TB Nr.3: I. Maoistische „Neue Demokratie“ oder Permanente Revolution?

Am 13. Februar 1996 begann die Kommunistische Partei Nepals (Maoisten) [KPN(M)] einen „Volkskrieg“ in einem der rückständigsten und ärmsten Länder der Welt. Der casus belli war die Weigerung der regierenden Koalition unter Führung der Nepalesischen Kongresspartei, eine 40 Punkte umfassende Liste mit Forderungen der maoistischen Vereinigten Volksfront von Nepal anzusprechen, darunter die Forderung nach einer „neuen Verfassung […] entworfen von gewählten Vertretern des Volkes“ und nach einem Ende der „besonderen Rechte und Privilegien des Königs und seiner Familie“ (Karki & Seddon 2003, S. 184 [Eig. Übers.])Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494 S.

Innerhalb von 24 Stunden hatten maoistische Rebellen und ihre Sympathisanten eine Vielzahl von Zielen im ganzen Land angegriffen. Das Büro der staatlichen Landwirtschaftlichen Entwicklungsbank [Agricultural Development Bank] im zentralen Distrikt Gorkha (die historische Heimat der berühmten „Gurkha“ Söldner) wurde geplündert und Unterlagen über Schulden im Wert mehrerer Millionen Rupien wurden verbrannt. In der maoistischen Hochburg der westlichen Distrikte Rolpa und Rukum wurden Polizeistützpunkte gestürmt und Waffen erobert. Laut Aussagen der KPN(M) wurden Teile eines Abfüllbetriebs von Pepsi in der Hauptstadt Kathmandu „abgefackelt“; die Schnapsfabrik eines „Kompradorenbourgeois“ in Gorkha „wurde in die Luft gejagt“ und beim Überfall auf das Haus eines „berüchtigten feudalen Wucherers“ in Ost-Nepal wurden 1,3 Millionen Rupien in bar beschlagnahmt und viele Kreditverträge vernichtet (Thapa & Sijapati 2004, S. 50 [Eig. Übers.])Thapa, Deepak. ; Sijapati, Bandita: A kingdom under siege : Nepal’s Maoist insurgency, 1996 to 2003. The Printhouse,2004.

Eine Woche nach der Erklärung des „Volkskriegs“ erklärte Innenminister Khum Bahadur Khadka:

“Ich bin zuversichtlich, dass wir imstande sein werden, die gegenwärtigen Aktivitäten binnen vier oder fünf Tagen unter Kontrolle zu bringen.”
Sharma 2004, S. 49 [Eig. Übers.]Sharma, Sudheer: The Maoist Movement: An Evolutionary Perspective. In: Hutt 2004a. S. 38-57
Hutt 2004a
Hutt, Michael (Hrsg.): Himalayan ‘people’s war’ : Nepal’s Maoist rebellion. London : Hurst, 2004, 322 S.

Bis zum Ende der zweiten Woche gab es fast 5.000 Vorfälle, von Angriffen auf Polizeistützpunkte bis zur Enteignung von Grundeigentum. Khadka wurde bald ersetzt, sechs Jahre später aber wieder eingesetzt. Zu dieser Zeit waren 60 bis 70 Prozent des ländlichen Nepal unter maoistischer Kontrolle; Anfang 2005 waren es 80 Prozent.

Der überraschende Erfolg der Guerilla wurde durch Nepals bergiges und weitgehend unzugängliches Gelände erleichtert sowie durch die Unerfahrenheit und wahllose Brutalität der Sicherheitskräfte des Regimes und durch Käuflichkeit, Kurzsichtigkeit und Inkompetenz der herrschenden Klasse. Doch der wichtigste Faktor war der maoistische Einsatz zur Organisierung eines Volkskampfes gegen Unterdrückung. Während Trotzkisten für eine Strategie des proletarischen Massenaufstands an Stelle eines ländlichen „Volkskriegs“ eintreten, stehen wir eindeutig auf Seiten der maoistischen Rebellen in ihrer militärischen Konfrontation mit der nepalesischen Bourgeoisie.

Die Strategie der KPN(M) wurde in einer Erklärung skizziert, die überall in Nepal am ersten Tag des „Volkskrieges“ zu Hunderttausenden verteilt wurde. Sie wies „Feudal-, Kompradoren- und bürokratisch kapitalistischen Herrschern“ (Karki & Seddon 2003, S. 188 [Eig. Übers.])Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494 S. die Schuld für Nepals wirtschaftliche Unterentwicklung und un­demokratische politische Struktur zu:

“Die Kommunistische Partei Nepals (Maoisten), die proletarische Partei der Söhne und Töchter der Volksmassen, hat beschlossen, den Prozess der zwangsweisen Zerschlagung dieses reaktionären Staates und der Schaffung eines neuen demokratischen Staates einzuleiten. Dieser Entschluss basiert auf dem Gefühl des Dienstes und der Hingabe gegenüber dem Volk, auf der Verpflichtung gegenüber der allmächtigen Ideologie des Marxismus-Leninismus-Maoismus, um die Menschheit ein für alle Mal vom Joch der Klassenausbeutung zu befreien und auf dem Studium der Geschichte der nepalesischen Gesellschaft in diesem Lichte […] Dieser Weg wird sich dadurch entfalten, dass im Einklang mit der historischen Etappe der Entwicklung Nepals von allen Kampfformen Gebrauch gemacht wird, und vor allem, wie wir es schon immer gesagt haben, im Einklang mit der Strategie der Einkreisung der Stadt vom Land aus, mit der Agrarrevolution als Achse und mitten aus und verbunden mit dem ländlichen Klassenkampf.”
Karki & Seddon 2003,  S. 192 [Eig. Übers.]Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494  S.

Der maoistische Aufruf zum Klassenkampf war nicht nur rhetorisch. Ein signifikanter sozioökonomischer Wandel wurde in ihren ländlichen „Basisgebieten“ vorgenommen, wo Großgrundbesitz neu verteilt, Schulden der Bauern erlassen, landwirtschaftliche Gemeinden gegründet, rudimentäre Straßen- und Bewässerungssysteme gebaut wurden und eine Parallelregierung eingerichtet wurde. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung wurde Frauen, unteren Kasten und Gruppen ethnischer/nationaler Minderheiten zum ersten Mal rechtliche Gleichstellung zur Teilhabe an den Vorteilen der sinnvollen, wenn auch bescheidenen, soziale Reformen eingeräumt.

Der Erfolg der nepalesischen Maoisten lief der herrschenden „Tod des Kommunismus“-Propagandaoffensive der bürgerlichen Ideologen in der unmittelbar post-sowjetischen Zeit zuwider und übte weltweit einen spürbaren Einfluss auf neue Schichten von Kämpfern aus. Nach dem Sieg der Konterrevolution in der UdSSR und Ost-Europa und der Niederlage oder Vereinnahmung der meisten aufständischen linksnationalistischen Bewegungen in der Dritten Welt, hatten sich viele junge Linke an die amorphe und oft unverhohlen reformistische Politik von „Antiglobalisierung“, Anarchismus und neokolonialer „Solidarität“ geklammert. Aber für die von Gipfelhopping und moralischer Zeugenschaft Enttäuschten erneuerte die Wiederbelebung der maoistischen Guerrilla in Nepal, Indien und den Philippinen die Attraktivität von „Marxismus-Leninismus-Mao-Zedong-Ideen“. Die Financial Times warnte, dass die „Bedrohung durch den Maoismus ein Comeback erfahre“. (Mallet 2006 [Eig. Übers.])Mallet, Victor: The menace of Maoism is making a comeback. In: Financial Times (FT.com) (2006 02 21).

