Liebesgrüße aus Absurdistan – Polemiken mit der SpAD/IKL
In der Ausgabe Herbst 2003 des SPARTAKIST spuckt die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) in einem hysterischen Anfall Gift und Galle gegen die Internationale Bolschewistische Tendenz. Vorausgegangen war dem ein noch heftigerer Ausbruch im Workers Vanguard (WV) Nr. 807 vom 1. August 2003 und Nr. 808 vom 29. August 2003. Der Artikel “Bill Logan: Ein echt kranker Dreckskerl – BT – eine wandelnde Provokation” ist eine Übersetzung aus WV Nr. 808, die einen zutreffenden Eindruck vom Niveau der Polemiken der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL), deren deutsche Sektion die SpAD ist, gegen uns vermittelt:
Abweichungen vom Marxismus über und über garniert mit Verleumdungen, Unterstellungen und Verdrehungen von Tatsachen und unseren politischen Positionen. Abgerundet wird diese Sorte von Kritik dadurch, dass an die Stelle einer klärenden politischen Auseinandersetzung aus der Luft gegriffene Verleumdungen der BT als Söldner für finstere Mächte treten, wie “BT – Renegades for Hire” (“BT – Renegaten zum anheuern”) in WV Nr. 807 oder:
“Hauptsächlich ist die BT eine höchst dubiose und potenziell extrem gefährliche Pest der Sorte COINTELPRO [Gegenspionageprogramm des FBI, das u.a. zur Zerschlagung der Black Panther eingesetzt wurde]” (SPARTAKIST, Nr. 152, Herbst 2003).
Dies ist ein durchsichtiger Versuch der IKL-Führung, ihre Mitglieder von einer ehrlichen und offenen politischen Auseinandersetzung mit der IBT und ihrer Kritik abzuschotten, indem man die IBT dämonisiert und nicht nur als eine Organisation außerhalb der Linken und Arbeiterbewegung sondern als gefährliche Agenten des FBI denunziert. Jeder, der unsere politische Praxis kennt, weiß, wie haltlos diese Vorwürfe sind.
Die jüngsten Polemiken der IKL gegen die IBT sind im Wesentlichen ein bloßes Wiederkäuen von Vorwürfen, welche die IKL schon 1995 in dem Artikel “The BT – What is it?” (“Die BT – was ist sie?”) erhoben hat. Im Trotskyist Bulletin Nr. 5 haben wir diesen Text der IKL von 1995 vollständig abgedruckt und Absatz für Absatz erwidert. Wir werden deshalb hier nicht erneut jeden Punkt eingehen.
Bemerkenswert sind an den IKL-Artikeln nicht neue Inhalte, sondern dass die alten und längst widerlegten Vorwürfe noch hysterischer, unsachlicher und unpolitischer zusammengestoppelt wurden als 1995, so dass die Texte eher als eine Selbstentlarvung der IKL denn als eine ernsthafte Kritik an der IBT funktionieren. Was hat die IKL nur so getroffen, dass sie derart reagiert?
Das Editorial des WV verrät uns die Antwort:
“Als sie den Austausch mit der Internationalen Bolschewistischen Tendenz (BT) in WV Nr. 806 (4. Juli) veröffentlichten, unterließen der Herausgeber und andere Genossen, die zentral für die Zeitungsproduktion verantwortlich sind, es Genossen James Robertson über die gemeine, verlogene Schmiererei der BT gegen ihn als einen ‘Chauvinisten’ in einem ‘P.S.’ zu einem Brief angeblich über die Kurden zu informieren.”
