„Trotzkistischer“ Konfusionismus

Das Doppeldenken der Trotzkistischen Fraktion in Bezug auf Imperialismus, Ukraine, China und Multipolarität

Im Vergleich zu vielen pseudo-trotzkistischen Strömungen sind die ehemaligen Moreno-Anhänger der Trotzkistischen Fraktion (TF, in Deutschland repräsentiert durch die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) und deren Publikation Klasse gegen Klasse) in den letzten Jahren gewachsen, vor allem in Frankreich. Die sich verschärfenden Klassenkonflikte in ganz Europa wurden durch die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine angeheizt, insbesondere durch den Boykott russischer Energieexporte. Dieser Krieg ist ein wichtiger Teil einer sich abzeichnenden multipolaren Ordnung, die von der Revolte verschiedener neokolonialer und abhängiger kapitalistischer Länder und vor allem des deformierten Arbeiterstaates China gegen die reaktionäre „regelbasierte internationale Ordnung“ unter Führung der USA und ihrer imperialistischen Verbündeten vorangetrieben wird. Wie wir an anderer Stelle festgestellt haben, hat die TF zwar die Rolle der NATO bei ihrer Provokation Russlands zu dessen Einleitung seiner Sondermilitäroperation (SMO) im Februar 2022 richtig beschrieben, aber nach Beginn des Konflikts eine neutrale Haltung eingenommen. Wir stellen fest, dass verschiedene TF-Theoretiker unterschiedliche, manchmal widersprüchliche Begründungen für diese Position angeführt haben. Die Autoren des Konferenzdokuments der TF vom 13. bis 14. Mai 2023 beschreiben die kommende Periode als eine:

„in der die tiefgreifenden Tendenzen der imperialistischen Epoche der Kriege, Krisen und Revolutionen (Lenin) wieder in den Vordergrund gerückt sind. Im militärischen und geopolitischen Bereich kommen diese Tendenzen im Krieg in der Ukraine, in den wachsenden Spannungen zwischen den USA und China, in der Tendenz zur Bildung von Blöcken rivalisierender Mächte usw. zum Ausdruck.“

Sie beschreiben den „Russland/Ukraine-NATO-Krieg“ als ein entscheidendes Ereignis von globaler Bedeutung: „der Krieg in der Ukraine [ist] nicht nur irgendein weiterer Krieg. Auch wenn er in einem nicht unbedingt linearen Rhythmus abläuft, stellt er den Beginn einer offenen (auch militärischen) Infragestellung der derzeitigen Weltordnung dar.“ Der Krieg ist eine Fortsetzung der „imperialistische[n] Politik der ‚Einkreisung‘ Russlands durch die Osterweiterung der NATO“. Wie das Dokument zutreffend feststellt, „besteht die Strategie des US-Imperialismus schematisch gesagt darin, Russland zu zermürben, indem die ukrainischen Truppen als ‚Kanonenfutter‘ benutzt werden.“ Es heißt weiter: „Für den US-Imperialismus hat die Fortsetzung des Krieges unter anderem den Vorteil, Russland weiter zu schwächen, die Abhängigkeit seiner Verbündeten von Russland weiter zu verringern und insbesondere Deutschland von Russland ‚abzukoppeln‘.“ Doch trotz dieser richtigen Anmerkungen unterstützt das Konferenzdokument die ursprüngliche Erklärung der TF vom 2. März 2022 zu dem Konflikt: „Nein zum Krieg! Russische Truppen raus aus der Ukraine! NATO raus aus Osteuropa! Nein zur imperialistischen Aufrüstung!“ (Klasse gegen Klasse). Das erinnert uns an George Orwells Beschreibung von „Neusprech“ in 1984:

„Der Wortschatz C bildete eine Ergänzung der beiden vorhergehenden und bestand lediglich aus wissenschaftlichen und technischen Fachausdrücken. Diese ähnelten den früher gebräuchlichen und leiteten sich aus den gleichen Wurzeln ab, doch ließ man die übliche Sorgfalt walten, sie streng zu umreißen und von unerwünschten Nebenbedeutungen zu säubern.“

TF über die Ursprünge des Krieges in der Ukraine

Am 23. Februar 2022, einen Tag bevor russische Truppen die Grenze zur Ukraine überquerten, skizzierte Claudia Cinatti von der TF präzise die Hintergründe für den Ausbruch der Feindseligkeiten:

„Die Wurzeln des Konflikts zwischen Russland, der Ukraine und der NATO gehen auf das Ende des Kalten Krieges mit dem Triumph der USA, der Auflösung der Sowjetunion und der kapitalistischen Restauration zurück. Nachdem es unter Boris Jelzin einen historischen Einbruch erlitten hatte, ist Russland unter Putins bonapartistischem Regime wieder zu einer Macht geworden. Diese hat zwar nicht den Status der ehemaligen Sowjetunion und beruht auf einer vom Erdöl abhängigen Rentenökonomie. Doch sie hat das Atomwaffenarsenal der ehemaligen UdSSR geerbt, was ihr eine geopolitische Ausstrahlung verleiht, die weit über ihre materiellen Grundlagen hinausgeht und Putins Ambitionen nährt, die internationale Bühne im Interesse des russischen Kapitalismus zu beeinflussen.
Neben der Förderung prowestlicher Regierungen in der Nachbarschaft Russlands haben die USA die Osterweiterung der NATO vorangetrieben, die nach und nach die Länder einbezog, die zum ehemaligen Einflussbereich der Sowjetunion gehörten. Die NATO, die das kapitalistische Europa gegen einen möglichen Angriff der Sowjetunion unter Führung der USA verteidigen sollte, verdoppelte nach dem Untergang der UdSSR ihre Mitgliederzahl und dehnte sich bis an die Grenzen Russlands aus. Die Logik hinter diesem expansiven Vorgehen der USA ist das strategische Ziel, eine Politik der Halbkolonisierung Russlands voranzutreiben.“
klassegegenklasse.org, 23. Februar 2022 (Hervorhebung hinzugefügt)

Der Triumph der kapitalistischen Konterrevolution in der Sowjetunion von 1991 unter der Führung Boris Jelzins führte zu einem beispiellosen Rückgang des Lebensstandards der Arbeiterklasse. Jelzins Nachfolger Wladimir Putin reduzierte durch die Wiederherstellung der staatlichen Kontrolle über die natürlichen Ressourcen Russlands – insbesondere im Öl- und Gassektor – den Wertabfluss zu westlichen Unternehmen. Diese Entwicklung war in den Hochburgen des Imperialismus unbeliebt, wo die Ukraine als potenzieller Hebel angesehen wurde, um Russland zu schwächen und es letztendlich in einen halbkolonialen Status zu versetzen. 2023, ein Jahr nach Beginn Putins „Sondermilitäroperation“ (SMO) in der Ukraine, beschrieb Sou Mi in der amerikanischen Zeitschrift der TF, wie die Imperialisten in Russland eingegriffen hatten:[i]

„In den letzten Jahrzehnten war es ein strategisches Ziel der USA und der NATO, Russland zu umzingeln und einzudämmen. Dies geschah auf zwei Arten: erstens durch die Erweiterung des NATO-Gebiets um ehemalige Staaten des Ostblocks und zweitens durch die Einmischung in und Umleitung der demokratischen Revolten, die sich in den sogenannten ‚Farbrevolutionen‘ äußerten, wobei die Dynamik gegen autoritäre Regime genutzt wurde, um den Einfluss der USA auszuweiten. Insbesondere im Hinblick auf Letzteres bestand die Politik der USA und der NATO in der Ukraine in der Strategie, Russland durch die Einsetzung von Marionettenregimes unter dem Einfluss des westlichen Imperialismus einzudämmen, seit 2004 bis 2014 und bis heute.“
leftvoice.org, 27. Februar 2023 (Übersetzung durch die BT)

Die Mehrheit innerhalb der TF vertritt offenbar die Ansicht, dass Russland kein imperialistisches Land im marxistischen Sinne ist. Esteban Mercatante, eine Führungspersönlichkeit der argentinischen Vorzeigesektion der TF, der Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS), beschreibt Russland als eines der folgenden Länder, das:

„zu einer Gruppe gesellschaftlicher Zwischenformationen gehört, für die wir die Kategorie der abgeschwächten Abhängigkeit oder mit abgeschwächten Merkmalen vorgeschlagen haben. Unter dieser Kategorie verstehen wir jene Gesellschaftsformationen, die, ohne ihren subalternen Status zu verlieren, eine größere Fähigkeit aufweisen – immer relativ und im Vergleich zu den abhängigen Ländern –, die staatliche Politik auf die Wahrung der Interessen von Sektoren der nationalen Kapitalist:innenklasse auszurichten und diese über ihre Grenzen hinaus, im Allgemeinen innerhalb der Grenzen ihrer unmittelbaren Peripherie, durchzusetzen.“
klassegegenklasse.org, 23. September 2022

Mercatante kommentiert, dass sich nach der kapitalistischen Restauration in Russland die Kluft in der Arbeitsproduktivität zu den USA vergrößert hat:

„In ihren letzten Jahren hatte die Sowjetunion eine Arbeitsproduktivität, die 60 Prozent derjenigen der gesamten US-Wirtschaft entsprach. Inmitten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in den 1990er Jahren sank dieser Indikator auf ein Drittel des Wertes der US-Wirtschaft. Obwohl die Produktivität in der Folgezeit mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zunahm, liegt sie nach wie vor bei 45 Prozent der US-Produktivität pro Beschäftigtem.… Zweifellos ist die Kluft zum US-Imperialismus noch größer als vor 30 Jahren, und zu allem Überfluss geschieht dies mit einer viel weniger diversifizierten und komplexen Wirtschaft, da die industrielle Infrastruktur seit der Restauration stark geschrumpft ist.“

Auch stellt er fest, dass Russland trotz der Einnahmen aus seinem wachsenden Bestand an ausländischen Direktinvestitionen (ADI) „weit [davon] entfernt“ ist, „ein imperialistisches Land zu sein“:

„Im Falle Russlands ging die Expansion seiner Unternehmen im Ausland mit einem etwa gleich hohen Anstieg der ADI-Zuflüsse in das Land einher, so dass sich die Nettoposition nur wenig veränderte. Auf 3 USD an ADI aus Russland heraus im Jahr 2021 kamen 4 USD an ADI nach Russland hinein. Diese negative Lücke hat zur Folge, dass, wenn wir von gleichen Erträgen für beide ADI-Ströme ausgehen – eine unrealistische Annahme, die aber der Vereinfachung dient –, die Erträge, die die russische Wirtschaft im Ausland generiert, nur 75 Prozent der Erträge ausmachen, die ausländisches Kapital in Russland erzielt. Dies Stellung bedeutet, dass Russland zwar viel weniger gefährdet ist als der Durchschnitt der abhängigen Länder, aber weit entfernt von der eines imperialistischen Landes oder sogar der ‚wohlhabenden Peripherie‘.“

Wie wir zuvor erörtert haben, weist Russland in seinen internationalen Beziehungen ein Wertdefizit auf, was bedeutet, dass es keine imperialistische Macht im marxistischen Sinne ist. Mercatante erkennt dies an und charakterisiert die militärische Intervention Russlands in der Ukraine als im Wesentlichen defensiv:

„Der Einmarsch in die Ukraine ist ein Akt der Aggression, mit dem Russland versucht, zumindest einen Teil des südöstlichen Gebiets der Ukraine zu annektieren. Doch auch wenn diese Besetzung Teil des Bestrebens des russischen Staates ist, die territoriale Größe des Zarenreichs oder der Sowjetunion wiederzuerlangen, so ist sie doch Teil eines eher defensiven Kurses des Gegenschlags seitens Putins Russland, trotz aller hochtönender Reden über die Notwendigkeit, die glorreiche imperiale Vergangenheit wiederzuerlangen.“
Ebd.