Historischer Kompromiss der KPN(M)

Das Jahr 2006 erwies sich als Wendepunkt für den nepalesischen „Volkskrieg“. Im April lähmten ein Generalstreik und eine 19 Tage währende Massenmobilisierung in Kathmandu und anderen Zentren die Monarchie. Während die Maoisten erfolgreich „die Stadt vom Land aus umzingelten“, spielten sie im Streik nur eine untergeordnete Rolle. Nach einer Verhandlungsrunde mit bürgerlichen und stalinistischen parlamentarischen Parteien stimmte die KPN(M) zu, sich am „Mehrparteienwettbewerb innerhalb eines antifeudalen und antiimperialistischen verfassungsrechtlichen Rahmens“ zu beteiligen (Verma & Navlakha 2007, S. 1843)Verma, Anand Swaroop; Navlakha, Gautam: Peoples War in Nepal : Genesis and Development. In: Economic and Political Weekly (19 May 2007).. Nachdem die Maoisten zwei Jahre später bei den Nationalwahlen zu einer Verfassunggebenden Versammlung eine Mehrheit gewonnen hatten, bildeten sie eine Koalitionsregierung mit Elementen, die sie einst als Mitglieder des „reaktionären Lagers“ denunziert hatten.

Der Preis für die Zulassung zur etablierten bürgerlichen Politik war gepfeffert: Von Gutsbesitzern und Kapitalisten beschlagnahmtes Grundeigentum und Fabriken wurden zurückgegeben, die „Volksgerichte“ und „Volkskomitees“ aufgelöst und die Guerillakräfte der Volksbefreiungsarmee entwaffnet. Als die KPN(M) im Mai 2009 schließlich nach einem Verfassungsstreit aus der Regierung geschmissen wurde, hatte sie wenig für die Opfer von so vielen ihrer Unterstützer vorzuweisen, von denen Tausende im „Volkskrieg“ ums Leben gekommen waren. Im Gegensatz dazu befand sich Nepals herrschende Elite danach in einer viel stärkeren Position.

Das Ergebnis der Wiederannäherung der KPN(M) an die herrschende Klasse, die weiterhin die Konturen der nepalesischen Politik bestimmt, hat international beträchtliche Zwietracht und Verwirrung unter den maoistischen Strömungen erzeugt. Viele verteidigen die Koalition der KPN(M) als ein Beispiel taktischer Flexibilität. Linkere Elemente charakterisieren sie als „Verrat“ infolge einer „rechten opportunistischen Linie“ der Anpassung an bürgerliche Reaktionäre, anstatt eine „neudemokratische Allianz mit „progressiven“ Kapitalisten zu schmieden.

Letztlich ignorieren links-maoistische Kritiker der KPN(M) genauso wie deren rechte Apologeten die grundlegende politische Tatsache, dass Versöhnung mit bürgerlicher Herrschaft das logische Ergebnis der Klassenkollaboration ist, die im Zentrum von Mao Zedongs Konzept der Neuen Demokratie liegt, die lediglich eine Variante der stalinistischen/menschewistischen Vorstellung ist, dass halbkoloniale Länder eine Periode der kapitalistischen Entwicklung durchlaufen müssen, bevor die proletarische Revolution auf die historische Tagesordnung gesetzt wird. Aus dieser „Zwei-Etappen“-Theorie der sozialistischen Revolution ergibt sich zwangsläufig, dass die „nationale Bourgeoisie“ (im Gegensatz zu den schlechten „Kompradoren“kapitalisten) als eine Verbündete der Arbeiterklasse und der Bauern identifiziert wird. Die Aussage der KPN(M) vom Februar 1996 machte dies deutlich:

“[O]b es sich um Arbeiter, Bauern, Frauen, Lehrer, Studenten, kleine Händler, untere Beamte, Ärzte, Professoren oder Mitglieder anderer Klassen, einschließlich der nationalen Bourgeoisie, handelt, alle sind Opfer dieses Feudalstaates, der Kompradoren und bürokratischen Kapitalisten.”
Karki & Seddon 2003,  S. 189 [Eig. Übers.]Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494  S.

Dieser kleinbürgerliche Utopismus leitet sich von einer bäuerlich begründeten, ländlich geprägten Weltanschauung her. Von der KPN(M), wie von Mao selbst, werden Arbeiterkämpfe im Wesentlichen als Ergänzung zur umfassenden Strategie der Einkreisung der Städte durch bäuerliche „Basisgebiete“ gesehen. Als das Proletariat schließlich doch, unabhängig von den Maoisten, seinen Kopf erhob, reichte es, selbst die glühendsten Monarchisten davon zu überzeugen, dass der einzige Weg zur Besitzstandswahrung für die herrschende Klasse die Entscheidung für eine Republik wäre. Die Festlegung der KPN(M) auf die Zwei-Etappen-Theorie führte zur Unterordnung der Arbeiterklasse und der armen Bauern unter die frischgebackene „antifeudal“ geprägte nationale Bourgeoisie.

Dies ist nicht das erste Mal, dass Arbeiter und die Unterdrückten auf dem Altar der Zwei-Etappen-Revolution geopfert wurden. Doch anders als 1963 im Irak, 1965 in Indonesien oder 1973 in Chile, haben Nepals Herrscher die Arbeiterklasse noch nicht erfolgreich enthauptet und die Linke in den Untergrund getrieben. Belebt durch seine Demonstration der Stärke im April 2006 und von der Wiederherstellung bestimmter bürgerlich-demokratischer Rechte profitierend, scheint das nepalesische Proletariat so kämpferisch und politisch bewusst wie seit jeher zu sein. Aber diese Militanz stellt eine Gefahr dar, die die Bourgeoisie unweigerlich zu zermalmen versuchen wird. Während sich die Gewitterwolken der Reaktion verdichten, müssen Nepals Arbeiter versuchen, ihre eigenen unabhängigen politischen Organe mit der Perspektive zu schaffen, alle Unterdrückten in einen revolutionären Kampf um die Ergreifung der staatlichen Macht zu führen.

I. Kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung: Nepal, China und Indonesien

Westliche Reiseveranstalter werben für Nepal als „Land der Kontraste“. 2004 kommentierte Michael Hutt:

“Ihre Broschüren und Ratgeber haben regelmäßig den dampfenden Dschungel der exklusiven Atmosphäre der hohen Schneegipfel und das moderne urbane Treiben Kathmandus den „traditionellen“ Lebensweisen entlegener ethnischer Gemeinschaften des Königreichs gegenüber gestellt. Allerdings gibt es viele andere Gegensätze und Widersprüche, die nicht in der touristischen Literatur zu finden sind: Zwischen der verfassungsrechtlichen Definition Nepals als hinduistischer Staat und der Existenz bedeutender religiöser Minderheiten; zwischen seinem Status als Mehrparteiendemokratie unter einer konstitutionellen Monarchie und der langfristigen Präsenz einer gut verankerten kommunistischen Bewegung, zwischen seinem Status als Einheitsstaat mit einer Amtssprache und der Anwesenheit vieler verschiedener ethnischer Gruppen innerhalb seiner Grenzen, die Dutzende verschiedener Sprachen sprechen; zwischen seinem Status als eines der meist geförderten „Entwicklungs“länder der Erde und der Verarmung und Marginalisierung eines großen Teiles der Bevölkerung sowie zwischen seinem Ruf als Land des Friedens und der rücksichtslosen Gewalt in den Machtkämpfen, die in verschiedenen Augenblicken seiner Geschichte ausgetragen wurden.”
Hutt 2004b, S. 1f [Eig. Übers.]Hutt, Michael: Monarchy, democracy and Maoism in Nepal. In: Hutt 2004a
Hutt 2004a
Hutt, Michael (Hrsg.): Himalayan ‘people’s war’ : Nepal’s Maoist rebellion. London : Hurst, 2004, 322 S.