Am 6. Juni 2003 hatte Genosse André in einem WV-Artikel unsere Kurdistan-Politik als “selbstzufriedenen Großmachtchauvinismus”, der ihn “sprachlos” mache, denunziert. In einem Antwortbrief an WV vom 12. Juni 2003 wiesen wir diese Anschuldigung fundiert zurück und stellten in einem P.S. die Frage, ob er nicht vielmehr sprachlos sei angesichts der obszönen und vulgär-chauvinistischen Bezeichnung von Kurden als “Scheißhaufen” (“Turds”), durch James Robertson, den lider maximo der IKL. Offensichtlich war der IKL dieses Eisen zu heiß, um dazu Stellung zu nehmen. “Stattdessen”, so heißt es weiter im Editorial des WV,
“entschieden wir unilateral das ‘P.S.’ wegzulassen. Am 4. Juli veröffentlichte die BT das ‘P.S.’ in Form eines Flugblattes auf der ‘Marxism’-Veranstaltung der Socialist Workers Party in London [in Deutschland: Linksruck; Anm. BOLSCHEWIK] höhnisch, dass WV diese gemeinen Anschuldigungen ‘implizit akzeptiere’. Nein, das tun wir nicht! Wir ließen das ‘P.S.’ aus, weil es eine verächtliche Lüge war, aber damit fielen wir in die Falle der BT und implizierten durch unser ausweichendes Schweigen Schuld. Dahinter stand eine blutlose Konzeption von Politik, welche die Tiraden der BT über die Kurden als bare Münze nahm, die nichts als eine Verpackung für eine Giftpille waren.
Das Flugblatt der BT vom 4. Juli beweist, dass ihr provokatives ‘P.S.’ der ganze Punkt ihres Briefes war. Wir hätten es wissen sollen. Die BT könnte sich nicht weniger um die Kurden oder ein anderes unterdrücktes Volk kümmern. Von Anfang an war die BT ein zweifelhafter Haufen mit einer feindseligen Obsession für die Spartacist League und besonders für ihren Gründungs-Coführer Jim Robertson.
Verleumdungen gegen Führer der kommunistischen Bewegung sind nichts neues. Sie sind das Rüstzeug der Gegner des revolutionären Marxismus, um ganze Organisationen herzurichten für feindliche Angriffe und staatliche Repression. Die Methode ist: eine Organisation töten, indem man ihren Kopf abschlägt.
Die Handlungen der Redaktion verhöhnten die Normen des demokratischen Zentralismus, auf denen die Spartacist League und die Internationale Kommunistische Liga operieren. Genosse Robertson ist Mitglied der Redaktion und Nationaler Vorsitzender der Spartacist League und war persönlich das Ziel der BT-Verleumdungen. Doch wurde ihm nie eine Kopie des BT-Briefes mit dem ‘P.S.’ gesandt. Außer dumm, arrogant und ungenossenschaftlich war dieser Bruch der Zusammenarbeit ein Angriff auf unsere eigene revolutionäre Kontinuität. Die Spartacist League ist und war von Anfang an eine Organisation, die ohne Rücksicht auf kleinbürgerliche Empfindlichkeiten sagt, was ist. Die Handlungen der Redaktion könnten den Praktiken des Zentrismus entliehen sein, d.h. einer Abweichung zwischen dem, wofür wir stehen und dem, was wir tun.
Unsere Erklärung der Prinzipien, die auf der Gründungskonferenz der Spartacist League/U.S. von 1966 angenommen worden war, zitiert Trotzkis Bemerkung:
‘Der Wirklichkeit offen ins Auge sehen; nicht den Weg des geringsten Widerstandes suchen, die Dinge beim Namen nennen, den Massen die Wahrheit sagen, wie bitter sie auch sein mag; keine Hindernisse fürchten, ehrlich sein im Kleinen wie im Großen; das Programm auf die Logik des Klassenkampfes stützen; Mut besitzen, wenn die Stunde des Handelns kommt – dies sind die Regeln der Vierten Internationale’. In Übereinstimmung mit diesem Zweck gestehen wir öffentlich den Schaden ein, den wir unserer Partei, Genosse Robertson und unseren Lesern zugefügt haben.”
Die IKL bezeichnet andere Linke in schöner Regelmäßigkeit als Rassisten und Chauvinisten, kann aber das Echo nicht vertragen – zumal, wenn es auf handfesten Beweisen aus IKL-Dokumenten beruht.