In ihrer ersten offiziellen Stellungnahme zum Konflikt räumte die Trotzkistische Fraktion ein, dass das strategische Ziel der Imperialisten darin besteht, Russland zu einer westlichen Halbkolonie zu machen:

„Die imperialistischen Nationen sind nicht an ‚Unabhängigkeit und Demokratie‘ in der Ukraine interessiert, wie sie zynisch behaupten. Auch wenn sie sich im Moment nicht auf eine direkte militärische Konfrontation mit den russischen Streitkräften einlassen, nutzen sie die derzeitige Besetzung für ihre eigene militärische Aufrüstung. Sie versuchen, sich für eine Halbkolonisierung nicht nur der Ukraine (die unter dem Stiefel des IWF und des ‚westlichen‘ Imperialismus eines der ärmsten Länder Osteuropas ist), sondern Russlands selbst in Stellung zu bringen, falls sich Putins politisches und militärisches Kalkül als falsch erweist und er von der Gewalt der Ereignisse hinweggefegt wird.“
klassegegenklasse.org, 2. März 2022

Als der erste Monat des Krieges zu Ende ging, fassten Juan Chingo, Philippe Alcoy und Pierre Reip von der französischen Sektion der TF, Révolution Permanente (RP), den begrenzten Umfang von Putins „Sondermilitäroperation“ treffend zusammen:

„Die russische Armee ist zwar militärisch in die Ukraine eingedrungen, aber in Form einer Polizeiaktion, die darauf abzielt, schnell Zugeständnisse zu erlangen, um eine kostspielige Besetzung zu vermeiden. Wenn Russland seine Ziele nicht in den nächsten Tagen erreicht, wird die Invasion immer mehr Kräfte erfordern und könnte zu einer echten Pattsituation sowie zu einer immer tödlicheren Eskalation auf Kosten der ukrainische [sic] Bevölkerung führen.“
klassegegenklasse.org, 28. März 2022

Doch obwohl die TF den Charakter der russischen Intervention als im Wesentlichen defensiv begriff, weigerte sie sich, Partei zu ergreifen und sich für einen militärischen Sieg Russlands über die NATO und ihren ukrainischen Stellvertreter einzusetzen – ein Widerspruch, den wir angesichts der unerbittlichen imperialistischen Propagandaflut als „politische Feigheit” bezeichneten. In einem offensichtlichen Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen, produzierten die TF-Theoretiker massenhaft verwirrende Doppeldeutigkeiten über Russland als „imperialismus-artig“, darunter Folgendes von Matías Maiello von der argentinischen Sektion der TF, der PTS:

„Russland ist heute, trotz aller Widersprüche, die durch seinen Prozess der kapitalistischen Restauration hervorgerufen werden, einschließlich des unvollendeten Projekts seiner eigenen Halbkolonialisierung, ein kapitalistisches Land. Und obwohl Russland nicht im eigentlichen Sinne des Wortes imperialistisch ist (da es keine nennenswerte internationale Expansion seiner Monopole und keinen nennenswerten Kapitalexport betreibt; es exportiert im Wesentlichen Gas, Öl, Rohstoffe usw.), agiert es doch als eine Art ‚militärischer Imperialismus‘ in seiner Einflusszone.“
leftvoice.org, 10. März 2022 (Übersetzung durch die BT)

Der Begriff des „militärischen Imperialismus“ soll vermutlich eine Parallele zur Rolle des zaristischen Russlands während des Ersten Weltkriegs herstellen. Doch es gibt keine Parallele: Lenin argumentierte (siehe: „Die Außenpolitik der russischen Revolution“, 27. Juni 1917, LW-Band 25), dass Russlands „schändliche Abhängigkeit“ vom britischen und französischen Finanzkapital es zu einem Juniorpartner im ersten interimperialistischen Weltkrieg machte, während das „Bündnis mit den Revolutionären der fortgeschrittenen Länder und mit allen unterdrückten Völkern gegen alle Imperialisten … die Außenpolitik des Proletariats“ sei. Russland kann heute nicht als „schwaches Glied“ in einer imperialistischen Kette bezeichnet werden, da alle tatsächlichen imperialistischen Mächte gegen es opponieren. Maiello, der sich dessen offensichtlich bewusst ist, versucht, seine Leser abzulenken, indem er auf Putins Rolle bei der Stützung verbündeter bonapartistischer Regime und der Unterdrückung der nationalen Bestrebungen der Tschetschenen hinweist:

„In Wahrheit ist Putin der Anführer eines bonapartistischen Regimes, das in bester Tradition der nationalen Unterdrückung durch den russischen Zarismus in Belarus und Kasachstan interveniert hat, um reaktionäre Regierungen zu unterstützen, die durch Volksbewegungen herausgefordert wurden, dass interveniert hat, um das tschetschenische Volk militärisch zu unterdrücken, und dass interveniert hat, um Regime wie das von al-Assad in Syrien zu unterstützen.“
Ebenda

Maiello lehnt die Idee ab, dass „die Invasion der Ukraine für die [russische] ‚nationale Verteidigung‘ gegen die NATO notwendig ist“, und setzt militärische Unterstützung für die „Sondermilitäroperation“ des Kremls gleich mit einer politischen Unterstützung des bonapartistischen Regimes Putins. In einem Folgetext korrigiert er diese Vermischung implizit, indem er daran erinnert, dass die PTS während der von den USA geführten Invasionen im Irak 1991 und 2002, sowie während der Eroberung Afghanistans durch die NATO 2001, „eine Positionierung im militärischen Lager der afghanischen und irakischen Völker bei gleichzeitiger Ablehnung jeglicher politischer Unterstützung für deren reaktionäre Regierungen.“ vornahm.[ii]

Während die überwiegende Mehrheit der westlichen und lateinamerikanischen Linken die NATO-/US-Angriffe auf Afghanistan und den Irak ablehnte, neigte sie dazu, die aggressive Einkreisung Russlands durch die NATO herunterzuspielen und war gegen die letztendlich defensive Reaktion des Kremls. In beiden Fällen entsprach die Position der TF dem Konsens des radikal-liberalen-linken Milieus. Maiello versucht, die Neutralität der TF damit zu erklären, dass Russland zwar „kein imperialistisches Land im eigentlichen [d.h., marxistischen] Sinne ist“, aber aufgrund seiner militärischen Kapazitäten „eine Art“ Imperialist ist. Er begründet das mit „einer Art” marxistischer Erklärung:

„Es handelt sich nicht um einen Krieg, bei dem der gesamte Imperialismus auf der einen und die unterdrückte Nation auf der anderen Seite steht (wie bei den Beispielen, die wir im ersten und – mit ihren Unterschieden – im zweiten Golfkrieg … gesehen haben). Auf der einen Seite steht die reaktionäre Invasion Putins, bei der Russland als eine Art ‚Militärimperialismus‘ auftritt (obwohl es kein imperialistisches Land im eigentlichen Sinne ist: es hat keine nennenswerte internationale Ausdehnung seiner Monopole und Kapitalexporte; es exportiert hauptsächlich Gas, Öl und Rohstoffe usw.). Auf der anderen Seite steht eine halbkoloniale Nation wie die Ukraine, auf deren Rücken sich die imperialistischen Großmächte des Westens gegen Russland stellen. Aber es handelt sich auch nicht um einen offenen Krieg zwischen imperialistischen Mächten, wie es bei Polen unter Lenin der Fall war.“
Ebenda

Maiellos widersprüchliche Behauptung, dass es „sich nicht um einen Krieg“ handelt, „bei dem der gesamte Imperialismus auf der einen und die unterdrückte Nation auf der anderen Seite steht“, der Konflikt aber auch kein „offene[r] Krieg zwischen imperialistischen Mächten“ ist, zielt offensichtlich darauf ab, die Neutralität der TF in einem Kampf zwischen den führenden imperialistischen Mächten der Welt und einem Land, das sich gegen seine eigene „Halbkolonialisierung“ wehrt, zu rechtfertigen.

Als Reaktion auf einen Artikel von Rob Lyons und Scott Cooper (einem regelmäßigen Mitarbeiter der TF) von Socialist Action argumentierten Jimena Vergara und James Dennis Hoff, führende Mitglieder der amerikanischen Sektion der TF, dass Putins SMO keinen grundlegend defensiven Charakter habe:

„Die Invasion Russlands im Jahr 2022 war nicht nur eine Reaktion auf die Erweiterung der NATO, sondern auch eine Eskalation seiner eigenen Politik gegenüber der Ukraine – einer Politik, die darauf abzielt, das Land, insbesondere die Industrieregionen im Osten, als Halbkolonie unter russischer Kontrolle und Einflussnahme zu halten.“
leftvoice.org, 16. März 2023 (Übersetzung durch die BT)

Die SMO des Kremls war eine defensive militärische Maßnahme, die darauf abzielte, das strategische Ziel des Widerstands gegen die „Halbkolonialisierung Russlands“ voranzutreiben, indem Washingtons Versuch, die Ukraine in die NATO zu integrieren, vereitelt wurde, wie aus einer Erklärung vom 30. Januar 2022 hervorgeht, die zwei Monate zuvor von allen internationalen Sektionen der TF unterzeichnet worden war:

„Nach Ansicht der USA und westlicher Mächte bereitet Putin eine militärische Invasion der Ukraine vor. Der russische Präsident bestreitet, dass es sein Ziel sei, sein Nachbarland zu besetzen. Vielmehr handele es sich bisher um eine Machtdemonstration, um mit der Regierung Biden unter besseren Bedingungen über eine Reihe ‚roter Linien‘ zu verhandeln: dass die Ukraine neutral bleibe, dass die NATO ihre Expansion in der Nähe der russischen Grenzen stoppe und dass sie Raketen und taktische Waffen aus den Ländern des so genannten ehemaligen sowjetischen Raums abziehe.“
klassegegenklasse.org

Vergaras und Hoffs Behauptung, Putins Intervention sei teilweise darauf ausgerichtet gewesen, „die Industrieregionen des Ostens als Halbkolonie unter russischer Kontrolle und Einflussnahme“ zu halten, ist völlig falsch. Der Krieg, den das faschistisch durchseuchte Kiewer Regime, das nach dem Maidan-Putsch im selben Jahr mit massiver imperialistischer Unterstützung eingesetzt worden war, 2014 gegen die ethnisch russische Bevölkerung des Donbass führte, zwang den Kreml, seinen Landsleuten Hilfe anzubieten. Es gibt jedoch keinerlei Grundlage für die Behauptung, Russland habe versucht, die industrialisierte Ostukraine wirtschaftlich auszubeuten. Eine Studie des Brookings Institute von 2014 berichtete, dass die meisten Unternehmen in diesem Gebiet nur dank russischer Subventionen ihren Betrieb fortsetzen konnten:

„Tatsache ist, dass Russland heute die ukrainische Wirtschaft mit mindestens 5 Milliarden Dollar, vielleicht sogar bis zu 10 Milliarden Dollar pro Jahr unterstützt.
Wenn wir über Subventionen sprechen, denken wir normalerweise an Russlands Fähigkeit, der Ukraine billiges Gas anzubieten – was es auch tut, wenn es will. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten, wie Russland die Ukraine unterstützt, nur sind diese versteckt. Die wichtigste Unterstützung kommt in Form von russischen Aufträgen an ukrainische Schwerindustrieunternehmen. Dieser Teil der ukrainischen Industrie hängt fast ausschließlich von der Nachfrage aus Russland ab. Sie könnte ihre Produkte an niemanden sonst verkaufen. Die südlichen und östlichen Provinzen der Ukraine werden von Dinosaurierunternehmen aus der Sowjetzeit dominiert, die denen in Russland ähneln. Sie wurden alle in der Sowjetzeit als Teil einer einzigen, integrierten, energiereichen Wirtschaft aufgebaut. Sie konnten nur dank der Einnahmen aus sowjetischem (überwiegend russischem) Öl und Gas aufrechterhalten werden. Russische Subventionen haben diese Struktur auch in der postsowjetischen Ära aufrechterhalten. Da die meisten dieser Subventionen informell sind, tauchen sie nicht in den offiziellen Statistiken auf. (Tatsächlich spricht nicht einmal Putin darüber, obwohl es für ihn von Vorteil sein könnte, dies zu tun, denn die Anerkennung der Existenz versteckter russischer Subventionen für wertvernichtende ukrainische Unternehmen würde die Tatsache offenbaren, dass dasselbe in viel größerem Umfang auch bei ihren russischen Pendants geschieht. Auch sie produzieren keinen realen Wert.)”
Ukraine: A Prize Neither Russia Nor the West Can Afford to Win” (Übersetzung durch die BT)

Die verwirrenden Erklärungen der TF zu den Beweggründen Russlands für die Intervention gegen den NATO-Stellvertreter Kiew waren eindeutig eine „marxistische“ Rechtfertigung dafür, sich der pro-ukrainischen Stimmung anzuschließen, die in den ersten Tagen der SMO durch imperialistische Propaganda erzeugt worden war. Das Bestreben der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO), der deutschen Sektion der TF, auf der massiven Welle der pro-Kiewer „Antikriegs“-Proteste mitzuschwimmen, wird in ihrer damaligen Berichterstattung deutlich:

„Vom Alexanderplatz bis zum Großen Stern demonstrierten wieder zehntausende Menschen gegen den Krieg in der Ukraine. Nach Veranstalterangaben waren bundesweit 125.000 Menschen auf der Straße, in Berlin 60.000. Aufgerufen hatten Gewerkschaften, Kirchen und dutzende NGOs. Während die Ablehnung des russischen Einmarsches in der Ukraine universell war, gab es leider erneut – wie schon bei der Großdemonstration vor zwei Wochen mit 500.000 Menschen – viele Stimmen für Sanktionen und zum Teil auch für Waffenlieferungen an die Ukraine, sowohl von der Bühne als auch bei vielen Demonstrant:innen.“
klassegegenklasse.org, 13. März 2022

„Leider“ jubelten die meisten Teilnehmer dieser Demonstrationen dem NATO-Stellvertreter Ukraine zu. Philippe Alcoy von der französischen Sektion RP der TF berichtete, dass „[pro-nazistische] banderistische Symbole wie die rot-schwarze Flagge, die wir sogar bei Demonstrationen in Paris gesehen haben, zu ganz normalen alten nationalen Symbolen geworden sind“ (Übersetzung durch die BT). Die TF lässt sich von der Anwesenheit der extremen Rechten und dem offen proimperialistischen Charakter der Proteste nicht abschrecken. Maiello behauptete ohne jegliche Beweise, dass „sich ein harter Kampf gegen die Instrumentalisierung der Bewegung durch den imperialistischen Militarismus entwickelt“, räumte jedoch ein, dass die erfolgreiche Förderung der Verteidigung der Ukraine, die durch diese Demonstrationen populär gemacht wurde, dem aggressiven Aufrüstungsprogramm des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz Deckung verschaffte:

„Am Sonntag, dem 27. Februar gingen in Deutschland Hunderttausende Menschen in Berlin gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße. In kleinerem Umfang gab es auch Demonstrationen in anderen europäischen Städten … Aber in den sich entwickelnden Bewegungen gegen den Krieg zeichnet sich ein harter Kampf gegen die Bewegung ab, die vom imperialistischen Militarismus instrumentalisiert wird. Tatsächlich kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz am selben Tag der Mobilisierung in Berlin die Wiederaufrüstung des deutschen Imperialismus an. Insbesondere in den europäischen Ländern, wo die Mobilisierung gegen den Krieg zunimmt, üben die Massenmedien und das politische Establishment enormen Druck auf alle aus, die es wagen, die NATO zu kritisieren – wer das macht, wird fast automatisch als Unterstützer Putins angegriffen, wenn nicht sogar noch schlimmer.“
leftvoice.org, 10. März 2022 (Übersetzung durch die BT)

Diese Proteste sollten die Öffentlichkeit für die Kriegsanstrengungen der Ukraine mobilisieren. Die Erkenntnis der TF, dass der Konflikt einerseits aus der imperialistischen Strategie resultierte, Russland zu umzingeln, um es als halbkolonialen Vasallenstaat zu unterwerfen, stand im Widerspruch zu ihrem Wunsch, sich an den pro-ukrainischen Mobilisierungen der Bevölkerung zu beteiligen. Nathaniel Flakin, eine führende Persönlichkeit sowohl in der deutschen als auch in der US-amerikanischen Sektion der TF, räumt ein, dass „die ukrainische Armee … für den Imperialismus [kämpft]“, und stellt zutreffend fest: „Imperialismus, wie er von Marxisten verstanden wird, beschränkt sich nicht auf militärische Manöver. Der US-Imperialismus kontrolliert die Ukraine mit politischen und finanziellen Mitteln.“ Flakin ist klug genug, um zu wissen, dass die führenden russischen Oligarchen nicht als Imperialisten „im marxistischen Sinne des Wortes“, d. h. als Finanzkapitalisten, zu bezeichnen sind, wie auch Matías Maiello und Esteban Mercatante anerkennen. Die Position der TF der Niederlage für beide Seiten würde jedoch nur dann den Lehren Lenins und Trotzkis entsprechen, wenn beide Seiten entweder imperialistische oder abhängige kapitalistische Länder wären. In einem Konflikt zwischen einem imperialistischen Stellvertreter und einem nicht-imperialistischen Land (das sich die Imperialisten als Halbkolonie halten oder in eine solche verwandeln wollen), haben Marxisten eine Seite. Flakin zeigt jedoch seine „Unabhängigkeit“ von Trotzkis Position, indem er die Haltung der TF als „unabhängig“ von „sowohl der NATO als auch dem russischen Imperialismus“ lobt:

„Die Sozialist:innen müssen für eine unabhängige Position kämpfen. Das gilt auch für die Ukraine, wo die Sozialist:innen dafür kämpfen müssen, dass die Arbeiter:innenklasse zu einem unabhängigen politischen Faktor wird, mit der Perspektive, das Land sowohl von der NATO als auch vom russischen Imperialismus zu befreien. Dies ist der einzige Weg, um reaktionäre Kriege zu beenden.“
klassegegenklasse.org, 8. Juli 2023

Die falsche Gleichsetzung von USA/NATO und Russland, mit der Schlussfolgerung für die Niederlage beider Seiten einzutreten, wird von verschiedenen Revisionisten geteilt, darunter dem Komitee für eine ArbeiterInneninternationale (KAI – in Deutschland vertreten durch die Sozialistische Linke (SoL)) und der britischen Socialist Workers Party (in Deutschland vertreten durch Marx21 und die Revolutionären Sozialisten), sowie von Maiello und anderen ernsthafteren Elementen der TF. Es scheint, dass die TF nicht auf demokratisch-zentralistischer Basis arbeitet und zumindest in dieser entscheidenden Frage bereit ist, widersprüchliche Positionen zu veröffentlichen.

TF-Inkohärenz hinsichtlich der nationalen Selbstbestimmung der Ukraine

Wie Maeillo kurz nach der russischen Intervention einräumte, führte der vom US-Imperialismus finanzierte Maidan-Putsch von 2014 zu einer mörderischen Offensive gegen die russischsprachige Minderheit in der Ostukraine:

„In Wahrheit hat sich die Spaltung der ukrainischen Gesellschaft seit der sogenannten [2004] Orangenen Revolution (benannt nach der Farbe der pro-westlichen Partei Unsere Ukraine) und noch mehr seit dem Ausbruch der Maidan-Revolte Ende 2013 konsolidiert –die zur brutalen Unterdrückung der (pro-russischen) Regierung Janukowitsch und zur Übernahme der Oppositionsbewegung durch reaktionäre und ultrarechte pro-westliche Kräfte führte. Sie hat sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Aufstieg des rechten Nationalismus entwickelt, insbesondere gegen die russischsprachige Minderheit, die etwa 30 Prozent der Bevölkerung im Osten und Süden des Landes ausmacht.“
leftvoice.org, 10. März 2022 (Übersetzung durch die BT)

Zwischen 2014 und 2022 wurden etwa 14.000 Menschen getötet, überwiegend russischsprachige, als Kiew versuchte, die Kontrolle über Donezk und Luhansk zurückzugewinnen. Eine renommierte linksliberale amerikanische Publikation beschrieb, wie Petro Poroschenko, der die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine im November 2014 gewann, mit dem Widerstand in den rebellischen östlichen Gebieten umgehen wollte:

„Wenn Poroschenko und seine Unterstützer in der Obama-Regierung und im US-Kongress glauben, dass eine Wirtschaftsblockade, der Einsatz von Scharfschützen durch Kiew, der Beschuss der Zivilbevölkerung im Donbass und der Vorschlag, amerikanische Waffen zu liefern, um den Beschuss zu erleichtern, das Rezept sind, um die ‚Herzen und Köpfe‘ der Ostukrainer zu gewinnen, könnten sie nicht falscher liegen.
Bezeichnenderweise ist dies jedoch genau die Strategie, die Poroschenko selbst im November letzten Jahres in einer Rede dargelegt hat, in der er erklärte: ‚Unsere Kinder werden in Schulen und Kindergärten gehen, ihre werden sich in Kellern verstecken. Weil sie nichts machen können. Genau so werden wir diesen Krieg gewinnen!‘“
thenation.com, 6. April 2015 (Übersetzung durch die BT)

Volodymyr Selenskij, Poroschenkos Nachfolger, wurde 2019 mit dem Versprechen gewählt, den Krieg im Donbass zu beenden. Doch seine Pläne änderten sich schlagartig, nachdem er nach Zolote, einer Stadt an der Frontlinie, gereist war, um für eine Verhandlungslösung zu werben, und dort unverblümt aufgefordert wurde, abzuhauen, wie die Kyiv Post berichtete. Die Unterwerfung des Präsidenten unter das faschistische Asow-Bataillon verdeutlichte anschaulich die Dominanz der extremen Rechten. Philippe Alcoy von der TF bemerkte dazu:

„Es ist offensichtlich, dass die imperialistischen Führer des Westens sich der politischen und militärischen Aktivitäten der extremen Rechten in der Ukraine bewusst sind. Dennoch entscheiden sie sich dafür, ihre Besorgnis nicht öffentlich zu äußern, nicht nur, weil dies Putins Diskurs Vorschub leisten würde, sondern auch, weil die extreme Rechte mit ihren Interessen übereinstimmt.“
leftvoice.org, 14. März 2022 (Übersetzung durch die BT)

Das Scheitern der sogenannten Minsker Abkommen, die dem Donbass einen autonomen Status gewähren sollten, führte 2022 zum Einmarsch Russlands. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Premierminister François Hollande (die beiden europäischen Mächte, die das Abkommen von 2015 unterstützt hatten) und der damalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko gaben später zu, dass die Verhandlungen eine Farce waren, um Zeit zu gewinnen und die Ukraine besser für einen möglichen Konflikt mit Russland aufzurüsten.

Claudia Cinattis Artikel vom Februar 2022 behauptete leichtgläubig, „dass diese Abkommen für Russland günstiger waren, da sie die Autonomie von Donezk und Luhansk vorsahen“. Dies gab den Ton für nachfolgende TF-Artikel an, die tendenziell zum ukrainischen Stellvertreter der NATO neigten. In einer Polemik gegen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) räumte Marius Rabe von der TF beiläufig die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass ein, bevor er bestritt, dass Moskau die Opfer des mörderischen Angriffs Kiews „in irgendeiner Weise“ schützen könne:

„DKP und SDAJ verweisen darauf, dass die ukrainische Regierung mithilfe faschistischer Milizen bereits seit acht Jahren einen Krieg gegen die von Russland unterstützten ‚Volksrepubliken‘ im Donbass führt. Es stimmt, dass es eine Unterdrückung der russischen Minderheiten durch die Selenskyj-Regierung gibt. Allerdings ist die Schlussfolgerung grundfalsch, dass die Russische Föderation in irgendeiner Weise ein Garant oder eine Schutzmacht für nationale Minderheiten sein könnte. So sollten alle Sozialist:innen für das Selbstbestimmungsrecht der Völker eintreten, das bedeutet, keine Völker dürfen gezwungen werden, in einem Staat gegen ihren Willen zusammen zu leben – also das Recht auf Lostrennung. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker schließt ein, dass mit einer russischen Besatzung auf der Krim und in den ‚Volksrepubliken‘ keine freie Entscheidung und kein friedliches Zusammenleben der Völker möglich ist. Der aktuelle Einmarsch – ein reaktionärer Geschwisterkrieg – beweist eindrücklich, dass Russlands Regierung den Frieden der Völker verunmöglicht.“
– klassegegenklasse.org, 26. März 2022

Hätten die Arbeiter im Donbass den Rat der TF befolgt und der Beendigung der „russischen Besatzung“ Vorrang eingeräumt, hätten sie damit den Weg für ihr eigenes Massaker durch fanatische ukrainische Nationalisten geebnet. Die Vorstellungen des Genossen Rabe über „Selbstbestimmung“ schließen die große Mehrheit der Bevölkerung der Krim und des Donbass aus, die sich eindeutig für Moskau und gegen Kiew entschieden hat. Die russische Intervention im Donbass hat die mörderische Unterdrückung durch das von der NATO unterstützte, faschistisch durchsetzte ukrainische Militär gestoppt – Rabes Behauptung, dass sie den „Frieden der Völker [in der ehemaligen Ostukraine] verunmöglich“ habe, ist völliger Unsinn. Tatsächlich war das Wichtigste, was die Intervention Moskaus im Donbass „unmöglich“ gemacht hat, die Fortsetzung des Massakers an russischsprachigen Menschen.

