierungsprogramm, finanzielle Anreize für das Ausliefern, tot oder lebendig, von Führern der KPN(M) zu bieten:

“Jeder, der ihren (der Maoisten) Aufenthaltsort oder ihre Köpfe liefert, bekommt das Preisgeld in der gleichen Tasche, in der die Köpfe gebracht werden.”
Banerjee 2002, S. 3715 [Eig. Übers.]Banerjee, Sumanta: Nepal: A New Flashpoint? In: Economic and Political Weekly Bd. 37 (2002), Nr. 36

Die nepalesische herrschende Klasse wird von den größten ausländischen Investoren des Landes unterstützt, den USA und Indien. Indien, selbst Opfer imperialistischer Beherrschung, ist ein wichtiger Akteur im strategisch wichtigen Himalaya:

“Die Nepalesen sind sich völlig im Klaren, dass ihr Staat nur durch Indiens Wohlwollen existiert und sie das Schicksal der ihnen benachbarten Bergkönigreiche teilen könnten. 1970 besetzte die indische Armee Sikkim ohne einen Schuss, der winzige Bergstaat wurde unverzüglich von Indien annektiert. 1975 wurde Sikkim ein Staat in der Indischen Union.

[…]

So wurden vier lange unabhängige buddhistische Himalaya-Königreiche – Tibet, Ladakh, Sikkim und Bhutan – von ihren mächtigen Nachbarn Indien und China absorbiert. Obwohl Religion und Kultur der drei letztgenannten nicht weniger reich und unverwechselbar waren als die von Tibet, nahm die Außenwelt kaum Notiz von der Annexion der anderen „kleinen Tibets“.”
Margolis 1999, S. 221f [Eig. Übers.]Margolis, Eric S.: War at the top of the world?: the struggle for Afghanistan, Kashmir, and Tibet / Eric S. Margolis. New York : Routledge, 1999. 250 S.

Indien ist darauf bedacht, die Entwicklung von Wirtschafts- oder Sicherheitsbeziehungen Nepals zu China zu verhindern, die die Flut ungleicher Vereinbarungen unterminieren würde, die Kathmandu seit den 1950er Jahren unterzeichnet hat und die den indischen Zugang zu Nepals weitgehend ungenutzter Wasserkraft potentiell bedrohen würden. 1988 verhängte Indien eine 15-monatige Blockade über Nepal für die Einfuhr militärischer Ausrüstung ohne vorherige Zustimmung Neu-Delhis, wie im Friedens- und Freundschaftsvertrag von 1950 vereinbart. Die indische Bourgeoisie ist auch besorgt, dass ein erfolgreicher maoistischer Aufstand in Nepal ihre eigenen abscheulich ausgebeuteten Werktätigen inspirieren könnte, „zu den Waffen zu greifen“. Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, hat die indische Regierung Waffengeschäfte für das nepalesische Militär finanziert. Indische Behörden haben auch mit der westbengalischen Staatsregierung unter Führung der stalinistischen Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) gearbeitet, um nepalesische Maoisten im Exil zu inhaftieren.

Der US-amerikanische Imperialismus hat Nepal lange als Basis für geheimdienstliche und verdeckte Operationen in der Region genutzt, besonders gegen „Rotchina“. Millionen von Dollar für den Dalai Lama und seinen Kreis von Konterrevolutionären halfen, die Aktivitäten tibetanischer „Khampa“-Guerilla zu unterstützen, die in den 1960er und frühen 1970er Jahren von Stützpunkten in Nepal aus operierten. Heute lautet das vorrangige Ziel der USA, den Status Nepals als proindischen Pufferstaat aufrecht zu erhalten, um den chinesischen deformierten Arbeiterstaat militärisch einzukreisen und diplomatisch zu isolieren. Washington teilt die Befürchtungen der indischen Bourgeoisie über den Einfluss nepalesischer Maoisten und die Möglichkeit eines „roten Korridor“, der sich von Kathmandu bis, zu dem von Naxaliten kontrollierten, Ostindien erstreckt. Während des Bürgerkrieges in Nepal, setzte die Bush-Administration die KPN(M) auf ihre sogenannte Beobachtungsliste von Terroristen [terrorist watch list], auf der sie weiterhin steht. Der US-amerikanische stellvertretende Außenminister Richard Armitage erklärte, dass die Maoisten „ein erhebliches Risiko der Durchführung von Terrorakten, die … die nationale Sicherheit, Außenpolitik oder Wirtschaft der Vereinigten Staaten bedrohen“, darstellten (Mage 2007 [Eig. Übers.]). Eine ähnliche Einschätzung wurde von US-Botschafter James Moriarty ausgedrückt:

“Offensichtlich ist es nicht der islamische Fundamentalismus […], sondern eine sehr leidenschaftliche Variante des Maoismus, die große Schwierigkeiten in dieser Region verursachen könnte. Sie haben gesagt, dass sie in die Vereinigten Staaten eindringen wollen. Darüber bin ich nicht allzu sehr besorgt, aber Sie ignorieren, was sie sagen, auf Ihre eigene Gefahr. Sie können nicht über die Maoisten und die Bedrohung, die sie darstellen, die Nase rümpfen.”
Griswold 2005 [Eig. Übers.]Griswold, Eliza: It’s not easy here in Katmandu: caught between the Maoist rebels and the king’s army. In: Harper’s Magazine (2005) Mai, S. 64-72

Als Teil ihres „Kriegs gegen den Terror“ schickten die USA Millionen Dollar als militärische Unterstützung sowie 20.000 M-16 Sturmgewehre und einen Trupp von Beratern, um Nepals Sicherheitsapparat zu stärken.

Soziale Errungenschaften in maoistischen Basisgebieten

Gegenüber der von Nepals herrschender Klasse allseits verübten gesellschaftlichen Unterdrückung und mörderischen Ausbeutung, konnten die Maoisten auf bescheidene, aber wichtige soziale Reformen in den vom „Vereinigten Revolutionären Volksrat“ (URPC) kontrollierten Regionen verweisen, die die KPN(M) im Jahr 2001 etablierte. Der URPC wurde ersonnen, um als neu entstehende alternative Regierung zu funktionieren und Neue Demokratie zu institutionalisieren, mit „Volkskomitees“ auf Bezirks-, Dorf-, Regional- und Distriktsebene. Die Maoisten nannten sie „3-in-1-Komitees“, nach der „Drei-Drittel“-Politik von Maos Partei während der zweiten „Einheitsfront“ mit der Kuomintang in den frühen 1940er Jahren:

“Das sogenannte „Drei-Drittel“-System, die Praxis nach der die Kommunisten nicht mehr als ein Drittel der Regierungsposten im Guerilla-Gebiet besetzten, war keine „Einheitsfront“ im funktionalen Sinn, d. h., dass sie für die bäuerliche Unterstützung unerlässlich war. Die Einheit zwischen Bauern und Partei basierte nicht auf dem Drei-Drittel-System, weil die Bauern die Kommunisten durch die Massenorganisationen und die Armee tatsächlich unterstützten. Das Drei-Drittel-System war ein Mittel für die Einbeziehung lokaler nicht-kommunistischer Führer, von Grundherren, reichen Bauern und anderen bekannten Personen in die regionalen Regierungen.”
Johnson 1962, S. 13f [Eig. Übers.]Johnson, Chalmers Ashby: Peasant nationalism and communist power : the emergence of revolutionary China 1937-1945. Stanford, Cal. : Stanford Univ. Pr., 1962, 256 S.

Die „3-in-1-Komitees“ der KPN(M) dienten praktisch als Frontorganisationen der Partei. Ein Drittel der Mitglieder waren offen Parteimitglieder, während die übrigen meist aus der Volksbefreiungsarmee (VBA) und maoistisch geführten „Massenorganisationen“ kamen.

In den Basisgebieten der KPN(M) wurden die Grundstücke der Großgrundbesitzer unter den Bauern aufgeteilt, Schulden bei Geldverleihern wurden gestrichen, Leibeigenschaft wurde abgeschafft und die Kamaiya-Arbeiter bekamen, zumindest an einigen Orten, bescheidene Parzellen Land. Die Maoisten förderten kooperative Systeme der Landwirtschaft im „Bergland“, um die Beschränkungen kleinen Grundbesitzes zu überwinden, während in Rolpa und Rukum drei „Kommunen“ eingerichtet wurden (Parvati 2005 [Eig. Übers.]. Kleinproduktion von Baumwolle, Seife, Kerzen und Papier wurde neben der Lebensmittelherstellung geschaffen, während arbeitsintensive Programme öffentlicher Arbeiten rudimentäre Straßen und Bewässerungssysteme bauten. Gesundheitsversorgung und Bildung wurden besser zugänglich für die Armen, insbesondere für Frauen und Daliten (Mitglieder der untersten Kaste, die sogenannten „Unberührbaren“).