Großmachtchauvinismus und die Kurdische Frage
Es war nämlich die IKL, die uns im WV Nr. 805 vom 6. Juni 2003 als “Großmachtchauvinisten” denunziert hat, weil wir angeblich gegen die Unabhängigkeit Kurdistans und die nationalen Befreiungsbestrebungen der Kurden sind. Das ist kompletter Unsinn: Wir verteidigen das Recht der Kurden auf nationale Selbstbestimmung und ihren Kampf gegen nationale Unterdrückung bedingungslos. Wir propagieren lediglich – ohne dadurch die militärische Verteidigung einzuschränken -, dass ein unabhängiges kapitalistisches Kurdistan utopisch und eine kleinbürgerliche politische Sackgasse ist. Wir betonen, dass Kurdistan nur durch gemeinsamen revolutionären Klassenkampf, den Sturz von vier regionalen kapitalistischen Regimen, die Verdrängung des imperialistischen Einflusses und nunmehr auch den Rauswurf der imperialistischen Besatzer aus dem Irak befreit werden kann (BOLSCHEWIK Nr. 2).
Das ist mehr, als eine bürgerliche Nationalbewegung zu leisten imstande ist. Das kurdische Proletariat auf kurdischem Gebiet ist minimal; eine Arbeiterbewegung existiert in dieser Region fast ausschließlich außerhalb Kurdistans. Der nach aller Voraussicht einzige Rahmen für eine mögliche Lostrennung Kurdistans ist daher die Sozialistische Föderation des Nahen Ostens. Der genannte WV-Artikel von Bruce André bringt nicht ein Argument gegen diese Analyse aber viele für sie; er teilt diese Analyse de facto. Wir ziehen daraus den Schluss, dass es für Kommunisten einerseits die Pflicht ist, die Kurden und ihr Selbstbestimmungsrecht bedingungslos zu verteidigen, andererseits voreilig wäre, sich in der Frage der Lostrennung jetzt schon festzulegen. Leninisten verteidigen zwar das Recht auf Lostrennung, rufen aber nur in Ausnahmefällen dazu auf.
Eine solche Ausnahmesituation wäre zum Beispiel die völlige Vergiftung des Klimas zwischen den verschiedenen Arbeiterklassen. Der WV-Artikel selbst bringt jedoch bis in die 90er Jahre hinein Beispiele gemeinsamen Klassenkampfes. Die IKL geht, wie die IBT, davon aus, dass die Befreiung Kurdistans nur durch gemeinsamen Klassenkampf kurdischer, türkischer, irakischer, iranischer und syrischer Arbeiter möglich ist. Woher rührt dann ihr Pessimismus, dass im Laufe dieses gemeinsamen Klassenkampfes kein wechselseitiges Vertrauen unter den Arbeitern wachsen kann, so dass die Durchführung der Lostrennung vom Klassenstandpunkt aus nicht ratsam ist?
Dieser Pessimismus gegenüber der Fähigkeit des Proletariats, im gemeinsamen Klassenkampf nationale Trennungslinien zu überwinden, ist Ausdruck der Anpassung an die Ideologie einer fremden Klasse: den (klein-)bürgerlichen Nationalismus.
Leninisten betrachten Differenzen über solche Fragen, wie die der Lostrennung im Rahmen der Sozialistischen Föderation, vom Klassenstandpunkt aus als taktische Differenzen, die kein Spaltungsgrund sein dürfen:
“Die Borotbisten unterscheiden sich von den Bolschewiki unter anderem dadurch, daß sie die unbedingte Unabhängigkeit der Ukraine verfechten. Die Bolschewiki machen daraus keinen Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten und Hader, sie sehen darin kein Hindernis für eine einmütige proletarische Arbeit. Haben wir nur die Einheit im Kampf gegen das Joch des Kapitals, für die Diktatur des Proletariats – wegen der nationalen Grenzen, der föderativen oder einer anderen Verbindung zwischen den Staaten dürfen Kommunisten sich nicht entzweien. Es gibt bei den Bolschewiki Anhänger der völligen Unabhängigkeit der Ukraine, Anhänger einer mehr oder weniger engen föderativen Verbindung und Anhänger einer völligen Verschmelzung der Ukraine mit Russland.
Wegen dieser Fragen dürfen wir uns nicht entzweien. Diese Fragen wird der Gesamtukrainische Sowjetkongreß entscheiden” (Lenin: Brief an die Arbeiter und Bauern der Ukraine, LW Bd. 30).
Eben!