Einige Wochen zuvor hatten zwei Genossen der PTS, Josefina L. Martínez und Diego Lotito, einen Artikel veröffentlicht, der die Wünsche der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung des Donbass leichtfertig ignorierte und eine „unabhängige Politik“ zur „Vertreibung der russischen Truppen“ vorschlug:

„Heute können wir mehr denn je bekräftigen, dass ein schrittweiser Ausweg aus diesem langen Konflikt und eine echte nationale Selbstbestimmung der Ukraine nur erreicht werden kann, wenn die Arbeiter:innenklasse und die Menschen sowohl in der westlichen Region als auch im Donbas-Gebiet eine unabhängige Politik entwickeln. Die NATO, der US-amerikanische und der europäische Imperialismus, denen die rechte Selenskyj-Regierung untergeordnet ist, sind nicht die Verbündeten der ukrainischen Arbeiter:innenklasse und der ukrainischen Massen, sie sind ihre Feinde. Doch auch der reaktionäre Nationalismus Putins und der russischen kapitalistischen Oligarchie, die vorgeben, die Ukraine durch eine Invasion mit Panzern ‚entnazifizieren‘ zu wollen, stellt keinen progressiven Ausweg dar. Um die russischen Truppen aus der Ukraine zu vertreiben und einen progressiven Ausweg aus diesem Konflikt zu finden, muss sich der ukrainische Widerstand mit einer von der NATO und der Selenskji-Regierung unabhängigen Politik ausstatten und sich auf die Selbstorganisation der Arbeiter:innen und der Massen stützen.“
klassegegenklasse.org, 2. März 2022

Die formale Anerkennung des Status der Selenskij-Regierung als imperialistischer Stellvertreter wird durch die Unterstützung des militärischen Ziels der NATO, „die russischen Streitkräfte aus der Ukraine zu vertreiben“, ausgeglichen. Philippe Alcoy war zumindest bereit, die Gefahr anzuerkennen, die von der Rolle der „extremen Rechten“ der Ukraine in diesem Konflikt ausgeht:

„Unterdessen fördern die Politik Kiews und der ukrainischen Oligarchen einen gewalttätigen antirussischen Nationalismus. Eine der Gefahren, die den Arbeitern und Massen bevorstehen, besteht daher darin, dass der Krieg – angesichts des derzeitigen Kräfteverhältnisses – letztendlich zu einer Stärkung rechtsextremer Strömungen führen könnte, insbesondere solcher, die eng mit den ukrainischen Sicherheitskräften zusammenarbeiten…. Da sie in vielen Fällen eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung der Ukraine spielen, könnten diese von der extremen Rechten angeführten Milizen ein erhöhtes Ansehen erlangen, das sich sogar auf westliche Länder ausweiten könnte.“
leftvoice.org, 14. März 2022 (Übersetzung durch die BT)

Der Versuch der TF, den Konflikt als Kampf um die Selbstbestimmung der Ukraine sowohl gegen die NATO als auch gegen den Kreml darzustellen, wurde von Stefan Schneider, Celine Blume und Simon Zinnstein von RIO deutlich zum Ausdruck gebracht:

„Eine freie und unabhängige Ukraine ist weder durch Unterwerfung unter die NATO noch durch Unterwerfung unter Russland möglich. Angesichts der vielen Waffen, die im Umlauf sind, kann nur die Einheit der Arbeiter*innen der Ukraine, die durch Oligarchien auf beiden Seiten der Kluft gespalten sind, Putins Invasion zurückschlagen. Sie kann nicht eine Kette gegen eine andere eintauschen und in dem Pendel (zwischen Russland und der NATO) bleiben, das die Politik des Landes in den letzten Jahrzehnten geprägt hat. Die einzige Perspektive für eine wirklich freie und unabhängige Ukraine ist der Aufbau einer sozialistischen Ukraine der Arbeiter.“
klassegegenklasse.org, 28. März 2022

Die Darstellung des Konflikts durch die TF als eine Frage der „freien und unabhängigen Ukraine“ ist eine grobe Verfälschung – die Expansion der NATO in die Ukraine zielte darauf ab, Russland einzudämmen, wie der US-Thinktank Stratfor 2013 kommentierte, als die Maidan-Demonstrationen eskalierten:

„Für Russland ist die Zukunft der Ukraine eng mit seiner eigenen Zukunft verbunden. Die Ukraine ist ein Gebiet, das tief im russischen Kernland liegt, und der Verlust der Ukraine aus seinem Einflussbereich verunmöglicht Russlands Verteidigung.“
stratfor.com, 10. Dezember 2013 (Übersetzung durch die BT)

Wie wir im Februar 2022 feststellten, ist das Kernproblem des aktuellen Konflikts das Recht Russlands, die NATO-Räuber von seiner Grenze fernzuhalten:

„Wir erkennen das Recht der Bevölkerung der Krim an, sich wieder Russland anzuschließen, so wie wir das Recht der Tschetschenen anerkannt haben, sich von Russland zu trennen. Wir lehnen es kategorisch ab, dass die Machthaber der Ukraine oder Georgiens das Recht haben, dem imperialistischen Militärbündnis der NATO beizutreten, das gegen Russland gerichtet ist. Der linke Flügel der ‚Weder-Moskau-noch-Washington‘-Crew neigt dazu, es zu vermeiden, zu diesem Thema Stellung zu beziehen – weil die Anerkennung eines solchen ‚Rechts‘ bedeutet, sich der Position des US-Außenministeriums anzuschließen. Umgekehrt bedeutet die Ablehnung des ‚Rechts‘ der Ukraine, sich als Spielfigur in den imperialistischen Kampf um die Niederlage und Zerstückelung Russlands einzuschalten, den militärischen Sieg von Putins Streitkräften zu begünstigen und dem wütenden imperialistischen Propaganda-Sperrfeuer zu trotzen, das derzeit im Gange ist.“
Bolschewik Nr. 40, 2022

Ein Artikel in der Washington Post aus dem Jahr 2023 feierte Washingtons gescheiterten Schachzug törichterweise als „strategischen Glücksfall“ für den US-Imperialismus, während er die schrecklichen Verwüstungen, die der Ukraine zugefügt wurden, beiläufig abtat:

„Für die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten waren diese 18 Monate Krieg hingegen ein strategischer Glücksfall, der mit relativ geringen Kosten verbunden war (außer für die Ukrainer). Der rücksichtsloseste Gegner des Westens wurde erschüttert.“
washingtonpost.com, 18. Juli 2023 (Übersetzung durch die BT)

Als sich der Krieg hinzog und die imperialistische Propaganda über die „arme kleine Ukraine“ an Wirkung verlor, änderte die TF ihren Kurs. Die neue Ausrichtung, die Frage der „Selbstbestimmung“ der Ukraine herunterzuspielen, wurde von der 12. Internationalen Konferenz der TF verabschiedet:

„Unsere Politik seit Beginn des Konflikts, zusammengefasst in der Erklärung der FT, die wir weiterhin für richtig halten, lautete: ‚Nein zum Krieg! Russische Truppen raus aus der Ukraine! NATO raus aus Osteuropa! Nein zur imperialistischen Aufrüstung! Für die internationale Einheit der Arbeiter:innenklasse! Für eine unabhängige Politik in der Ukraine gegen die russische Besatzung und die imperialistische Vorherrschaft!‘ So haben wir zu Beginn des Konflikts auf die Bedeutung des Elements der nationalen Selbstbestimmung hingewiesen. Gleichzeitig haben wir die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die russischsprachige Minderheit als einen der Faktoren hervorgehoben, die für eine unabhängige Politik in diesem Konflikt berücksichtigt werden müssen, welcher durch die russische Invasion einerseits und die indirekte Intervention der USA und der NATO andererseits gekennzeichnet ist. In dem Maße jedoch, wie sich die direkte Intervention der USA und der NATO ausweitet (und bereits ausgeweitet wurde), tritt dieses Element der nationalen Selbstbestimmung bei der Festlegung unserer Politik zunehmend in den Hintergrund, insofern es sich der militärischen Konfrontation zwischen den Mächten unterordnet.“
klassegegenklasse.org, 29. Mai 2023

Cinatti und Maiello stellten in diesem Bericht fest, dass „die Strategie des US-Imperialismus schematisch gesagt darin [besteht], Russland zu zermürben, indem die ukrainischen Truppen als ‚Kanonenfutter‘ benutzt werden.“ Die TF hatte die Ukraine von Anfang an als „Stellvertreter“ bezeichnet (siehe Maiellos oben zitierten Artikel vom 31. März 2022), was in krassem Widerspruch zu ihrer früheren Behauptung steht, dass es im Kern um „Selbstbestimmung“ gehe. Die Tendenz, politische Kohärenz zu vermeiden und gleichzeitig widersprüchliche Positionen zu vertreten, ist charakteristisch für Zentristen, wie Trotzki feststellte:

„Der Zentrismus ist theoretisch formlos und eklektisch; er flieht möglichst theoretische Verpflichtungen und ist (in Worten) geneigt, der ‚revolutionären Praxis‘ den Vorzug zu geben vor der Theorie, ohne zu begreifen, dass allein die marxistische Theorie der Praxis eine revolutionäre Richtung zu geben vermag. Auf dem ideologischen Gebiet führt der Zentrismus ein Schmarotzerdasein: gegen die revolutionären Marxisten wiederholt er die alten menschewistischen Argumente (Martows, Axelrods, Plechanows) – gewöhnlich, ohne es zu ahnen; andererseits entlehnt er seine Hauptargumente gegen die Rechten bei den Marxisten, d. h. vor allem den Bolschewiki-Leninisten, wobei er jedoch der Kritik die Spitze abbricht, indem er vor den praktischen Schlussfolgerungen ausweicht und somit seine Kritik gegenstandslos macht.“
– Leo Trotzki, „Der Zentrismus und die Vierte Internationale“, März 1934

Nathaniel Flakin hat die US-amerikanische International Workers‘ League (LIT – die ebenfalls vom argentinischen Chamäleon-Revisionisten Nahuel Moreno abstammt) zu Recht dafür verurteilt, dass sie die imperialistische Unterstützung für das Marionettenregime der NATO in Kiew befürwortet:

„Die LIT-CI tut so, als ließe sich eine grundsätzliche Ablehnung der NATO mit der Unterstützung der zentralen NATO-Politik des letzten Jahres verbinden – als könne man eine Erhöhung der Militärausgaben für die ukrainische Armee (die hofft, so bald wie möglich der NATO beitreten zu können) bejubeln und gleichzeitig irgendwie gegen die NATO sein. Während wir Bernie Sanders und andere ‚Sozialist:innen‘ in der Demokratischen Partei schon immer dafür kritisiert haben, dass sie für den US-Militäretat stimmen, müsste ein hypothetischer LIT-CI-Vertreter im US-Kongress an der Seite von Demokrat:innen und Republikaner:innen dafür stimmen, dass noch weitere Milliarden an die Rüstungsindustrie fließen. Diese Genoss:innen geben vor, dass sie nicht die Regierung Selenskyjs unterstützen, sondern einen mythischen ‚ukrainischen Widerstand‘, der unabhängig von Selenskyj und der NATO ist. In mehreren Erklärungen konnten sie nicht sagen, wer einen solchen Widerstand bilden könnte. Die einzigen Kräfte vor Ort sind die ukrainische Armee und Milizen unter strenger Kontrolle der Regierung – die einzigen Gruppen, die irgendeine Art von Autonomie haben, sind die Nazis!“
klassegegenklasse.org, 8. Juli 2023

Flakin hat natürlich Recht, wenn er sich gegen die imperialistische Unterstützung für das faschistisch durchsetzte Regime von Selenskyj ausspricht, aber die Weigerung der TF, in diesem Konflikt Partei zu ergreifen (d. h. sich für den militärischen Sieg Russlands über die NATO und ihre Handlanger in Kiew einzusetzen), macht deutlich, wie weit sie von dem leninistischen Erbe entfernt ist, auf das sie sich beruft. Jimena Vergara und James Dennis Hoff, die die Mehrheit der TF vertreten, schrieben:

„…Durch die Infragestellung der Nachkriegsgrenzen der NATO hat Russland eine militärische Krise ausgelöst, deren Ausmaß noch schwer abzuschätzen ist. Vor allem aber fordert hinter Russland eine neue aufstrebende Macht, China, mit starken imperialistischen Zügen – was sich in seinem wachsenden Einfluss in Afrika und Lateinamerika zeigt – die wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft der USA heraus und lässt damit eine noch größere Konfrontation in der Zukunft befürchten. Während Russland den Krieg und seine zunehmend engeren Beziehungen zu China als Chance sieht, sich wieder als Weltmacht zu etablieren, betrachten die USA und die NATO den Konflikt als Möglichkeit, ihre Position gegenüber China zu stärken und Russland zu schwächen.“
– leftvoice.org, 16 March 2023 (Übersetzung durch die BT)

Russlands Einmarsch in die Ukraine ist kein aggressiver Versuch, „sich wieder als Weltmacht zu etablieren“, sondern vielmehr, wie Genosse Mercatante es ausdrückte, „doch Teil eines eher defensiven Kurses des Gegenschlags“ als Reaktion auf das „Entkolonialisierungsprojekt“ des US-Imperialismus (d. h. die Aufteilung der Russischen Föderation in mehrere kleinere, leichter ausbeutbare Einheiten). Vergara und Hoff entbinden damit die Imperialisten der USA und der NATO von ihrer Verantwortung für diesen Konflikt und erklären ihn absurderweise zu einem Stellvertreterkrieg beider Seiten:

„In diesem Zusammenhang lässt sich der Krieg in der Ukraine am besten nicht als imperialistischer Krieg oder einfach als Krieg der NATO-Aggression verstehen, sondern als Stellvertreterkrieg zwischen konkurrierenden kapitalistischen Allianzen in einer Zeit der Wirtschaftskrise und des imperialistischen Niedergangs.“
leftvoice.org, 16. März 2023 (Übersetzung durch die BT)

Die Ukraine ist offensichtlich ein Stellvertreter der NATO, aber wessen „Stellvertreter“ ist Russland? Wie Flakins Artikel vom Juli 2023 versuchen Vergara und Hoff, Russland mit dem imperialistischen Block der USA/NATO gleichzusetzen, und negieren praktisch Lenins Analyse des Imperialismus, die sich auf die Nettoaneignung von Wert durch einige wenige fortgeschrittene kapitalistische Mächte auf Kosten der Kolonien und anderer weniger entwickelter Länder konzentriert:

„Weil durch ein Monopol Extraprofit erzielt wird, d.h. ein Profitüberschuß über den in der ganzen Welt üblichen normalen kapitalistischen Profit. … Imperialismus ist monopolistischer Kapitalismus. Jedes Kartell, jeder Trust, jedes Syndikat, jede der Riesenbanken ist ein Monopol. Der Extraprofit ist nicht verschwunden, sondern geblieben. Die Ausbeutung aller übrigen Länder durch ein privilegiertes, finanziell reiches Land ist geblieben und hat sich verstärkt. Ein Häuflein reicher Länder – es gibt ihrer im ganzen vier, wenn man selbständigen und wirklich riesengroßen „modernen“ Reichtum im Auge hat: England, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Deutschland –, dieses Häuflein Länder hat Monopole in unermeßlichen Ausmaßen entwickelt, bezieht einen Extraprofit in Höhe von Hunderten Millionen, wenn nicht von Milliarden, saugt die anderen Länder, deren Bevölkerung nach Hunderten und aber Hunderten Millionen zählt, erbarmungslos aus und kämpft untereinander um die Teilung der besonders üppigen, besonders fetten, besonders bequemen Beute. Eben darin besteht das ökonomische und politische Wesen des Imperialismus…“
– W. I. Lenin, „Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus“, Oktober 1916

Vergaras und Hoffs Versicherung, dass „unsere Analyse und die Analyse der TF sich an den dialektischen Methoden Lenins und Trotzkis orientieren“ (Übersetzung durch die BT), ist ein Beispiel dafür, dass Papier geduldig ist. Die TF-Führung bringt ihre Positionen wo immer möglich mit der von ihr beanspruchten leninistisch-trotzkistischen Tradition in Einklang, scheut jedoch davor zurück, wenn dies bedeutet, unpopuläre Positionen einzunehmen.

Die aktuellen Verhandlungen zwischen Washington und Moskau über die Ukraine haben die TF dazu gezwungen, ihre Analyse anzupassen – was früher als Stellvertreterkrieg auf beiden Seiten beschrieben wurde, wird nun als eine Angelegenheit zweier konkurrierender Mächte dargestellt, die sich die Bodenschätze des Landes aufteilen.

„Einige dieser Bodenschätze liegen in dem von Russland besetzten Gebiet, was darauf hindeutet, dass die Vereinbarung offenbar darauf abzielt, dass Trump und Putin die Beute teilen und die europäischen Mächte – die ebenfalls ihren Anteil beanspruchen – aus dem Geschäft heraushalten. Während Trump den ‚bösen Cop‘ spielte, lobte der Gesandte des Weißen Hauses für die Ukraine, General a.D. Keith Kelogg, Selensky und handelte die Bedingungen mit der Regierung in Kiew aus. Diese angebliche Transaktion kommt praktisch einer Umwandlung der Ukraine in eine amerikanische Kolonie gleich, die Reparationen für einen Stellvertreterkrieg zahlen muss, der von den USA unter Biden und dem ‚interventionistischen‘ Flügel des amerikanischen Establishments gefördert wurde, um Russland – ohne eigene Truppen vor Ort – zu schwächen.“
klassegegenklasse.org, 27. Februar 2025

Der Versuch der USA, die Ukraine zu einem Rammbock gegen Russland zu verwandeln, ist gescheitert; russische Truppen rücken stetig vor, während sich das ukrainische Militär in einer sehr schlechten Lage befindet. Die TF schien nicht willens oder nicht in der Lage zu sein, die Realität der Lage vor Ort anzuerkennen:

„Diese Krise könnte zum Vorteil Russlands erscheinen. Einerseits führt sie jedoch auch zu einem erheblichen Widerspruch, da die russische Armee unter den gegenwärtigen Umständen gezwungen wäre, den Krieg fortzusetzen, wenn auch möglicherweise in einer günstigeren Position. Andererseits könnte ein zu großer Vormarsch Russlands vor Ort die europäischen Mächte in ihren Bemühungen zur Unterstützung der Ukraine stärker vereinen. Es ist ungewiss, ob es der russischen Armee in diesem Zusammenhang gelingen wird, Kiew einen ausreichend entscheidenden Schlag zu versetzen, um Selenskyj zur Kapitulation zu zwingen. Mit anderen Worten: Putin könnte gezwungen sein, auf die eine oder andere Weise eine Einigung mit der Ukraine und den Europäern in einer möglicherweise weniger günstigen Situation zu finden. Die Vereinigten Staaten könnten es unterdessen noch schaffen, der Ukraine eine Plünderungsvereinbarung aufzuzwingen: Sie können nicht zulassen, dass die Europäer vom Reichtum der Ukraine profitieren.“
leftvoice.org, 4. März 2025 (Übersetzung durch die BT)

Die Verhandlungen wurden nur aufgenommen, weil Russland den Krieg gewinnt; die ukrainische Armee befindet sich auf dem Rückzug und könnte noch vor Jahresende zusammenbrechen. Im Gegensatz zur TF scheint Trump zu verstehen, dass das ukrainische Schiff sinkt, und er verliert das Interesse daran, das Orchester weiter zu bezahlen, damit es weiterspielt.

Amerikanische Äpfel und chinesische Birnen

Vergaras und Hoffs Behauptung, dass der deformierte Arbeiterstaat China „starke imperialistische Züge“ aufweise, dient dazu, die Weigerung zu rechtfertigen, die Errungenschaften der sozialen Revolution von 1949 zu verteidigen. Die TF, die fälschlicherweise behauptet, dass in China der Kapitalismus wiederhergestellt worden sei, weiß, dass nicht Moskau, sondern Peking das Hauptziel Washingtons ist. Im Jahr 2023 stellte Sou Mi, ein Mitglied der TF in den USA, fest:

„Wie Außenminister Anthony Blinken letztes Jahr sagte, besteht die Aufgabe darin, einen internationalen Block, der sich gegen die Invasion Russlands stellt, zu einer breiteren Koalition zu führen, um China einzudämmen, das das US-Regime als ernstere und langfristigere Bedrohung ansieht.“
leftvoice.org, 23. Februar 2023 (Übersetzung durch die BT)

Sie fährt fort:

„Der Krieg [in der Ukraine] ist Teil einer zunehmenden strategischen Konfrontation zwischen dem US-Imperialismus und China. Die Krise des Neoliberalismus und der Niedergang der US-Hegemonie fallen mit dem Aufkommen neuer Bedrohungen für die Spitzenposition zusammen. Die Wiederherstellung des Kapitalismus in China hatte dem Weltproletariat eine milliardenstarke Arbeiterschaft beschert, und während der Globalisierung war das Land ein fruchtbarer Boden für imperialistische Ausbeutung und ein integraler Bestandteil dieses Zyklus kapitalistischer Akkumulation. Der Zufluss ausländischen Kapitals hatte gleichzeitig den technologischen und industriellen Fortschritt in China vorangetrieben und damit die Grundlage dafür geschaffen, dass Peking zu einem strategischen Konkurrenten der Vereinigten Staaten aufsteigen konnte.
Als sich das amerikanische Kapital nach 2008 nur langsam erholte, trat China als wichtige Kraft in Erscheinung und nutzte seine relative Stabilität, um eine Rolle bei der Erholung der Weltwirtschaft zu spielen, neue Märkte insbesondere in Afrika und im Nahen Osten zu erschließen und sich nun durch monetäre Investitionen, geopolitische und sogar Verteidigungspartnerschaften als wichtiger Partner zu positionieren. In Russland hat China einen wichtigen Verbündeten gefunden, und obwohl es den eher abenteuerlichen Tendenzen des Putin-Regimes in diesem Krieg gegenüber misstrauisch ist, treibt es weiterhin Verteidigungsübungen und andere strategische Partnerschaften voran, um eine Einflusszone um sich herum aufzubauen.”
Ebenda

Sou Mi und andere relativ politisch erfahrene Kader in der TF könnten sich vielleicht fragen, wie genau es den „kapitalistischen“ Herrschern der Volksrepublik gelungen sein soll, sich von einem „fruchtbaren Weideland für imperialistische Ausbeutung“ zu einem Land zu entwickeln, in dem der „Zufluss ausländischen Kapitals“ zu einem Motor für „technologischen und industriellen Fortschritt“ geworden ist. Warum haben Mexiko, die Türkei, Brasilien und andere abhängige kapitalistische Länder keine ähnlichen Wunder vollbracht? Sie alle bildeten „fruchtbares Weideland für imperialistische Ausbeutung“ und begrüßten einen „Zufluss ausländischen Kapitals“. Der Grund dafür, dass es in China anders ausging, liegt in seiner qualitativ anderen sozialen Struktur. China ist ein deformierter Arbeiterstaat – kein kapitalistischer; er wird von der stalinistischen Kommunistischen Partei regiert, die 1949 durch die soziale Revolution an die Macht kam und seitdem die Fähigkeit bewahrt hat, ausländische Investitionen entsprechend seinen Prioritäten für die wirtschaftliche Entwicklung zu nutzen. Die chinesische Wirtschaft ist nur teilweise in den kapitalistischen Weltmarkt integriert und basiert im Kern auf kollektivierten Eigentumsformen. Die Tatsache, dass sie nicht von der Notwendigkeit der Gewinnmaximierung getrieben ist, ist der Grund, warum Hunderte Millionen seiner arbeitenden Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten aus der absoluten Armut befreit wurden.