Nach Maos Beispiel hatte es die KPN(M) nicht auf das Land der reichen Bauern abgesehen und ließ Kaufleute, Händler und andere private Geschäftsinteressen ungehindert operieren. Dies stand nicht nur im Einklang mit der Neuen Demokratie, sondern versorgte auch die Partei und die VBA mit einer Steuerquelle. Trotz hitziger Angriffe gegen den indischen Expansionismus, „vermieden“ die Maoisten „penibel jedes Antasten der erheblichen indischen Wirtschaftsinteressen in Nepal“ (Saubhagya Shah 2004, S. 210)Shah, Saubhagya: A Himalayan Red Herring? Maoist Revolution in the Shadow of the Legacy Raj. In: Hutt 2004a. S. 192-224.

Von besonderer Bedeutung für die Maoisten war die entsetzliche Unterdrückung der Mitglieder niederer Kasten und marginalisierter ethnischer Gruppen. Daliten ist es zum Beispiel in einigen Gegenden verboten, gemeinsame Wasserhähne, Straßen und Elektrizität zu nutzen. Ethnische Minderheiten wurden traditionell den niederen Stufen des Kastensystems zugeordnet und daran gehindert, nennenswerte Bodenflächen zu besitzen. Diese komplexe Mischung von Klassen-, Kasten- und ethnischer Unterdrückung wird durch eine zutiefst frauenfeindliche Kultur zusätzlich verschlimmert:

“Der erbärmliche Status von Frauen in Nepal … spiegelt sich in dem nepalesischen Sprichwort wider: „Wenn mein nächstes Leben ein Hundeleben sein wird und ich wählen kann, werde ich lieber ein Hund als eine Hündin sein“. Die Gesichter nepalesischer Frauen sind die verschleppter Frauen, von anämischen Frauen, die vernachlässigt im Kindbett sterben, von armen und ungebildeten Frauen hinter Gittern wegen Fehlgeburten oder Abtreibungen, von menstruierenden Frauen, abgesondert in kalten und unhygienischen Cauchholoo-Verschlägen, von Frauen ohne Sohn, verlassen oder verdrängt in eine polygame Ehe und von kulturell benachteiligten Mädchen, mit einer viermal so hohen Arbeitsbelastung gegenüber ihren Brüdern.

Ein geschlechtsspezifisches Profil von Nepal zeigt, dass Frauen unter 23 diskriminierenden Gesetzen leiden. Die Lebensdauer einer Frau ist zweieinhalb Jahre kürzer als die eines Mannes. Mehr als 40 Prozent der Mädchen sind mit 15 Jahren verheiratet und haben ihr erstes Kind mit 19. Nepals Müttersterblichkeitsrate liegt bei 905 [Todesfällen] auf 100.000 [Lebendgeburten], übereinstimmend nur mit Afghanistan. Frauen sehen jedes neunte Kind unter 5 Jahren sterben …. Mitgift, Polygamie, Schlagen von Frauen und massenhafter Menschenhandel sind weit verbreitet. Die Staatsbürgerschaft folgt der männlichen Linie und das Recht auf Eigentum von Vorfahren ist beschränkt auf unverheiratete Töchter.”
Manchanda 2004, S. 244f [Eig. Übers.]Manchanda, Rita: Maoist Insurgency in Nepal. In: Cultural Dynamics 16 (2004) No. 2-3, S. 237-258

In den maoistischen Basisgebieten wurde die Diskriminierung von Daliten, ethnischen Minderheiten und Frauen offiziell verboten, und jeder Gruppe wurde die Vertretung in den „Volkskomitees“ garantiert.“ Frauen haben eine bedeutende Präsenz in den unteren (nicht jedoch den höheren) Rängen sowohl der Partei als auch der VBA – in letzterer wurde der Anteil weiblicher Kämpfer auf 40 Prozent geschätzt. Bilder von Frauen der Magar, bewaffnet mit Sturmgewehren, sind zum Sinnbild für Nepals „Volkskrieg“ geworden. Frauen dürfen Eigentum erben, Schulen besuchen und sich scheiden lassen. Sie sind nicht länger Kinderheirat oder Polygamie ausgeliefert, während häusliche Gewalt und Vergewaltigung beide schwer bestraft werden.

Die emanzipatorische Rolle des nepalesischen Maoismus ist allerdings begrenzt. Dies liegt nicht nur am extrem niedrigen Niveau der Produktivkräfte auf dem Lande, sondern auch am politischen Programm und der kleinbürgerlichen Klassenbasis der KPN(M) selbst. Wie die russischen und chinesischen Stalinisten, die sie sich zum Vorbild nehmen, übernehmen und fördern Nepals Maoisten die reaktionäre Institution der Kleinfamilie. Ein Le Monde- Journalist, der 2003 das von Maoisten gehaltene Rukum bereiste, besuchte ein provisorisches Gefängnis, in dem ein Drittel der Insassen „für Sex vor der Ehe und außerehelichen Sex“ bestraft wurden (Manchanda 2004, S. 250 [Eig. Übers.])Manchanda, Rita: Maoist Insurgency in Nepal. In: Cultural Dynamics 16 (2004) No. 2-3, S. 237-258. Ehe und Treue sind im Gegenteil innerhalb der Partei zu einem noch höheren Maß als außerhalb durchgesetzt. Hisila Yami (alias Par­vati), ein führender weiblicher Kader, die Hauptsprecherin der Partei in Genderfragen, kommentierte: „Ein Verhaltenskodex ist formuliert für Frauen und Männer, insbesondere für die Kämpfer, so dass Sexualität zur Ehe führt, wenn beide Partner nicht verheiratet sind … Wenn einer oder beide verheiratet sind, werden sie verwarnt und bestraft“ (Manchanda 2004, S. 250 [Eig. Übers.])Manchanda, Rita: Maoist Insurgency in Nepal. In: Cultural Dynamics 16 (2004) No. 2-3, S. 237-258. Parvati scheint vergleichsweise aufgeklärter zu sein als andere Führer der KPN(M). In ihrem jüngsten Buch, People’s War and Women’s Liberation in Nepal [Volkskrieg und Frauenbefreiung in Nepal] bringt sie sogar einige Kritikpunkte gegen „die Institution der Ehe“ vor:

“Sie ist ein Bündnis der Annehmlichkeit für Männer, um ihren Hegemonismus in vermögensrechtlichen Beziehungen zu verewigen. Für Frauen bedeutet das gleiche Bündnis tatsächlich eine Rand­existenz in häuslicher Sklaverei. Leider trifft dies auch unter den Kommunisten zu, wenngleich in geringerem Maße.”
Yami 2007 [Eig. Übers.]Yami, Hisila: People’s war and women’s liberation in Nepal. Kathmandu : Janadhwani Publ., 2007. 231 S.

Ein führendes Mitglied der KPN(M), Pampa Bushal, flog aus dem ZK und wurde zur „Umerziehung“ in ein Dorf geschickt, nachdem sein „sexuelles Fehlverhalten“ mit einer verheirateten Genossin ans Licht gekommen war. Homosexuelle werden, wie verlautet, auch geächtet.

Die maoistischen Ansichten über Sexualmoral erinnern an das, was Trotzki als den „Thermidor in der Familie“ in der Sowjetunion bezeichnete, als die konservative bürokratische Kaste mit Stalin an der Spitze die beispiellosen Bemühungen der Bolschewiki, Frauen zu befreien und Homosexualität zu entkriminalisieren, aufhob. Letztlich spiegeln sie die Klassenbasis der KPN(M) wider. Sexuelle Unterdrückung und patriarchalische Ideologie sind materiell in der Institution der Familie verwurzelt, die allen Klassengesellschaften eigen ist. Frauenunterdrückung ist eine Funktion ihrer Rolle als unbezahlte Lieferanten von Hausarbeit. Zur Aufrechterhaltung ihrer Unterstützung bei den Kleinbauern, können es sich die Maoisten nicht leisten, die konservativen gesellschaftlichen Moralvorstellungen anzugreifen, die die Monogamie als ein Mittel erzwingen, um das rechtmäßige Erbe des Eigentums sicherzustellen.

Während die KPN(M) die Kernfamilie feiert, versucht sie einige ihrer Symptome mit moralischen Ermahnungen zu verbessern, z. B. mit Kampagnen für eine gerechtere Aufteilung der Hausarbeit zwischen den Geschlechtern. Doch die Befreiung der Frauen ist nur möglich durch massive Investitionen in den Bau von Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen, Wäschereien, Kantinen, etc., um die Aufgaben im Haushalt zu sozialisieren, die traditionell Frauen zugewiesen werden. Die Befreiung der Frauen in Nepal kann nicht einmal auf der Grundlage der Schaffung einer kollektivierten Planwirtschaft auf nationaler Ebene erreicht werden; sie erfordert ein Maß an Entwicklung, das nur durch die Ausweitung der Revolution auf andere Länder mit weit höherem Niveau der Arbeitsproduktivität möglich wäre.

