Imperialistischer Krieg und sozialistische Revolution
Reformismus und Sozialpatriotismus
Im Zeitalter des imperialistischen Raubstaates reicht ein Minimalprogramm ‘konkreter’ Reformen nicht aus, um einen revolutionären Arbeiterwiderstand gegen den Imperialismus zu begründen. Das Schicksal der ArbeiterInnen einer Nation im Kapitalismus wird immer abhängiger von den Erfolgen ihrer Bourgeoisie auf dem Weltmarkt – Standortpolitik und Raubkrieg eingeschlossen. Die Bereicherung der eigenen Bourgeoisie auf Kosten anderer Nationen, und insbesondere von deren ArbeiterInnen, erlaubt es ersterer einen Teil ihrer Beute mit den ArbeiterInnen der eigenen Nation zu teilen. Deshalb verwandeln sich Sozialreformismus und Sozialpazifismus beständig in Sozialchauvinismus. Dieser untergräbt die Kampfkraft und -moral des Proletariats, während, dank Konkurrenzkampf, Krise und Krieg, die Bereitschaft des Kapitals, die Profite hemmungslos auf Kosten der Lohnabhängigen zu sichern, steigt. Deshalb kann es keine dauerhaften Verbesserungen für die Lohnabhängigen im Kapitalismus mehr geben. Verschiedene Kämpfe gegen die Folgen des Kapitalismus müssen daher nicht einfach nur äußerlich aneinandergereiht werden. Sie müssen von KommunistInnen um die Achse des Klassenkampfes zu einem Kampf um die Macht, zum revolutionären Sturz des kapitalistischen Staates verbunden werden. Die Kämpfe gegen Ausbeutung und Krieg sind in diesem revolutionären Sinne untrennbar.
Das ist aber etwas anderes, als die bei DKP und MLPD abgeschaute Linksruck-Politik à la “Bildung statt Bomben – Arbeitsplätze für Millionen statt Milliarden für Krieg”, die unterhalb der Revolution ein Minimalprogramm “Reform statt Rüstung” propagiert. Weil eben ohne Revolution, also unter kapitalistischen Bedingungen der Raub die Reformkasse der nationalen Bourgeoisie finanziert oder, umgekehrt, eine Großmacht ohne Bomber bald selbst ein geplündertes Armenhaus wäre, ist die alte reformistische “Butter statt Bomben!”-Losung in sich widersprüchlich, utopisch und sogar objektiv reaktionär.
Die Linksruck-These,
“daß allgemein gesprochen jeder Schlag gegen den Boß ein Schlag gegen den Krieg ist und umgekehrt, zeigt die notwendige Richtung und das riesige Potential einer Antikriegsbewegung”
(Stoppt den Krieg, S. 23)
kann man daher mit viel gutem Willen bestenfalls als naive, aktionistische Selbsttäuschung bezeichnen. In Wirklichkeit zeigt der beschriebene Zusammenhang das gewaltige Potential des Sozialpatriotismus. Denn die praktische Dynamik von Reformpolitik im Rahmen des bestehenden Staates führt trotz aller möglichen Klassenkampf-Rhetorik im Moment des Krieges unweigerlich zum Burgfrieden, d.h. zur Einstellung der Schläge gegen die Bosse, um ihre Kriegsführung nicht zu stören – in der Hoffnung auf eine anschließende Beteiligung an der gemachten Beute.
Alle Erfahrungen mit den Kriegen dieses Jahrhunderts zeigen den Zusammenhang von Kriegsbegeisterung und Rückgang des Klassenkampfes. Lenin war Revolutionär und Realist genug, um den Scheinradikalismus der Links(ruck)reformistInnen aufzudecken:
“‘Antworten wir auf den Krieg mit dem Streik oder mit der Revolution!’, so sagen gewöhnlich alle angesehenen Führer der Reformisten zur Arbeiterklasse. Und sehr häufigt befriedigt und beruhigt der Scheinradikalismus dieser Antworten die Arbeiter, Genossenschaftler und Bauern.
