Versagen vor dem Hauptfeind

Die Linke zwischen den Kriegen

Die deutsche Linke bot auch in Anbetracht des Krieges, wie seit Jahren bei jedem größeren Klassenkampfereignis üblich, ein erbärmliches Bild. Nach dem – zumindest für die Herrschenden – offensichtlichen Bankrott fast der gesamten Linken und Arbeiterbewegung, eröffnete die SPD-geführte Regierung folgerichtig die Klassenkampfoffensive an der Heimatfront bereits während des Krieges: “Die Bonner Horrorliste! … Das wird bitter: Wenn Bundesfinanzminister Eichel am 30. Juni sein Steuerpaket vorlegt, wird keiner dem drastischen Sparkurs entkommen” (Bild am Sonntag, 09.05.1999). Wirklich keiner? Nicht einmal Bild log und meinte ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen. Die UnternehmerInnen jedenfalls wurden und werden bedient statt beraubt. Für Millionen abhängig Beschäftigte, Pflichtversicherte, RentnerInnen und SozialhilfeempfängerInnen ist die “rot”-grüne “Reform”politik allerdings wirklich bitter. In konsequenter Fortsetzung des reformistischen Burgfriedens stößt die Regierung bisher auf keinen nennenswerten Widerstand der Gewerkschaften.

Die unzufriedenen GewerkschaftsaktivistInnen sind geschwächt, isoliert, politisch desorientiert und zunehmend demoralisiert. Der unter ihnen vorherrschende Linksreformismus propagiert einen “klassenkämpferischen” Druck von unten, eine “konsequente” Umverteilung von oben nach unten. Diese Politik ist opportunistisch auf Popularität im Windschatten der Sozialdemokratie und “linker” GewerkschaftsbürokratInnen orientiert. Nach dem konterrevolutionären Sieg des Kapitalismus über die UdSSR und in Zeiten heißer Kriege ist dieser – nur radikal scheinende – Reformismus politisch nicht einmal mehr attraktiv und populär.

Zwickels Scheingefecht

Die GewerkschaftsbürokratInnen nehmen die führungslose Wut an der Basis daher gar nicht erst auf oder kanalisieren sie wie Zwickel präventiv in das bürokratische Verhandlungsprojekt “Rente mit 60”. Wir begrüßen jede Senkung des Rentenalters ohne Einkommenseinbußen – je früher die Plackerei zu Ende ist, um so besser. Doch Klaus Zwickels Initiative war für die ArbeiterInnen von Anfang an eine Totgeburt. Ins Spiel gebracht, um Kritik an seiner Wiederwahl als Gewerkschaftsvorsitzender abzufangen, war sie nie auf eine ernsthafte Mobilisierung der Gewerkschaftsmitglieder ausgerichtet.

Zwickels konkreter Vorschlag bietet von vornherein kein erkämpfenswertes Ziel, denn er ist gar keine echte Reform: Er beschneidet die Vorteile der Frühverrentung auf fünf Jahre; durch gesteigerte Rationalisierung und Arbeitshetze würde der Beschäftigungseffekt weitestgehend verpuffen. Für die jüngeren Teile der Arbeiterklasse würde er Lohnverzicht bedeuten, da sie das Projekt mindestens zur Hälfte finanzieren sollen. Deshalb spaltet und schwächt die zeitlich begrenzte Frühverrentung nach Zwickel die Arbeiterbewegung und löst nicht die brennenden Probleme der Erwerbslosigkeit und des sinkenden Lebensstandards, sondern nutzt diese Not zur weiteren Demoralisierung der Arbeiterbewegung.

Klassenkampf gegen Arbeitslosigkeit

Die einzig angemessene Antwort darauf, ist der Kampf für die Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich durch eine radikale Verringerung der Arbeitszeit. In diesem Rahmen ist eine deutlichen Senkung des Rentenalters eine sinnvolle Forderung – vorausgesetzt, sie erfolgt zeitlich unbegrenzt, ohne Einkommenseinbußen und wird ausschließlich auf Kosten des Kapitals finanziert. Die Bosse sollen zahlen – die ArbeiterInnen müssen sie dazu zwingen. Eine entschlossene Mobilisierung der Gewerkschaften kann ein wichtiger Schritt sein, um die notwendige Kampfkraft zu entfalten. Dies ist jedoch nur im politischen Kampf gegen die Handlanger der Bosse in der Arbeiterbewegung, gegen die Zwickels und Schultes, möglich. Der Kampf um die Revolutionierung der Gewerkschaften erfordert beharrliche kommunistische Gewerkschaftsarbeit – eine solche ist von den SozialpazifistInnen und -patriotInnen der deutschen Linken nicht zu erwarten.

Die SPD an der Macht

Die sozialdemokratische Regierungspartei reagiert mit inszenierten PR-Aktionen auf die in Wahlniederlagen deutlich werdende Unzufriedenheit ihrer proletarischen Stammwähler mit der “Blut, Schweiß und Tränen”-Politik für den deutschen Imperialismus. Um diese Politik besser zu verkaufen, darf der Lohndrücker und Job-Killer Schröder (6% weniger Lohn, vier unbezahlte Überstunden pro Woche, über 3000 Entlassungen) den Retter der “Holzmänner” spielen, während der Betriebsratsvorsitzende den “Gerhard-Gerhard”-Chor dirigiert. Damit helfen ArbeiterbürokratInnen der regierenden bürgerlichen Arbeiterpartei SPD einmal mehr, den Widerspruch zwischen ihrer immer rechter werdenden Politik in der “Regierungsverantwortung” für den deutschen Imperialismus und den objektiven Interessen ihrer proletarischen Basis zu vertuschen.