Die KPN(M) über „Volkskrieg“ und städtischen Aufstand

Die KPN(M) konnte stabile und maßgebliche „Volkskomitees“ nur in einem relativ kleinen Teil der 80 Prozent von Nepal etablieren, die sie schließlich kontrollierte. Außerhalb ihrer sicheren Basisgebiete, wo ihr Halt viel fragiler war, war die VBA regelmäßigen, aber lähmenden Attacken der Sicherheitskräfte ausgesetzt. Parvatis triumphale Erklärung im Jahre 2005, dass die „Präsenz des alten Staates jetzt auf die Hauptstadt, Stabsquartiere der Distrikte und Autobahnen“ (Yami 2005) beschränkt sei, offenbarte, wie schwach der Rückhalt der Maoisten wirklich war. Mit den großen städtischen Zentren von Industrie, Finanzen, Handel und politischer Verwaltung als auch dem wesentlichen Verkehrsnetz des Landes in sicheren Händen, war der nepalesische Staat „eingekreist“, aber nicht gefährdet. Die RNA war nicht in der Lage, die Kontrolle über das ganze Land zurückzugewinnen, aber die VBA nicht in der Lage, die stark verteidigten städtischen Gebiete zu erobern. Mit generöser imperialistischer Unterstützung war die RNA zu einer gut ausgerüsteten Streitmacht von 90.000 gewachsen, weit größer als die geschätzten 30.000 schlecht bewaffneten (wenn auch hochmotivierten) Mitglieder der maoistischen Volksbefreiungsarmee und Milizen.

Die KPN(M) scheint diese Umstände vorausgeahnt zu haben. Auf ihrer zweiten Nationalkonferenz im Januar 2001 nahm sie den „Prachanda-Weg“ an, eine Kombination aus ländlichem „Volkskrieg“ und städtischem Aufstand. Bis dahin hatte die KPN(M) eine Strategie des bewaffneten Aufstands der Arbeiterklasse nur in fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern für anwendbar gehalten, aber mit dieser Wendung erkannte sie formell die Gültigkeit sowohl des russischen als auch des chinesischen Modells an und kam zu dem Schluss, dass es zumindest seit den 1980er Jahren notwendig geworden war, beide Strategien zu verschmelzen:

“Es sollte überhaupt keine Konfusion darüber geben, dass grundsätzlich die entwickelten imperialistischen Länder im Wesentlichen den Weg des bewaffneten [städtischen] Aufstands gehen müssen und die unterdrückten Länder der Dritten Welt auch heute noch den langwierigen Volkskrieg. Aber die Veränderung, die sich in der oben erwähnten Weltlage ereignete, hat eine Situation geschaffen, die notwendigerweise die Besonderheiten von bewaffnetem Aufstand und langwierigem Volkskrieg miteinander verbindet, und außerdem ist es notwendig, dies zu tun […].

Die militärische Linie eines allgemeinen bewaffneten Aufstands enthält einige grundlegende Eigenschaften wie das ständige Eingreifen der politischen Partei des Proletariats im Zentrum des reaktionären Staates von Anfang an auf dem Boden der politischen Propaganda, Ausbildung der Massen einschließlich der Arbeiter mit kontinuierlichen Streiks und Straßenkämpfen auf der Grundlage revolutionärer Forderungen, planvolle Entwicklungsarbeit in den militärischen Streitkräften und der Bürokratie des Feindes, Durchführung intensiven politischen Kampfes gegen verschiedene revisionistische und reformistische Gruppen von der zentralen Ebene, und schließlich die Eroberung der zentralen Staatsmacht durch bewaffneten Aufstand in der entsprechenden internationalen und nationalen Situation, etc. Es ist offensichtlich, dass das Proletariat eines Landes der Dritten Welt die oben genannten Merkmale des allgemeinen bewaffneten Aufstands zulassen und auch anwenden sollte.”
UCPN(M) 2001 [Eig. Übers.]United Communist Party of Nepal (Maoist): The Great Leap Forward: An Inevitable Need of History. Diplomacy in Action. Februar 2001.

Nepal hat seit den frühen 1970er Jahren einen erheblichen Wandel erfahren, als 94 Prozent der „wirtschaftlich aktiven“ Bevölkerung in der Landwirtschaft waren. Heute sind 13 Prozent in der Industrie beschäftigt und weitere 21 Prozent im Dienstleistungssektor, die zusammen für über 60 Prozent des BIP [Bruttoinlandsprodukt] Nepals zu Buche schlagen. Nepals Arbeiterklasse, die sich in den städtischen Gebieten des Kathmandu-Tals und des Terai konzentriert, ist kämpferisch und politisch relativ bewusst. Die Economic and Political Weekly (Navlakha & Varma 2006) berichtete, dass Zeitungsstände häufig marxistische Klassiker neben Mainstream-Magazinen verkaufen. Es gibt auch einen hohen Grad gewerkschaftlicher Organisierung: Eine Veröffentlichung des US-State Department schätzte kürzlich, dass rund eine Million Arbeiter einer Gewerkschaft angehören (USA 2009). Nepals Gewerkschaften sind nicht nach Industrien, sondern nach politischer Parteizugehörigkeit organisiert. Die größte Arbeitergruppierung, die General Federation of Nepalese Trade Unions (GEFONT), ist mit der UML verbunden, während der Nepal Trade Union Congress (NTUC) auf die NCP ausgerichtet ist. Beide Verbände sind in der Textil- und Teppichindustrie vertreten, aber die Mitgliedschaft der GEFONT hat einen höheren Anteil von Arbeitern, während der NTUC mehr Beamte und kleinbürgerliche Fachleute hat. Obwohl sich die Kontrolle der Parteien in den letzten Jahren etwas abgeschwächt hat, ordnen beide großen Verbände in wichtigen Fragen weiterhin ihre Aktivitäten den Anforderungen ihrer jeweiligen parlamentarischen Paten unter.

Bei der Schaffung der Basis für den vom Prachanda­weg diktierten bewaffneten Aufstand, arbeitete die KPN(M) hart daran, ihren Einfluss in den Städten auszuweiten. Der maoistische Studentenverband, der bereits 2001 eine wichtige Kraft war, initiierte eine Kampagne gegen die Ungerechtigkeiten in der Bildung und Gebühren für private Schulen. Andere auf die KPN(M) ausgerichtete Gruppen organisierten Proteste gegen Monarchie, Regierung und Militärübergriffe sowie Diskriminierung wegen Kasten- oder Religionszugehörigkeit. Die Maoisten gründeten auch ihre eigene All Nepal Trade Union Federation (ANTUF) [Allnepalesischer Gewerkschafts­bund]. Die Aktionen des ANTUF zeigten die Ambivalenz der KPN(M) gegenüber der Organisierung der Arbeiter, denn sie schienen nicht durch eine schlüssige Strategie bestimmt zu sein. Er begann Operationen mit einer Serie von Explosionen in der Absicht, Industrielle zu „Spenden“ zu ermuntern. Während manche dieser Aktionen mit Forderungen nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen verbunden waren, schienen viele offenbar keine substanzielle Unterstützung von den Arbeitern in den Fabriken zu erhalten, vielleicht weil erfolgreiche Bombenanschläge oft zu erheblichem Stellenabbau, wenn nicht sogar zur Schließung des Unternehmens führten. Unterstützung für den ANTUF wuchs, nachdem er einen Streik gegen zwölf große Unternehmen im September 2004 organisiert hatte.

Die Haltung der KPN(M) gegenüber den Städten und Kämpfen des Proletariats als bloße Ergänzung zum agrarisch basierten „Volkskrieg“ begrenzte ihre Fähigkeit, das Vertrauen und die Anhängerschaft der städtischen Arbeiterklasse zu gewinnen. Weder in ihrer populären Agitation noch in ihren theoretischen Dokumenten hat die Partei die Bildung von Arbeiterräten oder anderer Organe proletarischer Herrschaft entworfen. Stattdessen wird die maoistisch kontrollierte Gewerkschaft als das geeignetste Gremium gepriesen, um Arbeiter in einer „Einheitsfront“ mit anderen Klassen zu repräsentieren. Es ist unwahrscheinlich, dass die Aussicht auf eine „neudemokratische“ Ausbeutung durch „nationale“ Kapitalisten unter den meisten Arbeitern sehr viel Anklang finden wird, da viele bereits für nepalesische Industrielle arbeiten. Es ist unbestreitbar, dass die städtische Arbeiterklasse trotz weit verbreiteter Unzufriedenheit mit dem parlamentarischen Kretinismus der UML, sich nicht der maoistischen Alternative zugewandt hat.

