TB Nr.3: III. Maoistische Metaphysik: Das „Neue Demokratie“-Rätsel
Die dramatischen Entwicklungen in Nepal haben international erhebliche Diskussionen zwischen Maoisten ausgelöst, vor allem innerhalb der Revolutionary Internationalist Movement (RIM), die 1984 von 20 maoistischen Organisationen aus der ganzen Welt, einschließlich der KPN(M), gegründet wurde. Die RIM stellte den ersten ernsthaften Versuch zur Bildung einer stalinistischen „Internationale“, seit der Auflösung der Komintern 1943, dar. Es ist jedoch keine zentrale Organisation, sondern eher ein Bund unterschiedlicher nationaler Gruppen, die nur durch die gemeinsame Identifikation mit „Marxismus-Leninismus-Maoismus“ und eine Zeitschrift (A World To Win [Eine Welt zu gewinnen]) geeint sind. Einige Mitgliedsorganisationen der RIM verteidigten die VKPN(M) kritiklos bei jedem Schritt, indem sie ihre Fehler und Zickzacks als geschickte Taktik darstellten. Die in Quebec ansässige Parti communiste révolutionnaire weist z. B. Kritik an den nepalesischen Maoisten einfach zurück:
“Wir haben unsererseits nie gezögert, die Revolution in Nepal zu unterstützen. Und wir werden dies auch weiterhin tun, sehr deutlich und mit all dem Enthusiasmus, den die Möglichkeit eines kommunistischen Sieges inspirieren sollte. Die Revolutionäre in Nepal benötigen sicherlich keinen Crash-Kurs über das marxistische Staatsverständnis, sie brauchen keine Predigten, sondern Revolutionen.”
— Smith 2009 [Eig. Übers.]Smith, Eric: ‘Nepal: The People’s Revolution is Moving Forward. The Red Flag. (2009-12).
Eine Gruppe ehemaliger Anhänger von Bob Avakians Revolutionary Communist Party, USA (RCP), die die „Kasama“-Website (kasamaproject.org/) betreiben, teilen diese Ansicht:
“Wenn man Revolution macht, gibt es keine Garantien und keinen verbotenen Weg zur Macht. Es gibt nicht nur zwei Modelle (wie manche behaupten). Oder um es anders auszudrücken: Wenn das Proletariat an diesem Punkt in der Geschichte zwanzig Revolutionen gemacht hätte, gäbe es offensichtlich etwa zwanzig „Modelle“, das bedeutet, wir könnten realisieren, dass es keine festen Modelle gibt.”
— Connors 2009 [Eig. Übers.]Connors, J. B.: Learning from the Maobadi. Kasama:Newsflash from the Malabar Front! (2009 03 30)
Seit fast einem Jahrzehnt verkaufte die RCP atemlos die Heldentaten ihrer nepalesischen Genossen, unter besonderer Hervorhebung der begeisterten Meldungen, die von Li Onesto geschickt wurden, einem RCP-Unterstützer, der zum ersten „ausländischen Journalisten“ wurde, der aus den Guerillazonen berichtete. Als die KPN(M) entschied, der bürgerlichen Regierung im Anschluss an die Kraftprobe vom April 2006 beizutreten, versickerte die Flut der Berichterstattung der RCP zu einem Rinnsal. Anfang 2009 veröffentlichte die RCP einen Briefwechsel mit der KPN(M), der bis zum Oktober 2005 zurückging. Die RCP beschwor in der Erläuterung ihrer Entscheidung, mit dem Disput an die Öffentlichkeit zu gehen, feierlich „marxistische Prinzipien“ und „internationalistische“ Pflichten, aber es scheint, dass der größte Faktor der mangelnde Respekt seitens der VKPN(M) für die tiefgründige Weisheit des Vorsitzenden der RCP Bob Avakian war:
“Gerade als wir uns entschieden hatten, dass nun der Weg [an die Öffentlichkeit zu gehen] richtig ist, erschien ein Artikel von Roshan Kissoon in englischer Sprache in eurer Zeitschrift Red Star (Nr. 21), in dem es eine offene Ablehnung des gesamten Marxismus gibt, beginnend mit Marx selbst, eine offene Ablehnung der gesamten Erfahrung der proletarischen Revolution bis zu diesem Punkt und eine offene Proklamation, dass die Revolution in Nepal nicht mehr tun kann, als einen modernen kapitalistischen Staat aufzubauen, während die Frage des Kampfes für den Sozialismus und Kommunismus zukünftigen Generationen überlassen wird.
Als Teil der antikommunistischen Hetzrede in Red Star Nr. 21, entfaltet Kissoon einen bösartigen und gewissenlosen Angriff und eine persönliche Verleumdung gegen den Führer unserer Partei, Vorsitzenden Bob Avakian, was verwerflich und inakzeptabel ist.”
— RCP 2009, S. 2 [Eig. Übers.]Revolutionary Communist Party USA: On Developments in Nepal and the Stakes for the Communist Movement: Letters to the Communist Party of Nepal (Maoist) from the Revolutionary Communist Party, USA, 2005-2008 (With a Reply from the CPN(M), 2006). In: Revolution: Voice of the Revolutionary Communist Party, USA(2009), Nr. 160.
Kissoon war offenbar von der hausgemachten „neuen Synthese“ des Vorsitzenden Bob unbeeindruckt und bemerkte unhöflich, dass
“niemand außerhalb der RCP USA tatsächlich diesen Unsinn glaubt, und die RCP USA ähnelt eher einem seltsamen Kult als einer wirklichen kommunistischen Partei. Bodenkontrolle an den Vorsitzenden Bob …”
— Kissoon 2009 [Eig. Übers.]Kissoon, Roshan: Negation of the Negation. In: The Red Star (Nepal’s National Magazine) Bd. 2 (2009), Nr. 1, S. 5+7
Der VKPN(M) war offenbar entgangen, dass sich Bob Avakian zufolge,
“Maoismus heute ohne Bob Avakians neue Synthese in sein Gegenteil verwandeln wird. Anstatt den Sprung nach vorn anzutreten, der erforderlich ist, wird es ein Rückzug nach hinten sein, der früher oder später, und vielleicht nicht so viel später, in offener Opposition zum revolutionären Kommunismus enden wird.”
— Avakian 2009 [Eig. Übers.]Avakian, Bob: Ruminations and Wranglings: On the Importance of Marxist Materialism, Communism as a Science, Meaningful Revolutionary Work, and a Life with Meaning. In: Revolution: Voice of the Revolutionary Communist Party (2009), Nr. 162
Kissoon hat nicht ganz unrecht in Bezug auf die RCP und dessen väterlichen Führer, ebenso wie die RCP dafür plädiert, dass die Politik der VKPN(M) in „einer offenen Ablehnung des gesamten Marxismus, beginnend mit Marx selbst“ münde. (Natürlich könnte dasselbe von Mao Zedongs Billigung des Kniefalls der PKI vor Sukarno gesagt werden, aber es ist unwahrscheinlich, dass die RCP so weit gehen wird.)