… nur die dümmsten oder hoffnungslos verlogene Leute [können] behaupten …, eine solche Antwort auf die Frage nach dem Kampf gegen den Krieg tauge etwas. Man erkläre, daß es unmöglich ist, auf den Krieg mit dem Streik zu ‘antworten’, genauso wie es unmöglich ist, auf den Krieg mit der Revolution, im einfachsten und buchstäblichen Sinne dieser Ausdrücke, zu ‘antworten’.
Man muß den Leuten die reale Situation erklären: …
Man muß insbesondere die Bedeutung des Umstands erklären, daß die ‘Vaterlandsverteidigung’ zu einer unvermeidlichen Frage wird, die die gewaltige Mehrheit der Werktätigen unvermeidlich zugunsten ihrer Bourgeoisie entscheiden wird”
(LW Bd. 33, S. 433 f.).
Um diesen Trend umzudrehen und die Arbeiterrevolution vorzubereiten, legte Lenin den Schwerpunkt revolutionärer Anti-Kriegs-Politik auf die rücksichtslose Entlarvung des Sozialpatriotismus und -pazifismus sowie den Aufbau illegaler Organisationen zur lang währenden kommunistischen Arbeit unter den Werktätigen und Wehrpflichtigen. LeninistInnen wollen die bewaffneten Arbeiter in Uniform nicht zum Verweigern oder Desertieren bewegen, sondern dazu, die Gewehre umzudrehen gegen die “eigenen” Offiziere, Bosse und Regierung. Revolutionäre Gewerkschaftsarbeit muß die Kriegsfrage aufgreifen, im Sinne einer schonungslosen Aufklärung über die imperialistischen Lügen sowie der Propaganda und Organisierung von Arbeiteraktionen gegen den Militarismus und die Kriege der eigenen Regierung.
Defätismus oder militärische Verteidigung
Im Falle eines Konkurrenzkrieges zwischen verschiedenen imperialistischen Mächten um die geraubte Beute ist die Position “Kampf dem eigenen Hauptfeind!” – gleichermaßen auf allen Seiten des Krieges vertreten – der Ausdruck des Internationalismus, der Kampf gegen jegliche imperialistische Ambition und die richtige Vorbereitung der Revolution. Alles andere als dieser Defätismus würde die Arbeiterschaft verschiedener Länder, als Brudermörder im Namen räuberischer Aufteilung, aufeinanderhetzen und die Ausplünderung und Unterdrückung des Großteils der Welt durch eine Handvoll von Großmächten anerkennen. Allein der Defätismus, d.h. das Eintreten der ArbeiterInnen auf allen Seiten für die Niederlage der “eigenen” Kriegspartei, ist somit vereinbar mit dem Internationalismus, der politischen Unabhängigkeit der ArbeiterInnen von “ihren” Bourgeoisien und dem Streben nach größtmöglicher politischer und organisatorischer Vereinigung im weltweiten Kampf gegen den Kapitalismus. Die Niederlage der eigenen Bourgeoisie ist in diesem Rahmen das geringere Übel, auch weil die Schwächung des eigenen Imperialismus die Chancen für eine revolutionäre Massenbewegung stärkt.
Im Falle des Raubkrieges eines imperialistischen Staates gegen ein nicht-imperialistisches Land ist der Kampf für die Niederlage des imperialistischen Hauptfeindes dagegen untrennbar verbunden mit dem Sieg des unterdrückten Landes. Der Sieg Jugoslawiens über die NATO hätte nicht die Beraubung Deutschlands, Englands oder der USA durch Belgrad bedeutet, sondern wäre identisch mit der erfolgreichen Abwehr deren räuberischen Angriffs gewesen. Klassenbewußte AktivistInnen treten daher für die militärische Verteidigung Jugoslawiens ein.