Etwa 85 Prozent des nepalesischen 30 Millionenvolks leben in ländlichen Gebieten und 75 Prozent verdienen ihren Lebensunterhalt auf dem Land, ob als Lohnarbeiter, Pächter oder Kleinbauern. Die Bevölkerung ist ungleichmäßig über drei ausgeprägte geographische Zonen verteilt:

“Im Süden, an Indien grenzend, liegt der fruchtbare niedrig gelegene Streifen des Terai oder der Ebenenregion, Heimat für 48 Prozent der Bevölkerung, vor allem Madhesi. Das zentrale Hochland mit Höhen von rund 600 bis auf über 4000 Metern, einschließlich Kathmandu, hat lange die Politik Nepals dominiert; es umfasst rund 44 Prozent der Bevölkerung. Schließlich ragen die schroffen Gipfel des Nordens – Everest usw. – entlang der Grenze zur Volksrepublik China auf. Die westlichen Mittel- und Hochgebirgsregionen waren immer die ärmsten Teile des Landes und die stärkste Basis für Unterstützung der Kommunisten.”
Vanaik 2008, S. 51 [Eig. Übers.]Vanaik, Achin: The New Himalayan Republic, In: New Left Review 49 (2008) January-February,  S. 47-72

2009 betrug Nepals Durchschnittseinkommen, laut US-Außenministerium, $ 470 und 66 Prozent der Bevölkerung lebten von 2 Dollar pro Tag oder weniger. Die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind extrem niedrig – vor Beginn des „Volkskrieges“ gab es keine Krankenhäuser in den Bezirken Rolpa und Rukum. Die Lebenserwartung (60 Jahre) gehört zu den niedrigsten in Südasien, während die Säuglingssterblichkeit zu den höchsten zählt. Nur 62 Prozent der Männer und bloß 26 Prozent der Frauen können lesen. Vielen Dörfern fehlen zuverlässige Strom- und Wasserversorgung sowie Straßen.

Die Verteilung des Wohlstands in Nepal ist extrem ungleich – die unteren 10 Prozent der Haushalte verfügen über 1 Prozent, während das obere Zehntel über mehr als 50 Prozent verfügt. Auf dem Lande sind nach der jüngsten Landwirtschaftszählung (2001) 25 Prozent der Haushalte „landlos“ (ein Anteil, der unter ethnischen Minderheiten höher ist), 28 Prozent „Kleinstbauern“ mit weniger als 1 Hektar und weitere 20 Prozent sind klassifiziert als „Kleinbauern“ mit 1 bis 2 Hektar. Der erbärmliche Grundbesitz der Kleinst- und Kleineigentümer erfordert oft, dass Haushaltsmitglieder auf den Feldern der Großgrundbesitzer für Lohn oder einen Teil der Ernte oder als Lastenträger oder auf andere Weise als Tagelöhner arbeiten. Viele arbeiten als Lohnarbeiter in den urbanen Zentren Nepals und benachbarten Ländern. Tatsächlich arbeiten rund 10 Prozent der Nepalesen im Ausland und ihre Überweisungen schlugen 2008 mit 17 Prozent des Volkseinkommens zu Buch (Economist 2009)Gurkhas in Nepal : Old soldiers fade away ; Nepalis do not see the Gurkhas in quite the same light as the British do. In: The Economist (2009-07-30)..

Landlosigkeit und Mietverhältnisse sind besonders häufig in den südlichen Ebenenregionen des Terai, wo eine Form von Schuldknechtschaft (Kamaiya) fortbesteht. Historisch aus einem System unbezahlter Zwangsarbeitsdienste entstanden, die für die oberen Kasten Brahmanen und Chetris erbracht wurden, gewährt moderne Kamaiya armen Bauern die Abtragung von Schulden (oft gefälschte) gegenüber Großgrundbesitzern. Das System der Kamaiya wurde offiziell im Juli 2000 abgeschafft, als die Zentralregierung unter maoistischem Druck ein Umverteilungsschema einführte. In vielen Fällen jedoch ging das Land, das an ehemalige Zwangsarbeiter sparsam verteilt worden war, schnell an die Grundherren zurück, weil sich die unter der Kamaiya Verarmten wieder verschuldeten.

Die eklatante Ungleichheit beim Landeigentum, die Fortdauer der Naturalpacht, das Weiterbestehen der Zwangsarbeit und die primitive Landwirtschaftstechnik (Handwerkzeuge und von Tieren gezogene Geräte) werden oft von Journalisten und Universitätsprofessoren als Beweis für den feudalen oder halbfeudalen Charakter von Nepals Wirtschaft angeführt. Es gibt eine Tendenz, die Rückständigkeit des Landes den „extrahierenden“ Neigungen seiner korrupten politisch-wirtschaftlichen Eliten und ihrer angeblichen Isolation von der Weltwirtschaft zuzuschreiben und den Schluss zu ziehen, dass, wenn „Feudalismus“ das Problem ist, dann (mehr) Kapitalismus und eine weitere Integration in den Weltmarkt die Lösung sind.

Maoistische Intellektuelle haben nützlichere und anspruchsvollere Analysen der nepalesischen Unterentwicklung dargelegt, wobei sie den Schwerpunkt auf die Rolle von Klassenausbeutung und Imperialismus legen. Baburam Bhattarai, der führende Theoretiker und die Nummer zwei (nach Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda) der KPN(M), schrieb eine Doktorarbeit an Indiens Jawaharlal Nehru Universität in den 1980er Jahren, die später unter dem Titel Die Natur der Unterentwicklung und der regionalen Struktur in Nepal: Eine marxistische Analyse (Bhattarai 2003b, [Eig. Übers.]Bhattarai, Baburam: The nature of underdevelopment and regional structure of Nepal : a Marxist analysis. Delhi : Adroit Publ., 2003. XX, 540 S. veröffentlicht wurde. Bhattarais Studie ist ein ernsthafter Versuch, ein detailliertes historisch-materialistisches Verständnis der nepalesischen politischen Ökonomie zu entwickeln. Seine Grundthese lautet prägnant in einem der Hauptdokumente der KPN(M):

“Nach dem Aufstieg des Kapitalismus zur höchsten Stufe, Imperialismus, ist, wegen des, dem kapitalistischen Entwicklungsprozess innewohnenden, Zentralisierungs- und Konzentrationsprozesses, kein gesellschaftliches System in der Welt imstande, außerhalb des Einflussbereiches der imperialistischen Intervention zu verbleiben. Je primitiver und rückständiger diese sozialen Systeme sind, desto mehr schädigt der Einfluss der imperialistischen Intervention ihren internen Entwicklungsprozess. Besonders im Fall von Gesellschaften, die an der Schwelle des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus stehen, verzerren die Auswirkungen des Imperialismus die inneren Produktionsverhältnisse, indem sie das Wachstum des Kapitalismus von Kompradoren und Bürokraten fördern (also eines Kapitalismus, der sich als Agent des ausländischen Monopolkapitals, in finanziellen und kommerziellen Aktivitäten statt in produktiven Tätigkeiten engagiert und von Anfang an einen monopolistischen Charakter annimmt, indem er sich auf den Staat stützt) anstelle einheimischer Formen von industriellem Kapitalismus.Deshalb ist es notwendig, die Beziehung mit dem Imperialismus zu zerschlagen, während eine fortschrittliche Umwandlung der „internen“ Produktionsverhältnisse durch revolutionäre Mittel herbeigeführt wird.”
Bhattarai 2003a, S. 119 [Eig. Übers.]Bhattarai, Baburam: The Political Economy of the People’s War. In: Karki & Seddon 2003
Karki & Seddon 2003
Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494 S.