Die Kritik der Avakianiten an den Zugeständnissen der nepalesischen Maoisten, ist ziemlich scharf:
“Die Organe der Volksmacht, aufgebaut auf dem Lande von Nepal durch den revolutionären Krieg, wurden aufgelöst, die alten Polizeikräfte wurden zurückgebracht, die Volksbefreiungsarmee (VBA), obwohl nie auf dem Schlachtfeld geschlagen, wurde entwaffnet und auf ihre „Quartiere“ beschränkt, während es der alten reaktionären Armee (früher Royal Nepal Army, jetzt umbenannt in Nepal Army), die zuvor fürchtete, ihre Kasernen zu verlassen, außer in großen schwer bewaffneten Konvois, jetzt frei steht, im ganzen Land zu patrouillieren – mit dem Segen eines Verteidigungsministers der KPN(M).”
— RCP 2009, S. 4 [Eig. Übers.]Revolutionary Communist Party USA: On Developments in Nepal and the Stakes for the Communist Movement: Letters to the Communist Party of Nepal (Maoist) from the Revolutionary Communist Party, USA, 2005-2008 (With a Reply from the CPN(M), 2006). In: Revolution: Voice of the Revolutionary Communist Party, USA(2009), Nr. 160.
Die RCP führt den Ursprung des Problems auf Bhattarais „New State“-Artikel vom Oktober 2005 zurück, in dem die Idee der Hinzufügung einer „Unteretappe“ der bürgerlichen Demokratie ursprünglich vorgeschlagen wurde. In einem Brief vom 4. November 2008 (RCP 2009, S. 5 [Eig. Übers.]) prangerte die RCP dies als Abweichung an, die die Tür für „erstaunliche theoretische Aussagen öffnete … wie die ‚gemeinsame Diktatur des Proletariats und der Bourgeoisie‘“. Die RCP ist sich der katastrophalen Erfahrungen mit der Zwei-Etappen-Revolution in Iran, Irak, Indonesien und Chile und über den Kontrast mit dem Erfolg von 1917 bewusst:
“Lenins Linie war klar, es war nicht die Aufgabe der Revolution, eine bürgerliche Republik zu konsolidieren, sondern zu kämpfen, um den bürgerlichen Staatsapparat zu „zerschlagen“ und einen völlig anderen Typ Staat zu etablieren. Und dies ist natürlich genau das, was er getan hat.”
— RCP 2009, S. 7 [Eig. Übers.]Revolutionary Communist Party USA: On Developments in Nepal and the Stakes for the Communist Movement: Letters to the Communist Party of Nepal (Maoist) from the Revolutionary Communist Party, USA, 2005-2008 (With a Reply from the CPN(M), 2006). In: Revolution: Voice of the Revolutionary Communist Party, USA(2009), Nr. 160.
Wohl wahr, aber was ist mit dem Konzept der Neuen Demokratie, die den Rahmen für die Klassenkollaboration der KPN(M) lieferte? Immerhin befürwortete Bhattarai ausdrücklich ein „Mehrparteiensystem“ vor dem „Neuer Staat“-Artikel von 2005 ohne Einwände von Seiten der RCP. Doch Lenins Politik bestand in unnachgiebiger Opposition gegenüber allen Flügeln der herrschenden Klasse. Die zentrale Aussage in Staat und Revolution lautet, dass es keinen Mittelweg zwischen der Diktatur des Proletariats und der Diktatur der Bourgeoisie geben kann. In einem verworrenen Versuch, Lenin mit Mao in Einklang zu bringen, argumentiert die RCP, dass Neue Demokratie nur eine Form der Diktatur des Proletariats sei:
“Neue Demokratie erfordert eine gemeinsame Diktatur der revolutionären Klassen unter der Führung des Proletariats und seiner Vorhut, das heißt, eine spezifische Form der Diktatur des Proletariats, passend zur Etappe der demokratischen Revolution. Während das System der neuen Demokratie die Interessen der nationalen Bourgeoisie anerkennt und schützt, richtet sie sich als Feind gegen den kapitalistischen Sektor der Kompradoren und Bürokraten, der letztlich die dominante Form des Kapitalismus in Nepal ist.”
— RCP 2009, S. 3 [Eig. Übers.]Revolutionary Communist Party USA: On Developments in Nepal and the Stakes for the Communist Movement: Letters to the Communist Party of Nepal (Maoist) from the Revolutionary Communist Party, USA, 2005-2008 (With a Reply from the CPN(M), 2006). In: Revolution: Voice of the Revolutionary Communist Party, USA(2009), Nr. 160.
So glaubt die RCP, dass antagonistische soziale Klassen bei der Errichtung einer „gemeinsamen Diktatur“ zusammenarbeiten können, weil dieses klassenübergreifende Regime unter „proletarischer“ Führung irgendwie eine Form der Diktatur des Proletariats konstituieren würde.
Diese geisttötende Metaphysik soll zeigen, dass die Theorie der Neuen Demokratie durch die Erfahrungen der chinesischen Revolution von 1949 bestätigt wurde. Wenn die Indonesier es falsch verstanden, verstanden zumindest die Chinesen es richtig. In der Tat gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Erfahrungen: Im Gegensatz zu den indonesischen (und irakischen, iranischen, etc.) Kommunisten führte Maos KPCh eine soziale Revolution durch, die zur Enteignung sowohl des ausländischen und des inländischen Kapitals führte. Aber das war es in der Tat nicht, was Mao im Programm „Neue Demokratie“ vorgestellt hatte, und der endgültige Sieg der KPCh bewies nicht die Lebensfähigkeit, sondern die Unmöglichkeit, einer „gemeinsamen Diktatur“.