Die Internationalen Sozialisten (IS) stört dagegen an den Anti-Kriegsdemostrationen und insbesondere an PDS, DKP, MLPD:
“Nirgends wird gegen Milosevic’ Krieg gegen die Kosovaren protestiert, und abrüsten soll nur die NATO – niemand fordert die Abrüstung der ehemaligen Ostblockstaaten. Es geht hier, um die Verteidigung Jugoslawiens”
(Klassenkampf Nr. 21; Mai/Juni 1999, S.8).
Ohne die Verbrechen des Milosevic-Regimes gegen die Kosovo-AlbanerInnen im geringsten zu beschönigen: In dem Moment, wo die NATO-Bande aller westlichen Imperialisten Jugsolawien angriff, mußte es SozialistInnen um dessen militärische Verteidigung gehen – leider ging es den StalinistInnen nicht ernsthaft darum (vgl. Artikel “Die Linke im Krieg” in dieser Ausgabe). Früher hieß es bei den IS und ihrer Vorläuferorganisation Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) “Weder Washington noch Moskau!”. Seit dem Ende der Sowjetunion im Kalten Krieg sollte eigentlich klar sein, daß diese Niederlage ganz andere (nämlich verheerende) Auswirkungen auf die Stärke der Arbeiterbewegung hatte, als es eine Niederlage der USA gehabt hätte. Auch wenn Jugoslawien kein Arbeiterstaat mehr ist, ist die von den IS faktisch ausgegebene Losung, “Weder Brüssel noch Belgrad!”, falsch.
Die von den IS verallgemeinerte Abrüstungsforderung ist, auf die Großmächte angewandt, pazifistischer Unsinn, denn vor deren Entwaffnung hat die politische Wirklichkeit die revolutionäre Bewaffnung der ArbeiterInnen gestellt. Auf Jugoslawien angewandt, ist die Abrüstungsforderung im Kontext der NATO-Angriffe allerdings blanker Sozialpatriotismus: Solange die ArbeiterInnen der NATO-Staaten diese nicht gestürzt haben, erfolgt effektiv die Abrüstung Jugoslawiens durch die Bomben der NATO. Ihr Versagen, Jugoslawien zu verteidigen, kaschieren die Internationalen (Pseudo-)Sozialisten durch sinnlosen Wortradikalismus an die Adresse des Westens (“Bedingungslose Kapitulation!”) und rechtfertigen es mit dem Schlagwort “Subimperialismus”.
Imperialismus und “Subimperialismus”
“Milosevic kämpft um die politische Vorherrschaft auf dem Balkan. Er verfolgt eindeutig imperialistische Interessen. Da er aber nicht in der obersten Liga der hochindustrialisierten Länder mitmischen kann, die die gesamte Welt aussaugen, müssen wir ihn in seinen regional begrenzten Eroberungsgelüsten als Subimperialisten bezeichnen. Nun gibt es Linke, die meinen, mit dem Eintritt der USA in den Balkankrieg habe sich alles verändert, und es handele sich nun um die nationale Befreiung Serbiens von den USA … die Gruppe Linksruck … ordnet die Subimperialismus-Theorie nicht als Frage des Imperialismus ein, wie wir, sondern als Frage der nationalen Befreiung … Der RSB würde … eine militärische Truppe in den Kosovo und eine andere nach Serbien senden, was dazu führen würde, das beide Truppen aufeinander schiessen müssten. Will man nicht indirekt gegen die Kosovaren sein oder sich als Sozialisten gegenseitig erschiessen, ist es notwendig, die NATO und Serbien unter der Perspektive der Imperialismustheorie zu betrachten und sich auf keine der beiden Seiten zu stellen” (ebd., S. 11).
Das hat weder etwas mit Imperialismustheorie, noch mit der Wirklichkeit zu tun: Weder Linksruck noch der Revolutionär-sozialistische Bund (RSB) verteidigten Jugoslawien. Die Absurdität, daß Revolutionäre, welche Jugoslawien verteidigen, ohne die Unterdrückung der Kosovo-AlbanerInnen zu dulden, aufeinander schießen müssten, ist eine Erfindung der beschränkten politischen Vorstellungskraft der IS-AutorInnen, aber nicht die Folge einer korrekten militärischen Verteidigung Serbiens gegen die NATO. Diese richtet sich eben gegen die NATO-Angriffe, nicht gegen die Kosovo-AlbanerInnen. Eine militärische Verteidigung bedeutet zu keinem Zeitpunkt eine kritiklose und uneingeschränkte Rund-um-Unterstützung Serbiens.
