Die Linke im Krieg

Eine Abrechnung

Sowohl proletarische als auch kleinbürgerliche Linke – wer während der NATO-Angriffe auf Jugoslawien nicht im Sog von Sozialdemokratie, Grünen und Gewerkschaftsbürokratie Sozialpatriotismus bekundete, rang sich bis auf eine kleine Minderheit bestenfalls zu sozialpazifistischen Positionen durch. Nach unserem Wissen gab es in Deutschland nur eine Demonstration zur militärischen Verteidigung Jugoslawiens gegen die NATO-Angriffe. Diese wurde in der Nähe des europäischen NATO-Hauptquartiers Rheindahlen in Mönchengladbach von der Sozialistischen Aktion, Blockbuster – Jugend gegen Rassismus, der Roten Aktion Duisburg, dem jugoslawischen Verein “Jedinstvo”, dem kurdischen Verein Welate Roi aus Mönchengladbach und der Gruppe Spartakus organisiert (vgl. Bericht “Multinationale Demonstration für Verteidigung Jugoslawiens gegen NATO-Angriffe” in dieser Ausgabe).

Obwohl sie eine der größeren regionalen Demonstrationen gegen die NATO-Angriffe war, blieb sie leider die Ausnahme. Dies war nicht, weil ihre Forderungen im allgemeinen unpopulärer als irgendwelche pazifistischen Parolen wären, sondern weil die meisten linken Organisationen selbst sozialpazifistisch und zum Teil sozialpatriotisch sind. So war auch die Demonstration in Mönchengladbach nur möglich, weil die Sozialistische Aktion, die Rote Aktion und die Gruppe Spartakus die Forderung nach der Verteidigung Jugoslawiens als Grundlage der Aktionseinheit verteidigten gegen die Versuche der grünen Jugend und des Revolutionär-Sozialistischen Bundes (RSB), sie im Namen eines breiten (faktisch nicht-existenten) Friedensbündnisses durch pazifistische Illusionen zu ersetzen.

In Anbetracht des nunmehr offen sozialpatriotischen Kurses der PDS-Führung, imperialistische Interventionen unter dem Deckmantel der UNO nicht mehr grundsätzlich abzulehnen, werden eventuell in Zukunft selbst sozialpazifistische Demonstrationen die Ausnahme werden. Der Sozialpazifismus erweist sich, wie schon bei Friedensbewegung und Grünen, als Durchgangsstation und schiefe Bahn der Linken, auf der nun die PDS der politischen Schwerkraft des imperialistischen Systems folgend zur Vaterlandsverteidigung eilt. Es ist eben deshalb auch kein Zufall, daß seit 1968 aus den SozialpazifistInnen

der Studentenbewegung und der K-Gruppen meist die SozialpatriotInnen in Kriegskabinett, Grünen und SPD geworden sind. Der Antiamerikanismus der Friedensbewegung spielte dabei eine zentrale Rolle für die politische und ideologische Unterordnung der schwarz-rot-goldenen Friedensbewegten unter die deutsche Bourgeoisie und ihr Streben nach mehr imperialistischer Eigenständigkeit. Daß nun ausgerechnet ehemalige PazifistInnen in SPD und Grünen den ersten Krieg für die bundesdeutsche Bourgeoisie führen, ist also nicht verwunderlich und zudem sehr praktisch; können sie doch viel besser als offen konservative PolitikerInnen den Raubkrieg als humanitär-antifaschistische Friedensarbeit verkaufen.

SozialpazifistInnen 1999

Während des NATO-Krieges reichte das sozialpazifistische Spektrum von Teilen der grünen Mitglieder, der Gewerkschaftsbasis, der PDS und JungdemokratInnen bis zu den meisten angeblichen TrotzkistInnen. Nicht selten mischten sich sozialpatriotische Zutaten in den Friedensbrei. Der Krieg unterwirft alle politischen Traditionen, Organisationen und Führungen einem Test, der das völlige Versagen derjenigen offenbart, die schon in Friedenszeiten über kein revolutionäres Programm verfügten, sondern nur über radikale Phrasen. Andererseits bewährt und formt sich unter diesen Bedingungen eine wirklich revolutionäre Führung und Organisation.