Neue Demokratie: Chinesische Volksfront
„Neue Demokratie“ war die chinesische Version der „Volksfront“strategie, die offiziell auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 angenommen wurde – ein panischer Versuch der stalinistischen Bürokratie kapitalistische Verbündete zu organisieren, um der wachsenden Gefahr seitens Nazi-Deutschlands zu begegnen. Nach dem „Langen Marsch“ der KPCh von seinem ländlichen „Jiangxi-Sowjet“ im Südosten Chinas bis zu den isolierten Höhlen und Bergen rund um Yan’an, im der nordwestlichen Provinz Shaanxi, wurde es immer deutlicher, dass der japanische Imperialismus sich vorbereitete, in das nordöstliche China einzumarschieren. Die KPCh reagierte mit dem Versuch, eine zweite „Einheitsfront“ mit der Kuomintang zu errichten. Die Kommunisten hatten bereits deutlich ihr Agrarprogramm abgeschwächt, indem sie eine Politik der Sicherung des Eigentums der reichen und mittleren Bauern annahmen, sowie das Land „aller antijapanischen Soldaten“ (eine Kategorie, die sogar große Grundherren mit einem Sohn in der Roten Armee einschließen konnte). Die Kuomintang reagierte mit mehreren Vorbedingungen, die die KPCh im Februar 1937 akzeptierte. Dies schloss die Eingliederung der „Sowjet“regierung in die Republik China der Kuomintang und die Aufnahme der Roten Armee in die Nationalrevolutionäre Armee ein, die Beendigung von Landbeschlagnahmungen und die Einführung eines „durch und durch demokratischen Systems basierend auf allgemeinem Wahlrecht“. Chiang Kai-shek war nie besonders bedacht auf das „allgemeine Wahlrecht“ in den von der Kuomintang kontrollierten Gebieten, aber er wollte es unbedingt im Gebiet der KPCh einführen, um für reiche Bauern und Grundherren einen Vorteil zu erringen. Die Bedeutung dieser Wendung war den bäuerlichen Unterstützern der KPCh nicht entgangen:
“Angst vor und Feindseligkeit gegenüber der Zweiten Einheitsfront waren tendenziell dort am stärksten, wo die Landrevolution am erfolgreichsten war, wo also die Rückkehr der alten Eliten die neue wirtschaftliche und politische Ordnung bedrohte und wo die Bauern schon eine revolutionäre politische Vision begrüßten. Die Partei rief jene auf, die sie in die Erhebungen auf dem Lande geführt hatte, vor allem arme Bauern und Tagelöhner, Zugeständnisse im Sowjet-Gebiet im Interesse der antijapanischen nationalen Einheit zu akzeptieren und als Gegenleistung Arbeitern und Bauern in anderen Teilen Chinas zu ermöglichen, Freiheiten zu erringen, einschließlich des Wahlrechts. Dies waren eher abstrakte Vorschläge, die einer bäuerlichen Bevölkerung überbracht wurden, die nicht selbst die Härte japanischer Angriffe erlebt hatte, aber die Unterdrückung durch Grundbesitzer und Kriegsherr vor dem Hochgefühl der Landrevolution kannten.”
— Selden 1971, S. 130 [Eig. Übers.]Selden, Mark: The Yenan way in revolutionary China / Harvard East Asian series / East Asian Research Center at Harvard University. Cambridge, Mass. : Harvard Univ. Press, 1971
Dies war der Kontext für die Einführung des Begriffs „Neue Demokratie“ als Bezeichnung für das System, das in den Basisgebieten der KPCh nach den Wahlen im Mai 1937 eingeführt wurde.
Obwohl die Rote Armee offiziell als „Achte Route-Armee“ bezeichnet wurde und nominell unter die Kontrolle des Kuomintang-Militärausschusses gestellt wurde, operierte sie weiterhin unabhängig. Die Basisgebiete blieben ebenso autonom gegenüber der Zentralregierung. Eine Reihe von Zusammenstößen mit der Kuomintang 1938/39 zwang die KPCh, ihr Engagement für die „Einheitsfront“ durch die formale Einführung des „Drei-Drittel“-Systems zu bekräftigen. Während dieser Zeit schrieb Mao eine Reihe von Artikeln, in denen er seine Strategie der Klassenkollaboration ausarbeitete. Zu den wichtigsten dieser Texte zählen „Die chinesische Revolution und die Kommunistische Partei Chinas“ (Dezember 1939), „Über Neue Demokratie“ (Januar 1940) und, etwas später, „Über die Koalitionsregierung“ (April 1945). Diese Arbeiten sind westlichen Maoisten vor allem durch die gesäuberten fremdsprachigen Versionen bekannt, veröffentlicht als Ausgewählte Werke von Mao Tse-tung. Stuart Schram, der führende Anthologe von Maos Schriften in der englischsprachigen Welt, stellte im Jahr 1969 fest:
“Die Ausgewählten Werke, die seit dem Jahre 1951 in Peking herausgegeben und in mehrere Sprachen übersetzt wurden, enthalten nur etwa die Hälfte der Schriften, die Mao im Lauf der letzten fünfzig Jahre verfaßt hat […]. Hinzu kommt, daß an diesen Texten so zahlreiche und tiefgreifende Veränderungen vorgenommen wurden, daß man von keinem einzigen Satz annehmen kann, daß er wirklich mit dem identisch ist, was Mao schrieb, wenn man ihn nicht mit der Originalfassung verglichen hat.”
— Schram 1972, S. 129Schram, Stuart R.: Das Mao-System : die Schriften von Mao Tse-Tung ; Analyse und Entwicklung / Stuart R. Schram. [Aus dem Engl. übers. von Karl Held]. München : Hanser, 1972, 408 S. – Originaltitel: The political thought of Mao Tse-tung.
Zum Beispiel lässt die Version von „Die Rolle der Kommunistischen Partei Chinas im Nationalen Krieg“ (Oktober 1938) in den Ausgewählten Werken den folgenden Lobgesang auf die Kuomintang aus:
“…Die Kuomintang und die Kommunistische Partei bilden die Grundlage der antijapanischen Einheitsfront, doch nimmt unter diesen beiden Organisationen die Kuomintang die erste Stelle ein. Ohne die Kuomintang wäre es unmöglich, den Widerstandskrieg führen und fortsetzen zu wollen. Im Laufe ihrer ruhmvollen Geschichte war die Kuomintang verantwortlich für den Sturz der Ch’ing, die Errichtung der Republik, den Widerstand gegen Yüan Shih-k’ai; für die Durchführung der Drei Politiken der Vereinigung mit Rußland, der kommunistischen Partei und den Arbeitern und Bauern, sowie für die große Revolution von 1926-27.[…]
In der Führung des antijapanischen Krieges und in der Organisierung der antijapanischen Einheitsfront hat die Kuomintang die Rolle des Führers und Rahmens inne… Wenn sie den Widerstandskrieg und die Einheitsfront bis zum Ende unterstützt, dann kann man der Kuomintang eine strahlende Zukunft verheißen…”
— Schram 1972, S. 199fSchram, Stuart R.: Das Mao-System : die Schriften von Mao Tse-Tung ; Analyse und Entwicklung / Stuart R. Schram. [Aus dem Engl. übers. von Karl Held]. München : Hanser, 1972, 408 S. – Originaltitel: The political thought of Mao Tse-tung.