Klassenbewußte AktivistInnen in Jugoslawien müssen unermüdlich auf den revolutionären Sturz von Milosevic hinarbeiten. Die internationalistische und eigenständige Organisierung und Bewaffnung von ArbeiterInnen auf einem entsprechenden Klassenkampfprogramm führt auf dem Weg dorthin zu der Notwendigkeit, sowohl die NATO-Bomber vom Himmel zu holen, als auch die nationalistischen Unterdrückungsmaßnahmen serbischer Einheiten im Kosovo zu bekämpfen. Das eine vom anderen zu unterscheiden und beide Aufgaben einheitlich zu erfüllen, ohne daß politisch von allen bürgerlichen Kräften unabbhängige Arbeitermilizen mit eigener Befehlsstruktur aufeinander schießen, sollte eigentlich kein Problem sein.
Schon früh im Laufe der NATO-Bombardie-rungen gab die UCK ihren nationalen Befreiungskampf völlig auf. UCK-Einheiten verzichteten, auf Befehl der NATO, auf ihnen mögliche Aktionen gegen serbische Truppen für die Befreiung albanischer Dörfer; UCK-Trupps im Kosovo wurden unter das direkte Kommando u.a. von britischen SAS-Offizieren gestellt. Sie spionierten und agierten tatsächlich als Bodentruppe der NATO (siehe die ausführliche Dokumentation auf Englisch). Früher schon ihrem bürgerlich-nationalistischen Charakter entsprechend politisch pro-imperialistisch, wurde die UCK militärisch zum direkten Handlanger der NATO. Damit wurde auch ihre militärische Verteidigung unmöglich. Vielmehr traten Revolutionäre nunmehr für die Verteidigung der jugoslawischen Truppen gegen die UCK ein. Auch hierbei müssen Revolutionäre und Arbeitermilizen eine klare Trennlinie zwischen Bekämpfung der UCK und anti-albanischem Terror ziehen und würden keineswegs unterschiedslos jede militärische Maßnahme jugoslawischer Truppen unterstützen.
Das absurde Argument, die Verteidigung Jugoslawiens hätte das gegenseitige Erschießen von SozialistInnen bedeutet, soll nur jene mundtot machen, welche den politischen Kern der IS-Politik, die qualitative Gleichsetzung der vereinigten imperialistischen Räuberbande NATO mit dem chauvinistischen serbischen Regime, nicht schlucken wollen. Schließlich teilt Belgrad ein Streben nach regionaler Vorherrschaft in einem Teil des Balkans mit einer Reihe konkurrierender Balkanstaaten und ist zudem dabei ausgesprochen erfolglos.
Den “Subimperialismus” als Imperialismus einzuordnen und fast alles politisch Schlechte als imperialistisch zu brandmarken, ist nicht weniger fatal, als der inflationäre Gebrauch des Faschismusbegriffes. Es verwischt das, nach Lenin, politisch Wesentliche der imperialistischen Ära (die Spaltung der Welt in eine Minderheit von globalen Großmächten und eine Mehrheit von superausgebeuteten und unterdrückten Nationen) und läuft auf einen moralischen Imperialismusbegriff hinaus, der mit den von Lenin genannten objektiven Kriterien (Kapitalexport, wirtschaftliche und territoriale Aufteilung der Welt) unvereinbar ist. Dies erleichtert allerdings die opportunistische Anpassung an den linken Mainstream:
“Der Protest der Friedensaktivisten gegen die einseitige Forderung ‘NATO raus aus Jugoslawien’, zeigt das unsere Zusatzforderung ‘Belgrad raus aus dem Kosovo’ genau richtig war” (Klassenkampf Nr. 21, Mai/Juni 1999, S. 8), d.h. genau jene kleinbürgerliche pazifistische Stimmung traf, keine Seite zu beziehen. Diese resultiert aber aus dem Druck bürgerlicher Medienpropaganda und dient – als Abfederung der Opposition gegen den Krieg – den KriegstreiberInnen im eigenen Land.