Für den WV qualifiziert uns diese rein taktische Differenz aber als Großmachtchauvinisten. Lenin verteidigte die marxistische Position in der Frage der vom Zarismus brutal unterdrückten Polen gegen die pseudosozialistischen Nationalisten der PPS: Für das Selbstbestimmungsrecht, für die internationale Einheit im Klassenkampf, gegen eine Festlegung auf die Unabhängigkeit Polens.
“Wenn wir, dieses Recht [auf Lostrennung; Anm. BOLSCHEWIK] anerkennend, unsere Unterstützung der Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit den Erfordernissen des proletarischen Kampfes unterordnen, so kann nur ein Chauvinist unsere Stellung mit dem Misstrauen des Russen gegenüber dem Fremdstämmigen’ [d.h. mit “Großmachtchauvinismus”; Anm. BOLSCHEWIK] erklären, denn in Wirklichkeit muß diese Stellung zwangsläufig dem Mißtrauen des klassenbewussten Proletariers gegen die Bourgeoisie entspringen” (Lenin: Die nationale Frage in unserem Programm, LW Bd. 6).
Laut Lenin könnte also nur ein Chauvinist die IBT in der kurdischen Frage des “Großmachtchauvinismus” bezichtigen!
Spartacist-Führer nennt Kurden Scheißhaufen
Nachdem wir in unserem Brief an den WV die ungerechtfertigte Bezichtigung als “selbstzufriedene Großmachtchauvinisten” zurückgewiesen hatten, fragten wir im P.S., ob Genosse André den “selbstzufriedenen Großmachtchauvinismus” in der rassistischen Bezeichnung der Kurden als “Turds” (d.h. Scheißhaufen) durch James Robertson entdecken würde.
Das betreffende Zitat aus einer Rede von Robertson übersetzt die SpAD wie folgt:
“Kritik an Reuben: wo war Reuben die ganze Zeit? Er war in der Bibliothek verschwunden und studierte Scheißhaufen [Turds] für seine Schulung” (SPARTAKIST Nr. 152, Herbst 2003).
Im Original steht aber “studying about the Turds for his class” (iSt International Discussion Bulletin Nr. 10, Teil 1, S. 60). (International Spartacist Tendency – iSt war der Name der IKL in den 70er und 80er Jahren). Korrekterweise muss die Übersetzung also lauten “und studierte über die Scheißhaufen für seine Schulung”.
Und worüber ging seine Schulung? Über die Kurden (engl. Kurds) (siehe SPARTAKIST Nr. 152, Herbst 2003, S. 13). Man muss wirklich nicht “vom Chauvinismus beseelt” (ebd.) sein, sondern nur mit klarem Kopf 1 und 1 zusammenzählen, um die bittere Wahrheit zu erkennen: James Robertson (JR), der Anführer einer angeblich trotzkistischen Organisation nennt “Kurds” “Turds”, d.h. auf deutsch, er bezeichnet Kurden als Scheißhaufen.
Solche chauvinistischen Beleidigungen sind mit revolutionärer Politik unvereinbar und müssten entschieden verurteilt und zurückgewiesen werden: Wenn die Redaktion des WV ihren Lesern etwas schuldig ist, dann kein öffentlicher Kniefall vor JR, sondern eine klare Distanzierung von solchen Äußerungen.
WV bezeichnet unseren Vorwurf als eine verachtenswerte Lüge. Verachtenswert ist sicherlich die rassistische Verunglimpfung von Kurden als Scheißhaufen. Es ist unzweifelhaft, dass Robertson, der Gründerführer der IKL, die Kurden derart beleidigt hat. Die IKL bestreitet das Zitat auch gar nicht – es ist ja aus ihrem eigenen Bulletin. Unehrlich im Kleinen wie im Großen verfälschen sie zunächst “Turds” zu “turds”, um durch die Kleinschreibung davon abzulenken, dass hier eine Nation als Scheißhaufen tituliert und diffamiert wurde. Dann behaupten sie wider besseres Wissen, dies hätte keinen Bezug auf Kurden und bieten schließlich als Alternativerklärung an, damit habe JR rügen wollen, dass Reuben Samuels sich während des Fraktionskampfes in der britischen Sektion in die Bücherei des britischen Museums zurückgezogen habe und “seinen Kopf ins Klo steckte” (SPARTAKIST Nr. 152, Herbst 2003). Und mit ihrer fehlerhaften Übersetzung, nach der Samuels nicht “über Scheißhaufen” sondern “Scheißhaufen” studiert hat, will die SPARTAKIST-Redaktion wohl suggerieren, Robertson hätte damit nur die Bücher gemeint.