Maos theoretische Aussagen über „Neue Demokratie“ erfahren eine ähnliche Revision. Laut Schram liest sich die ursprüngliche Definition von „Neue Demokratie“ in „Die chinesische Revolution und die Kommunistische Partei Chinas“ so:
“Die neudemokratische Revolution ist eine antiimperialistische, antifeudale Revolution der Volksmassen unter der Führung des Proletariats. Es ist eine Revolution der Einheitsfront verschiedener revolutionärer Klassen [Dieser Satz fehlt in der deutschen Übersetzung]. Nur über diese Revolution kann die chinesische Gesellschaft zur sozialistischen Revolution [Fußnote in der englischen Fassung: 1951 in „sozialistische Gesellschaft“ geändert] fortschreiten [Fußnote in der deutschen Übersetzung: In der Fassung von 1951 ist diese Stelle wie folgt verändert: „Nur über diese Revolution kann sich die chinesische Gesellschaft zum Sozialismus weiterentwickeln.“] Einen anderen Weg gibt es nicht.
Eine solche neudemokratische Revolution unterscheidet sich scharf von den demokratischen Revolutionen, wie sie in den Ländern Europas und Amerikas vor sich gegangen sind, da sie nicht die Diktatur der Bourgeoisie, sondern die Diktatur der Einheitsfront aller revolutionären Klassen [Fußnote in der deutschen Übersetzung: 1951 fügte Mao hier ein: „unter Führung des Proletariats“] schafft. Die antijapanische demokratische politische Macht, die im Verlauf des Widerstandskrieges gegen die japanische Aggression geschaffen werden sollte [Fußnote in der deutschen Übersetzung: In der Fassung von 1951: „…die im Verlauf des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression in den von der Kommunistischen Partei geleiteten antijapanischen Stützpunktgebieten geschaffen wurde“.], ist die politische Macht der antijapanischen nationalen Einheitsfront. Das ist weder die Ein-Klassen-Diktatur der Bourgeoisie noch die Ein-Klassen-Diktatur des Proletariats, sondern eine gemeinsame Diktatur mehrerer Parteien, die der antijapanischen [Nationalen (dieses Wort fehlt in der deutschen Übersetzung)] Einheitsfront angehören [Fußnote in der deutschen Übersetzung: 1951 fehlt der Terminus der „Ein-Klassen-Diktatur“; die neue Demokratie wird definiert als „die gemeinsame Diktatur mehrerer revolutionärer Klassen unter Führung des Proletariats“]. Zur Teilnahme an der Ausübung dieser Macht ist jeder – welcher Partei oder Gruppe er auch angehören mag – berechtigt, sofern er den Widerstandskrieg gegen die japanischen Eindringlinge unterstützt und für die Demokratie eintritt.”
— Schram 1972, S. 202Schram, Stuart R.: Das Mao-System : die Schriften von Mao Tse-Tung ; Analyse und Entwicklung / Stuart R. Schram. [Aus dem Engl. übers. von Karl Held]. München : Hanser, 1972, 408 S. – Originaltitel: The political thought of Mao Tse-tung.
Mao bestritt nicht nur ausdrücklich, dass die „gemeinsame Diktatur“, in der Vorstellung einer „neudemokratischen Revolution“, eine Form der Diktatur des Proletariats wäre, er spielte auch die „Führungs“rolle sowohl der KPCh als auch des Proletariats herunter. Es ist klar, dass Mao in den frühen 1940er Jahren erwartete, dass sich die KPCh an einer Art „demokratischem Regime“ neben der Kuomintang als Vertreter der „revolutionären Klassen“ beteiligen würde. Die Ähnlichkeit mit Bhattarais „demokratischer“ Unteretappe ist unverkennbar.
Schram zeigt ebenso, dass die Version von „Über die Koalitionsregierung“ in den Ausgewählten Werken post-facto ähnliche Einschlüsse der Phrasen „geführt von der Kommunistischen Partei“ und „unter der Führung des Proletariats“ enthält. Dies war vermutlich konstruiert worden, um die Projektion einer langen Periode kapitalistischer Entwicklung im Dokument anzugleichen:
“Manche verstehen nicht, weshalb die Kommunisten nicht nur keine Furcht vor dem Kapitalismus haben, sondern sogar unter bestimmten Bedingungen seine Entwicklung fördern. Unsere Antwort ist sehr einfach: Wenn an die Stelle der Unterdrückung durch den ausländischen Imperialismus und durch den eigenen Feudalismus eine gewisse Entwicklung des Kapitalismus tritt, so stellt das nicht nur einen Fortschritt, sondern auch einen unvermeidlichen Prozeß dar. Das kommt nicht nur der Bourgeoisie, sondern auch dem Proletariat zugute, und letzterem sogar noch mehr. Es sind der ausländische Imperialismus und der einheimische Feudalismus, die für das heutige China überflüssig sind, aber nicht der eigene Kapitalismus; im Gegenteil, es gibt bei uns zuwenig Kapitalismus.”
— Mao 1969, S. 274Mao, Tse-tung: Über die Koalitionsregierung. In: Ausgewählte Werke / Mao Tse-tung. Bd. 3. Peking : Verl. für fremdspr. Lit., 1969, S. 239-319
Die KPCh hatte mit der Kuomintang über eine Rolle in einem solchen „demokratischen“ kapitalistischen Regime seit 1943 verhandelt. Besonders mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg nach dem Angriff auf Pearl Harbor hatte die Kuomintang mindestens so viel Aufmerksamkeit auf die Beseitigung der Kommunisten wie auf den Kampf gegen die Japaner verwandt. Ein Angriff der Kuomintang auf die Neue Vierte Armee der KPCh im Jahr 1941 ließ rund 3.000 getötete kommunistische Soldaten zurück. Trotz der klaren Absichten der Kuomintang und der amerikanischen Rüstungszusagen in Höhe von bis zu 600 Mio. $ für Chiangs Armeen beteiligte sich die KPCh 1946 an der von US-General George Marshall geförderten Political Consultative Conference [Politische Beratende Konferenz] (PCC). Die Chongqing Konferenz führte zur Einigung über die Bildung einer Koalitionsregierung, je zur Hälfte aus Mitgliedern der Kuomintang und anderer Parteien (einschließlich der KPCh). Es gab auch eine Einigung, militärische Einheiten der KPCh in die nationale Armee zu integrieren, die die USA ausbilden und ausrüsten würde.