Jugoslawien und Imperialismus
Ohne die nationale Unterdrückerrolle Belgrads zu leugnen: sie hat nichts mit Imperialismus zu tun, d.h. mit globalem Kapitalexport und der ökonomischen und territorialen Aufteilung der Welt. Serbien ist viel zu ruiniert, um auch nur sein regionales Umfeld mittels Kapitalexport ökonomisch zu durchdringen und zu beherrschen. Was im Verhältnis Serbiens zu den Nationalitäten der Region bleibt, ist eine territorial sehr eng umgrenzte Unterdrückungs- und Besatzungspolitik. Das ist brutale chauvinistische Unterdrückung aber nicht Imperialismus.
Die Gleichsetzung der vereinigten Räuberbande NATO mit dem chauvinistischen serbischen Regime – egal ob als im Wesentlichen gleichermaßen imperialistisch oder unter Ablehnung des Imperialismusbegriffes als gleichermaßen kapitalistisch – läuft auf die sträfliche Vernachlässigung gewaltiger wirklicher Unterschiede zwischen diesen Kriegsparteien hinaus. Sie ist so offensichtlich absurd, wie die Behauptung, der SV Meppen wäre ein ensthafter Konkurrent Bayern Münchens um die deutsche Fußballmeisterschaft. Den sog. Subimperialismus als Frage des Imperialismus darzustellen ist mindestens so grotesk, wie die Frage des Erstplazierten der Fußballregionalliga als die Frage der deutschen Fußballmeisterschaft darzustellen. Wenn soviel Unsinn von der Führung der IS dennoch aufgestellt wird, dann um ihr Versagen, gegenüber der sozialistischen Pflicht zur militärischen Verteidigung Jugoslawiens mit marxistisch klingenden Phrasen nach außen, und vor den eigenen Mitgliedern, zu verschleiern. Dieser Schleier hebt sich leicht bei gründlicher und konkreter Betrachtung des Krieges zwischen Jugoslawien und der NATO, sowie der am Klassenstandpunkt orientierten Abwägung möglicher Kriegsausgänge.
Hätte Jugoslawien über die NATO gesiegt, so wäre im schlimmsten Falle Milosevic an der Macht und der Kosovo serbisch besetzt geblieben – statt imperialistisch besetzt zu werden. Politisch gesehen ist es allerdings mehr als zweifelhaft, daß ein solches Regime in der Lage ist, die notwendige Massenmobilisierung und internationale Solidarität herbeizuführen, die für einen Sieg gegen die überlegen gerüsteten imperialistischen Truppen erforderlich ist. Ganz zu schweigen von den faulen Kompromissen und Verrätereien, die der Machthunger dem kapitalistischen Herrscher Milosevic diktiert. Deshalb ist es unumgänglich, die militärische Verteidigung Jugoslawiens zu verbinden mit der Propaganda und Vorbereitung für den Sturz des Milosevic-Regimes durch eine anti-nationalistische Arbeiterrevolution wie schon Rosa Luxemburg betonte: revolutionäre Verteidigung ist die beste Verteidigung. Nicht nur, daß die konsequente Verteidigung Jugoslawiens praktisch die Notwendigkeit und Überlegenheit revolutionärer Politik aufzeigen würde. Die bedingungslose Verteidigung Jugoslawiens gegen die NATO verteidigt ihrerseits die Bedingungen des Klassenkampfes. Die Herrschaft Milosevic’ ist eine vergleichsweise schwache Fessel für jeden Befreiungskampf der ArbeiterInnen des Balkans. Der Sieg des Imperialismus tauscht nicht einfach die Herrschaft lokaler Despoten gegen eine gleichstarke Unterdrückung aus, sondern er fügt eine vielfach stärkere Fesselung aus Ausbeutung und Zehntausenden hochgerüsteten Soldaten hinzu.