Bhattarais Betonung der Beherrschung des globalen Kapitalismus, der Verwendung rückständiger einheimischer Institutionen durch das Finanzkapital und der Rolle der heimischen „Kompradoren“bourgeoisie als Agent des Imperialismus haben gewisse Parallelen mit dem Konzept der kombinierten und ungleichen Entwicklung, das von dem großen russischen Revolutionär Leo Trotzki erarbeitet wurde. Im Übergangsprogramm von 1938, angenommen auf dem Gründungsparteitag der Vierten Internationale, machte Trotzki folgende Beobachtung:

“Koloniale und halbkoloniale Länder sind ihrem Wesen nach rückständige Länder. Aber rückständige Länder sind Teil einer vom Imperialismus beherrschten Welt. Ihre Entwicklung hat daher einen kombinierten Charakter: Die primitivsten Wirtschaftsformen sind kombiniert mit dem neuesten Stand kapitalistischer Technik und Kultur. […]

Die zentralen Aufgaben der kolonialen und halbkolonialen Länder sind die Agrarrevolution, also die Liquidierung des feudalen Erbes, und nationale Unabhängigkeit, also das Abwerfen des imperialistischen Jochs. Beide Aufgaben sind eng miteinander verknüpft.”
Trockij 1998, S. 57 [Eig. Übers.]Trockij, Lev D.: The transitional program : the death agony of capitalism and the tasks of the Fourth International / by Leon Trotsky. London [u.a.] : Bolshevik, 1998. [Eig. Übers.]. 218 S.

Es gibt jedoch zwei zentrale Unterschiede zwischen Trotzkis Analyse und jener von Bhattarai. Erstens betonte Trotzki nicht nur das Fortbestehen „primitiver ökonomischer Formen“, sondern auch deren Kombination mit „dem letzten Stand der kapitalistischen Technik und Kultur.“ Bhattarai und die Maoisten tendieren dazu, die dynamische Bedeutung des Wachstums der Lohnarbeit in der Landwirtschaft und die Entwicklung eines kleinen, aber strategisch wichtigen industriellen Sektors im Kathmandu-Tal und im Terai zu unterschätzen oder gar zu ignorieren.

Zweitens stellt die KPN(M), während Trotzki ausdrücklich behauptete, dass die ungelösten Aufgaben der Demokratie und nationalen Unabhängigkeit nur durch eine sozialistische (also proletarische und internationalistische) Revolution sowohl gegen den Imperialismus als auch gegen die „nationale Bourgeoisie“ gelöst werden können, den Kampf „zur Zerschlagung der Beziehung zum Imperialismus“ in einem völlig anderen Licht dar. Bhattarai argumentiert, dass „kein Zweifel besteht, dass die halb feudale Beziehung die wichtigste und entscheidende Beziehung, sowohl qualitativ als auch quantitativ bleibt.“ Das erinnert an Mao Zedongs Behauptung von 1945:

“Es sind der ausländische Imperialismus und der einheimische Feudalismus, die für das heutige China überflüssig sind, aber nicht der eigene Kapitalismus; im Gegenteil, es gibt bei uns zuwenig Kapitalismus.”
Mao 1969, S. 274Mao, Tse-tung: Über die Koalitionsregierung. In: Ausgewählte Werke / Mao Tse-tung. Bd. 3. Peking : Verl. für fremdspr. Lit., 1969, S. 239-319

Bhattarai und seine Partei stellen eine identische Behauptung für Nepal auf:

“Wegen des rückständigen halbfeudalen Staats und des sehr niedrigen Entwicklungsniveaus der Produktivkräfte in Nepal, wäre die grundsätzliche Form der neuen Produktionsverhältnisse am Anfang nicht sozialistisch, sondern kapitalistisch, und erst nach einer Übergangsphase würde eine sozialistische Umgestaltung durchgeführt werden. In der neudemokratischen Etappe gingen Schlüsselindustrien und Finanzunternehmen in Staatseigentum über, einige der größeren Produktionsmittel wären gemeinsames Eigentum des Staates und privater Unternehmen und in der Landwirtschaft, dem größten Sektor der Volkswirtschaft, gäbe es weit verbreitetes Privateigentum der Bauern, während es in Klein- und Mittelindustrie sowie im Handel Eigentum privater Unternehmer und Händler gäbe.”
Bhattarai 2003a, S. 155f [Eig. Übers.]Bhattarai, Baburam: The Political Economy of the People’s War. In: Karki & Seddon 2003
Karki & Seddon 2003
Karki, Arjun ; Seddon, David: The people’s war in Nepal : left perspectives. Delhi : Adroit Publ., 2003. 494 S.

Im Gegensatz zum „Halbfeudalismus“ im heutigen Nepal, würde der neudemokratische Kapitalismus der KPN(M) angeblich „unabhängige und autonome Entwicklung produzieren, frei von Unterdrückung und Ausbeutung durch Imperialismus und Expansionismus.“ Er würde auch internationalen Handel „auf der Grundlage von Gleichberechtigung, gegenseitigem Nutzen und nationalen Bedürfnissen“ betreiben, „Land den Bauern“ geben und die Schulden der Bauern abschaffen. Da die KPN(M) die zentrale Achse des sozialen Konflikts am Kampf zwischen „reaktionären“ und „progressiven“ Klassen (anstatt zwischen Ausbeutern und denen, die sie ausbeuten) ausrichtet, ruft sie zu „gemeinsamer Beteiligung“ von Arbeitern, Bauern, Kleinbürgertum und „nationaler Bourgeoisie“ auf, was Joseph Stalin als „Block der vier Klassen“ bezeichnete.

Etappentheorie gegen Permanente Revolution

Im März 1926, während Mao noch ein Lippenbekenntnis zur Idee abgab, dass das industrielle Proletariat eine führende Rolle in der kommenden chinesischen Revolution spielen würde, fragte er:

“Wer sind unsere Feinde? Wer sind unsere Freunde? Das ist eine Frage, die für die Revolution erstrangige Bedeutung hat.”
Mao 1968, S. 9Mao, Zedong: Analyse der Klassen in der chinesischen Gesellschaft. In: Ausgewählte Werke / Mao Tse-Tung. Bd. 1. Peking : Verl. für fremdspr. Lit., 1968. S. 9-20

Die Passage ist ein Favorit für maoistische Befürworter einer neudemokratischen Allianz mit „progressiven“ Kapitalisten. Nepals Maoisten sind jedoch nicht in der Lage, irgendwelche bürgerlichen „Freunde“ der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft konkret zu identifizieren. Tatsächlich gibt es einen tiefen Widerspruch im Kern der maoistischen politischen Ökonomie. Auf der einen Seite steht die Erkenntnis, dass imperialistische Beherrschung die Bildung einer nationalen Bourgeoisie erstickt, die fähig wäre, signifikante demokratische Reformen und eine einheimische industrielle Entwicklung auf den Weg zu bringen. Auf der anderen Seite basiert die gesamte Strategie der Zwei-Etappen-Revolution auf der Vorstellung, dass das soziale Gewicht und die politische Autorität der einheimischen Bourgeoisie so groß sind, dass keine Möglichkeit der Umwälzung des gesamten ausbeuterischen Systems des kapitalistischen Privateigentums besteht.