Mao war begeistert von diesen Vereinbarungen, die eine ZK-Erklärung im Februar 1946 als „einen großen Sieg für die demokratische Revolution in China feierte. Von nun an hat China die neue Phase des Friedens, der Demokratie und des Wiederaufbaus erreicht“ (Westad 1993, S. 147 [Eig. Übers.])Westad, Odd Arne: Cold war and revolution : Soviet-American rivalry and the origins of the Chinese Civil War, 1944-1946. New York : Columbia University Press, 1993. S. 260. Das Yan’an-Zentrum informierte jedes Parteibüro, dass alle „Parteiaktivitäten dieser neuen Phase angepasst werden müssen,“ und warnte vor „linken“ Abweichungen (Westad 1993, S. 148 [Eig. Übers.])Westad, Odd Arne: Cold war and revolution : Soviet-American rivalry and the origins of the Chinese Civil War, 1944-1946. New York : Columbia University Press, 1993. S. 260. Obwohl Liu Shaoqi später für den „Rechtsopportunismus“ (Westad 1993, S. 149 [Eig. Übers.])Westad, Odd Arne: Cold war and revolution : Soviet-American rivalry and the origins of the Chinese Civil War, 1944-1946. New York : Columbia University Press, 1993. S. 260 dieser Periode die Schuld zugewiesen wurde, war Mao selbst angeblich der eifrigste Verfechter dieser Wendung, von der er erwartete, dass sie eine „neue demokratische Ära“ (Westad 1993, S. 149 [Eig. Übers.])Westad, Odd Arne: Cold war and revolution : Soviet-American rivalry and the origins of the Chinese Civil War, 1944-1946. New York : Columbia University Press, 1993. S. 260 einläuten werde.
Die chinesischen Kommunisten stimmten zu, die politischen Machtinstitutionen in ihren Basisgebieten aufzulösen im Austausch für eine legale Präsenz in den von der Kuomintang kontrollierten Städten, genauso wie es die nepalesischen Maoisten vor kurzem getan haben. In einem Interview mit US-Beobachtern räumte Liu die Möglichkeit eines Doppelspiels der Kuomintang ein, nahm aber an, dass die Wahrscheinlichkeit sinken würde „nachdem in China die Demokratie für einen bestimmten Zeitraum praktiziert worden wäre.“ Liu sagte, der nächste Schritt des Prozesses sei „die Ausarbeitung der Verfassung, durch die ein Parlaments- und Kabinettsystem der Regierung, ähnlich dem der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, angenommen werde (Westad 1993, S. 149 [Eig. Übers.])Westad, Odd Arne: Cold war and revolution : Soviet-American rivalry and the origins of the Chinese Civil War, 1944-1946. New York : Columbia University Press, 1993. S. 260.
Der einzige Grund dafür, dass die KPCh 1946 nicht einer Koalitionsregierung beitrat, lag in der Unnachgiebigkeit ihres möglichen Partners. Gut ausgestattet mit militärischer Hilfe aus den USA revidierte Chiang einseitig die PCC-Vereinbarung und startete eine Offensive in der Mandschurei, die die Kommunisten den Japanern abgenommen hatten. Die KPCh konterte durch Erhöhung des Drucks auf ihre Basisgebiete, die Reorganisation der Volksbefreiungsarmee und erneute Landbesetzungen. Der anschließende Bürgerkrieg wütete drei Jahre, bis die Kuomintang nach Taiwan floh und Mao im Oktober 1949 die Volksrepublik China proklamierte.
Im Juni 1949, als die VBA den Norden kontrollierte und durch die Hochburgen der Kuomintang im Süden fegte, schrieb Mao „Über die demokratische Diktatur des Volkes“, das zu einem klassischen Text im maoistischen Kanon wurde. Im Gegensatz zu den bereits genannten Aufsätzen von 1939, 1940 und 1945, musste er nicht mit Verweisen auf die Führung der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Partei nachgerüstet werden. Alle Versuche, die Ära einer neudemokratischen Allianz mit der nationalen Bourgeoisie einzuläuten, scheiterten, da die chinesischen Kapitalisten Chiang während des Bürgerkriegs überwältigend unterstützt hatten. Als die VBA ihre militärische Kontrolle konsolidierte, deutete Mao Neue Demokratie dahingehend um, dass damit eine „demokratische Koalition“ gemeint sei, die Arbeiterklasse, Bauernschaft, städtisches Kleinbürgertum und nationale Bourgeoisie vereine, aber ohne die Kuomintang und ihre „Komplizen.“ In Maos Konzeption, war dies nicht die Diktatur des Proletariats, sondern einfach die lang erwartete Umsetzung der „gemeinsamen Diktatur.“ Erst 1958, während des verheerenden „Großen Sprungs nach vorn“, ersetzte der Begriff „Diktatur des Proletariats“ den der „Volksdiktatur“ als offizielle Beschreibung des Charakters der Staatsmacht in China (Meisner 1986, S. 253 [Eig. Übers.])Meisner, Maurice J.: Mao’s China : a history of the People’s Republic, The transformation of modern China series. Rev. and expanded ed. Aufl. New York, NY : Free Press, 1986, 534 S..
Die „Neue Demokratie“ war von Anfang an eine komplette Fiktion. Die Großbourgeoisie, die während des Bürgerkriegs Seite für Chiang bezog, floh nach Taiwan, Hongkong oder in den Westen. Die zurückgebliebenen Kapitalisten wurden rückwirkend als „nationale Bourgeoisie“ klassifiziert. Die meisten von ihnen waren ziemlich kleine Fische: Krämer, Kleinunternehmer und Manager von Industrie- und Gewerbebetrieben. Sie hatten wenig Einfluss unter Chiang und noch weniger unter Mao. Der bürgerliche Staat war zerschlagen worden und wurde durch die VBA ersetzt. Mao tat trotzdem so, als ob er eine Neue Demokratie etablieren würde. Im September 1949 wurde unter Beteiligung von 14 kleinen politischen Parteien eine neue „Political Consultative Conference“ einberufen. Elf von 24 Ministerien der neuen Regierung wurden zunächst von Nicht-Kommunisten geleitet. In Wirklichkeit waren diese Parteien der KPCh völlig untergeordnet und spielten keine Rolle bei der Ausrichtung der Politik. Während die KPCh zur Beseitigung der Grundbesitzer auf dem Lande ermutigte, erlaubte sie zunächst einigen Industrie-und Handelsunternehmen in privater Hand zu bleiben, aber 1956 waren auch diese verstaatlicht worden.
Die chinesische Revolution von 1949, produzierte, kurz gesagt, keine Annäherung an die Neue Demokratie, die Mao als eine notwendige historische Etappe geplant hatte. Stattdessen wurde China in eine Gesellschaft transformiert, qualitativ vergleichbar mit der Sowjetunion unter Stalin, mit kollektiviertem Eigentum und zentraler Planung, in der eine kleinbürgerlich-bürokratische Kaste die politische Macht monopolisierte. Die Volksrepublik war daher ein deformierter Arbeiterstaat von Beginn an. Dies bestätigte wieder einmal die grundlegende marxistische These, dass eine „gemeinsame Diktatur“ antagonistischer sozialer Klassen unmöglich ist, die Staatsmacht muss entweder bürgerliche oder proletarische Eigentumsformen verteidigen.