Die Redaktionen von WV und SPARTAKIST hätten besser einmal ihren Kopf in die eigenen internen Bulletins gesteckt, dann hätte ihnen klar sein müssen, dass diese Lüge auffliegt:
Robertson nannte das, worüber Reuben Samuels in der Bibliothek las, “Turds”, d.h. Scheißhaufen. George Foster, ein anderes Mitglied der Führung, schrieb im zweiten Teil des internen Diskussionsbulletins Nr. 10 der iSt: “he [Reuben Samuels, unsere Anmerkung] was running around the British Museum reading about Kurds” (S. 7), d.h. Reuben Samuels “rannte im Britischen Museum rum, um über die Kurden zu lesen”. Klingelts?
Dreck statt Argumente
Wohl ahnend, dass sie in der Sache keine haltbaren Argumente haben, wollen die Redaktionen von WV und SPARTAKIST vorsorglich eine zweite Verteidigungslinie aufbauen, indem sie sich vorrangig nicht mit dem Inhalt der Kritik auseinandersetzen sondern über die angebliche moralische Minderwertigkeit der Kritiker schwadronieren.
“Glaubt man der BT, so sind die Mitglieder der Internationalen Kommunistischen Liga & lediglich gehorsame Werkzeuge, Narren und vielleicht selber Rassisten. Aber was sind dann die eigenen ‘Gründungsführer’ der BT, die dabei waren zu der Zeit von Robertsons New Yorker Präsentation und die keinen Piep von sich gaben? Sie klagen sich selber an mit den Beschuldigungen, die sie zu Unrecht gegen uns schleudern” (SPARTAKIST Nr. 152, Herbst 2003).
Zunächst einmal haben wir nie eine derartige unsinnige Kollektivschuldthese vertreten, wie sie die IKL hier zum besten gibt: Wir haben die rassistische Bemerkung Robertsons kritisiert und nie alle IKLer als Rassisten abgestempelt.
Zweitens ist die Kritik berechtigt, dass auch heutige IBTler damals zu Robertsons rassistischer Bemerkung schwiegen – wie alle anderen auch. Die Ursache des Schweigens war eine Mischung aus Furcht und falsch verstandener Loyalität. Die Degeneration des Regimes der Organisation war 1978 zusammen mit einer Reihe von Säuberungen bereits fortgeschritten. Robertson hatte in einer öffentlichen Rede Albaner als Ziegenficker beleidigt und intern einen irischen Genossen mit einer englischen, anti-irischen Phrase als “stupid Mick” tituliert. Aber das Programm der Organisation war nach wie vor ein revolutionäres Programm. Die falsche Logik der Loyalität lautete: Wenn das Programm in Ordnung ist, kann das Regime nicht falsch sein. Jede Kritik am Regime, die nicht zugleich auf programmatische Abweichungen verweisen konnte, galt als unpolitisch. In der Tat traten programmatische Abweichungen erst mit einer Verzögerung im Laufe der folgenden Jahre auf: Da ließ man zum Beispiel die Armee der letztlich auf friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus erpichten arbeiterfeindlichen stalinistischen Bürokratie in Afghanistan mit “Hoch die Rote Armee” hochleben oder forderte sozialpatriotisch “Marines raus aus dem Libanon, jetzt, lebend!” nachdem über 200 von diesen imperialistischen Schlächtern 1983 bei einem Anschlag in Beirut umgekommen waren. Diese politische Degeneration war eine Folge der organisatorischen Degeneration. Die heutigen Genossen der IBT haben daraus die Lehre gezogen, dass die Regimefrage selbst eine politische Frage ersten Ranges ist, denn sie entscheidet über die Verfassung des Kollektivs, das der Träger des Programms ist.