Altstalinistische Teile der PDS verteidigten ebenso wie die DKP/Marxistische Blätter das jugoslawische Regime zwar politisch durch Verharmlosung, Beschönigung oder offene Rechtfertigung seiner Politik, aber nicht militärisch. Faktisch bezogen sie eine sozialpazifistische Position. Die Politik des Milosevic-Regimes (Appelle an OSZE etc.) ermöglichte PolitikerInnen aus PDS und DKP die Verbindung der politischen Ehrenrettung der reaktionären, chauvinistischen Regierung in Belgrad mit dem Einknicken vor dem Imperialismus und der Orientierung auf drittrangige imperialistische Institutionen wie OSZE und UNO. Der “Völkerrechtsbruch” der NATO, d.h. deren Handeln ohne UNO-Mandat, war der Kristallisationspunkt dieser Politik (siehe auch Leserbrief in dieser Ausgabe).

Schon im Mai letzten Jahres warnten wir unmißverständlich, daß den PDS-FührerInnen “der Hauptfeind im eigenen Land und seine parlamentarischen Futtertröge näher [sind] als die ArbeiterInnen Jugoslawiens und die internationale Solidarität mit ihnen. Der Nutzen für dieBürokratInnen ist klar, der Schaden für die ArbeiterInnen und Jugendlichen an der Basis der PDS auch: Sie oder ihre Freunde und Verwandten werden das zukünftige Kanonenfutter des deutschen Imperialismus werden – nach der Bundestagswahl 2002 mit dem Segen von Gysi und Bisky, sofern sie es bis dahin in die Bundesregierung geschafft haben” (Bolschewik Nr. 12, Mai 1999, S. 5).

Es dauerte keine fünf Monate, bis Parteivorstand und Fraktion der PDS diese Mahnung Wahrheit werden ließen. Im Namen der Regierungsfähigkeit erklären sie ihre Bereitschaft, imperialistische Interventionen (natürlich vorerst nur unter UNO-Mandat) von Fall zu Fall und “konkret” “moralisch” (d.h. nach dem konjunkturellen Nutzen für die Machtgelüste der PDS-Führung) zu bewerten und entsprechend zu befürworten.

Neben der PDS waren es vor allem Organisationen wie Linksruck und ihre kleineren Abspaltungen, Internationale Sozialisten (IS) und Internationale sozialistische Organisation (ISO), die das Potential hatten, im Widerstand gegen den Krieg sich radikalisierende Jugendliche zu binden. Sie alle stammen von der Sozialistischen Arbeitergruppe (SAG) ab und beziehen sich politisch auf deren größere britische Mutterorganisation, die von Tony Cliff gegründete und geprägte Socialist Workers Party (SWP). Linksruck ist die offizielle deutsche Sektion der um die SWP herum aufgebauten International Socialists. Wir werden IS, ISO und Linksruck im folgenden zusammenfassend politisch als Cliff-Anhänger bezeichnen.

Ihre jugendlichen UnterstützerInnen sind oft subjektive Revolutionäre und Revolutionärinnen, d.h. begeisterte AktivistInnen, die sich als SozialistInnen und MarxistInnen verstehen. Der Führung dieser Organisation gelingt es immer wieder, sich als “harte” MarxistInnen zu verkaufen, obwohl sie windelweiche OpportunistInnen und SozialpazifistInnen, also ein Hindernis für die Entwicklung einer revolutionären Bewegung und Organisation, sind. Tatsächlich werden ihre Mitglieder einerseits abstrakt-theoretisch mit Grundlagen des Marxismus vertraut gemacht, andererseits für eine aktionistische Reformpolitik teilweise regelrecht verheizt. Dieser Widerspruch wird besonders deutlich, wenn man die Linksruck-Mutterorganisation SWP betrachtet, die mit ihren Tausenden Mitgliedern eine Praxis entfalten kann, welche die Konsequenzen ihres Programms vollständig offenbart.

Pazifistische Schafe im marxistischen Wolfspelz

Der wahre Grund der deutschen Kriegsbeteiligung war das Streben des deutschen Imperialismus besonders auf dem Balkan und bis zum Kaspischen Meer möglichst große Anteile bei der ökonomischen und territorialen Aufteilung der postsowjetischen Konkursmasse zu gewinnen.