In seinem 500-Seiten-Wälzer über nepalesische Unterentwicklung (Bhattarai 2003b), liefert Bhattarai eine verwickelte Darstellung der historischen Entwicklung der „reaktionären“ Klassen und der komplexen Interdependenzen zwischen Großgrundbesitzern und Wucherer, Kaufmann und „bürokratischem“ Kapital und Imperialismus. Doch die „nationale Bourgeoisie“ rechtfertigt kaum eine Erwähnung und es gibt keine Beschreibung irgendwelcher Handlungen, durch die sie sich als „Freund“ der Arbeiter und armen Bauern oder als Unterstützer irgendeiner Art von „fortschrittlicher“ Revolution qualifizierte. Dies liegt daran, dass es in der Epoche des Imperialismus keine historisch fortschrittliche Bourgeoisie in Nepal oder anderswo geben kann.

Die zentrale Prämisse der Zwei-Etappen-Revolution, dass koloniale und halbkoloniale Länder zunächst einen längeren Zeitraum kapitalistischer Entwicklung durchlaufen müssten, bevor sie „reif“ für eine sozialistische Revolution seien, hat eine schäbige Herkunft. Vor der Oktoberrevolution von 1917 bestanden die Menschewiki darauf, dass die russische Arbeiterklasse nur als Erfüllungsgehilfe der angeblichen Bestrebungen der liberalen Bourgeoisie für eine demokratische Republik handeln könnte. 1906 argumentierte Pavel Axelrod, einer der führenden Menschewiki:

“Die sozialen Verhältnisse in Russland sind nicht über den Punkt der bürgerlichen Revolution hinaus entwickelt: Die Geschichte treibt Arbeiter und Revolutionäre immer stärker zum Eintreten für bürgerliche Revolution, was sie unfreiwillig zu politischen Knechten der Bourgeoisie macht, anstatt in die Richtung des echten Strebens nach sozialistischer Revolution und die taktische und organisatorische Vorbereitung des Proletariats für politische Herrschaft.

[…]

Wir können im absolutistischen Rußland die objektive historische Voraussetzung für die „politische Zusammenarbeit“ zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie nicht ignorieren.”
Axelrod 1976, S. 60 [Eig. Übers.]Axelrod, Pavel: Speech at the Fourth Party Congress. In: Ascher 1976
Ascher 1976
Ascher, Abraham (Hrsg.): The Mensheviks in the Russian Revolution. London : Thames and Hudson, 1976
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Lenin verwarf die menschewistische Strategie der Klassenkollaboration und stellte fest, dass die gesamte Bourgeoisie so vollständig mit dem Landadel verbunden war, so große Angst vor dem Proletariat hatte und so abhängig vom Schutz der zaristischen Autokratie war, dass sie unfähig war, irgendeine Wiederholung der „klassischen“ bürgerlichen Revolution von 1789 in Frankreich durchzuführen. Im Februar 1917 führten Massenstreiks und Demonstrationen auf der Straße zur Abdankung des Zaren und zur Bildung von Sowjets (Arbeiterräten) in den Fabriken, dem politischen Kern einer alternativen staatlichen Macht, aber die menschewistischen und sozialrevolutionären Führer dieser Gremien verpflichteten sich zur Treue gegenüber der neu gebildeten bürgerlichen Provisorischen Regierung. Die erste Reaktion vieler „alter Bolschewiki“ (einschließlich Stalin) bestand darin, dem neuen Regime als Ausdruck einer „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“, ein Konzept, dass Lenin formuliert hatte, ohne jemals einen Block mit der Bourgeoisie vorzuschlagen, bedingte Unterstützung zu geben. Lenins energisches Eingreifen (mit seinen berühmten „Aprilthesen“) machte diese Politik rückgängig und brachte die Bolschewiki auf einen Kurs, der es ihnen erlaubte, die Arbeiterklasse sechs Monate später an die Macht zu führen.

Lehren des Kuomintang Desasters

Die Oktoberrevolution von 1917 sorgte für eine lebendige Widerlegung der Zwei-Etappen-Theorie, die die Erfahrungen Großbritanniens und Frankreichs mechanisch auf ein universelles Modell der sozialgeschichtlichen Entwicklung projiziert hatte. In den Nachwehen der Revolution war Lenin, Trotzki und den anderen Führern der Kommunistischen Internationale (Komintern) nicht klar, dass die bolschewistische Strategie auf koloniale und halbkoloniale Länder anwendbar war, die allgemein rückständiger waren und ein weit kleineres Proletariat als Russland hatten. Folglich unterstützte die Komintern in den frühen 1920er Jahren die Idee der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), ein Bündnis mit der bürgerlich-nationalistischen Kuomintang einzugehen.

In der bolschewistischen Führung wuchs unter der Führung Trotzkis eine Gruppe, die über den liquidatorischen Verlauf des Kuomintangeintritts zunehmend besorgt war, während die dominierende Stalinfraktion, die die Strategie als einen „Block der vier Klassen“ kennzeichnete, zunehmend anfing, menschewistische Argumente zur Zwei-Etappen-Theorie wiederzuverwenden. Die Orientierung auf die Kuomintang wurde in wachsendem Maße durch die diplomatische Zwangslage der sowjetischen Außenpolitik und durch die andauernden internen Fraktionskämpfe in der russischen Partei, anstatt durch die Logik des Klassenkampfes in China geprägt.

Im März 1926 zerbrach der Block der KPCh mit der Kuomintang beinahe, als Chiang Kai-shek in Kanton einen Mini-Staatsstreich durchführte als Reaktion auf das, was er fälschlicherweise für eine kommunistische Verschwörung zu seiner Entführung hielt:

“Chiang handelte sofort in seiner Eigenschaft als Standortkommandeur und […] verhängte über Kanton das Kriegsrecht, postierte in allen wichtigen Gebäuden loyale Kadetten oder Polizisten, ließ alle Streikposten der Arbeiterschaft entwaffnen und die in Kanton anwesenden russischen Berater, über 30 Leute, verhaften. Eine Reihe hochrangiger politischer Kommissare der KPCh wurde zur „Umschulung“ in Whampoa festgehalten, KPCh-nahe Zeitungen mußten ihr Erscheinen einstellen. Einige Tage später begann Chiang die Repressalien dann allmählich zu lockern, und Anfang April bekannte er sich erneut zum Bündnis mit der Sowjetunion, doch so wusste niemand mehr, wie man diese Erklärungen zu deuten hatte.