Menschewistische Etappentheorie & Wirtschaftlicher Voluntarismus
Das Programm der „Neuen Demokratie“ geht, wie alle anderen Varianten der stalinistischen Zwei-Etappen-Theorie, davon aus, dass der Kapitalismus potentiell dazu in der Lage ist, als Agentur sozialen Fortschritts, wirtschaftlicher Entwicklung und nationaler Befreiung in halbkolonialen Ländern zu agieren, wenn nur die „nationale Bourgeoisie“ von den Fesseln des Imperialismus befreit werden kann. Aber das ist völlig utopisch und nicht realisierbar. Die Entstehung eines globalen kapitalistischen Marktes, dominiert von einer Handvoll Monopolinhabern, schloss jede Möglichkeit kolonialer und halbkolonialer Länder aus, den Weg der „klassischen“ Entwicklung nachzuvollziehen, der von den fortgeschrittenen Ländern beschritten wurde. Die Suche nach einer progressiven „nationalen Bourgeoisie“ ist nicht nur illusorisch, sondern kann sich, wie der Fall Indonesiens demonstriert, oft als fatal erweisen.
Die „nationale Bourgeoisie“ ist eine Kategorie, die definiert und umdefiniert werden kann, je nach politischer Annehmlichkeit. Als Prachanda im Juni 2008 versprach, „Sonderwirtschaftszonen“ (SWZ) in Nepal einzurichten, reagierte die Kommunistische Partei Indiens (Maoisten) mit beißender Kritik. Die indischen Maoisten haben eine führende Rolle im Kampf gegen Versuche der stalinistisch geführten Linksfrontregierung in Westbengalen eingenommen, Sonderwirtschaftszonen auf ausgedehnten Landstrichen einzurichten, die armen Bauern entrissen wurden. Die Tatsache, dass westbengalische Sonderwirtschaftszonen großen indischen Firmen wie dem Tata Konzern, genauso wie auch ausländischen Unternehmen, Vorteile gebracht haben, brachte die KPI (Maoisten) dazu, indische Industrielle als „Kompradoren“ zu bezeichnen, da ihre Tätigkeit „fester Bestandteil der imperialistischen Globalisierungspolitik“ sei.
Stattdessen schlägt sie vor, dass die Kapitalisten ein „am Menschen orientiertes Modell der Entwicklung“ verfolgen, das
„organisch zum Wachstum in den Lebensbedingungen der Menschen passt, ihren Bedürfnissen dient und aus einer einheimischen Bourgeoisie [hervorgeht] und nicht aus riesigen Unternehmen der TNKs [transnationalen Konzerne] und Kompradoren“
— Rashmi 2007, S. 7 [Eig. Übers.]Rashmi: Displacement under the plea of development : Two models and two paths of development. In: People’s March: Voice of the Indian Revolution Bd. 8 (2007), Nr. 7, S. 4-8
Trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten darüber, wer zur „nationalen Bourgeoisie“ gehört, sind sich KPI (Maoisten) und VKPN(M) einig, dass eine Etappe kapitalistischer Entwicklung notwendig ist, bevor überhaupt von sozialistischer Revolution gesprochen werden kann. Die Tatsache, dass ernsthafte subjektiv revolutionäre Kämpfer sich beharrlich an die Bourgeoisie anpassen, ist eng mit ihrer Akzeptanz des stalinistischen Dogmas vom „Sozialismus in einem Land“ verknüpft. Stalins Formel, die er zunächst als fraktionelle Waffe innerhalb der Führung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion nach Lenins Tod einführte, verwarf stillschweigend das leninistische Verständnis, dass Kapitalismus in der imperialistischen Epoche ein globales System ist, das die sozialen Strukturen der einzelnen Länder miteinander verbindet.
Wenn man mit der Annahme beginnt, dass eine Voraussetzung für die sozialistische Revolution in einem Land wirtschaftliche Autarkie ist, dann folgt daraus logisch die Idee, dass sich rückständige Länder wie Nepal einer Zwischenetappe des „echten“ Kapitalismus unterziehen müssen. Das Konzept der Neuen Demokratie der VKPN(M) fußt auf der Idee, dass Nepal durch den Bruch der Verbindung mit dem Imperialismus (und ihrer inländischen Agenten, den „Kompradoren“), eine moderne kapitalistische Wirtschaft entwickeln könnte und so die materielle Basis für die spätere Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in vollem Umfang in den eigenen Grenzen vorbringen könnte. Die Anpassungen der VKPN(M) an Nepals herrschende Klasse ergeben sich aus dieser falschen Konzeption.
Eine der grundlegenden Lehren des Marxismus ist, dass der Kapitalismus in der imperialistischen Epoche im globalen Maßstab als Bremse auf die Entwicklung der Produktivkräfte wirkt, trotz der Existenz von Technologien, die materiellen Überfluss für alle erreichbar machen. In einem Interview mit der Chicago Tribune beschrieb Marx 1878 den Sozialismus als
„nicht nur ein örtliches, sondern ein internationales Problem, das durch die internationale Aktion der Arbeiter gelöst werden mußte.“
— MEW 1966, S. 511Marx, Karl; Engels, Friedrich: Werke. Bd. 33: Briefe, 1875 – 1880. Berlin : Dietz, 1966, 698 S.
Die RCP, die auf der Verteidigung von Stalins antimarxistischer Auffassung des Sozialismus als einem national isolierten Phänomen besteht, erkennt implizit das Problem, dass die wirtschaftliche Rückständigkeit in Nepal darstellt, rät aber der VKPN(M), es zu „lösen“ wie Mao es in China tat – durch utopischen Idealismus:
“Früher in der Geschichte der chinesischen Revolution, war die Frage klar gestellt, ob es möglich wäre, den Sozialismus in einem rückständigen Land aufzubauen. Tatsächlich basierte Maos ganze These von neuer Demokratie sehr darauf, zu zeigen, wie es möglich wäre, dies zu tun, und natürlich ging er dann dazu in der Praxis über. Im Zuge der Kulturrevolution stellte Mao die Losung auf „Revolution erfassen, Produktion fördern“ und zeigte so richtig, dass die Produktivkräfte der Gesellschaft durch weitere revolutionäre Umgestaltung entfesselt werden können, das genaue Gegenteil des Arguments, dass viele in Nepal vorbringen, dass Entwicklung durch kapitalistische Mittel kommen muss.”
— RCP 2008, S. 14 [Eig. Übers.]Letter from the Revolutionary Communist Party, USA to the Communist Party of Nepal (Maoist). 2008-11-04. In: RCP 2009
Maos wirtschaftlicher Voluntarismus war einfach die Kehrseite seines früheren neudemokratischen Menschewismus, der einen längeren Zeitraum kapitalistischer Entwicklung vorsah, den es nie gab. Um den „Sozialismus“ in einem Land aufzubauen, das wesentlich rückständiger war als das zaristische Russland, entschied sich Mao, die Realität zu leugnen, und erklärte 1956, dass China an der Schwelle der Vollendung des „Übergangs zum Sozialismus“ wäre. Die Kulturrevolution der 1960er Jahre basierte auf der absurden Vorstellung, dass eine vollständig kommunistische Gesellschaft allein durch den revolutionären Willen geschaffen werden könnte, und dass die Mao-Zedong-Ideen alle materiellen Hindernisse überwinden könnten. Die unvermeidliche Erschöpfung, die auf dieses utopische Experiment folgte, bereitete den Boden für die nachfolgende Hinwendung zu marktwirtschaftlichen Reformen unter Deng Xiaoping, dessen Aufstieg, behauptet die RIM fälschlicherweise, die Restauration des Kapitalismus in China markiert.