Aber der damalige Fehler unserer Genossen ändert nichts an Robertsons rassistischer Bemerkung und noch weniger daran, dass WV sie bis heute deckt. Dieses wie die anderen “Argumente” dieser zweiten Verteidigungslinie der IKL haben nämlich alle eines gemeinsam: Selbst wenn sie richtig wären, täten sie nichts zur Sache, dass der Spartakisten-Führer Robertson Kurden als Scheißhaufen bezeichnet und die IKL und ihre Presse sich davon nicht distanzieren. Darüber hinaus sind die folgenden Vorwürfe allerdings auch noch falsch.
Nach Meinung der IKL-Führung verbreiteten wir unsere Kritik an Robertsons vulgärem Chauvinismus bei der “Marxismus”-Konferenz der britischen Socialist Workers Party “zum Nutzen von stalinophoben Schlägern und Spartakisten-Hassern” (SPARTAKIST Nr. 152, Herbst 2003). Wir kennen dieses Argument von diversen stalinistischen Organisationen, die sich jede scharfe politische Kritik damit verbitten, dass diese dem Feind in die Hände spiele. Sich solchen Totschlagargumenten zu beugen, ist das Ende jeder Freiheit der Kritik. Außerdem: Dann hätte WV sich klar distanzieren müssen. Darüber hinaus haben wir die IKL immer wieder gegen Versuche, sie von Veranstaltungen der Linken auszuschließen, verteidigt. Bei dem Kongress der SWP traten unsere Genossen offensiv dafür ein, IKL-Genossen Zutritt zu gewähren. Als 1994 auf dem Sommercamp von Jugend gegen Rassismus Mitglieder der CWI (in Deutschland SAV) gewaltsam gegen die SpAD vorgehen wollten, haben unsere Genossen sie verteidigt und auch heute sind wir entschieden gegen die Hetz- und Gewaltkampagne von Teilen der Berliner Antinationalen gegen die SpAD. Wir fordern Rede- und Versammlungsfreiheit für alle Organisationen der Arbeiterbewegung und Linken, also auch für die SpAD.
Das Gejammer des WV über eine bösartige Falle der IBT ist lächerlich. Wir haben in einem Brief an WV offen eine Anschuldigung gegen Robertson erhoben. Wenn es tatsächlich eine Lüge war, hätte WV diese einfach veröffentlichen, widerlegen und so die IBT der Lüge überführen können. Wo ist hier die Falle? Die Falle für die Redaktion des WV lag ganz woanders: Viele erfahrene iSt-Genossen ebenso wie eine Reihe heutiger Ex-Mitglieder waren anwesend bei JR’s chauvinistischer Turds-Bemerkung. Die Beweislage in den Internen Bulletins der iSt ist erdrückend: “Turds” war ein rassistisches Wortspiel auf “Kurds”. So entschied man sich, den unbequemen Teil unsere Briefes einfach zu unterschlagen. Loyal zur Organisation der IKL hofften sie so, Schaden abzuwenden – genau den Schaden, den die von einem ausrastenden Robertson nun erzwungene hysterische Selbstentblößung anrichtet. Dabei haben sie vergessen, dass für Robertson nur gilt: “L’organisation c’est moi!” – “Die Organisation bin ich!” Das war die Falle. Das öffentliche Herumkriechen der WV-Redaktion im Staub war die Strafe für den Ungehorsam gegen den lider maximo.
Lüge und Wahrheit im Logan-Fall
Die letzte Linie der Verteidigung ist der verzweifelte Versuch, durch Tiraden über den “echt kranken Dreckskerl” Bill Logan vom Thema abzulenken und die IBT moralisch zu diskreditieren.
Die Spartacist League/Australia-New Zealand (SL/ANZ) der 70er Jahre war eine sehr aktive Gruppe, die für den Erfolg revolutionärer Politik am Limit ihrer Ressourcen arbeitete. Unter dem von Bill Logan, damals ein junger Mann Mitte 20, geführten Regime der SL/ANZ wurde auf Genossen ein starker Druck ausgeübt, “zum Wohle der Partei” an bestimmte Orte umzuziehen – ohne die nötige Rücksicht auf ihr berufliches und privates Leben. Dieses Vorgehen war falsch und würde in der IBT nicht toleriert werden. Doch diese Art von Druck war damals in der ganzen internationalen Spartacist Tendenz (iSt – Vorläuferin der IKL) weit verbreitet. Wenn auch niemand gezwungen wurde umzuziehen, so appellierte die Führung der SL/ANZ doch massiv an die politische Hingabe und Opferbereitschaft der Genossen. Dieser Druck und die Umzüge brachten natürlich eine zu starke Belastung des Privatlebens mit sich.