Dies ist ein qualitativer Unterschied, selbst zwischen dem angeblich demokratischsten Imperialismus und den erklärten Hitlers in Belgrad, Bagdad oder anderswo in der “3. Welt”.
Wer Jugoslawien gegen die NATO nicht verteidigen will,
sollte von der Weltrevolution schweigen!
Für das Verhältnis Jugoslawiens zu den Großmächten dieser Welt ist seine beschränkte regionale Macht völlig bedeutungslos. Die Alternativen des NATO-Krieges waren so denkbar klar, wie verschieden: Der Sieg der NATO über Jugoslawien bedeutet eine Stärkung des Imperialismus durch Kapitalexport, ökonomische Durchdringung, Ausplünderung und territoriale Unterwerfung. Die Besetzung des Kosovo und D-Mark-Einführung belegen dies. Hätte Jugoslawien gesiegt, d.h. den NATO-Angriff erfolgreich abgewehrt, so hätte dies weder serbische Bomben auf Berlin, noch die Einführung der jugoslawischen Währung in Bayern, noch die mögliche Übernahme der Kronjuwelen deutscher Wirtschaft und damit auch nicht die direkte Ausbeutung deutscher ArbeiterInnen durch das serbische Kapital, bedeutet. Von serbischem Imperialismus also keine Spur, vielmehr in diesem Fall eine Niederlage aller wichtigen imperialistischen Staaten (außer Japan).
Nur wer diesen grundlegenden Unterschied zwischen imperialistischen und unterdrückten Nationen ignorierte, konnte im vergangenen Krieg neutral bleiben. Diese Unterdrückung klar zu benennen und die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen, bedeutet keineswegs, die Unterdückung von ArbeiterInnen und Minderheiten durch die kapitalistischen Herrscher imperialistisch unterdrückter Nationen zu leugnen. Es heißt nur den dialektischen Zusammenhang der verschiedenen Unterdrückungsformen richtig zu berücksichtigen.
Die bürgerlichen Kleinstaaten und ihre meist despotischen Regenten sind politisch so wenig fortschrittlich, wie irgendwelche kleinkapitalistischen Klitschen und ihre selbstherrlichen Chefs. In diesen Ländern werden Werktätige und Minderheiten in aller Regel brutal unterdrückt und ausgebeutet. Illusionen in deren Progressivität sind stalinistisch-maoistischer Quatsch. Dieser dient nur der Rechtfertigung einer Volksfrontpolitik mit bürgerlichen NationalistInnen zur Verhinderung der Revolution. Aber gerade weil für MarxistInnen die internationale Arbeiterrevolution das Wesentliche ist, kann ihnen die Spaltung der Welt in unterdrückende und unterdrückte Nationen nicht gleichgültig sein.
Die objektiven Unterschiede zwischen Jugoslawien und den imperialistischen Ländern beinhalten nämlich, je nach Kriegsausgang, grundverschieden Folgen für den internationalen Klassenkampf.
Jeder ernsthafte Revolutionär würde dabei für ein Ergebnis kämpfen, daß Klassenkämpfe erleichtert und entfacht, denn das grundsätzliche Ziel kommunistischer Kriegspolitik ist die Umwandlung des Krieges in einen internationalen, revolutionären Bürgerkrieg.
Der faktische Sieg der NATO bedeutet:
Die gegen Jugoslawien demonstrierte Überlegenheit der NATO schüchtert weltweit jeden Widerstand gegen Ausbeutung und Unterdrückung ein. Die NATO-Bombardierungen haben Jugoslawien wirtschaftlich und sozial in einem viertel Jahr effektiver ruiniert als zehn Jahre Milosevic-Regime, IWF-Diktate und Handelsembargo zusammen. In Jugoslawien selbst überdeckt die imperialistische Intervention daher die Klassenwidersprüche, schwächt jede proletarische Opposition nicht nur ideologisch, sondern objektiv durch die buchstäbliche Zerstörung jugoslawischer Firmen und Arbeitsplätze, und versucht gezielt, (etwa durch zynische Heizöllieferungen) eine pro-westliche Opposition zu stärken.