Bhattarai: Trotzkismus ist „relevanter“ als Stalinismus in Nepal
Trotz ihrer bitteren Erfahrungen damit, Nepals Herrscher zu versöhnen, geben die Führer der VKPN(M) kaum zu erkennen, dass sie ernsthaft die zentralen Lehren der Neuen Demokratie in Frage stellen. Das hat die vorgeblich trotzkistische Internationale Marxistische Tendenz (IMT, assoziiert mit dem verstorbenen Ted Grant) nicht vor ihrer Einschätzung bewahrt, dass die nepalesische maoistische Partei „[die] Rolle von Leo Trotzki erkennt“ (www.marxist.com, 20. Oktober 2009). Die Grundlage für diese Behauptung war ein Artikel von Bhattarai, der in einer nepalesischsprachigen Zeitschrift der VKPN(M) erschien, in dem er, der IMT-Übersetzung zufolge, schrieb:
“Heute ist die Globalisierung des imperialistischen Kapitalismus auf ein Vielfaches angewachsen verglichen mit der Periode der Oktoberrevolution. Die Entwicklung der Informationstechnologie hat die Welt in ein globales Dorf verwandelt. Dies hat jedoch, aufgrund der ungleichen und extremen Entwicklung, die dem kapitalistischen Imperialismus innewohnt, Ungleichheit zwischen den verschiedenen Nationen geschaffen. In diesem Zusammenhang gibt es immer noch (irgendeine) Möglichkeit der Revolution in einem einzigen Land ähnlich der Oktoberrevolution, aber um die Revolution aufrecht zu erhalten, brauchen wir definitiv eine globale oder zumindest eine regionale Welle der Revolution in einer Reihe von Ländern. In diesem Zusammenhang sollten marxistische Revolutionäre im aktuellen Zusammenhang die Tatsache anerkennen, dass Trotzkismus wichtiger geworden ist als der Stalinismus, um die Sache des Proletariats voranzubringen. (The Red Spark, 1 (Juli 2009), S. 10, unsere [IMT] Übersetzung aus dem Nepali).”
— Sanchez & Hulaki 2009 [Eig. Übers.]Sanchez, Pablo; Hulaki, Kamred: Communist Party of Nepal recognises role of Leon Trotsky. Website: In Defence of Marxism (International Marxist Tendency). (2009-10-20).
Falls die Übersetzung korrekt ist, wäre es in der Tat höchst bedeutend, dass Nepals führender maoistischer Theoretiker bereit ist, die Bedeutung der Aspekte der politischen Analyse Trotzkis anzuerkennen. Aber die IMT geht weiter:
“In der Vergangenheit pflegten die nepalesischen Maoisten den „Revisionismus“, der von Chruschtschow, Breschnew und Deng in Russland und China eingeführt wurde, für das Scheitern des Sozialismus verantwortlich zu machen, aber jetzt beschuldigen sie direkt den Stalinismus. Dies ist eine Entwicklung, die wir begrüßen und unterstützen.
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In der Vergangenheit hatte die VKPN(M) die Parteikader ausschließlich auf der Grundlage des Maoismus und Stalinismus ausgebildet, aber die Lehren ihres 10-jährigen bewaffneten Kampfes haben die Richtigkeit der Grundsätze der Permanenten Revolution (wie von Dr. Bhattarai synthetisiert) betont und die maoistisch-stalinistische Theorie der Revolution widerlegt, d. h. die „Revolution in einem Land“ und die „Zwei-Etappen-Theorie“.
Die Zeit ist gekommen für marxistische Internationalisten, den nepalesischen Maoisten eine helfende Hand zu reichen, um die Widersprüche zu lösen, die aus ihren Fehlern in der Vergangenheit entstanden sind, und bei der Entwicklung einer durchführbaren Strategie basierend auf proletarischem Internationalismus zu helfen.”
— IMT 2009 [Eig. Übers.]International Marxist Tendency: Maoists in Nepal looking for new strategic direction. (2009-10-20).
Es gab kein Anzeichen für eine „synthetisierte“ permanente Revolution in den Diskussionen innerhalb der VKPN(M), obwohl ihre Mitglieder eindeutig nicht mit den maoistischen Standarderklärungen zufrieden sind,
“[…] warum die proletarischen Mächte [die Sowjetunion unter Stalin und China unter Mao] sich in ihr Gegenteil verwandelten ohne Blutvergießen, gleich nach dem Ableben oder dem Ergreifen der wichtigsten Führung.”
— KPN(M) 2006, S. 3Letter from the Central Committee, Communist Party of Nepal (Maoist) to the Central Committee, Revolutionary Communist Party, USA. 2006-07-01. In: RCP 2009
Bhattarai, der ursprünglich die Idee einer bürgerlich-demokratischen Unteretappe vor der Neuen Demokratie unterstützte, vertritt weiterhin die Strategie einer „Übergangsphase“ gegen die Befürworter eines schnelleren Vorstoßes für eine „Volksrepublik“. Wir haben keine Beweise gesehen, dass er seine Meinung über die Notwendigkeit einer Periode der kapitalistischen Entwicklung für Nepal und andere neokoloniale Länder geändert hat. Seine Kommentare über den Trotzkismus sind bestenfalls mehrdeutig. Es erscheint wahrscheinlich, dass Bhattarai mit der Erkenntnis der Unmöglichkeit, Nepal ökonomisch durch Ermahnung und Mao-Zedong-Ideen zu verwandeln – und der gleichen Unmöglichkeit Nepals Machthaber zu locken, freiwillig ihre privilegierte Stellung zu liquidieren für eine Art von Neuer Demokratie – zu dem Schluss gekommen ist, dass die sozialistische Revolution in Nepal nicht auf der Tagesordnung steht, außer als Nebenprodukt von Kämpfen anderswo.
Was auch immer der Fall sein mag, die ultraliquidatorische IMT ist kaum qualifiziert Belehrungen über „proletarischen Internationalismus“ zu erteilen, angesichts ihrer langen Geschichte der opportunistischen Förderung verschiedener kleinbürgerlicher Bonapartisten und Konterrevolutionäre wie Polens Lech Wałęsa und Russlands Boris Jelzin (siehe IBT 2008a). Die Versuche der IMT zu behaupten, dass Bhattarai sich in eine Art Kryptotrotzkist verwandelt habe, imponierte einem Anhänger der VKPN(M) nicht, der kommentierte:
“Dies ist nicht (wie die [IMT-]Website bewusst impliziert) eine Rechtfertigung von Trotzkis historischer Rolle oder seiner Kernpositionen, sondern eine provokative Art gegen dogmatische Annahmen und mechanisches Denken zu argumentieren.