April 2006: Ende des „Prachanda-Weges“

Das Scheitern der KPN(M), die Anhängerschaft des städtischen Proletariats zu gewinnen, ließ sie ohne einen praktikablen Weg zur Übernahme der Staatsmacht, wodurch sie gezwungen wurde, eine Annäherung an die parlamentarischen Parteien zu suchen, um Einfluss in Kathmandu zu erzielen. Nach König Gyanendras Entlassung der Regierung im Oktober 2002, schrieb Bhattarai, dass der Konflikt „zwischen den rückschrittlichen und fortschrittlichen Kräften“ andauern würde bis „die feudal-bürokratischen Kräfte durch den endgültigen Sieg der demokratischen Revolution vollständig hinweggefegt werden“. Aber er beklagte auch, dass die ins Auge gefassten Partner der KPN(M) in der „demokratischen Revolution“ mit den „feudal-bürokratischen“ Kräften viel zu sanft umgingen:

“Die grundsätzliche Schwäche und der Fehler im gesamten Prozess der großen parlamentarischen Parteien lag darin, nicht zu begreifen, dass die uralte feudale Monarchie das wichtigste Bollwerk der Reaktion war, und stattdessen von ihr als Verbündeter der „Demokratie“ zu schwärmen. Folglich konnten diese Parteien während der letzten 12 Jahre an der Macht kein einziges Programm vorstellen, um die Wurzeln von Feudalismus und bürokratischem Kapitalismus abzutrennen und eine materielle Basis für andauernde bürgerlich-demokratischen Institutionen vorzubereiten.”
Bhattarai 2002, S. 4608 [Eig. Übers.]Bhattarai, Baburam: Triangular Balance of Forces. In: Economic and Political Weekly Bd. 37 (2002), Nr. 46,  S. 4606-4610

“Außerdem hat sich die KPN(Maoisten) öffentlich zu einem Mehrparteiensystem in der Zukunft bekannt. Deshalb lautete ihr ständiger Appell an alle parlamentarischen Parteien: „Ihr akzeptiert die Republik, wir werden ein Mehrparteiensystem akzeptieren“.”
Bhattarai 2002, S. 4610 [Eig. Übers.]Bhattarai, Baburam: Triangular Balance of Forces. In: Economic and Political Weekly Bd. 37 (2002), Nr. 46,  S. 4606-4610

Die einzige Einschränkung für ein „Mehrparteiensystem“, war laut Prachanda, dass

“die Aktivitäten solcher Elemente, die Feudalismus wahren und Fremdherrschaft einladen, einzudämmen sein werden.”
Banerjee 2002, S. 3716 [Eig. Übers.]Banerjee, Sumanta: Nepal: A New Flashpoint? In: Economic and Political Weekly Bd. 37 (2002), Nr. 36

Im Juni 2003 billigte das ZK der KPN(M) formell ein

“wettbewerbsfähiges demokratisches Mehrparteiensystem.”
Banerjee 2006 [Eig. Übers.]Banerjee, Sumanta: Beyond Naxalbari. In: Economic and Political Weekly Bd. 41 (2006), Nr. 29, S. 3159-3162

Aber trotz ihrer Differenzen mit dem Monarchen, fanden weder die UML noch der Kongress den maoistischen Vorschlag verlockend. Während der vorangegangenen fünf Jahre hatten diese parlamentarischen Lakaien der nepalesischen herrschenden Klasse selbst wenig Rücksicht auf demokratische Feinheiten in ihrem Feldzug zur Niederschlagung des maoistischen Aufstands gezeigt. Und nach der Auflösung des Parlaments hatten sowohl Mitglieder von UML als auch von NCP Posten in den nachfolgenden Regierungen akzeptiert, die vom König ernannt wurden. Das Bild begann sich im Februar 2005 zu ändern, als der König den „Notstand“ ausrief und die volle Exekutivmacht übernahm (wozu er nach der Verfassung von 1990 berechtigt war). Erst als der Monarch dazu überging, Scharen prominenter politischer Aktivisten verhaften zu lassen sowie Medien und Kommunikation zu unterbinden, begannen die parlamentarischen Parteien und die bürger­liche „Zivilgesellschaft“, ernsthafte Einwände zu erheben. Selbst UML und NCP beschränkten sich, auf Geheiß ihrer indischen und amerikanischen Geldgeber, monatelang lediglich auf die Forderung nach Wiedereinsetzung des alten Parlaments. Dies hatte keine populäre Anziehungskraft und, da die maoistischen Forderungen nach einer Republik und einer Verfassunggebenden Versammlung schnell an Unterstützung gewannen (sogar in den Reihen von UML und NCP), änderten die Führer dieser Parteien ihre Taktik.

Im Laufe des Sommers 2005 ermöglichte Indien Gespräche zwischen der Sieben-Parteien-Allianz (SPA), einer Koalition aller Parteien mit signifikanter parlamentarischer Repräsentation, sowie den Maoisten. Bhattarai begann die Möglichkeit zu lancieren, dass es vielleicht notwendig sei, ein vorläufiges Vorstadium einer demokratischen Republik zu durchlaufen, wegen des „Schwankens eines Großteils der städtischen und ländlichen Mittelschichten in Richtung eines revolutionären Wandels“ (Tiwari 2005) und wegen der Opposition Chinas und Indiens gegenüber großen Umwälzungen in der Region. Im November 2005 unterzeichneten SPA und Maoisten eine 12-Punkte-Vereinbarung zur „Beendigung der Autokratie und der Errichtung einer absoluten Demokratie“ (Chandrasekharan 2005)Chandrasekharan, S.: NEPAL: The Political Parties reach the „point of no return“ – Update 78 : Note no.281.. Die SPA wies die Forderung der Maoisten nach einer Republik zurück, stimmte aber der Idee einer konstituierenden Versammlung für den Entwurf einer neuen Verfassung zu. Die Vereinbarung enthielt keine klaren Aussagen und ließ die Möglichkeit einer Wiederherstellung des alten Parlaments offen. Ferner enthielt sie eine Klausel, in der die „Überwachung“ der Maoisten und RNA durch die Vereinten Nationen gefordert wurde, eine langjährige Forderung der KPN(M).

Im März 2006 gaben SPA und Maoisten getrennte, aber identische Aufrufe für einen viertägigen Generalstreik und eine Kampagne des zivilen Ungehorsams ab dem 6. April aus. Im Gegensatz zu den Plänen der Parteiführung jedoch, endeten der Streik und die Demonstrationen nicht am 9. April, sondern wurden stattdessen immer größer und militanter. Wie die Jana Andolan von 1990 entwickelten die Proteste eine Eigendynamik und schon bald forderten Teilnehmer ein Ende der Monarchie. Angaben der International Crisis Group (ICG) besagen:

“Anfangs waren Parteikader und Führer kaum bei den Protesten zu sehen und nur sehr selten an der Spitze. Parteifahnen, die Grundausstattung jeder organisierten Demonstration, waren kaum zu sehen. Die meisten Kundgebungen, Ansammlungen und Märsche waren spontan, organisiert von lokalen Aktivisten oder angestiftet von maoistischen Kadern statt gelenkt durch zentrale Planung der Partei. Die Teilnehmer waren überwiegend normale Leute, weder stramme Parteigänger noch mao­istische Unterstützer.”
ICG 2006, S. 4 [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal: From people power to peace. Asia report. Bd. 115. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2006. 40 S.

Der Versuch der RNA, eine Ausgangssperre zu verhängen, bekräftigt durch eine „Todesschuss“politik zur Unterdrückung der Proteste, scheiterte und auf die Mengen zu feuern, schürte den Volkszorn noch zusätzlich. Zwischen drei und vier Millionen beteiligten sich 19 Tage lang an den Demonstrationen und Streiks. Die größten Demonstrationen gab es in Kathmandu sowie kleinere in Distriktzentren überall im Land. Etwa 6.000 Demonstranten wurden verletzt, 18 Menschen in Kathmandu wurden getötet und 150 weitere erlitten Arm- oder Beinbrüche. Anders als 1990 gab es nur wenige Fälle von regimetreuen Schlägern in „Vergeltungskomitees“, die Demonstranten angriffen, es gab auch Berichte, dass viele ehemalige Soldaten und sogar Polizisten an den Demonstrationen teilnahmen.

Nepal war im April 2006 in einer vorrevolutionären Situation. Dadurch, dass der Generalstreik das normale Leben zum Stillstand brachte, erhob er klar die Frage, welche Klasse herrschen sollte. Die Führer der etablierten Parteien, besonders die der UML, waren weitgehend diskreditiert und außerstande, irgendwelche praktischen Lösungsangebote für die Probleme der Arbeiter und Bauern vorzulegen.