Die Vorwürfe, Logan habe Genossen gezwungen, sexuelle Beziehungen einzugehen oder aufzugeben, sind jedoch schlicht falsch. Bei all dem hat Logan nicht nach persönlichen Vorteilen gestrebt – wie Edmund Samarakkody bestätigte – ein von der iSt-Führung seinerzeit eingeladener unabhängiger Teilnehmer der internationalen Kontrollkommission zum Logan-Fall, der als Weggefährte Trotzkis ein internationales Ansehen als ein Mann von Prinzipien genoß. Logan hat politische Fehler gemacht, die er politisch korrigiert hat. Er war weder ein Psychopath noch ein Verbrecher und seine Verfehlungen bewegten sich voll und ganz im Rahmen der Normen der iSt an anderen Orten, besonders in den USA.
Dies wird deutlich, wenn man den schärfsten Vorwurf gegen Logan einmal näher betrachtet: Die IKL wirft Bill Logan vor, er habe Anfang der 70er Jahre in der SL/ANZ eine Frau gezwungen, ihr Kind abzutreiben, und als dies gescheitert sei, es zur Adoption freizugeben. Erzählen kann man viel, wenn der Tag lang ist, aber wo sind die Beweise? Diese Behauptung ist nichts als eine bösartige Erfindung. Niemand wurde gezwungen, sein Kind abzutreiben oder aufzugeben. Aber überall in der iSt wurden Frauen gedrängt, keine Kinder zu bekommen. Die Führung der iSt, einschließlich James Robertson selbst, ließ es jeden wissen, dass Frauen, die Kinder kriegten, ihres Erachtens auf dem Weg aus der Politik waren. Es war daher Standard in der iSt, Genossinnen zu drängen, sich gegen Kinder und für die Partei zu entscheiden. Nichts anderes geschah in der SL/ANZ unter Bill Logan. Unter diesem in der iSt üblichen Druck erwägte eine Genossin der SL/ANZ ihr Kind abzutreiben oder zur Adoption freizugeben, um weiter ungehindert aktiv revolutionäre Politik machen zu können – und entschied sich schließlich dagegen und für ihr Kind. Wie normal dieser Vorgang in der iSt war, beweist der Umgang mit diesem Fall bis zu dem Zeitpunkt als Bill Logan in Ungnade fiel. Der Fall dieser Genossin war führenden Genossen der iSt , darunter John Sharpe, Dale Reissner und James Robertson seit dem August/September 1974 bekannt – und niemand nahm daran Anstoss &
weil a) die Genossin zu nichts gezwungen worden war
und b) der ausgeübte soziale und politische Druck als normal galt.
Der Vater des Kindes war ein Saufkumpan von Robertson, und 1976 lebten beide für mehrere Monate im selben Haus in London. Wieder nichts, weil das was wirklich passiert war, üblich war und Robertsons Normen entsprach.
Erst 1979, nachdem Bill Logan bei der Führung der iSt in Ungnade gefallen war, wurde daraus eine Affäre gemacht. Dabei fand der Grundsatz politischer Willkür Anwendung, dass wenn zwei dasselbe tun, dies noch lange nicht das Gleiche ist. Erst nachdem Logan zum Schwein gestempelt worden war, wurde plötzlich alles, was er getan hatte zur Schweinerei erklärt. Dieses Vorgehen impliziert einen Gehorsamkeitstest für alle Mitglieder: Die gleichen Handlungen, die bei anderen führenden Genossen als korrekt galten, mussten bei Logan aufs Schärfste verurteilt werden als “psychopathischer” Verstoß gegen “elementaren menschlichen Anstand”. Für alle anderen Vorwürfe gegen Logan gilt im Prinzip das Gleiche: Die angeblichen “Verstöße” waren seit Jahren bekannt. Zahlreiche führende amerikanische Genossen waren wochen- oder monatelang bei der SL/ANZ zu Besuch gewesen. Robertson selbst zeigte sich nach seinem Besuch positiv beeindruckt und lobte Logan. Zahlreiche Genossen, die zuvor mehrere Jahre in der amerikanischen SL politisch aufgewachsen waren, zogen zur SL/ANZ und waren jahrelang dort aktiv (Details siehe Trotskyist Bulletin Nr. 5, § 46 und 47).