Es ist relativ ungewöhnlich für die Anhänger von Mao, Trotzki in dieser Weise zu zitieren (aber unter den Nepalesen hat es schon vorher Bezugnahmen auf Rosa Luxemburg, Che und Trotzki gegeben).
Aber … es ist sicherlich nicht der Fall, dass, wenn „XXX YYY erwähnt, er ein heimlicher YYYist sein muss.“ Ähnlich ist es, wenn Chávez Trotzki erwähnt (wie er es gelegentlich tut), und manche dieser internationalen trotzkistischen Kräfte denken, dass dies bedeuten muss, dass Chávez ein heimlicher Trotzkist ist. Die geistige Schlichtheit dessen spricht für sich.”
— Sims 2009 [Eig. Übers.]Sims, Nando: On Rumors of Nepali Maoists, Trotskyism and Socialism in One Country. (2009-10-22). kasamaproject.org
Der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der behauptet, seine Position als Führer des kapitalistischen Staats zu nutzen, um Venezuela inkrementell in eine sozialistische Gesellschaft zu verwandeln, hat gelegentlich versucht, seiner bürgerlich-nationalistischen Politik mit Verweisen auf die Schriften von Leo Trotzki eine linke Färbung zu geben. Die IMT hat die populistische Demagogie des Anführer der „Bolivarischen Revolution“ als Beweis ausgelegt, dass Venezuela in eine sozialistische Richtung geleitet wird (Siehe IBT 2008b).
Bolschewik-Leninismus: Der einzige Weg
Die Notwendigkeit programmatischer Klarheit und revolutionärer Führung in Nepal wird immer akuter. Indem die VKPN(M) die Massen mobilisiert, zugleich aber politisch unbewaffnet lässt, legt sie ebenso sicher die Grundlage für ein Blutbad, wie es die PKI unter Maos Bevormundung tat. Der wachsenden Gefahr einer endgültigen militärischen „Lösung“ kann nicht durch ein weiteres morsches Bündnis mit einigen Elementen der Parteien der Bosse entgegengewirkt werden. Die Zeit wird knapp:
“Der Refrain von „gib dem Krieg eine Chance“ ist stetig lauter und eindringlicher geworden in den Monaten seit die Maoisten erstmals die Führung der Regierung übernahmen ….
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Das bedeutet, es ist die Priorität für Spielverderber, Umstände zu schaffen, in denen eine Rückkehr zum Konflikt als vernünftige Option erscheint. Hierfür gibt es zahlreiche Möglichkeiten …. Ein Anstoß für „Null-Toleranz“ seitens der Polizei, wie bereits in der Presse propagiert, könnte verwendet werden, um hart gegen die YCL [Young Communist League] durchzugreifen und eine Reaktion zu provozieren. Das Schüren von Unruhe im Terai wäre nicht schwer, angesichts der instabilen politischen Mischung und der Gelegenheit mit vielfältigen Zwistigkeiten zu spielen. Die Erklärung eines Notstands könnte als vernünftiger Schritt vorgeschlagen werden, um Störungen einzudämmen, zumal es dem verzögerten Verfassungsprozess eine sechsmonatige Verlängerung gewähren würde. Der Präsident, dem grünes Licht von Parteien gegeben wurde, die froh sind, dass er gegen die Maoisten eingegriffen hat, könnte zu weiteren Schritten ermutigt werden.”
— ICG 2009b, S. 36f [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal’s Future: In Whose Hands?. Asia report. Bd. 173. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2009. 53 S.
Indem die ICG ein immer häufigeres Thema in Nepals bürgerlichen Medien wiedergibt, hat sie unzufriedene Maoisten herausgefordert, sich zu positionieren oder für immer zu schweigen:
“Wenn maoistische Ideologen Kiran, Gaurav [führende“ linke“ Figuren] und ihre Anhänger wirklich reine Revolutionäre sein wollten, dann sollten sie zurück in den Dschungel gehen, den „Volkskrieg“ wiederaufnehmen und damit aufhören, so zu tun, als seien sie Teil des Prozesses“.”
— ICG 2009b, S. 36f [Eig. Übers.]International Crisis Group: Nepal’s Future: In Whose Hands?. Asia report. Bd. 173. Kathmandu [u.a.] : International Crisis Group, 2009. 53 S.
Um ein Desaster zu vermeiden, müssen nepalesische Revolutionäre sich in der Tat von der Teilnahme an „dem Prozess“ der bürgerlichen Stabilisierung distanzieren und den unruhigen Massen erklären, dass der einzige Weg zur Erfüllung ihrer Bedürfnisse in der Ergreifung der Staatsmacht und der Enteignung der Ausbeuter liegt.
Doch eine Revolution der Arbeiter in Nepal könnte nicht unbegrenzt überdauern, geschweige denn, eine klassenlose Gesellschaft in der Isolation erreichen. Was die Arbeiterklasse braucht, ist eine konsequente internationalistische Perspektive, basierend auf der Erkenntnis, dass jede Revolution sich auf das mächtige indische Proletariat (einschließlich seiner Hunderttausende eingewanderten Nepalesen) ausweiten und versuchen muss, Unterstützung von Arbeitern in der gesamten Region zu mobilisieren und in den imperialistischen Zentren in Japan, Europa und Nordamerika. Den Schlüssel für die Lage bildet das massive chinesische Proletariat. Eine revolutionäre Arbeiterregierung in Nepal würde ihre bedingungslose Verteidigung der überlebenden Errungenschaften der chinesischen Revolution von 1949 deutlich machen und an chinesische Werktätige appellieren, die herrschende stalinistische Bürokratie beiseite zu fegen und ihre eigenen Organe der proletarischen politischen Macht zu gründen.
Der Weg zur Überwindung der tiefen Rückständigkeit Nepals, für ein Ende der sexuellen und ethnischen Unterdrückung und der Verwirklichung einer sozialistischen Zukunft, verläuft über den Kampf für eine sozialistische Föderation von Südasien. Immer wieder haben nepalesische Arbeiter und Bauern außergewöhnlichen revolutionären Eifer gezeigt. Um ihre heroische Energie zu nutzen ist die Überwindung dessen notwendig, was Trotzki die „historische Krise der Führung des Proletariats“ nannte, durch den Aufbau einer bolschewistisch-leninistischen Partei, deren Kader nicht nur Mut, Ausdauer und Opferbereitschaft besitzen, sondern auch die Fähigkeit, die Lehren aus der revolutionären Geschichte zu ziehen und anzuwenden.