Die Staatsmaschinerie geriet ins Stocken, da weite Teile des öffentlichen Dienstes, darunter viele in leitenden Positionen, sich den Demonstrationen anschlossen. Intellektuelle und Fachkräfte verließen das Regime und einige Sektionen der Sicherheitsdienste setzten sich ebenfalls ab. Solche Situationen bieten einer revolutionären Partei enorme Chancen, die das Vertrauen der militantesten Arbeiter gewonnen hat und in der Lage ist, die unmittelbaren Forderungen der Massen mit der Notwendigkeit der Eroberung der Staatsmacht zu verknüpfen. Eine bolschewistisch-leninistische Partei hätte den Aufruf zur Abschaffung der Monarchie und der Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung mit der Notwendigkeit demokratisch gewählter Arbeiter- und Bauernräte verknüpft, um dem Kampf eine Richtung zu geben, zusammen mit Betriebsmilizen, die in der Lage gewesen wären, Angriffen der RNA oder anderer Teile des bürgerlichen Repressionsapparats zu begegnen.

Der nächste logische Schritt wäre gewesen, die Enteignung der Großgrundbesitzer und Kapitalisten, ausländischer und einheimischer zu organisieren. Eine Organisation, die in jenen kritischen Tagen fähig gewesen wäre, eine klare Alternative zur bestehenden Ordnung darzustellen, hätte eine soziale Revolution entfachen können, die in ganz Südasien und weit darüber hinaus einen Widerhall gefunden hätte.

Die KPN(M), die als einzige Partei behauptete, irgendeine revolutionäre Alternative darzustellen, wies ein solches Programm nicht vor und konnte dies auch nicht leisten. Ihre Kader spielten eine entscheidende Rolle in den kleineren Zentren, hatten aber wenig Einfluss unter den Arbeitern in Kathmandu. Die KPN(M)-Führung entschied darüber hinaus, sich mit den parlamentarischen Parteien zu verbünden, um Verantwortung für die Wiederherstellung von bürgerlichem Recht und Ordnung in der Hauptstadt zu übernehmen. Als der König ein verzweifeltes allerletztes Angebot unterbreitete, eine zivile Regierung zu ernennen, zwang dies sogar seine ehedem servilen parlamentarischen Lakaien in der SPA dazu ihn zu verachten:

“Weit davon entfernt, Öl aufs aufgewühlte Wasser zu gießen, hatte die Proklamation des Königs, einem nepalesischen Sprichwort gemäß, Butterschmalz zum Feuer gegeben. Menschen ergossen sich in größerer Zahl als je zuvor auf die Straßen, dazu entschlossen, dem Palast eine Botschaft zu schicken, der Ausgangssperre zu trotzen und um die Parteiführer wissen zu lassen, dass ein Kompromiss keine Option war.

Kirtipur, die kleine und von unabhängigem Geist inspirierte Stadt außerhalb der Hauptstadt, wo früher eine der beeindruckendsten friedlichen Kundgebungen stattfand, war wie ausgestorben. „Niemand ist hier. Wir sind alle auf dem Weg nach Kathmandu“, sagten junge Männer, die zu Fuß Richtung Ringstraße gingen. „Wir wollen eine Republik, jeder unterstützt dass jetzt.“ Menschenmassen durchbrachen den Sicherheitskordon rund um Patan, die Partnerstadt Kathmandus, und wuchsen an, während sie sich bergab zur Brücke in die Hauptstadt bewegten. „Wir marschieren zum Palast“ riefen ausgelassene Demonstranten über das Dröhnen von Parolen gegen den König hinweg ….

An einem Punkt der Route, die vom größten Demonstrationszug genommen wurde, schätzte ein westlicher Militärexperte die vorbei ziehende Menge auf Zwei- bis Dreihunderttausend.”
ICG 2006, S. 13 [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal: From people power to peace. Asia report. Bd. 115. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2006. 40 S.

Die SPA und der Palast versuchten zu verhindern, dass die Dinge außer Kontrolle gerieten, und arbeiteten einen übereilten Hinterzimmerdeal aus. Der König stellte das Parlament wieder her und bekundete vage Zustimmung zum „schrittweisen Plan“, den das 12-Punkte-Abkommen vorsah. Dies reichte der SPA, um abrupt den Sieg zu erklären, weitere Mobilisierungen abzublasen und sich mit Lorbeeren zu schmücken für alles, was erreicht worden war. Die KPN(M) verurteilte den Deal als einen „historischen Fehler“, aber ihre Bereitschaft, im November 2005 die Vereinbarung zu unterzeichnen, höhlte ihre Kritik an den parlamentarischen Parteien aus. Als die SPA-Führer die Maoisten aufforderten, ihre Blockade von Kathmandu aufzuheben, taten sie dies widerstrebend. Die zweite Jana Andolan fand so ihr Ende.

Das Wohlverhalten der KPN(M) während der Ereignisse des April 2006 beeindruckte sowohl ihre parlamentarischen Verbündeten als auch die nepalesische herrschende Klasse. Während der folgenden zwei Jahre gab es eine Reihe von Verhandlungen unter Beteiligung der SPA, der Maoisten und (in geringerem Maße) des Palastes über die Form der bürgerlichen Demokratie, die errichtet werden sollte. Der erste Schritt bestand in einer Reihe von Vereinbarungen zwischen der KPN(M) und G. P. (Girija Prasad) Koirala von der NCP, der dem wiederhergestellten Parlament präsidierte. Während Koirala in den späten 1990er Jahren Premierminister war, hatte er die antimaoistische Offensive geleitet. Zu jener Zeit charakterisierte Prachanda ihn als „Faschist“, aber jetzt bediente sich Koirala maoistischer Sprache, um vor Störungen durch „reaktionäre Kräfte“ zu warnen (BBC News 2006). Das wiedereingesetzte Parlament sollte durch eine Übergangsregierung, eine vorläufige Verfassung und schließlich durch die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung ersetzt werden. Um ihre Beteiligung an der provisorischen Regierung zu sichern, stimmte die KPN(M) einer vollständigen Aufhebung all dessen zu, was in zehn Jahren „Volkskrieg“ erreicht worden war. Die „Volkskomitees“ und „Volksgerichte“ in den maoistischen Basisgebieten mussten aufgelöst werden und das gesamte Eigentum, das während des Bürgerkriegs enteignet worden war, musste zurückgegeben werden. Im Einklang mit einer vagen Vereinbarung, dass VBA-Kräfte schließlich in den bürgerlichen Staatsapparat „integriert“ würden, stimmten die Maoisten UN-„Überwachung“ und teilweiser Entwaffnung zu. VBA-Kader wurden in sieben Quartiere abgesondert, während ihre Waffen gelagert und unter Verschluss gehalten wurden, obwohl der Schlüssel offenbar im Besitz der KPN(M) blieb.

Im Gegenzug erhielten die Maoisten verschiedene auf Papier gekritzelte Zusagen der Regierung: Ein wertloses Versprechen der Armee, ihre Waffen nicht gegen die „andere Seite [d. h. die Maoisten] zu verwenden“. Die Vereinbarung täuschte vor, die RNA ähnlichen Beschränkungen wie denen für die VBA zu unterwerfen, nämlich in ihren Kasernen zu bleiben und dass „die gleiche Menge“ ihrer (weit zahlreicheren) Waffen weggesperrt würden. Die Vereinbarung regelte auch den Einsatz der Armee als Grenzschutz-, Flughafen-Sicherheit usw., während die Polizei (die mit der Unterdrückung der Maoisten vor 2001 beauftragt worden war) sich um die innere Sicherheit kümmerte. Andere Regelungen umfassten Versprechungen zum Ende kastenbezogener, ethnischer, regionaler und geschlechtsspezifischer Diskriminierung, „wissenschaftlicher“ Bodenreform und „partizipativer Demokratie“. Prachanda erklärte, dass die Unteretappe des Mehrparteienwettbewerbs bewiesen hätte,

“ein notwendiger Prozess für die Bourgeoisie und die nationalen Kapitalisten gleichermaßen, geschweige denn für die Mittelschicht”
Pradhan & Wagle 2006 [Eig. Übers.]Pradhan, Prateek ; Wagle, Narayan: We want to stop bloodshed: Prachanda [Interview with Prachanda and Baburam Bhattarai]. In: The Kathmandu Post (2006).

zu sein.

KPN(M) „Unteretappe“: Leitung der kapitalistischen Regierung

Die KPN(M) wies auf drei objektive Faktoren hin, die es notwendig machten, den „Prachanda-Weg“ aufzugeben: Die fehlende wirtschaftliche Entwicklung in den Basisgebieten, die Notwendigkeit, mehr Unterstützung in den städtischen Gebieten zu gewinnen und die Gefahr, dass eine ausländische militärische Intervention jeden Versuch eines städtischen Aufstands niederschlagen würde. Während jede revolutionäre Bewegung mit der Möglichkeit imperialistischer Einmischung zu kämpfen hat, hängen die beiden anderen Faktoren gänzlich von der Strategie der ländlichen Guerilla ab. Im Streben nach größerem Einfluss in den Städten entschied sich die KPN(M) zur Beteiligung an der bürgerlichen Übergangsregierung. Prachanda deutete diese offene Klassenkollaboration zu einem wichtigen Schritt auf dem Weg zur Neuen Demokratie um:

“[…] wir haben die Fragen von Klasse, Nationalität, Geschlecht und Region aufgeworfen. Wenn alle diese vier Fragen gelöst sind, dann gipfelt es darin, dass es eine neudemokratische Republik gibt … aber da wir auch über friedlichen Wettbewerb mit der Bourgeoisie sprechen, sieht ihre Form wie bürgerliche Demokratie aus, während sie dem Wesen nach neudemokratisch ist.”
Prachanda [Interview im Juli 2006] zitiert in: Verma & Navlakha 2007, S. 1843 [Eig. Übers.]Verma, Anand Swaroop; Navlakha, Gautam: Peoples War in Nepal : Genesis and Development. In: Economic and Political Weekly (19 May 2007).