[Der Gesandte der Komintern Michail] Borodin, der sich seit Februar zu Geheimberatungen mit russischen Kollegen über die Strategie der Komintern in Peking aufgehalten hatte, kehrte Ende April nach Kanton zurück und handelte im Lauf der folgenden Tage mit Chiang einen „Kompromiß“ aus: Demzufolge konnten KPCh-Mitglieder künftig keine Guomindang-Abteilungen oder staatlichen Dienststellen mehr leiten; Kritik an Sun Yat-sens „Drei Volksprinzipien“ war der KPCh hinfort untersagt; Guomindang-Mitglieder konnten nicht mehr der KPCh beitreten; die Komintern mußte ihre Weisungen an die KPCh einem Guomindang-Ausschuß vorlegen; dem Exekutivkomitee der Guomindang war eine KPCh-Mitgliederliste auszuhändigen. Da Stalin in Moskau vor einem entscheidenden Machtkampf stand und sich die Blamage der völligen Ausschaltung der KPCh und der sowjetischen Berater in Kanton nicht leisten konnte, ging Borodin auf diese Bedingungen ein.”
Spence 2008,  S. 420fSpence, J. D.: Chinas Weg in die Moderne. Erw. Neuausg. Bonn : Bundeszentrale für Politische Bildung, 2008. 1013  S.

Um eine Entfremdung von der hypothetisch „antiimperialistischen“ Bourgeoisie zu vermeiden, wies Moskau die KPCh an, den Klassenkampf in den Städten herunterzuschrauben und den Bauernaufstand auf dem Lande abzuschwächen. Trotzki kommentierte bissig:

“Die offizielle Unterwerfung der Kommunistischen Partei unter die bürgerliche Führung und das offizielle Verbot, Sowjets zu bilden (Stalin und Bucharin lehrten, die Kuomintang „ersetze“ die Sowjets), war ein gröberer und schreienderer Verrat am Marxismus, als alle Taten der Menschewiki in den Jahren 1905–1917.”

Anfang 1927 warnte Trotzki davor, dass Chiang sich darauf vorbereite, die wachsende Arbeiterbewegung zu zerschlagen und plädierte für die Bildung von Arbeiterräten, um eine Widerstandsbasis gegen einen solchen Versuch zu schaffen. Stalin wies dies als „Überspringen des revolutionärdemokratischen Stadiums der Bewegung“ (Spence 2008, S. 431) zurück und behauptete, Chiang und der Rest der Kuomintang-Führer „müssen […] zu diesem Zweck benutzt, wie eine Zitrone ausgequetscht und dann weggeworfen werden“ (Wujowitsch 1972, S. 327)W. Wujowitsch: Rede (Moskau, Mai 1927). In: Trotzki 1972, S. 319-332
Trockij 1972
Trockij, Lev D.: China: Die erwürgte Revolution. Bd. 1. Trotzki Sammelbuch Bd. 7. Berlin : Verlag Neuer Kurs, 1972
.

Aber so entwickelten sich die Dinge nicht. Während der Kampagne der Kuomintang gegen reaktionäre Kriegsherren, erhoben sich Arbeiter in Shanghai (traditionell das Zentrum der chinesischen Arbeiterbewegung) und übernahmen die Kontrolle der Stadt in Erwartung der Ankunft von Chiangs Truppen. Die KPCh ließ ihre Mitglieder ihre Führungspositionen ausnutzen, um die Aufständischen zu entwaffnen und die Stadt an die Kuomintang zu übergeben. Chiang nutzte die Gelegenheit und ermordete in Kollaboration mit lokalen rechtsgerichteten Paramilitärs, Zehntausende Kommunisten, militante Arbeiter und Studenten.

In den Nachwirkungen dieser enormen Niederlage verallgemeinerte Trotzki seine Theorie der permanenten Revolution und zog den Schluss, dass die Politik, die Lenin in seinen April-Thesen ein Jahrzehnt zuvor skizziert hatte, universell anwendbar sei:

“In bezug auf die Länder mit einer verspäteten bürgerlichen Entwicklung, insbesondere auf die kolonialen und halbkolonialen Länder, bedeutet die Theorie der permanenten Revolution, dass die volle und wirkliche Lösung ihrer demokratischen Aufgabe und des Problems ihrer nationalen Befreiung nur denkbar ist mittels der Diktatur des Proletariats als des Führers der unterdrückten Nation, vor allem ihrer Bauernmassen.”
Trockij 1971,  S. 158Trockij, Lev D.: Die permanente Revolution. Frankfurt am Main : Verlag Neue Kritik, 1971

Trotzki erkannte, Marx folgend, dass die Bauern trotz ihres zahlenmäßigen Übergewichts, keine unabhängige politische Rolle in der Revolution spielen könnten. Dies verneint nicht die vitale strategische Bedeutung in rückständigen Ländern, dass die revolutionären Arbeiter die die Unterstützung der Bauern (oder zumindest der stärker unterdrückten Schichten) im Kampf mit der Bourgeoisie und ihren imperialistischen Hintermännern gewinnen. Aber die Geschichte hat wiederholt demonstriert, dass die Bauernschaft, eine vielschichtige kleinbürgerliche Masse von (zumindest ehrgeizigen) Grundstückseigentümern, zwangsläufig einer der beiden grundlegenden (und sich unversöhnlich gegenüberstehenden) Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft folgen muss, dem Proletariat oder der Bourgeoisie:

“Wie die gesamte Erfahrung der neueren Geschichte, besonders die Erfahrungen des letzten Vierteljahrhunderts in Rußland, beweist, bildet ein unüberwindliches Hindernis für die Schaffung einer Bauernpartei die ökonomische und politische Unselbständigkeit der Kleinbourgeoisie und ihre tiefgehende innere Differenzierung, kraft derer die oberen Schichten der Kleinbourgeoisie (der Bauernschaft) in allen entscheidenden Fällen, besonders bei Krieg und Revolution mit dem Proletariat gehen und damit die Zwischenschicht zwingen, zwischen den zwei äußersten Polen eine Wahl zu treffen. Zwischen der Kerenskiade und der bolschewistischen Macht, zwischen der Kuomintang und der Diktatur des Proletariats gibt es keine Zwischenstufe und kann es keine geben, d. h. es gibt keine demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern.”
Trockij 1971,  S. 159fTrockij, Lev D.: Die permanente Revolution. Frankfurt am Main : Verlag Neue Kritik, 1971

Mao spielte keine besondere Rolle in den Debatten, die die KPCh und die Komintern über die Kuomintang erschütterten. Seine Begeisterung für Kämpfe armer Bauern in seinem berühmten „Hunan Report“ vom Februar 1927 wurde von der Komintern nicht gut aufgenommen. Beginnend im Jahre 1925, also lange vor dem Massaker von Shanghai, konzentrierte Mao seine Anstrengungen auf die Organisierung von Bauern in Hunan, während er wenig Interesse für das städtische Proletariat zeigte. Bei der Beurteilung der turbulenten Ereignisse von 1926/27, einschließlich des fehlgeschlagenen „Herbsternte-Aufstands“ in Hunan, schrieb Mao, dass von zehn Punkten:

“Stadtbevölkerung und Militär nur bei drei Punkten [lägen], während die restlichen sieben den Bauern für ihre ländliche Revolution zuerkannt werden müßten.”
Spence 2008,  S. 434Spence, J. D.: Chinas Weg in die Moderne. Erw. Neuausg. Bonn : Bundeszentrale für Politische Bildung, 2008. 1013 S.

Nach dem Debakel von 1927 gab die Kommunistische Partei als Ganzes die städtischen Zentren auf und konzentrierte sich auf die Konsolidierung der bäuerlichen Basisgebiete auf dem Lande, wo die Kuomintang wenig Einfluss ausübte. Neue Demokratie war im Wesentlichen eine Neuformulierung der Zwei-Etappen-Theorie zur Anpassung an diese Umstände. Während die KPCh weiterhin formell die zentrale Rolle des Proletariats mit Rücksicht auf die „Klasse gegen Klasse“-Rhetorik anerkannte, die die „Dritte Periode“ der Komintern kennzeichnete, unternahm sie in der Praxis nur wenig, um irgendeinen Einfluss in der Arbeiterklasse wiederherzustellen.