Linksruck entlarvt zurecht die geostrategischen Interessen Deutschlands und hebt zugleich richtigerweise die Bedeutung der imperialistischen Konkurrenz als letzter Kriegsursache hervor (vgl. Stoppt den Krieg, S. 5-10).

“Seit Kriegsbeginn wogt die Debatte über Alternativen zum NATO-Bombardement. Viele Kriegsgegner liebäugeln mit einer Friedensvermittlung durch die Vereinten Nationen. … Der Aufbau der UNO gibt dem Weltsicherheitsrat eine enorme Machtfülle. Die dort vertretenen Ländernamen versprechen allerdings wenig, was die uneigennützige Durchsetzung von Frieden und Menschenrechten angeht. … Die Herrschaft der Großmächte über die Zweite und Dritte Welt wird durch die UNO nicht verringert, sondern festgeschrieben”
(ebd., S. 22).

Diese treffende Einschätzung der Cliff-Anhänger gilt zweifelsohne gleichermaßen für die OSZE. Das hält aber die opportunistische Führung der Linksruck-Mutterorganisation SWP nicht davon ab, statt einer grundsätzlichen anti-imperialistischen Kritik an der NATO eine rein taktische Kritik zu unterschreiben und mit einem Appell für einen alternativen Imperialismus zu verbinden. Zusammen mit der Juni-Ausgabe der Socialist Review wurde ein Brief von linksliberalen AkademikerInnen, ReformistInnen und PseudosozialistInnen (darunter Mitglieder des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale, in Deutschland vertreten durch den Revolutionär Sozialistischen Bund (RSB)) veröffentlicht:

“Die NATO ist nicht das einzige oder gar das beste Instrument für ein Abkommen [über den Kosovo; A.d.R.]. Man kann die Elemente einer multinationalen Polizeikraft (die Serben und Albaner mit einschließt) in den Reihen der OSZE finden, um eine Übergangsregelung durchzusetzen”
(Dieses und alle folgenden Zitate der SWP sind Übersetzungen der BOLSCHEWIK-Redaktion).

Diese alternative Politikberatung für die Großmächte, wie diese am besten ein “Friedens”-Diktat im Kosovo durchsetzen können, ist die logische Konsequenz des sozialpazifistischen Programms von Tony Cliffs International Socialists. Theoretisch die Verurteilung der eigenen Praxis zu liefern, gehört zur bizarren Tradition dieser Gruppe:

“Die UNO teilt das Los aller anderen Verhandlungslösungen. In einer Welt, die nicht nur von enormen Klassenunterschieden innerhalb jedes Landes geprägt ist, sondern auch von einer brutalen Unterjochung ganzer Erdteile durch eine Handvoll Großmächte, wird es keine gerechten Verhandlungen geben”
(Stoppt den Krieg, S.22).

Angesichts dieser internationalen Machtunterschiede betont Linksruck zurecht den qualitativen Unterschied zwischen Jugoslawien und einer globalen Großmacht:

“Hitler war Führer der zweitgrößten Industrienation seiner Zeit. Milosevic ist Präsident einer viertklassigen Regionalmacht. Nahezulegen, Milosevic sei wie Hitler eine militärische Bedrohung für die gesamte Welt, ist lachhaft. Die serbische Armee war noch nicht einmal in der Lage, mit Kroatien und Slowenien fertig zu werden”
(ebd., S.9).

Der qualitative Unterschied zwischen dem “viertklassigen” Milosevic-Regime und der Weltmacht NATO führt allerdings weder bei der SWP noch bei Linksruck zu einer entsprechend unterschiedlichen Behandlung beider Seiten in der Kriegsfrage.