Den Maoisten wurde eine ungewöhnliche Gelegenheit geboten, um dieses Programm nach ihrem überraschend starken Auftritt in den Wahlen vom 10. April 2008 zur Verfassunggebenden Versammlung zu verwirklichen. Der Economist berichtete, bevor die Ergebnisse vorlagen, dass „die Maoisten, in Ermangelung zuverlässiger Meinungsumfragen, als weithin verhasst galten.“ (Economist 2008)Nepal’s election: Mountains to climb. In: The Economist (2008-04-10). Als die Stimmen ausgezählt waren, hatte die KPN(M) 220 von 575 Sitzen in der Nationalversammlung gewonnen, doppelt so viele wie die NCP, die auf dem zweiten Platz landeten. Die Maoisten erhielten die Hälfte der Direktmandate und weitere 30 Prozent der Sitze, die nach dem Verhältniswahlrecht vergeben wurden:

“Westliche Diplomaten mit Sitz in Kathmandu und ihre indischen und chinesischen Partner konnten keinen vernünftigen Grund nennen, warum die Maoisten so überraschende Gewinne erzielten. Man hatte im Gegenteil geglaubt, dass die Wahlen die Maoisten auf ihre wahre Größe reduzieren würden, was sie in eine Lage brächte, in der sie weder daran denken könnten, den Weg zurück in den Dschungel für eine weitere Phase des bewaffneten Kampfes anzutreten, noch über genug Sitze in der Versammlung verfügten, um die Grundfesten einer neu installierten Regierung zu erschüttern.”
Adhikary 2008 [Eig. Übers.]Adhikary, Dhruba: A Maoist in Nepal’s palace. In: Asia Times Online : South Asia news, business and economy from India and Pakistan (2008).

Die erste Sitzung der Verfassunggebenden Versammlung im Mai 2008 erklärte Nepal zur Republik. Die Frage der Monarchie war nicht mehr wichtig für die herrschende Klasse, sogar viele der Royalisten in der Versammlung stimmten für eine Republik. Die Bourgeoisie war weit mehr darum besorgt, eine geordnete Rückkehr zum Status quo sowohl in den Städten als auch auf dem Lande sicherzustellen, wo es oberste Priorität war, die maoistischen alternativen Machtorgane vollständig zu liquidieren. Während die KPN(M) nicht die bevorzugte Option der Kapitalisten war, bot ihre Präsenz in der Regierung einen wertvollen Vorwand für die Beibehaltung des bestehenden Systems von Ausbeutung und Unterdrückung.

Im Sommer 2008 ging die KPN(M) eine Koalitionsregierung mit der UML und der Madhesi Janadhikar Forum (MJF) ein, eine regionale Partei unter Führung eines ehemaligen Maoisten. Als vorgeblicher Vertreter der Madhesi im Terai ist das MJF in Wirklichkeit eine Agentur der Großgrundbesitzer, die heftig gegen die Agrarreform sind. Prachanda wurde Ministerpräsident und NCP-Führer Ram Yadav Baram wurde (mit der Unterstützung der UML) auf die angeblich zeremonielle Position des Präsidenten gewählt. Tatsächlich wurde das Amt des Präsidenten geschaffen, um die Macht über die Armee aufzuteilen und auf diese Weise sicherzustellen, dass selbst eine maoistische parlamentarische Mehrheit rechtlich nicht die volle Kontrolle über den Staatsapparat ausüben würde. Die KPN(M) stimmte dem zu, da sie darauf bedacht war, der herrschenden Klasse zu versichern, dass sie keine Bedrohung für ihre wesentlichen Interessen darstelle. Bhattarai machte dies bei den Verhandlungen über das Zustandekommen der Regierungskoalition sehr deutlich:

“Neulich waren wir bei einer Versammlung von nationalistischen [Kapitalisten] und Händlern und wir versuchten, ihnen zu zeigen, dass unser Schwerpunkt im Moment darauf liegt, den Feudalismus und die feudalen Produktionsverhältnisse abzuschaffen und den sehr abhängigen Kapitalismus, nicht nationalen und internationalen Kapitalismus …. Wissen Sie, wir sind nicht gegen produktiven und industriellen Kapitalismus, der Waren liefert, für Arbeitsplätze sorgt, Wert im Land erzeugt, und zumindest den imperialistischen Interventionen innerhalb des Landes widersteht. Diese Art von nationalem Kapitalismus fördern wir. Wir haben versucht, die Nationalisten und die Händler davon zu überzeugen, dass wir ein günstiges Umfeld schaffen werden.”
Mikesell & Des Chene 2008 [Eig. Übers.]Mikesell, Stephen Lawrence; Des Chene, Mary: Baburam Bhattarai: For a „New Nepal“ (Interview). In: Economic and Political Weekly Bd. 43 (2008), Nr. 19

Bhattarai offenbarte die klassenkollaborationistischen Auswirkungen in einem späteren Interview noch deutlicher:

“Management und Arbeiter haben jetzt ein gemeinsames Interesse an der Entwicklung der Wirtschaft. Beide kämpften gegen Feudalismus, Autokratie und Monarchie. Nun liegt es im Interesse von Management und Arbeitern eine pulsierende industrielle Wirtschaft zu schaffen. Aber diese Realität kriegen sie nicht in ihre Köpfe. Diese Regierung spielt ihre Rolle in der Schaffung eines gesunden Verhältnisses zwischen den beiden. Es gab einige Streitigkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Frage eines Mindestlohns. Diese wurden behoben. Ich appelliere also an das Management, dass sie für Mindestlohn sorgen. Die Arbeiter sollten nicht auf Bandas [politische Generalstreiks] und Streiks verfallen. Wenn dieses Verständnis geachtet wird, werden wir künftig eine gesunde Umwelt haben.

. . .

… Zumindest für einige Zeit sollte es keine Bandas oder Streiks in den Bereichen Industrie, Gesundheitswesen, Bildungswesen, auf den wichtigsten Autobahnen und in der Versorgungswirtschaft geben. Die Regierung versucht, einen politischen Konsens in dieser Frage zu erzielen.”
Adhikari 2009a [Eig. Übers.]Adhikari, Aditya: Interview with Dr Baburam Bhattarai. In: Kathmandu Post (2009-01-12)

Der Interviewer stellte eine Frage, die den Kern der Zwei-Etappen-Strategie berührte:

“Q: Gibt es Bemühungen Ihrer Regierung zur Unterscheidung zwischen den beiden Kategorien von Kapitalisten in Nepal und zur Formulierung einer Politik, die industriellen Kapitalisten helfen wird, aber nicht bürokratischen oder Kompradoren-Kapitalisten?”
Adhikari 2009a [Eig. Übers.]Adhikari, Aditya: Interview with Dr Baburam Bhattarai. In: Kathmandu Post (2009-01-12)

Der KPN(M)-Führer antwortete mit dem Eingeständnis, dass die maoistische Unterscheidung zwischen „reaktionären“ und „progressiven“ Elementen der kapitalistischen Klasse im Wesentlichen bedeutungslos sei:

“Die gleiche Person oder die gleiche Gruppe haben in Nepal oft einen Doppelcharakter. Die Klassendifferenzierung ist sehr gering. Dieselbe Person kann einen Job in der Landwirtschaft und einen als Dienstleister haben. Es ist sehr schwer zu kategorisieren, welcher Klasse oder Gruppe eine bestimmte Person zufällt. Unter den Unternehmern können auch welche eine gute Arbeit leisten, im Land investieren und zugleich eine Rolle als Kompradorenkapitalist spielen, mit ausländischen Waren Handel treiben und Profit erzielen. Es gibt diesen dualen Charakter. Das ist der Charakter einer Übergangsgesellschaft, wir sollten daher geduldig sein und diese Situation transformieren.”
Adhikari 2009a [Eig. Übers.]Adhikari, Aditya: Interview with Dr Baburam Bhattarai. In: Kathmandu Post (2009-01-12)

Die Maoisten werden in der Tat sehr geduldig sein müssen, wenn sie beabsichtigen zu warten, bis die Kapitalisten ihren Appetit verlieren „Gewinne zu machen“ und stattdessen beginnen „gute Arbeit“ zu leisten.