Maoismus und die Zerstörung des indonesischen Kommunismus

Während des 20. Jahrhunderts wurde in einer Vielzahl von Situationen die katastrophale Niederlage, die die chinesische Arbeiterbewegung im April 1927 erlitten hatte, wiederholt, da stalinistische Parteien Massenkämpfe in Schranken hielten, um eine Entfremdung von der „fortschrittlichen“ Bourgeoisie zu vermeiden. In der Tat tragen Mao und die KPCh besondere Verantwortung für das verheerende Blutbad in Indonesien im Jahr 1965. Die Partai Komunis Indonesia (PKI – Kommunistische Partei Indonesiens) war die größte kommunistische Partei in der kapitalistischen Welt, mit einer Mitgliederzahl von drei Millionen und weiteren neun Millionen im angegliederten Indonesischen Bauernverband (Bauernfront von Indone­sien – Barisan Tani Indonesia). Trotz der beispiellosen objektiven Stärke der Partei und der eindeutig prosozialistischen Bestrebungen der Massen, verfolgte die PKI-Führung, mit der aktiven Unterstützung und Förderung der KPCh, die Chimäre der Einheit mit Präsident Sukarnos bürgerlicher Indonesischer Nationalistischer Partei (PNI – Partai Nasional Indonesia).

Die Ausgabe der Peking Review vom 28. Mai 1965 enthielt einen Brief Mao Zedongs, der der PKI anlässlich des 45. Jahrestages gratulierte und sie als

“dem Marxismus-Leninismus treu ergeben und entschlossen gegen den modernen Revisionismus, eine zuverlässige Stoßtruppe der internationalen kommunistischen Bewegung”
Mao 1965, S. 6 [Eig. Übers.]Mao, Tse-tung: Chairman Mao Greets 45th Anniversary Of Indonesian C.P.. In: Peking Review Bd. 8. (1965-05-28) Nr. 22, S. 6

begrüßte. Die nächste Ausgabe (4. Juni 1965) mit der Überschrift „Große Siege der marxistisch-leninistischen Linie der indonesischen KP“ druckte den vollständigen Wortlaut der Reden des Delegationsleiters der KPCh und des PKI-Vorsitzenden D.N. Aidit bei einer Massendemonstration in Jakarta (sie enthielt auch Auszüge von Sukarnos Grußadresse an die Kundgebung). Aidit begann mit einem Gruß an

„Ihre Exzellenz, Präsident der Republik Indonesien, der große Führer der indonesischen Revolution, geliebter Bung Karno!“
Aidit 1965, S. 8 [Eig. Übers.]Aidit, Dipa Nusantara: Intensify Revolutionary Offensive and First Oppose “Five Devils” : Chairman D.N. Aidit’s Speech. In: Peking Review Bd. 8 (1965-06-04) Nr. 23, S. 8-12

Er fuhr fort, die „Imperialisten und ihre Lakaien“ zurückzuweisen, die sich beschwert hatten, dass

“[…] während der Feierlichkeiten zum 45. Jahrestag der Gründung der Indonesischen Kommunistischen Partei, das Porträt von Sukarno gemeinsam mit denen von Marx, Engels, Lenin und Stalin gezeigt wird.”
Aidit 1965, S. 8 [Eig. Übers.]Aidit, Dipa Nusantara: Intensify Revolutionary Offensive and First Oppose “Five Devils” : Chairman D.N. Aidit’s Speech. In: Peking Review Bd. 8 (1965-06-04) Nr. 23, S. 8-12

Aidit erläuterte:

“Die Beziehung zwischen Präsident Sukarno und den indonesischen Kommunisten ist kein Geheimnis oder illegal; es ist eine aufrichtige Beziehung, korrekt und rechtmäßig, zwischen Revolutionären, die an die Wahrheit des Marxismus glauben und der Sache der Revolution dienen.”
Aidit 1965, S. 8 [Eig. Übers.]Aidit, Dipa Nusantara: Intensify Revolutionary Offensive and First Oppose “Five Devils” : Chairman D.N. Aidit’s Speech. In: Peking Review Bd. 8 (1965-06-04) Nr. 23, S. 8-12

Unter Hinweis auf die Gefahr einer „Invasion imperialistischer Truppen“ schlug Aidit eine „Kombination aus den gut ausgebildeten Streitkräften und dem bewaffneten Volk“ vor, die, so behauptete er, eine „großartige Möglichkeit“ sei, weil:

“[…] die Beziehungen zwischen unserem Volk und den Streitkräften von Tag zu Tag enger werden in der Umsetzung der Aufgabe der indonesischen Revolution.

Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit, Präsident Sukarno meinen Dank für sein Versprechen auszudrücken, die Arbeiter und Bauern, wenn nötig, zu bewaffnen.”
Aidit 1965, S. 10 [Eig. Übers.]Aidit, Dipa Nusantara: Intensify Revolutionary Offensive and First Oppose “Five Devils” : Chairman D.N. Aidit’s Speech. In: Peking Review Bd. 8 (1965-06-04) Nr. 23, S. 8-12

Es ist schwer, sich ein größeres Ausmaß an Selbstzerstörung oder Feigheit vorzustellen. Der „geliebte Bung Karno“ hielt es natürlich niemals für „nötig“, die PKI zu bewaffnen. Nach einem rituellen Aufruf zum „Kampf gegen den Opportunismus“ flehte Aidit die Mitglieder der PKI an

“„mutige, fähige und gestählte und gemäßigte Kommunisten mit strenger Disziplin, sowohl Parteidisziplin als auch Staatsdisziplin“ zu sein.”
Aidit 1965, S. 12 [Eig. Übers.]Aidit, Dipa Nusantara: Intensify Revolutionary Offensive and First Oppose “Five Devils” : Chairman D.N. Aidit’s Speech. In: Peking Review Bd. 8 (1965-06-04) Nr. 23, S. 8-12

Während Aidit vor Sukarno kroch, kümmerte sich die CIA um die Vorbereitungen für die „Disziplinierung“ (d. h. Auslöschung) der PKI. Im Oktober 1965 machte der oberste Militär, General Suharto, die Zeitungen der PKI dicht, verbot die ihr angeschlossenen Organisationen und befahl Massenverhaftungen. Die Parteiführung leistete keinen Widerstand und bekannte sich weiterhin pathetisch zu Sukarno. Während isolierte Nester von PKI-Kämpfern spontan versuchten, sich zu verteidigen, war die Partei leicht vernichtet und eine halbe Million Linke, Arbeiter und arme Bauern wurden abgeschlachtet. Die indonesische Linke erholte sich nie von diesem Debakel und das Land stöhnte jahrzehntelang unter Suhartos rechtsgerichteter Militärdiktatur.