Lindsey German, fordert in Socialist Review, Zeitung der englischen Linksruck-Mutter SWP, SozialistInnen auf, im gesamten jüngsten Balkankonflikt keinerlei Seite zu beziehen  und gibt dies fälschlicherweise als Ergebnis einer marxistischen Klassenanalyse aus. Aber nicht nur, daß German den Sieg der jugoslawischen Seite ablehnt, vielmehr wird nicht einmal die militärische Niederlage der eigenen Armee gefordert, sondern lediglich pazifistisch-populär die “Pflicht eines jeden Sozialisten” propagiert, “gegen diesen Krieg zu demonstrieren und zu argumentieren und zu versuchen, das Bombardement zu stoppen (Socialist Review, Mai 1999). Und der bei den International Socialists renommierte Parteiführer Chris Harman kontert den aggressiven ‘Antifaschismus’ und ‘Internationalismus’ der NATO mit dem zahmen Vorschlag, daß es “die Verantwortung von Sozialisten in den bombardierenden Staaten ist, unser Äußerstes zu tun, den Krieg zu einem Ende zu bringen (ebd.). Alle PazifistInnen, und selbst die Kriegstreiber Fischer, Scharping und Schröder (die ja immer ein schnelles Kriegsende wollten), können dem zustimmen. “Der Sinn von Losungen, die man aufstellt, muß darin bestehen, daß in der Propaganda und Agitation den Massen der unversöhnliche Gegensatz zwischen Sozialismus und Kapitalismus (Imperialismus) klargemacht wird, nicht aber darin, daß man zwei feindliche Klassen und zwei feindliche politische Richtungen mit Hilfe eines Schlagwortes versöhnt, das die allerverschiedensten Dinge ‘vereinigt'” (Lenin-Werke Bd. 21, S. 290).

Im offenen Widerspruch zu Lenin schwadronieren SWP und Linksruck in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Titel “Der Hauptfeind steht im eigenen Land” ganz allgemein vom Ende des Krieges, das angeblich durch die Rückkehr des Friedens helfen kann, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich die ArbeiterInnen aus allen Teilen Ex-Jugoslawiens gegen ihre kapitalistischen Herrscher vereinen. Dies ignoriert völlig, daß in der Tat alles davon abhing, unter welchen Bedingungen ein “Frieden” zustande kam. Hier werden unter der Friedensphrase völlig unvereinbare Ausgänge des Krieges in einen Frieden mit jeweils völlig verschiedenen Folgen versöhnt: Denn was heißt es, einen Krieg der Allianz aller Imperialisten gegen einen kleinen abhängigen Staat zu beenden?

Vor dem Sieg der internationalen sozialistischen Revolution bleiben wenig grundsätzliche Alternativen und die zentrale Frage, ob eine und, wenn ja, welche davon für das Proletariat vom revolutionären Standpunkt aus günstiger ist.

Entweder: Die Kriegstreiber beschließen zu einem bestimmten Zeitpunkt, ihr imperialistisches Ziel nun besser diplomatisch als militärisch, d.h. durch einen knebelnden Friedensvertrag, durchsetzen zu können. So geschah es als Jugoslawien “kompromißbereit” gebombt war und vor allem der deutsche Imperialismus erkannte, daß eine diplomatische Lösung für ihn, im Vergleich mit dem US-Konkurrenten, vorteilhafter sei als der militärische Endsieg. Der Vertrag schreibt allerdings nur die vorher militärisch hergestellte Dominanz , d.h. die verstärkte Unterdrückung und Ausbeutung, fest. Das stellt einen Sieg des Imperialismus dar, welcher ihn vor Ort, zu Hause und weltweit stärkt. Es dürfte doch ziemlich klar sein, daß kein Marxist und keine Marxistin, egal in welchem Land, ein solches Ergebnis begrüßen kann; daß klassenbewußte AktivistInnen in Jugoslawien die Niederlage der eigenen Regierung gegen die NATO wohl kaum bevorzugen können.

Oder: Das unterentwickelt gehaltene Land kann den imperialistischen Angriff erfolgreich abwehren. Die Unterdrückung der regionalen Herrscher bleibt im schlimmsten Fall erhalten. Der viel gewaltigere global agierende imperialistische Würgegriff kann aber konkret abgewehrt werden. Der Imperialismus wird vor Ort, zu Hause und international, geschwächt. Eine solche erfolgreiche Verteidigung hätte 1999 die Niederlage der NATO, sprich den Sieg Jugoslawiens, bedeutet. Ein Sieg Jugoslawiens konnte und kann nichts anderes bedeuten. Ihn von einer Niederlage des Imperialismus zu unterscheiden, degradiert die Propaganda für die Niederlage des eigenen Hauptfeindes zu einer hohlen sozialpazifistischen Phrase.

Können die räuberischen Forderungen hinter dem imperialistischen Angriff nur teilweise abgewehrt werden, so ist dies eben eine Mischung beider Aspekte. Was aber nichts daran ändert, daß die teilweise Niederlage der NATO einen teilweisen Sieg Jugoslawiens bedeutet hätte.