Spannungen in der KPN(M) wegen ihrer erbärmlichen Kapitulation vor dem Klassenfeind spitzten sich zu, als sich herausstellte, dass Land, das früher der königlichen Familie gehörte und Bauern im Terai genommen worden war, auf ein Mitglied des MJF übergegangen war, das in der Zwischenzeit irgendwie einen formalen Besitzanspruch darauf erlangt hatte. Das war zu viel für Matrika Yadav, der von seinem Ministerposten für Landreform in der Koalitionsregierung zurücktrat und schließlich auch noch die Partei verließ, während er den Vorwurf erhob, dass sie „ihren revolutionären Charakter aufgegeben habe und im Strudel der parlamentarischen Parteien und Praktiken gefangen sei“ (TelegraphNepal 2009a [Eig. Übers.])Telegraphnepal.com: Nepal Maoists in disarray after Matrika’s announcement. (2009-02-12).. Yadav hat mittlerweile eine neue Partei gegründet, die den Anspruch erhebt, die wirkliche KPN(M) zu sein.

Nachdem die KPN(M), die mit einer kleineren Gruppe im Frühjahr 2009 fusionierte, um zur Vereinigten Kommunistischen Partei Nepals (Maoisten) oder VKPN(M) zu werden, Eigentum an die Grundherren zurückgegeben hatte und öffentlich ehemalige Royalisten als „Nationalisten“ mit offenen Armen begrüßte, kamen Nepals Herrscher und ihre imperialistischen Paten zu dem Schluss, dass es nicht länger notwendig sei, dass Maoisten die Regierung stellen:

“Trotz des Übergangs zu einer föderalen demokratischen Republik und fortdauernder rhetorischer Bekenntnisse zu einem fortschrittlichen, sozial nicht ausgrenzenden „neuen Nepal“, waren Gerüchte über den Tod des alten Nepal stark übertrieben. Das Ende der Monarchie kam in vielerlei Hinsicht jenen Interessen zugute, denen sie gewöhnlich diente: Indem der frühere König Gyanendra als Sündenbock herhalten musste, so sehr er für seine eigenen Probleme verantwortlich war, bot dies der Elite Kathmandus die Freiheit, sich neu zu formieren und sich ein neues Image zu verpassen. Mit der UCPN(M), auserkoren für die Rolle des autoritären Herrschers und der Präsentation von Beispielen fortgesetzten unliberalen Verhaltens, ist es leichter, antimaoistischen Widerstand als demokratisch einzustufen.

Die lautstärkste konservative Wiederbelebung wurde von der städtischen Oberschicht angeführt. Dass die Maoisten nicht die neuen Roten Khmer sind, wie sie prophezeiten, hat sie nicht vom konstanten Geschrei über eine „totalitäre Diktatur“ abgeschreckt …. Ironischerweise beeilten sich die „liberalen Demokraten“ nur dann, sie mit offenen Armen zu begrüßen, als sie wirklich unliberale Maßnahmen, wie ein vollständiges Streikverbot, vorschlugen. Im Gegensatz dazu wurde ein Budget, so unmaoistisch, dass es die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF) zufriedenstellte, wegen seines übermäßigen Ehrgeizes mit Spott aufgenommen, und behauptet, dass Programme wie ein nationaler Alphabetisierungsplan verdeckte Schritte hin zu einer Übernahme des Staates seien.”
ICG 2009a, S. 5f [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal’s Faltering Peace Process. Asia report. Bd. 163. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2009. 45 S.

Während die kapitalistischen Medien voll waren von Denunziationen gewalttätigen Verhaltens durch Mitglieder der 50.000 Köpfe zählenden Jugendorganisation der VKPN(M), war es tatsächlich die Polizei, die für die meisten Morde in der ersten Hälfte des Jahres 2009 verantwortlich war. Einem ICG-Bericht vom 13. August 2009 zufolge waren maoistische Anhänger weit häufiger die Opfer gewalttätiger Angriffe als Täter (ICG 2009b, S. 33)International Crisis Group: Nepal’s Future: In Whose Hands?. Asia report. Bd. 173. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2009. 53 S..

Das Gekreische der Opposition erreichte Anfang Mai 2009 einen Höhepunkt, als die Regierung versuchte, den Stabschef der Armee, General Katawal, zu entlassen, der vor der Bildung der Koalitionsregierung öffentlich erklärt hatte, dass er die Integration „indoktrinierter“ VBA-Mitglieder in die Armee nicht zulassen würde. Katawal ignorierte auch die Einwände des maoistischen Verteidigungsministers und vergrößerte die Armee um 3.000 und verschob die Versetzung von acht Offizieren in den Ruhestand, die für einige der schlimmsten Grausamkeiten des Bürgerkriegs verantwortlich waren. Er boykottierte demonstrativ ein nationales Sportereignis, dass Teilnehmer der VKPN(M) einschloss. Als sich der „marxistisch-leninistische“ Verteidigungsminister schließlich durchrang, Katawal zu entlassen, explodierten die Oppositionsparteien, die kapitalistischen Medien und die herrschende Klasse vor Wut. Für sie war eine „unabhängige“ Armee die Garantie dafür, dass sich unter einer maoistisch geführten bürgerlichen Regierung nicht viel ändern würde.

Die Situation war so angespannt, dass Prachanda gezwungen war, eine geplante Reise nach Peking, zur Unterzeichnung eines neuen „Frieden und Freundschaft“-Vertrages, abzusagen, der $ 16,4 Millionen an wirtschaftlicher Hilfe gebracht hätte und China zu Kathmandus wichtigstem internationalen Rückhalt gemacht hätte (Vela 2009)Vela, Justin: China-Nepal ties reach new heights. In: Asia Times Online (2009-03-17).. Nach nervöser Hinterzimmerdiplomatie mit indischen Vertretern waren die maoistischen Koalitionspartner, UML und MJF, gegen die Entlassung, ebenso wie Präsident Ram Yadav Baram, der eine Klausel in der Interimsverfassung zitierte, die in solchen Fragen „politischen Konsens“ verlangte. Ironischerweise hatte Bhattarai zuvor für diese Klausel geworben als Beweis dafür, dass „das durch die vorliegende Interimsverfassung erdachte System nicht das parlamentarische System von Gestern ist“ (Giri 2008, S. 289) Giri, Saroj: Taking the bait: Maoists and the democratic lure in Nepal. In: Journal of Contemporary Asia Bd. 38 (2008), Nr. 2, S. 277-299. Konfrontiert mit einem Misstrauensantrag in der Versammlung, wurde Prachanda zum Rücktritt gezwungen und seine Regierung wurde bald durch eine UML-geführte Koalition ersetzt.

Nepalesische Herrscher erwägen die „Suharto Option“

Die „Flexibilität“ der VKPN(M) verschaffte der nepalesischen herrschenden Klasse einen sehr billigen Sieg. Die „Volkskomitees“ und „Volksgerichte“ wurden nicht nur weitgehend liquidiert und die VBA demobilisiert, sondern die Grundherren erhielten auch ihr Eigentum zurück. Der wichtigste Dienst der VKPN(M) bestand jedoch darin, die wankende kapitalistische Gesellschaftsordnung in einer Zeit von Volksaufruhr und akuter revolutionärer Möglichkeit durch die Legitimierung eines Imagewechsels der bürgerlichen Demokratie zu stabilisieren. Nachdem sich ihre Nützlichkeit für die Eliten erschöpft hatte, wurden die Maoisten wie eine „ausgequetschte Zitrone“ weg geworfen.

Trotz dieser traurigen Bilanz, bleibt die VKPN(M) eine mächtige Kraft in Nepal. Seit Mai 2009 haben sich Hunderttausende Menschen an einer Reihe nationaler Demonstrationen beteiligt, in denen sie „zivile Oberhoheit“ über die Armee verlangten. In den Gebieten, in denen die Maoisten Einfluss haben, wurden die „Volkskomitees“ reaktiviert und Landbesetzungen wurden wieder aufgenommen. Ende November 2009 koordinierte die Partei einen Umzug von Tausenden landloser Hausbesetzer auf einen Landstrich im äußersten Westen des Landes. Die Regierung antwortete mit der Entsendung von Polizei, die das Lager räumte, 1.500 Hütten nieder brannte und vier Hausbesetzer tötete. Die Maoisten konterten mit einem eintägigen Generalstreik am 6. Dezember 2009, der Geschäfte, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel in der Hauptstadt dicht machte.

Die maoistische Führung ist sich bewusst, dass sie weiterhin militante Aktionen organisieren muss, wenn sie ihre Basis behalten und ihre Autorität steigern will. Sie spürt etwas Druck von links durch die „wirkliche“ KPN(M) von Matrika Yadav, der es gelungen ist, eine erhebliche Anzahl unzufriedener maoistischer Kader mit radikaler Rhetorik und kühnen Landbesetzungen im Terai für sich zu gewinnen.