Alles, was passierte, lief im Rahmen der üblichen Normen ab. Solche Praktiken würden in der IBT nicht geduldet werden. Diese Normen und das hinter ihnen stehende Regime der iSt waren inhuman. Und eines ist sicher: Das Leben in Jimstown ist nicht angenehmer geworden.
You better think! – Denken hilft!
Als Revolutionäre sind wir aufrichtig im Großen wie im Kleinen. Weder leugnet noch verteidigt die IBT was Bill Logan damals getan hat, aber wir behaupten und verteidigen auch, dass er gelernt und sich seitdem grundlegend geändert hat. Und wir erklären, dass das Logan-Regime nicht qualitativ verschieden war vom Regime der SL/U.S. und dass dieses sich nicht gebessert, sondern ihre Entwicklung zu einem Gehorsamkeitskult gegenüber dem Gründer-Führer Jim Robertson fortgesetzt hat. Und wenn es dazu eines öffentlichen Beweises bedurfte, dann hat ihn die Reaktion der IKL auf die Turds-Affäre frei Haus geliefert.
Selbst wenn wir einmal für einen Moment annehmen, Bill Logan, ein führendes Mitglied der IBT, sei so ein Dreckskerl wie die IKL behauptet, so wird doch davon, dass die IBT angeblich Dreck am Stecken hat, der rassistische “Scheißhaufen” vor der Tür der IKL weder kleiner noch appetitlicher. Das Geschrei der IKL über Bill Logan ist nur der Versuch, von Robertsons rassistischer Turds-Bemerkung abzulenken statt mit ihr aufzuräumen. Warum kann eine Organisation, die doch ansonsten großen Wert auf ihren anti-rassistischen Anspruch legt, dies nicht tun? Weil dies die päpstliche Unfehlbarkeit des lider maximo Jim Robertson in Frage stellen würde. Es gibt keine andere sinnvolle Erklärung, die mit den Fakten übereinstimmt.
Mal angenommen, die IKL wäre tatsächlich die revolutionäre Organisation und die IBT der “Müll, der nicht von alleine gehen kann” (“Garbage Doesn’t Walk by Itself&”, WV Nr. 807). Warum ist dann die IBT zu einem rationalen Umgang mit den historischen Fehlern Bill Logans fähig, d.h. zu einer offenen Kritik derselben, kombiniert mit der Möglichkeit, dass nachdem er aus seinen Fehlern gelernt hat, er weiterhin als Revolutionär in der IBT aktiv ist – während die IKL unfähig ist, auch nur ansatzweise mit den rassistischen Entgleisungen ihres Großen Vorsitzenden aufzuräumen?
Eben weil es in der IKL über allen formalen Leitungskollektiven eine unangreifbare und unkontrollierbare blaue, äh graue Eminenz gibt. Weil das Regime der IKL von den Normen des demokratischen Zentralismus daher gravierend abweicht und zu einem Gehorsamkeitskult degeneriert ist, der dazu führt, dass sich das gesamte, gestandene Redaktionskollektiv des WV in aller Öffentlichkeit erniedrigt, vor JR’s Füßen in den Staub schmeißt und mea culpa schreit.
Will man JR nicht zurechtweisen, muss man die Wahrheit über das “Turds”-Zitat zurechtstutzen und offensichtliche und lächerliche Lügen verbreiten. Die Frage ist doch: Welchem Sektengötzen opfert die IKL hier die Wahrheit? JR und seiner Unantastbarkeit und Unfehlbarkeit! Die frappierende Durchsichtigkeit der Lügen macht ihre Akzeptanz zu einem Gehorsamkeitstest. Für junge selbständig denkende und revolutionär gesinnte Mitglieder der IKL ist jetzt die Zeit gekommen, in der sie entweder ihr Gehirn abschalten und ihr politisches Rückgrat brechen lassen oder mit der IKL brechen und sich der IBT anschließen.