Weil der Krieg gegen die NATO aus der Sicht Jugoslawiens ein reiner Verteidigungskrieg war, waren Niederlage des Imperialismus und jugoslawischer Sieg identisch. Wer den Sieg Jugoslawiens nicht wollte, konnte und kann es mit der Niederlage des eigenen Imperialismus also nicht sehr ernst meinen.

Die lächerliche Behauptung der SWP-Führung, daß es sich um einen Krieg handele “bei dem es keine Gewinner geben wird” (Socialist Review, Juni 1999, Editorial), war ein Versuch, die eigene Basis zu beruhigen und mit dem Verzicht auf konsequente anti-imperialistische Politik auszusöhnen. Opportunistische Politik schadet allerdings dem Gedächtnis:

“Es ist wahr, daß die NATO siegreich war. Aber wahrscheinlich hat niemand, der an den Anti-Kriegsprotesten beteiligt war, ein anderes Ergebnis erwartet”
(Socialist Review, Juli 1999).

Alle UnterstützerInnen von Linksruck oder ihrer Mutterorganisation SWP, für welche die richtigen Analysen der imperialistischen Weltordnung mehr als Sonntagsreden sind, müssen dringend mit Linksruck und der SWP brechen. Diese ziehen nämlich, wie gezeigt, in keinem Punkt die nötigen politischen Konsequenzen aus den Analysen – im Gegenteil:

All die richtigen Einsichten verkommen zu Phrasen, sobald Linksruck zur sozialpazifistischen Tat schreitet.

Linksruck friedensbewegt

In ihrer konkreten, alltäglichen Agitation knüpfte die Linksruck-Gruppe nahtlos an ihren Wahlaufruf für die bürgerliche Arbeiterpartei SPD an (siehe unsere Kritik in Bolschewik Nr. 11, September 1998): “Rot-grün: Dafür haben wir Euch nicht gewählt” (Linksruck Nr. 68, 13.04.1999). Dafür hatten aber die bürgerliche Arbeiterpartei SPD und die (klein-)bürgerlichen Grünen offen kandidiert:

“Möchtegern-Außenminister Scharping entwickelte die imperialistische Hardliner-Interventionslinie im Kosovo vor Rühe: Deutsche Truppen ohne ein Mandat der UNO gegen die Serben in den Krieg ziehen zu lassen.”

Auf dem “Kleinen Parteitag” im Sommer 1998 bewerteten die Grünen den “Bosnien-Einsatz … nun als ‘friedenserhaltend’ … Die ehemaligen antikommunistischen PazifistInnen haben sich angesichts zunehmender militärischer Interventionsbestrebungen des deutschen Imperialismus in die Fraktion der Kriegsbefürworter und -treiber – zunächst auf dem Balkan – eingereiht” (Bolschewik Nr. 11, September 1998).

Es kam, wie’s kommen mußte; aber die Linksruck-Gruppe, selbst Mitglieder der Jusos, wollte ja unbedingt SPD wählen. Deshalb mußte Linksruck erst alle möglichen Illusionen über die SPD in die Welt setzen, die sozialdemokratische PolitikerInnen selbst gar nicht erst verbreiteten. Das Regierungshandeln der SPD blamiert nicht deren Wahlprogramm, sondern den Opportunismus von Linksruck. Enttäuscht von den “Genossen der Bosse” auf der Regierungsbank (er-)fand Linksruck ein neues Objekt des Begehrens: “eine breite und kämpferische Massenbewegung gegen den NATO-Krieg” (Linksruck Nr. 68). Unter dem Etikett der Anti-Kriegsbewegung mischte Linksruck pazifistische, bürgerliche Ostermärsche, die schwarz-rot-goldene Friedensbewegung der 80er, die 68er Studentenbewegung, kleinbürgerliche anti-imperialistische Bewegungen und die proletarischen Revolutionäre um Liebknecht und Luxemburg in einen Kessel, rührte einmal kurz um und rief erfreut: “Da ist noch mehr Druck im Kessel!” (ebd.) – nur leider in klassenpolitisch völlig verschiedene Richtungen. Die Linksruck-Redaktion störte das – blind vor Entzücken über ihre Perspektive einer populären Massenbewegung – nicht: “Bewegung … Vorwärts! … Aktivismus … Breite” (ebd.). Vorwärts – nur in welche Richtung?