Die Ereignisse vom Mai 2009 scheinen Elemente des linken Flügels in der VKPN(M) gestärkt zu haben, die argumentiert hatten, sich schneller auf die Errichtung einer „Föderalen Demokratischen Nationalen Volksrepublik“ zuzubewegen (konzipiert als „Neue Demokratie“), im Gegensatz zu Bhattarais Politik der „Konsolidierung“ der „Föderalen Demokratischen Republik“. Im Anschluss an das Mai-Debakel, versuchte Bhattarai sich von seiner früheren Auffassung einer langwierigen „Unteretappe“ der bürgerlichen Herrschaft zu distanzieren:

“Wir wussten, dass die bürgerlichen Kräfte, nach der Abschaffung der Monarchie, versuchen würden, sich zur Wehr zu setzen, und unser Hauptwiderspruch würde gegenüber den bürgerlich-demokratischen Parteien bestehen ….

Nach dem April 2009 … waren die Phase der Verfassunggebenden Versammlung und die Umsetzung der bürgerlich-demokratischen Republik mehr oder weniger abgeschlossen. Nach unserem Verständnis muss nun der Kampf für die Vollendung der neudemokratischen Revolution fortgeführt werden.”
WPRM 2009 [Eig. Übers.]World People’s Resistance Movement (Britain):
Nepal: Interview with Comrade Baburam Bhattarai. (2009-10-26).

Dieses erneute Bekenntnis zu einer „neudemokratischen Revolution“ stellt keinen Bruch mit der fatalen Logik der Zwei-Etappen-Theorie dar und öffnet so die Tür zu einer weiteren Runde der Klassenkollaboration. Die militanten Straßendemonstrationen der Maoisten dienen in erster Linie als Druckmittel gegen die anderen im Parlament vertretenen Parteien. Im Oktober 2009 unterbrach die VKPN(M) ihren Boykott der Verfassunggebenden Versammlung, um den Haushalt der von der UML geführten Regierung zu unterstützen. Zwei Monate später gab sie bekannt, dass der „Hauptwiderspruch“ sich verschoben hatte:

“Gemäß dem Beschluss des ZK [Zentralkomitee] der Partei, hat sich der Widerspruch geändert. Die Frage der Nationalität stand im Zentrum und es wurde beschlossen, dass der Hauptwiderspruch zwischen der Ein­mischung des Imperialismus (besonders des indischen Expansionismus) durch die Marionetten und Überreste des Feudalismus und dem nepalesischen Volk besteht.”
Red Star Fortnightly 2010 [Eig.Übers.]Red Star Fortnightly: UCPN-Maoist develops a new Tactical-Line, (2010-01-06).

Dies ebnet den Weg für eine weitere „antiimperialistische“ Verknüpfung mit der „patriotischen“ Bourgeoisie, während zu einer gefährlich selbstgefälligen Haltung gegenüber der Armee als Garant für die „nationale Unabhängigkeit“ ermutigt wird. Vom maoistischen Führer Lila Mani Pokharel, der die Illusionen Aidits in das indonesische Militär im Jahr 1965 wie ein Echo wiederholte, wird berichtet, dass er behauptete, die Armee würde bei allen Kraftproben auf Seiten der Maoisten stehen:

“Die nepalesische Armee hat eine klare Vorstellung davon, wer die Verräter waren und wer die wirklichen Nationalisten …. Ungleiche Verträge und ungleiche Beziehungen mit Indien sollten die wichtigste Sorge der jungen Bevölkerung sein und sie sollte verpflichtet bleiben, Nepals nationale Unabhängigkeit zu sichern.”
TelegraphNepal 2009b [Eig.Übers.]TelegraphNepal.com: Nepal Army may support Maoist’s next revolt: Pokharel. (2009-12-28).

Diese Kombination von Volksmobilisierung und Wahnvorstellungen in Bezug auf den kapitalistischen Repressionsapparat wird sich wahrscheinlich als fatal erweisen. Zum ersten Mal seit 2005 hat Indien die Militärhilfe für Nepal wieder aufgenommen und ermutigt offen die Regierung förmlich auf alle Pläne zur Integration der VBA zu verzichten. Bis heute hat sich nichts geändert, die VKPN(M) drängt darauf, dass alle ihre Kämpfer aufgenommen werden sollen, die Armee ist dagegen, irgendeinen von ihnen zu akzeptieren und die Vereinten Nationen (die Quartiere überwachen, in denen die VBA schmachtet) haben eine partielle Integration vorgeschlagen.

Die Armee bemüht sich, dass Beschränkungen für Waffenimporte durch das Friedensabkommen von 2006 aufgehoben werden. Sie interveniert auch aktiv in die Innenpolitik mit langatmigen politischen Dokumenten, die zu einer Volksabstimmung über Säkularismus und Föderalismus aufrufen und Nepals ersten Monarchen, König Prithvingrayan Shah, als Symbol nationaler Einheit hochhalten. Es gibt klare Anzeichen dafür, dass Vorbereitungen für eine Offensive gegen die Maoisten begonnen haben:

“Stete Beachtung der Formalitäten des CPA [Comprehensive Peace Agreement (Umfassendes Friedensabkommen [Eig. Übers.]] ist bei weitem nicht gewährleistet. Generäle haben ihren Wunsch nach einem entscheidenden „Friss oder stirb“-Angriff auf die Maoisten nicht verborgen. Sie haben zunehmend argumentiert, dass der Stillstand im Aufstand ausschließlich externen Faktoren zuzuschreiben sei und nicht der mangelnden Kapazität als Armee: [König] Gyanendra ließ sie im Stich mit seiner tollkühnen und unterentwickelten politischen Strategie, internationale Geldgeber froren ihre Unterstützung ein, als sie am dringendsten benötigt wurde. Die NA [Nepalesische Armee] wurde durch ihre eigene Entschlossenheit, möglichst wenige Opfer zu verursachen, eingeschränkt und die Maoisten als „fehlgeleitete Brüder und Schwestern“ und nicht als militärische Gegner zu behandeln.

Solche Argumente sind bestenfalls dürftig. Sie wurden nicht wegen ihrer Richtigkeit vorgebracht, sondern um verletzten Stolz wiederzugewinnen und, für einige, um das Argument zu unterstützen, dass Nepal eine „Sri Lanka Lösung“ braucht: Ein intensives blutiges Endspiel, in dem Prachanda den Part von Prabhakaran spielen würde, dem verstorbenen Führer der Tamil Tigers. […]

Einige in Indien haben ihre Bereitschaft publik gemacht, eine Herrschaft der Armee gegen maoistische Verankerung oder Unordnung hinzunehmen.”
ICG 2009b, S. 16f [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal’s Future: In Whose Hands?. Asia report. Bd. 173. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2009. 53 S.

Im Dezember 2009 regte Nepals Botschafter in den USA, Sukhdev Shah, bedrohlich an, dass die Liquidation der PKI 1965 und die blutigen rechtsextremen Militärdiktaturen in Chile und Südkorea die nepalesische Bourgeoisie mit einem Modell für eine mögliche „letzte Option“ versorgen :

“Es wäre ein großes Risiko eine Wette darauf abzuschließen, wie sich die Ereignisse in den kommenden Monaten und Jahren entfalten werden, aber die gegenwärtigen Katz-und-Maus-Spiele von politischen Parteien und Maoisten werden den Konflikt wahrscheinlich für eine entscheidende Kraftprobe in den Blickpunkt rücken. Wenn dies passiert, wird [die] Armee eine größere Chance haben, den Sieg zu beanspruchen, unter der Voraussetzung, dass der Konflikt vor allem die Führung an der Spitze betrifft. Ein weiterer großer Unsicherheitsfaktor ist es, ob Nepal das Glück haben wird, dass einige starke Männer, wie Koreas Park Chung-He, Chiles Pinochet oder Indonesiens Suharto, die Gelegenheit wahrnehmen, um die Herausforderung der Unterdrückung Andersdenkender anzunehmen und die Mobilisierung der Staatsmaschinerie auf eine einzige Mission zu fokussieren: Den Aufbau einer starken und wohlhabenden Nation.

Angesichts so vieler Optionen, die über so viele Jahre ausprobiert wurden, um die Armut zu beseitigen und auf den fahrenden Zug von Wachstum, Wohlstand und Chancen zu springen, mag gerade diese letzte Option eine Chance auf Erfolg haben.”
Shah 2009 [Eig. Übers.]Shah, Sukhdev: Getting out of the quagmire. (2009-12-20)- myrepublica.com – News in Nepal.

Während Nepals herrschende Klasse klar erkennt, dass es einen fundamentalen Gegensatz zwischen den Interessen der Ausbeuter und denen ihrer Opfer gibt, verfolgen die Maoisten weiterhin die gleiche Strategie, die sich für die PKI als fatal erwies.