Kombiniert mit solchem Politmarketing versucht Innenminister Otto Schily 1999, wie schon 1991 Innenminister Wolfgang Schäuble, die instinktive Wut der Arbeiter und Arbeiterinnen mit rassistischer Hetze auf Flüchtlinge zu richten. Schily diffamiert sie zu 97% als betrügerische Wirtschaftsflüchtlinge, die am deutschen Sozialstaat schmarotzen und will das Individualrecht auf Asyl auch formal abschaffen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck fand diese Äus-serungen “unnötig” – kam die SPD doch dank der CDU-Finanzaffäre vorerst auch ohne rassistische Hetzkampagne und ihre möglichen Nachteile für das internationalen Ansehen Deutschlands aus dem Stimmungstief. Hierfür gilt allerdings, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Auf dem SPD-Parteitag wurden am 9. Oktober zwei Resolutionen verabschiedet, die sich gegen Schilys Asylpolitik richten sollten und zum Teil einzelne konkrete Verbesserungen an der tödlichen Abschiebemaschinerie, wie eine sogenannte Altfallregelung, Anerkennung der Genfer Flüchtlingskonvention, verbesserten Familiennachzug und Abschaffung des Flughafenverfahrens, forderten. Auf eine anti-rassistische Arbeitermobilisierung wurde natürlich von diesen linken BürokratInnen verzichtet. Statt dessen wurde “die Antragskommission … beauftragt, aus beiden Texten einen gemeinsamen Antrag zu formulieren. Schily kann wohl darauf hoffen, dass im Zuge dieser ‘Zusammenführung’ dem detaillierten und geharnischten Münchner Antrag die Spitzen abgebrochen werden” (SZ 10.12.1999). Womit in diesem Fall aufgeschoben, aufgehoben wäre.

Trotz der – übrigens im Wahlkampf im Wesentlichen angekündigten (siehe BOLSCHEWIK 11, September 1998) – Schweinereien der SPD an der Macht, regt sich kaum organisierter Protest.

PDS auf Regierungskurs

Die PDS stürmt zwar im Wasserglas, verhindert aber, soweit es in ihrer Macht steht, jede ernsthafte Mobilisierung gegen die SPD. Trotz Krieg und Abschiebeterror schreitet sie Seit’ an Seit’ mit ihrem Koalitionspartner SPD in Mecklenburg-Vorpommern zu Sozialabbau und massivem Ausbau der Polizeibefugnisse für willkürliche Personenkontrollen (siehe auch Bolschewik 12). Der kleinen linken Minderheit in der PDS hält Matthias Gärtner (PDS-Abgeordneter in Sachsen-Anhalt) entgegen: “Es gibt viele Elemente in dieser so bösen kapitalistischen Gesellschaft, die uns gefallen … Wir haben diese Gesellschaft gewollt, sie ist ein Fortschritt gegenüber der DDR” (SZ 6.12.1999). Kapitalistische Ausbeutung und imperialistischer Raubkrieg sind ein Fortschritt … für die deutsche Bourgeoisie. Sie sollen zukünftig auch offen von der Partei des demokratischen Sozialismus gewollt werden: Dem Programmentwurf für die Parteireform zufolge “will die PDS das Privateigentum anerkennen und auch den Einsatz der Bundeswehr im Ausland nicht mehr rundweg ablehnen” (ebd., siehe auch: “PDS auf Kriegspfad” in dieser Ausgabe). Die PDS will 2002 für den deutschen Imperialismus regierungsfähig sein – natürlich mit der SPD. Kaum als “Anti-Kriegspartei und die Partei der sozialen Gerechtigkeit” (Lothar Bisky, ebd.) von linken Grünen bis radikalen Linken zum rettenden Strohhalm ihrer politischen Orientierungslosigkeit erkoren, nutzt die PDS diesen Ruf postwendend im Dienste des deutschen Imperialismus. Der Rest der deutschen Linken ist also während des Krieges durch seinen Sozialpazifismus größtenteils endgültig im Fahrwasser der PDS – und damit letztlich im Hauptstrom ihrer “alten Tante SPD” – gelandet.

Klassenkampf dem Raubkrieg!
Revolutionärer Sturz der Regierung!

Das vorherrschende Versagen der proletarischen und kleinbürgerlichen Linken in Deutschland, Jugoslawien und besonders seiner ArbeiterInnen gegen den deutschen Hauptfeind zu verteidigen, führt politisch konsequent zur Unfähigkeit, die eigene Haut gegen die bürgerliche Offensive im eigenen Land zu verteidigen: Wer im Stich läßt seinesgleichen, läßt eben nur sich selbst im Stich. Eine “starke Linke” (Motto der nationalen AA/BO-Demonstration ins Jahr 2000 in Berlin) und eine klassenkämpferische Erneuerung der Arbeiterbewegung ist ohne eine unversöhnliche anti-imperialistische Politik, vor allem gegen den Hauptfeind im eigenen Land, und eine schonungslose Abrechnung mit dem Versagen der Linken während des letzten Krieges unmöglich. Der nächste imperialistische Raubzug kommt bestimmt. Bis dahin werden der kalte Angriff auf den Lebensstandard und auf die Rechte von ImmigrantInnen sowie der ganz normale Welthandel auf Dauer durch Obdachlosigkeit, miserable medizinische Versorgung, allgemein sinkende Lebenserwartung, Abschiebungen sowie die Ausplünderung unterentwickelt gehaltener Länder nicht weniger Tote fordern als der heiße Krieg.

Das Versagen der Linken in und zwischen den Kriegen ist fatal; eine offene Diskussion und Kritik ist dagegen von vitaler Bedeutung für alle subjektiven Revolutionäre. Wir werden deshalb in den folgenden Artikeln eine politische Abrechnung vornehmen und unsere Kritik ausführen.