Irgendeinen unklaren Bedarf an Klarheit verspürte dann selbst Linksruck: “Die heutige Bewegung muß die Massen mobilisieren wie die Friedensbewegung in den Achtzigern. Gleichzeitig muß sie die politische Klarheit der 68er Bewegung gegen den Vietnamkrieg besitzen” (ebd.). Mal abgesehen davon, daß die 68er Bewegung alles andere als klar und einheitlich – geschweige denn revolutionär – war, bietet die Linksruck-Führung selbst nicht revolutionäre Klarheit, sondern schwammigen und naiven Reformismus als programmatische Grundlage der Bewegung an: “Arbeit für Millionen statt Milliarden für den Krieg” (Stoppt den Krieg, S. 23) “Was nötig wäre: Militäretat streichen, Bildung statt Bomben”. “Wenn man echte Veränderung herbeiführen wollte, gäbe es ein sehr einfaches Rezept, um an Geld zu kommen: Macht Schluß mit diesem Wahnsinnskrieg, streicht den Militäretat, besteuert die Superreichen und finanziert dafür Arbeitsplätze” (Linksruck Nr. 68). Wenn es nach diesen “SozialistInnen” geht, ist ja alles so einfach: ohne Staat und Revolution, ohne Zerschlagung des bürgerlichen Staates und ohne Diktatur des Proletariats.

“In der Frage des Kampfes gegen die Kriegsgefahr … glaube ich, daß die größte Schwierigkeit darin besteht, das Vorurteil zu überwinden, daß diese Frage einfach, klar und verhältnismäßig leicht sei” (Lenin Werke Bd. 33, S. 433). Am besten überwinden ehrliche Anti-Kriegs-AktivistInnen nicht nur dieses naive Vorurteil, das die Linksruck-Führung verbreitet, sondern auch deren Organisation, weil “nur die dümmsten oder hoffnungslos verlogene Leute behaupten können, eine solche Antwort auf die Frage nach dem Kampf gegen den Krieg tauge etwas”
(ebd.).

Was Linksruck predigt, ist nicht Klarheit, sondern inhaltsleere, völlig abstrakte pseudo-sozialistische Gefühlsduselei, die alle in der Wirklichkeit entscheidenden Fragen sorgsam vermeidet, um populär zu bleiben. Aus dem gleichen Grunde wird die Losung der militärischen Verteidigung Serbiens gar nicht erst aufgestellt. Auch über die Vorbereitung des revolutionären Sturzes der Imperialisten durch eine beharrliche anti-militaristische Zersetzungsarbeit von KommunistInnen in der Armee, herrscht bei diesen SozialistInnen seltsames Stillschweigen – würde es doch der Popularität im pazifistisch eingestellten und auf Zivildienst für den deutschen Staat orientierten alternativen SchülerInnen – und Studierendenmilieu schaden.

Dieser Opportunismus leistet seinen objektiven Kriegsbeitrag, indem er den notwendigen Widerstand gegen den Krieg auf ein für die Herrschenden unschädliches Maß herunterkocht. So reduzierte z.B. die SWP ihre vorherige anti-imperialistische Rhetorik im Juni 1999 erheblich. Sie wollte nämlich ihrem Konzept einer breiten Friedensbewegung folgend, ihre auf Volksfrontpolitik erpichten Bündnispartner aus stalinistischen Organisationen und Polit-Promis, wie den Labour-Abgeordneten Tony Benn, nicht verschrecken:

“Es gibt daher eine wirkliche Verpflichtung von Sozialisten eine Bewegung aufzubauen, sie zu vertiefen und zu verbreitern, so daß sie mehr und mehr Kräfte umfaßt, was eventuell Regierung und andere NATO-Mitglieder aufhorchen lassen wird.”
(Schlußsatz aus dem Editorial der Socialist Review vom Juni 1999
).

Na, da müssen sich die Imperialisten aber warm anziehen …

Der gute Vorsatz “Der Serbien-Krieg muß zum zweiten Vietnam der Herrschenden werden” (Linksruck Nr. 68) kann also nur gegen Linksruck-Politik erreicht werden.