Die Neutralität der TF im Ukraine-Konflikt geht einher mit ihrer offenen Haltung als dritte Kraft gegenüber der imperialistischen Aggression gegen China:

„Es muss klar sein, dass die Tatsache, dass von China nicht als Imperialismus im vollen Sinne des Wortes gesprochen werden kann, nicht zur Schlussfolgerung führen kann, dass ein Zusammenstoß Chinas mit den USA oder anderen imperialistischen Mächten als imperialistische Aggression gegen China gedeutet werden muss, aus der sich automatisch die Unterstützung für China ergebe. Wie das Proletariat und die unterdrückten Nationalitäten Chinas erleben, stellt der von der KPCh geführte Staat, selbst wenn er mit dem Imperialismus konfrontiert ist, keine fortschrittliche Alternative zur imperialistischen Herrschaft der USA und ihrer Verbündeten dar, obwohl die Positionierung in jedem Konfliktszenario durch die konkreten Umstände definiert werden muss. Klar ist, dass sich daraus keine Alternative und kein Unterstützungspunkt für die unterdrückten Völker ergeben wird, um die Ketten des Imperialismus und der kapitalistischen Ausbeutung zu sprengen. Im Gegenteil: Der Ehrgeiz von Xi Jinping und der gesamten Führung der KPCh besteht darin, den chinesischen Staat als einen weiteren Stein im Mauerwerk aufzubauen.“
klassegegenklasse.org, 8. Dezember 2020

Das Dokument der 12. internationalen Konferenz der TF stellte nüchtern fest:

„Der Zusammenprall zwischen der globalen Integration unter der Hegemonie der USA, die sich derzeit in einer Krise befindet, und der verstärkten Herausforderung dieser Weltordnung durch die so genannten ‚revisionistischen‘ Mächte bildet den Rahmen der Politik, die im Krieg in der Ukraine verfolgt wird. Es geht darum, diese unipolare Ordnung in Frage zu stellen, wobei dies vorerst unter den Bedingungen geschieht, unter denen die USA den anderen Mächten jeweils den Konflikt vorgibt. Im Falle Russlands in direkt militärischer Hinsicht, im Falle Chinas immer noch in Form eines wirtschaftlichen ‚Krieges‘, wenn auch mit wachsenden Spannungen im militärischen Bereich.“
klassegegenklasse.org, 29. Mai 2023

Cinatti und Maiello, die Autoren des Dokuments, beschreiben Russland und China als eine „verstärkte Herausforderung dieser Weltordnung“ – eine seltsam neutrale Art, den erfolgreichen Widerstand gegen die umfassende Ausbeutung durch den globalen Imperialismus darzustellen. Sie fahren fort:

„Während Russland wie gesagt als eine Art Militärimperialismus handelt, gehen wir im Falle Chinas von der Feststellung aus, dass China imperialistische Züge trägt. Dies zeigt sich beispielsweise in den Finanz- und Handelsabkommen im Austausch für einen privilegierten Zugang zur Ausbeutung von Rohstoffen oder dem Tausch von Krediten gegen Rechte zur Ausbeutung von Ressourcen in Afrika und Lateinamerika. Ebenso spiegelt es sich in Chinas anfänglicher politischem Anspruch, bei den internen Entscheidungen einiger Länder an der kapitalistischen Peripherie mitzureden, oder der Seidestraßeninitiative [sic] und vielen anderen Aspekten.
Es ist wichtig, zwischen der derzeitigen Verstärkung dieser imperialistischen Züge und der Errichtung einer alternativen Welthegemonie durch China zu unterscheiden, die ein viel höheres Maß an Konfrontation bedeuten würde. Die Möglichkeit einer wie auch immer gearteten ‚Nachfolge‘ der US-Hegemonie wird auf keinen Fall friedlich und evolutionär sein, d.h. sie wird nicht ohne Kriege in großem Maßstab ablaufen. Dazu gehört auch, über den Platz von Großmächten wie Deutschland und Japan in dieser Auseinandersetzung nachzudenken.
Ebd.

Sie stellen routinemäßige wirtschaftliche Aktivitäten wie Investitionen in Anlagen im Austausch für die Gewinnung von Rohstoffen, die jeder Arbeiterstaat tätigen würde, als „Plünderung“ dar. Wir stellten jedoch in „China in Afrika“ fest:

„Tatsächlich hat das chinesische Engagement, insbesondere dasjenige der SEB, die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas insgesamt gefördert. Chinesische Kredite zu Vorzugsbedingungen haben keineswegs zu den von den imperialistischen Publizisten zynisch beklagten ‚Schuldenfallen‘ geführt, sondern den IWF gezwungen, die Bedingungen für seine Kredite zu verbessern, um konkurrenzfähig zu bleiben. Pekings Neue Seidenstraße stellt einen ehrgeizigen Versuch dar, sich durch eine komplexe Mischung aus bürokratischer Staatsplanung und Marktwettbewerb wichtige Ressourcen und politischen/diplomatischen Einfluss in der halbkolonialen Welt zu sichern. Auch wenn Chinas globales Engagement die grundlegenden Konturen der Weltwirtschaft nicht verändert hat und auch nicht verändern kann, so hat es doch den imperialistischen Griff auf die Länder des ‚Globalen Südens‘ etwas gelockert.“
bolsheviktendency.org, 2. Juni 2025

Die Tatsache, dass chinesische Investitionen von vielen halbkolonialen Empfängerländern bevorzugt werden, wird gelegentlich von den Medien der „freien Welt“ anerkannt:

„Die Entwicklungsländer haben Chinas Kredite bevorzugt, weil sie damit finanziert haben, was diese Länder wollen – große Infrastruktur- und Energieprojekte ohne Auflagen –, und nicht das, was der Westen ihnen als notwendig verkauft. Westliche Institutionen und Staaten machen Kredite in der Regel von der Verpflichtung eines Landes zu umstrittenen politischen Reformen abhängig, wie der Deregulierung der Finanzmärkte und der Privatisierung öffentlicher Versorgungsunternehmen. … Die Trump-Regierung hat afrikanische und lateinamerikanische Länder dafür kritisiert, dass sie Entwicklungsfinanzierungen erhalten, mit dem Argument, dass dies zu einer Form des Kolonialismus führen würde. Auch die Demokraten haben sich dieser Kritik angeschlossen. Anfang September schrieben mehr als ein Dutzend US-Senatoren einen Brief an die Trump-Regierung, in dem sie den Präsidenten aufforderten, seinen Einfluss beim Internationalen Währungsfonds zu nutzen, um hart gegen Chinas ‚räuberische Infrastrukturfinanzierung‘ vorzugehen. So heuchlerisch das auch sein mag – fast jede Krise in Schwellenländern war eine Folge räuberischer spekulativer Finanzströme aus dem Westen –, könnten Chinas Auslandskredite der neueste Streitpunkt in den Beziehungen zwischen den USA und China sein.
Während China dafür gelobt werden sollte, dass es Infrastruktur finanziert, ohne die westlichen Bedingungen zu stellen, die mehr Schaden als Nutzen gebracht haben, müssen chinesische Kreditgeber vorsichtig sein.”
npr.org, 11. Oktober 2018 (Übersetzung durch die BT)

Das Konferenzdokument der TF stellt jeden chinesisch-amerikanischen Krieg als Folge des Bestrebens des US-Imperialismus dar, China zu unterwerfen, und behauptet absurderweise gleichzeitig, dass ein chinesischer Vorstoß gegen Taiwan (dem Hauptschauplatz für jeden US-Angriff) „in keiner Weise eine Verteidigungsmaßnahme“ wäre.

„… [wir] müssen … von der Politik ausgehen, die jede Seite in diesem Krieg verfolgen würde. Im Falle der USA wäre dies die Fortsetzung ihrer imperialistischen Politik der weltweiten Integration (Globalisierung), die auf der Unterordnung des kapitalistischen Chinas und Russlands beruht, und insbesondere ihr Versuch, China am weiteren Aufstieg als Macht zu hindern, welche die abnehmende hegemoniale Rolle der USA in Frage stellt.
Im Falle Chinas handelt es sich um eine Kontinuität der Politik der KPCh, die den Kapitalismus in China wiederhergestellt hat. Dies geschah während der gesamten vorangegangenen Phase unter der Schirmherrschaft des internationalen Finanzkapitals, insbesondere des US-Kapitals. Aufgrund des besonderen Gewichts, das die chinesische Wirtschaft erlangte, war es jedoch notwendig – und wird es immer notwendiger –, dass der chinesische Kapitalismus eine imperialistische Ausstrahlung entwickelt. Weit entfernt von der Ideologie, die das Land als eine gutartige, ‚nicht-hegemoniale‘ Macht darstellt, ist die gegenwärtige imperialistische Auseinandersetzung mit den übrigen Mächten der mehr oder weniger unvermeidliche Kurs des Aufstiegs des kapitalistischen China des 21. Jahrhunderts. Das heißt, eine eventuelle Invasion Taiwans wäre keineswegs eine Verteidigungsmaßnahme….“
klassegegenklasse.org, 29. Mai 2023

Sowjetische Konterrevolution, China und aufkommende Multipolarität

Die Verwirrung der TF hinsichtlich des Klassencharakters und der internationalen Rolle Chinas kommt vielleicht am deutlichsten in ihrem Text zum Ausdruck, auf den Cinatti und Maiello in ihrem Konferenzdokument „An den Grenzen der ‚bürgerlichen Restauration‘” Bezug nehmen:

„Die kapitalistischen Beziehungen entwickelten sich unter den neuen Regimen weiter, die Illusion der ‚Rückkehr zur Vergangenheit‘ war nicht mehr als das, eine Illusion. Im Gegensatz dazu implizierte die ‚kapitalistische Restauration‘ nicht nur den Fall der Bürokratie als Diktatur ‚über das Proletariat‘, sondern, und insbesondere (wie die ‚geordnetere‘ Entwicklung der Bürokratie der chinesischen KP klar zeigte, als sie sich in eine kapitalistische verwandelte), die Zerstörung der noch erhaltenen Errungenschaften der bürokratisierten Arbeiter*innenstaaten (Sektor der Wirtschaft, der nicht den Gesetzen des Kapitals ausgesetzt war und neue Eigentumsbeziehungen über die Produktionsmittel)….“
klassegegenklasse.org, 15. Oktober 2011

Diese Desorientierung in Bezug auf China lässt sich auf die Verwirrung zurückführen, die durch den Zusammenbruch der UdSSR ausgelöst wurde. Die Zerstörung des kollektivierten Eigentumsystems in der Sowjetunion erschütterte die bürokratische Kaste – sie führte jedoch nicht zu ihrer nahtlosen Umwandlung in eine neue Klasse kapitalistischer Ausbeuter, wie Mercatante an anderer Stelle behauptet:

„Seitdem die Bürokratie durch eine brutale Enteignung des verstaatlichten Eigentums zu einer kapitalistischen Klasse wurde, schrumpfte die russische Wirtschaft in einem beschleunigten Tempo. Während der Regierungszeit von Boris Jelzin sank das BIP insgesamt um nicht weniger als 50 Prozent.“
klassegegenklasse.org, 23 September 2022

Es ist schlichtweg nicht wahr, dass in der UdSSR „die Bürokratie … zu einer kapitalistischen Klasse wurde“. Zwar fanden zahlreiche Manager, Techniker, Ingenieure und Akademiker im neuen kapitalistischen Russland einen Platz, doch galt dasselbe auch für zaristische Funktionäre in der frühen Sowjetunion. In einem Artikel, den wir 2002 veröffentlichten, stellten wir fest:

„Die meisten Mitglieder der oberen Schichten der [sowjetischen] Nomenklatura, insbesondere diejenigen, die an der Leitung der zentralen Wirtschaftsministerien beteiligt waren, die Ideologen und die Apparatschiks der KPdSU, wurden einfach entlassen. [Michael] Ellman und [Vladimir] Kontorovich weisen [in ihrem 1998 erschienenen Buch The Destruction of the Soviet Economic System] Behauptungen entschieden zurück, dass diejenigen, die in der UdSSR die Wirtschaft, die Gesellschaft und den Staat leiteten, nach Jelzins Machtübernahme weiterhin Macht ausübten:
‚Wir fanden keine Beweise für die populäre Theorie, dass das sowjetische System von Parteimitgliedern und Staatsbeamten gestürzt wurde, um ihre Macht in privaten Reichtum umzuwandeln. So wie diese Funktionäre, obwohl sie Gorbatschow verabscheuten, nicht in der Lage waren, gemeinsam Maßnahmen zur Verteidigung des Systems zu ergreifen, waren sie ebenso wenig in der Lage, dessen Untergang bewusst zu beschleunigen. Wenn sie nach dem Zusammenbruch des Systems wieder auf die Beine kamen, dann lag das eher an ihren individuellen Überlebensfähigkeiten als an einem großartigen Plan.‘”
1917 Nr. 24 (eigene Übersetzung)