Revolutionäre Kämpfe müssen nicht nur mit der brutalen Unterdrückung des Milosevic-Regimes rechnen, sondern mit Zehntausenden hochgerüsteten und bestausgebildeten imperialistischen Schlächtern, stationiert in Bosnien und Kosovo. Hinter den starken Brückenköpfe steht die gesamte NATO-Militärmacht. Diese sind also ein gewalt(tätig)es Faustpfand gegen die Perspektive der Sozialistischen Balkanföderation – dem einzigen Ausweg aus kapitalistischem Elend und nationalistischen Blutbädern. Imperialistische Truppen sind weit weniger, als die örtlichen Regime in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, abhängig von Massenzustimmung und -unterstützung. Anders als die Soldaten der lokalen Armeen sind die NATO-Söldner nicht durch unzählige soziale Bande mit der revoltierenden Bevölkerung verbunden. Viele betrachten diese dank einer anerzogenen chauvinistischen Herrenmenschenmentalität mehr oder weniger als Untermenschen. Deutschlands Vernichtungskrieg von 1939 bis 1945 im Osten, aber auch der Vietnamkrieg haben historisch gezeigt, zu welch rücksichtslosem Vorgehen eine solche Soldateska fähig ist. Die militärischen Erfolge des Vietcongs wurden allerdings zum Auslöser radikaler Massenproteste in den imperialistischen Metropolen und zum lang anhaltenden amerikanischen Trauma, das Auslandseinsätze erschwerte.
Ein Sieg Jugoslawiens über die NATO-Aggression hätte die Massenloyalität in den NATO-Staaten zutiefst erschüttert, jede Aktion der Herrschenden in ein kritisches Licht gestellt und die Tür für radikale Klassenkämpfe und den Widerstand von ImmigrantInnen oder SchülerInnen und Studierenden aufgestoßen. Je nach Ausmaß des miltärischen Desasters wäre gerade in Deutschland die militaristische Offensive für Auslandseinsätze der Bundeswehr auf Jahre gescheitert. Der Sieg wäre ein Signal für Befreiungsbewegungen in allen unterentwickelt gehaltenen Ländern gewesen, daß der Imperialismus verwundbar ist und ihr Kampf erfolgreich sein kann. Auf dem Balkan selbst hätte der Rückzug imperialistischer Truppen ein direktes konterrevolutionäres Hindernis beseitigt.
Da ein solcher Sieg aber nicht mit den begrenzten militärischen Mitteln Milosevic’ erreichbar gewesen wäre, sondern nur durch eine politische Massenmobilisierung der Werktätigen des Balkans, d.h. über die Grenzen Serbiens hinaus, hätte ein konsequentes Eintreten von SozialistInnen für die Verteidigung Jugoslawiens a) die Arbeiterbewegung gestärkt und b) erfordert, dem serbischen Chauvinismus einen internationalistischen Antiimperialismus entgegenzustellen. Dies hätte den Einfluß aller reaktionären Nationalisten, von Milosevic über Tudjman und Co. bis zur UCK, zurückgedrängt. Der politische Wille zur entschlossenen Verteidigung Jugoslawiens gegen die NATO wäre der notwendige Ausgangspunkt dieser Entwicklungen gewesen.
Die Internationalen Sozialisten (IS) wie der größte Teil der deutschen Linken reden viel von der internationalen Einheit der Arbeiter-Innen – auf eine völlig inkonsequente, sozialpazifistische Weise. Internationale Solidarität und ein effektiver Zusammenschluß im Klassenkampf sind aber nur möglich auf der Grundlage dessen, was für den internationalen Klassenkampf, die Perspektive der proletarischen Weltrevolution, am besten ist. Kann es da noch einen Zweifel geben, daß dies während der NATO-Angriffe nicht irgendeine billige Neutralität sondern die Verteidigung Jugoslawiens war?