IS = Internationale SozialpazifistInnen

Die Internationalen Sozialisten, ein Spaltprodukt der alten SAG, wollten in ihrer Zeitung Klassenkampf in Anbetracht der NATO-Angriffe vor allem klären, “welche Haltung … man als Arbeiter, als Sozialist oder friedensliebender Bürger einnehmen” (Klassenkampf Nr. 21, Mai/Juni 1999, S. 28) sollte. Wer den Standpunkt zu einer so grundlegenden politischen Frage, wie der von Krieg und Frieden, derart klassenübergreifend, vom sozialistischen Arbeiter bis zum friedliebenden Bürger, bestimmen will, muß zwangsläufig politisch bei einem anti-revolutionären Volksfrontprogramm landen und die militärische Verteidigung Jugoslawiens ablehnen. Auch die Internationale Sozialistische Organisation (ISO) trat zwar formal für die Niederlage der NATO ein, lehnte aber deren wirkliche Bedeutung, den Sieg und die Verteidigung Jugoslawiens, bewußt ab.

Alle an Tony Cliffs International Socialists orientierten Organisationen haben damit vor dem Hauptfeind versagt. Sie sind keine revolutionären Organisationen, sondern sozialpazifistische Hindernisse für den Wiederaufbau einer revolutionären Partei und Internationale in der Tradition Lenins und Trotzkis.

Der zentristische Sumpf

Neben Linksruck, ISO, IS und RSB sowie der “Wir-wählen-immer-SPD”-Gruppe Arbeitermacht (GAM) erwiesen sich auch zahlreiche, angeblich linkstrotzkistische, Kleingruppen als zentristische Hindernisse für einen revolutionären Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus.

Klassisch zentristisches Verhalten zeigte die mit der amerikanischen League for a Revolutionary Party (LRP) verbundene Kommunistische Organisation für die Vierte Internationale (KOVI-BRD) aus Bonn. Während des Krieges umging sie in ihren deutschsprachigen Veröffentlichungen die Frage der Verteidigung Jugoslawiens. Erst nach dem Ende des Krieges traten sie in einem von ihnen verbreiteten englischsprachigen Dokument für eine Verteidigung Serbiens gegen die NATO-Angriffe ein. Das klassisch Zentristische daran ist, das Entscheidende dann zu verschweigen, wenn es darauf ankommt.

Die Gruppe Revolutionäre SozialistInnen (RS) will NATO-Imperialismus und serbischen Nationalismus gleichermaßen bekämpfen und lehnte daher die militärische Verteidigung Serbiens ab. Die Losung der “Balkanföderation der Arbeiter/innen, BäuerInnen und Bauern” wird bei den RS zur unerreichbaren Zauberformel, weil sie nicht begreifen, daß ohne einen Sieg Jugoslawiens gegen die NATO genau dieses Ziel in unerreichbare Ferne rückt.

Genauso inkonsequent ist der, auf der Titelseite der RS-Zeitschrift Maulwurf abgedruckte, Aufruf an die imperialistischen Soldaten: “Verweigert! … ‘Verweigert Euch dem laufenden Angriffskrieg'”.

“Boykott des Krieges ist eine dumme Phrase. Die Kommunisten müssen in jeden beliebigen reaktionären Krieg gehen” (Lenin-Werke, Bd. 33, S. 434), um durch ihre lang währende illegale Arbeit unter den Wehrpflichtigen die Wehrkraft zu zersetzen und organisiert die Gewehre umzudrehen, gegen den Hauptfeind im eigenen Land. Ihr politisches Versagen wollen die RS durch Verbalradikalismus kaschieren: “Für einen schmachvollen Rückzug der NATO aus dem Balkan!”. Aber ihr Opportunismus ist nicht zu verstecken:

Der ohnmächtige Kriegsboykott der RS mündet in den Armen der PDS: “Gegen Krieg, Kapital und menschliche Verelendung: WÄHLT PDS! … Keine weiteren Regierungsbeteiligungen der PDS! Bruch der Koalition in Schwerin!” (alle RS-Zitate aus Maulwurf Nr. 35, April/Mai 1999). Es ist grotesk, die Wahl der PDS, die in einer Landesregierung mit der Kriegpartei SPD koaliert und Teil des kriegsführenden Staatsapparates ist, als Votum gegen den Krieg zu verkaufen. Wenn der Bruch mit der Regierung nicht in bolschewistischer Manier zur Voraussetzung der Wahlunterstützung gemacht wird, ist dies das Ende revolutionärer Taktik und reine Stimmenbeschaffung – also nicht viel anders, als die faktisch bedingungslose Stimmenbeschaffung der PDS für die SPD im Magdeburger Landtag. Solche Revolutionären SozialistInnen verkommen zu einem Rädchen am Rande des Getriebes kapitalistischer Herrschaft: Sie beschaffen die Stimmen für die PDS, diese beschafft die Stimmen für die SPD und letztere regiert dann für den Kapitalismus. Wie verfehlt die bisherige Wahlunterstützung für die PDS war belegen die RS selbst, sie lernen nur nichts daraus:

“Der Wiedereinzug der PDS in den Bundestag und die Regierungsbeteiligung in Mecklenburg haben die PDS-Realos … in ihrem Vorhaben gestärkt in der kapitalistischen Bundesrepublik anzukommen und für ‘Rot’-Grün zum Koalitionspartner zu werden” (ebd.). Das Ergebnis einer revolutionären Wahltaktik sollte dagegen eine Schwächung der reformistischen Führer sein, indem man den Interessenkonflikt von proletarischer Basis und bürgerlicher Führung ausnutzt. Genau das Gegenteil tritt jedoch ein, wenn so wichtige Voraussetzungen einer kritischen Wahlunterstützung – Versprechungen der Führung und klassenkämpferische Illusionen an der Basis – fehlen. Dann unterstützt man nur den Weg einer weiteren bürgerlichen Arbeiterpartei in eine Kriegsregierung.

Ein Programm des Klassenkriegs gegen den Raubkrieg!
Für den Wiederaufbau der Vierten Internationale!

In der deutschen Linken gab es unseres Wissens nach nur vier Organisationen (wir lassen uns bezüglich der Anzahl gern eines besseren belehren), die während der NATO-Angriffe offen für die militärische Verteidigung Jugoslawiens eintraten. Eine davon war die Rote Aktion in Duisburg, die aber dazu tendierte das chauvinistische und arbeiterfeindliche Milosevic-Regime auch politisch gegen berechtigte Kritik zu verteidigen, statt laut und deutlich zu sagen “was ist” – bekanntlich die Voraussetzung jeder revolutionären Tat.

Von den anderen drei Gruppen (Sozialistische Aktion, Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands/SpAD und Gruppe Spartakus), die unabhängig ihrer sonstigen politischen Differenzen zwischen militärischer und politischer Verteidigung Jugoslawiens unterschieden, kamen zwei dieser Gruppen aus einer bestimmten politischen und organisatorischen Tradition: Die einst revolutionäre international Spartacist Tendency (iST) war in den 70ern dafür bekannt, daß sie gegen den um das Wohl amerikanischer Truppen besorgten liberalen Pazifismus der Bewegung gegen den Vietnamkrieg (“Bring Our Boys Home!”) die revolutionäre Position der militärischen Verteidigung des Vietcong stellte.

Dies hielt die iST, die heute Internationale Kommunistische Liga (IKL) heißt und in Deutschland durch die SpAD vertreten ist, leider nicht davon ab, später, z.B. während des Libanoneinsatzes der US-Marines, selbst zu fordern “Marines out of Lebanon, now, alive!” (“Marines raus aus dem Libanon, jetzt, lebendig!”; siehe Workers Vanguard, 04.11.1983). Wozu sollen Revolutionäre sich um das Leben von imperialistischen Schlächtern sorgen? Damit diese anderntags, andernorts ihren mörderischen Job fortsetzen können?

Wir stehen dagegen nach wie vor zur politischen Tradition der einst revolutionären iST als der unseren und treten für den Wiederaufbau der Vierten Internationale auf dieser Grundlage ein.

Von den rechten Rändern der Linken bis zu den Linkszentristen zeigt sich, daß heute, ganz aktuell, die Grenze zwischen revolutionärer und bürgerlicher Politik in der Frage der militärischen (im Unterschied zur politischen) Verteidigung gegen den Imperialismus verläuft.

Dieser Frage werden sich daher die folgenden beiden Artikel widmen.