Mercatante ignoriert die Tatsache, dass Jelzin erst nach der Überwindung des (erbärmlich schwachen) Widerstands der stalinistischen Putschisten unter der Führung von Gennadi Janajew an die Macht kam. Die Vorgänger der Trotzkistischen Fraktion in der Partido de los Trabajadores Socialistas stellten 1991 die Realität auf den Kopf und feierten absurderweise den Sieg der kapitalistischen Restauratoren Jelzins als Schaffung „günstigerer Bedingungen“ für die Arbeiterklasse und als „Erschwerung der kapitalistischen Restauration“:

„Die Niederlage des Putsches bedeutete einen Fortschritt für die Massenbewegung. Wäre der Putsch erfolgreich gewesen, wären zwar die kapitalistischen Reformen nicht gefährdet gewesen, aber die Arbeiter und ihre Organisationen wären in ihrer Existenz bedroht gewesen. Das Notstandskomitee stellte als Erstes klar, dass die Reformen fortgesetzt würden. Mit anderen Worten: Die Niederlage des Putsches eröffnet günstigere Voraussetzungen für den Kampf für eine unabhängige Politik der Arbeiterklasse und den Aufbau einer revolutionären Führung. Als zweites Element erschwert der Zerfall der KPdSU, die tiefe Krise des KGB und der Roten Armee, die durch die Niederschlagung des Putsches extrem gestärkt wurden, die kapitalistische Restauration, da sie – wie Trotzki argumentierte – nur das Produkt einer Konterrevolution oder einer Diktatur sein kann, da die Mechanismen der Täuschung in dieser Richtung nur relativ weit gehen können.“
Rebelión de los Trabajadores Nr. 2, 2. September 1991 (BT-Übersetzung)

Noch 1994 lobte die PTS den Sieg der kapitalistischen Konterrevolution im Sowjetblock als „fortschrittliches Phänomen“:

„Die Trotzkisten der PTS (einschließlich gegen die Mehrheit unserer eigenen Bewegung) bekräftigten (und wir bekräftigen heute), dass die Revolutionen von 1989 bis 1991 im Osten und in der ehemaligen UdSSR ein fortschrittliches Phänomen darstellten, das heißt, sie waren ein Schlag von links und nicht von rechts gegen den Stalinismus und indirekt gegen den Imperialismus. Wie wir später sehen werden, zeigt die Richtung des Pfeils (inmitten der enormen Widersprüche, die wir in diesen Notizen gesehen haben und die durch die Krise der revolutionären Führung des Proletariats verursacht wurden) einen Aufwärtspfad der Revolution: eine Phase großer Kämpfe zwischen dem Weltproletariat und dem Imperialismus und seinen Partnern. Und keine Phase der Herrschaft ‚nach Belieben‘ des Imperialismus.”
Rebelión de los Trabajadores Nr. 59, 28. September 1994 (BT-Übersetzung – Hervorhebung im Original)

Heute räumt die TF ein, dass die Krise des Stalinismus in den Jahren 1989–91 zu einer kapitalistischen Restauration geführt hat, und kritisiert unaufrichtig die Führer der größeren, angeblich trotzkistischen Gruppen (darunter Jack Barnes, Ernest Mandel, Pierre Lambert und Nahuel Moreno) dafür, dass sie Boris Jelzin, Lech Walesa und andere in ihren konterrevolutionären Kämpfen unterstützt haben:

„So befanden sich diese Strömungen während des Falls der Berliner Mauer und der pro-kapitalistischen Prozesse mit einem ‚demokratischen‘ Programm von 1989 bis 1991 in einem offenen Abdriften nach rechts. Sie waren dabei, das Erbe Trotzkis zu überholen und schwammen mit jenem Strom, der – trotz der Erwartungen in Gorbatschow, in Jelzin, in den Castrismus, in die ‚demokratischen Revolutionen‘, in die PS usw. – unvermeidlich in die Restauration mündete.“
klassegegenklasse.org, 15. Oktober 2011

Die TF tut so, als ob alle, die sich damals mit Trotzki identifizierten, neutral waren oder die „demokratische“ Konterrevolution unterstützten. Wir sind stolz auf unsere Erklärung vom September 1991 zum Putsch mit dem Titel „Konterrevolution triumphiert in der UdSSR“, die der Pro-Jelzin-Haltung der PTS und anderer diametral entgegenstand:

„Der Sieg der offen prokapitalistischen Kräfte um Boris Jelzin nach dem Scheitern des Putsches zerstörte die aus der Oktoberrevolution 1917 hervorgegangene Staatsmacht. Dies ist nicht nur für die sowjetische, sondern für die gesamte Arbeiterklasse international eine katastrophale Niederlage.“

Wir erklärten:

„Der Putschversuch im August war eine Konfrontation, in der die Arbeiterklasse eine Seite hatte. Ein Sieg der Putschisten hätte die UdSSR nicht aus der ökonomischen Sackgasse, in die der Stalinismus sie geführt hat, befreien können, noch hätte er die Gefahr der kapitalistischen Restauration beseitigt. Er hätte jedoch den Restaurationsprozeß zumindest zeitweilig verlangsamen können, und somit der sowjetischen Arbeiterklasse einen kostbaren Zeitgewinn gebracht. Der Zusammenbruch des Putsches hingegen führte unvermeidlich zur Konterrevolution, die jetzt in vollem Gang ist. Es war die Pflicht von revolutionären Marxisten, mit den Putschisten gegen Jelzin und Gorbatschow Seite zu beziehen, ohne auf die Entlarvung ihres politischen Bankrotts zu verzichten.“
Trotzkistisches Bulletin Nr. 2, 15. September 1991 (Hervorhebung hinzugefügt)

Wir stellen fest, dass die TF zwar diejenigen verurteilt, die damals Jelzin, Walesa und die Kräfte der kapitalistischen Restauration unterstützt haben, aber noch nicht offen erklärt hat, dass Revolutionäre die Pflicht hatten, sich mit den stalinistischen Hardlinern zu verbünden. Wir legten in unserer Erklärung von 1991 dar:

„Aber die trotzkistische Position der bedingungslosen Verteidigung der Sowjetunion bedeutete immer die Verteidigung des verstaatlichten Eigentums gegen restaurative Bedrohungen unabhängig vom Bewußtsein oder den subjektiven Absichten der Bürokraten. Der Status quo, den die ‚Hardliner‘ — wenn auch inkompetent — verteidigen wollten, beinhaltete das Staatseigentum an Produktionsmitteln — ein objektives Hindernis für die Rückkehr der kapitalistischen Lohnsklaverei. Der Zusammenbruch der zentralen Staatsgewalt bereitete den Weg für die reaktionäre Flut, die jetzt über das Gebiet der ehemaligen UdSSR hereinbricht Um das Vordringen dieser Katastrophe aufzuhalten, mußten Revolutionäre bereit sein, eine taktische militärische Allianz mit jeder Sektion der Bürokratie einzugehen, die sich dieser Welle, aus welchen Gründen auch immer, entgegenstellte.“
Ebenda

Heute wiederholt die TF die Fehler ihrer politischen Vorgänger, indem sie sich weigert, für die bedingungslose Verteidigung des deformierten Arbeiterstaates China einzutreten.

Neutralität im Kampf gegen den Imperialismus

Die TF ist der Ansicht, dass kein Mitglied des sogenannten „Globalen Südens“ als „imperialistisch im vollen Sinne des Wortes“ bezeichnet werden kann. Der von Moskau/Peking angeführte Block der Entwicklungsländer ist eindeutig ein Hindernis für die Vorherrschaft der USA und ihrer imperialistischen Verbündeten über den Rest der Welt. In einer Rede im Jahr 2022 erklärte Josep Borell, damaliger Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, warum die imperialistischen „Gärtner“ gezwungen waren, den „Dschungel“, d. h. die wirtschaftlich weniger entwickelten Regionen, zu unterwerfen:

„Ja, Europa ist ein Garten. Wir haben einen Garten angelegt. Alles funktioniert. Es ist die beste Kombination aus politischer Freiheit, wirtschaftlichem Wohlstand und sozialem Zusammenhalt, die die Menschheit je geschaffen hat – diese drei Dinge zusammen. …
Der Rest der Welt – und das wissen Sie sehr gut, Federica – ist nicht gerade ein Garten. Der größte Teil der übrigen Welt ist ein Dschungel, und der Dschungel könnte in den Garten eindringen. Die Gärtner sollten sich darum kümmern, aber sie werden den Garten nicht durch den Bau von Mauern schützen. Ein schöner kleiner Garten, der von hohen Mauern umgeben ist, um das Eindringen des Dschungels zu verhindern, ist keine Lösung. Denn der Dschungel hat eine starke Wachstumskraft, und die Mauer wird niemals hoch genug sein, um den Garten zu schützen.
Die Gärtner müssen in den Dschungel gehen. Die Europäer müssen sich viel stärker für den Rest der Welt engagieren. Andernfalls wird der Rest der Welt auf verschiedene Weise und mit verschiedenen Mitteln in uns eindringen.“
– „Europäische Diplomatische Akademie: Eröffnungsrede von Hochrangigem Vertreter Josep Borrell bei der Einweihung des Pilotprogramms“, 13. Oktober 2022 (Übersetzung durch die BT)

Ein Großteil des „Globalen Südens“, d. h. der kapitalistisch abhängigen und halbkolonialen Länder, begrüßt die Aussicht auf einen militärischen Sieg Russlands über den ukrainischen Stellvertreter der NATO, weil er versteht, dass er die Versuche der „Gärtner“ behindern wird, „sich viel stärker für den Rest der Welt zu engagieren“. Die Versuche der USA und der EU, chinesische Investitionen in Afrika zu verhindern, sind aus Gründen, die in einem Bericht der britischen Regierung aus dem Jahr 2020 dargelegt sind, weitgehend gescheitert:

„Fu und Buckley (2015) weisen in einem weltweiten Vergleich empirischer Belege darauf hin, dass sich chinesische Investitionen in Ländern mit niedrigerem Einkommen positiv und signifikant auf deren langfristiges Wirtschaftswachstum auswirken, aber die Auswirkungen auf das Wachstum variieren, da sie auf einer mehrdimensionalen Komplementarität zwischen chinesischen Investitionen und den Bedingungen des Gastlandes in Bezug auf Finanzierung, Wissen, Ressourcen und Wettbewerbsstatus beruhen. Chinesische Investitionen trugen am stärksten zum Wirtschaftswachstum in Afrika und, in geringerem Maße, in Asien bei, während der Einfluss auf Lateinamerika unbedeutend war.“
– Linda Calabrese, Xiaoyang Tang, „Africa’s economic transformation: the role of Chinese investment“, Juni 2020

Es ist kaum verwunderlich, dass verschiedene afrikanische Regierungen versuchten, die Verbindungen zu ihren Kolonialherren zu kappen, um stattdessen militärische Unterstützung von Russland und Entwicklungshilfe von China zu erhalten. Die Anführer des Militärputsches im Juli 2023 in Niger forderten den Abzug der französischen Truppen und verboten den Export von Uran und Gold nach Frankreich. Ein ähnlicher Putsch in Burkina Faso ein Jahr zuvor „vertrieb die französischen Truppen und verbot den Export von Gold und Uran nach Frankreich und in die USA, während gleichzeitig ein regionales Bündnis mit Niger, Guinea, Mali und Algerien geschlossen wurde“, wie die deutsche Berliner Zeitung berichtete. Der Artikel beschrieb, wie der französische Imperialismus Niger nach seiner nominellen Unabhängigkeit ausgebeutet hatte:

„Etwa ein Viertel der europäischen und ein Drittel der französischen Uranimporte stammen aus dem westafrikanischen Land Niger. Frankreich betreibt 56 Kernkraftwerke und ist einer der weltweit größten Exporteure von Kernenergie (mit Ausbaukapazitäten). Den lebenswichtigen Brennstoff beschafft der staatliche Atomriese Orano (ehemals Areva), dem das höchste und (passendermaßen) schwärzeste Granitgebäude unter den Wolkenkratzern der Pariser Hauptstadt La Défense gehört, in geheimen Absprachen z.B. aus Niger, wo sich der Konzern drei riesige Uranminen sowie eine Mehrheitsbeteiligung an Nigers staatlichem Unternehmen für Uranaufbereitung (Somaïr) geschnappt hat.
Die (ehemals) französische Kolonie Niger verfügt über die hochwertigsten Uranerze Afrikas und ist der siebtgrößte Uranproduzent der Welt, aber der Weltbank zufolge sind 81,4 Prozent seiner Bürger noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen. 40 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der Kinder ist untergewichtig, die Analphabetenquote liegt bei 63 Prozent. Nur die Hälfte der Einwohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur 16 Prozent sind an eine angemessene Sanitärversorgung angeschlossen….
Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Milliarden Euro nicht größer als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen lag der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten.
Frankreich hat im Zuge der „Dekolonisierung“ der 1960er-Jahre seine vormaligen Kolonien zwar in die formale Unabhängigkeit entlassen, hinterließ ihnen allerdings Staats- und Rechtsordnungen, die – wie in der Kolonialzeit – darauf ausgelegt waren, die Bevölkerung einerseits mit möglichst geringem Aufwand zu kontrollieren und andererseits so viele Rohstoffe zu exportieren als irgend möglich. Nicht genug, dass Frankreich sich über den sogenannten Kolonialpakt in Françafrique weiterhin das Vorkaufsrecht auf alle natürlichen Ressourcen und den privilegierten Zugriff auf Staatsaufträge gesichert hat, es zwingt den Staaten seither ebenso seine irrwitzige Kolonialwährung CFA-Franc auf, die jede autonome Geld-, Wirtschafts- oder Sozialpolitik der (formal souveränen) Staaten nachhaltig verunmöglicht. Die vierzehn CFA-Staaten sind nicht nur durch einen festen Wechselkurs, der allein von den Nachfahren französischer Kolonialmessieurs bestimmt wird, an den Euro gekettet, (was ihnen 1994 eine 50-prozentige Abwertung einbrachte), sondern haben auch jeden Zugriff auf 85 Prozent ihrer Währungsreserven verloren, die sie gezwungenermaßen bei der Agence France Trésor hinterlegen müssen.“
Berliner-zeitung.de, 3 August 2023

In Niamey, der Hauptstadt Nigers, kam es zu massiven Demonstrationen zur Unterstützung des Staatsstreichs als Reaktion auf die Drohung einer imperialistischen Militärintervention unter dem Deckmantel der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS). Der Versuch der neuen Regierung unter General Abdourahamane Tchiani, den imperialistischen Raubtieren die Kontrolle über die Ressourcen Nigers zu entreißen, ähnelte der Enteignung der mexikanischen Ölindustrie durch Lázaro Cárdenas in den 1930er Jahren, eine Maßnahme, die von Leo Trotzki als „in hohem Grade fortschrittlich“ gepriesen wurde:

„Ohne in Illusionen zu verfallen und Verleumdungen zu fürchten, werden die fortgeschrittenen Arbeiter den Kampf des mexikanischen Volks gegen die Imperialisten uneingeschränkt unterstützen. Die Enteignung des Erdöls ist weder Sozialismus noch Kommunismus. Aber sie ist eine in hohem Grade fortschrittliche Maßnahme der nationalen Notwehr.“
– Leo Trotzki, „Mexiko und der britische Imperialismus“, 5. Juni 1938

Die Analogie zwischen Mexikos Öl und Nigers Uran und Gold ist offensichtlich – aber aus irgendeinem Grund spottet Claudia Cinatti von der TF, dass der Widerstand Nigers gegen die imperialistische Kontrolle durch ausländische Mächte „größtenteils durch Cliquenstreitigkeiten um die Kontrolle des militärischen Staatsapparats motiviert“ gewesen sei:

„Die Verbindung zwischen dem strukturellen Elend dieser ausgeplünderten Länder und der neokolonialen Vergangenheit und Gegenwart erklärt die tiefe antifranzösische Stimmung in Afrika, insbesondere bei den jüngeren Generationen. Obwohl die Putsche also nicht ‚antikolonial‘ (und schon gar nicht ‚antiimperialistisch‘) sind, sondern größtenteils durch Cliquenstreitigkeiten um die Kontrolle des militärischen Staatsapparats motiviert sind, versuchen sie, ihre Legitimität dadurch zu stärken, indem sie antifranzösische Rhetorik nutzen und Loyalität zu China und Russland zeigen….
Der hegemoniale Niedergang der Vereinigten Staaten und das Aufkommen von Mächten wie China und Russland, die eine ‚multipolare Ordnung‘ als Alternative vorschlagen, wurde durch den Krieg in der Ukraine beschleunigt. Dies ist die Grundlage für Positionen des ‚Lagers‘, die davon ausgehen, dass man sich China und Russland zuwenden muss, wenn man sich der imperialistischen Vorherrschaft der USA und der EU widersetzen will. Dabei handelt es sich jedoch um einen ebenso reaktionären kapitalistischen Block, der seine eigenen imperialen Interessen verfolgt. Während die westlichen Mächte ihre imperialistischen Ziele mit der ‚Verteidigung der Demokratie‘ kaschieren, benutzt Putin eine ‚antikoloniale‘ Rhetorik, um seinen geopolitischen Einfluss zum Nutzen des russischen Kapitalismus zu vergrößern. Aber sowohl Russland als auch China versuchen, die Beute der strategischen Ressourcen Afrikas an sich zu reißen. Im Falle Chinas auch durch die Auferlegung belastender Bedingungen als Hauptgläubiger vieler afrikanischer Länder. Dies steht in diametralem Gegensatz zu den Interessen der Arbeiter:innen, Bäuer:innen und unterdrückten Völkern Afrikas und der Welt.“
klassegegenklasse.org, 7. August 2023

Die Ablehnung der TF gegenüber dem „Lager“ der USA/EU oder Russland/China zugunsten einer Art Neutralität des „Dritten Lagers“ basiert auf der falschen Behauptung, dass das kapitalistische Russland und der deformierte Arbeiterstaat China „ebenso reaktionär“ seien wie die imperialistischen Raubtiere Europas und Amerikas. Russland ist nach Lenins Kriterien keine imperialistische Macht und hat nur eine minimale wirtschaftliche Präsenz in Afrika. Der deformierte Arbeiterstaat China, der durch die soziale Revolution von 1949 entstanden ist, die das kapitalistische Eigentum umgestürzt und imperialistische Besitztümer enteignet hat, ist tatsächlich mit beträchtlichen wirtschaftlichen Standorten in Afrika vertreten. Aber jede ernsthafte Untersuchung der chinesischen Aktivitäten in dieser Region zeigt, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten Pekings insgesamt die für beide Seiten vorteilhafte Entwicklung von natürlichen Ressourcen und Infrastruktur beinhalten. Die leichtfertigen Behauptungen der TF über den „Imperialismus“ Russlands und Chinas wiederholen die zynischen Anschuldigungen Washingtons und der ehemaligen Kolonialherren Afrikas, entbehren jedoch jeder faktischen Grundlage. Dies ist vermutlich der Grund, warum die Genossen unseres Wissens nach keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, Beweise für ihre Behauptungen vorzulegen.

Trotz der Gleichgültigkeit, die Cinatti und andere TF-Führer gegenüber dem Putsch in Niger zum Ausdruck brachten, haben wir mit Freude festgestellt, dass Révolution Permanente, die französische Sektion der TF, zwei Monate später den Abzug der französischen Truppen feierte:

„Wir freuen uns sehr, dass das französische Militär 1.500 Soldaten und vor allem große Mengen an Ausrüstung, insbesondere vom Luftwaffenstützpunkt Niamey, evakuieren musste. Wenn die französische Armee und die Fünfte Republik auf der internationalen Bühne lächerlich gemacht werden, gewinnt der Kampf gegen die Unterdrückung der Völker an Boden. Der französische Imperialismus ist in Afrika so dekadent geworden, dass er nicht einmal mehr einen Teil der Bourgeoisie in diesen Ländern davon überzeugen kann, ihn zu unterstützen: Er ist nicht mehr in der Lage, eine Paris getreue politische Minderheit zu bereichern oder die von ihm installierten und unterstützten Regime zu stützen. Darüber hinaus ist das von Frankreich organisierte Meer aus Armut und Elend, das durch den CFA-Franc, durch Auslandsschulden und durch die Kontrolle der wichtigsten natürlichen Ressourcen und logistischen Mittel entsteht, die Grundlage für die empörte Reaktion der Bevölkerung gegen Frankreich.
revolutionpermanente.fr, 5. Oktober 2023 (BT-Übersetzung)

Die erste Stellungnahme der TF zum Niger verdeutlichte, wie falsche Vorstellungen über den „Quasi-Imperialismus“ Chinas und Russlands zu Gleichgültigkeit gegenüber einer Revolte gegen den französischen Neokolonialismus führten. Ohne sich offen gegen die Gleichsetzung des „Quasi-Imperialismus“ Russlands und Chinas mit den USA/der NATO als „ebenso reaktionär“ auszusprechen, erkannte Révolution Permanente schließlich die massive Unterstützung der Bevölkerung für den Putsch an:

„Die französische Armee und der französische Botschafter werden Niger verlassen, nachdem Macron sich monatelang hartnäckig geweigert hatte, der Junta nachzugeben, die von einer großen Mobilisierung der Bevölkerung unterstützt wurde. … Die Bevölkerung von Niger hat auf ihre Weise mit dem Kampf gegen den Imperialismus experimentiert, indem sie für den Abzug der französischen Truppen aus dem Land mobilisierte.“
revolutionpermanente.fr, 25. September 2023 (BT-Übersetzung)

Der TF-Führung fehlt offenbar der politische Mut, ihre Fehler einzugestehen und sie durch das Eintreten für die militärische Verteidigung des Niger, Russlands oder Chinas gegen die imperialistischen „Gärtner“ zu korrigieren. Leo Trotzki hätte den heutigen Anhängern des Dritten Lagers der TF geraten:

„Die Politik des Defätismus ist nicht die Bestrafung einer bestimmten Regierung für dieses oder jenes Verbrechen, das sie begangen hat, sondern das Ergebnis von Klassenbeziehungen. Die marxistische Verhaltensweise in einem Krieg basiert nicht auf abstrakter Moral und sentimentalen Erwägungen, sondern auf der sozialen Einschätzung eines Regimes in seinen wechselseitigen Beziehungen zu anderen Regimes. Wir unterstützten Abessinien, nicht weil der Negus politisch oder ‚moralisch‘ Mussolini überlegen war, sondern weil die Verteidigung eines rückständigen Landes gegen koloniale Unterdrückung dem Imperialismus, dem Hauptfeind der Weltarbeiterklasse, einen Schlag versetzt. Wir verteidigen die UdSSR unabhängig von der Politik des Moskauer Negus aus zwei wesentlichen Gründen: Erstens, die Niederlage der UdSSR würde dem Imperialismus riesige Hilfsmittel in die Hand geben und könnte den Todeskampf der kapitalistischen Gesellschaft um viele Jahre verlängern. Zweitens, die soziale Grundlage der UdSSR, befreit von der parasitären Bürokratie, kann grenzenlosen wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt sichern, während die kapitalistischen Grundlagen nur weiter verfaulen können.“
– Leo Trotzki, „Bilanz der finnischen Ereignisse”, Juni 1940


Endnoten

[i] Wir haben die folgenden Beispiele in unserer Debatte mit der Spartacist League (in Deutschland durch die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands vertreten) im November 2023 angeführt: https://www.csce.gov/international-impact/events/decolonizing-russia

Und:

https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/05/russia-putin-colonization-ukraine-chechnya/639428/https://foreignpolicy.com/2023/04/17/the-west-is-preparing-for-russias-disintegration/

https://www.rferl.org/a/russia-war-ukraine-western-academia/32201630.html

https://thehill.com/opinion/international/3483799-prepare-for-the-disappearance-of-russia/

[ii] In einer Sonderausgabe von Avanzada Socialista mit der Überschrift „Gegen den Imperialismus – Wir stehen hinter dem Irak und den arabischen Massen. Keine Yankees mehr am Golf!“ argumentierte die PTS:

„Wir stehen bedingungslos hinter dem Irak in seinem Kampf gegen den Imperialismus. Wir setzen jedoch kein Vertrauen in Hussein. Wir stehen hinter dem Irak, weil sein Sieg oder seine Niederlage der Sieg oder die Niederlage der übrigen unterdrückten Völker sein wird.“
Avanzada Socialista, 22. Januar 1991 (BT-Übersetzung)