Nachdem die PKI zerschlagen worden war, kritisierte Beijing Aidit et al zynisch dafür,

“die unabhängige Rolle des Proletariats in Abrede gestellt und es zu einem Anhängsel der nationalen Bourgeoisie gemacht zu haben“.”
Peking Review 1967, S. 16 [Eig. Übers.]People of Indonesia, Unite and Fight to Overthrow the Fascist Regime. Hongqui Editorial. In: Peking Review Bd. 10 (1967-07-14) No. 29, S. 15-17

Während einige überlebende PKI-Führer anschließend im Exil eine „Selbstkritik“ herausgaben, vertraten sie nach wie vor, mit Zustimmung ihrer chinesischen Mentoren, eine Strategie der „Einheit“ mit der Bourgeoisie:

“Die Korrektur der Fehler, die von der Partei in der Einheitsfront mit der nationalen Bourgeoisie begangen wurden, bedeutet nicht, dass die Partei sich jetzt nicht mit dieser Klasse zu vereinen braucht. Auf der Grundlage des Arbeiter-Bauern-Bündnisses unter der Führung der Arbeiterklasse, muss unsere Partei daran arbeiten, die nationale bürgerliche Klasse für die Seite der Revolution zu gewinnen.”
ICP 1967, S. 18 [Eig. Übers.]Indonesian Communist Party : Central Committee ; Political Bureau: Self Criticism by the Political Bureau of The Central Committee of the Indonesian Communist Party (Excerpts). In: Peking Review Bd. 10 (1967-07-21) No. 30, S. 13-21

Die Idee, dass die nationale Bourgeoisie für die Seite „gewonnen“ werden muss, die nach maoistischer Theorie, ihre eigene Revolution ist, legt die grundlegende Inkohärenz der Zwei-Etappen-Strategie bloß. Wie die bürgerlich-liberalen Kadetten in Russland vor 1917, verfolgten Sukarnos Nationalisten einfach eine andere Politik als andere, offen rechtsextreme, Fraktionen der herrschenden Klasse. Sie waren bereit, einige Reformen vorzunehmen, um die kapitalistische Herrschaft zu stabilisieren, im Gegensatz zu Suharto und seinen Hintermännern, die versuchten, die Organisationen der Arbeiter und Bauern zu vernichten, anstatt sie zu vereinnahmen. Solche Teilungen in Links und Rechts bestehen in unterschiedlichem Ausmaß in jeder kapitalistischen Gesellschaft. Aber während die herrschenden Gruppen miteinander über Taktik im Streit liegen mögen, stehen sie vereint gegen jede ernsthafte Bedrohung des kapitalistischen Eigentums. Kein nennenswerter Teil der Bourgeoisie hat sich jemals oder wird sich jemals zur Beteiligung an einem Regime bereit erklären, dessen Ziel letztlich die Liquidierung der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Neue Demokratie wurde in China erst etabliert, nachdem der kapitalistische Staat durch einen Bürgerkrieg zerschlagen, die Großbourgeoisie besiegt worden war und die KPCh die vollständige Kontrolle innehatte.

Die Entstehung der nepalesischen Bourgeoisie

Der ultrareaktionäre und rückständige Charakter von Nepals herrschender Klasse sollte die Gefahr, die der Suche nach einem „progressiven“ bürgerlichen Verbündeten anhaftet, deutlich machen. Während des 17. und 18. Jahrhunderts war das Gebiet des heutigen Nepal in eine Reihe kleiner Bergstaaten unterteilt, deren Herrscher behaupteten, von den aristokratischen Rajputenfamilien abzustammen, die lange in Teilen Indiens geherrscht hatten. Seit dem 11. Jahrhundert waren Kriegsführer der hohen Kasten (Brahmanen und Chetri) und indoarischer Abstammung aus Indien nach und nach in die nepalesischen Berge migriert, bezwangen die verschiedenen indigenen ethnischen Gruppen (allesamt als Janajatis oder „Bergvölker“ bezeichnet). Die neuen Machthaber integrierten in der Regel die Janajatis indem Sie ihnen den Status einer niederen Kaste gaben, die sie der Wehrpflicht und belastender Besteuerung unterwarf. Die indoarische Bevölkerung war selbst in Schichten geteilt mit Handwerkern und Bauern niederer Kasten, die die Kriegsführer bei der Migration begleiteten. Die komplexen sozialen Spaltungen des heutigen Nepal (es gibt schätzungsweise 60-70 ethnische Gruppen und Kasten und rund 70 Sprachen oder Dialekte) ergeben sich aus dieser Geschichte von Eroberung und sozialer Differenzierung.

Der Ursprung des nepalesischen Staates wird in der Regel zurückverfolgt bis zu den Eroberungen des Prithivi Narjan Shah von Gorkha, dem Herrscher eines Bergstaates, der viele seiner Nachbarn erfolgreich überrannte. Die „Gorkha-Expansion“ wurde erleichtert durch überlegene Waffen, durch die Schwäche des benachbarten indischen Mogulreichs (damals Objekt des französisch-britischen Streits) sowie durch die Bereitschaft des Shahs, den Untertanen seiner Rivalen Land zu versprechen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kontrollierte die Shah-Monarchie den größten Teil des zeitgenössischen Nepal. Seine Ausdehnung wurde schließlich 1814-16 durch den Krieg mit der British East India Company gestoppt, die damals ihre Kontrolle über den indischen Subkontinent konsolidierte.

Obwohl Nepal formale Kolonisation vermied, hatte es eine halbkoloniale Beziehung mit Großbritannien über Britisch-Indien. Wie in Ägypten, Äthiopien, Afghanistan und Persien, versuchten die Gestalter des britischen Empire, ihren Aufwand dadurch zu verringern, dass sie den Nepalesen ein gewisses Maß an Autonomie im Austausch für die Kontrolle der Außenpolitik und des Handels gewährten. Das Sugouli-Abkommen von 1816, das bis 1923 in Kraft blieb, untersagte Nepal die direkte Kommunikation mit irgendeiner westlichen Macht:

“Fast ein Jahrhundert lang war Nepal damals eine Art politisches Schutzgebiet Großbritanniens; eine Übereinkunft, die sowohl für die Briten als auch für die Herrscher von Nepal Vorteile hatte. Den ersteren wurde ein selbständig betriebener Puffer gegen mögliche feindliche Mächte im Norden garantiert, eine regelmäßige Versorgung mit Soldaten aus den Bergregionen Nepals (die berühmten Gurkhas), ein kleiner aber wachsender abhängiger Markt für Industriegüter und wahrscheinlich sogar noch wichtiger, zu bestimmten Zeiten Rohstoffe und Vorprodukte sowohl aus Nepal als auch aus Tibet. Letzteren wurde ein Minimum an Unterstützung und Schutz garantiert und, viel wichtiger, gewissermaßen Isolierung gegen äußeren Druck für Wandel.”
Blaikie 1980, S. 31 [Eig. Übers.]Blaikie, Piers M.; Cameron, David; Seddon, David: Nepal in crisis : growth and stagnation at the periphery. Oxford : Clarendon Press, 1980, 311 S.

Da Nepals führende Familien durch externe Eroberungen nicht expandieren konnten, intensivierten sie ihre Ausbeutung der Bauern und kämpften gegeneinander um die Kontrolle über den Staat. 1846 im Massaker von Kot konnte die Familie Kunwar (die sich später selbst „Rana“ nannte) mit britischer Unterstützung die Kontrolle der Regierung übernehmen, ihre wichtigsten Konkurrenten ausschalten und sich die geschwächte Shah-Monarchie unterordnen.

Die Ranas beherrschten Nepal ein Jahrhundert lang, während das Land allmählich in den kapitalistischen Weltmarkt integriert (d. h. ihm untergeordnet) wurde. Die Ranas erbten und erweiterten ein System des Landbesitzes, in dem alle Flächen, mit Ausnahme einiger gemeinschaftlich gehaltenen Gebiete, die von Janajati-Gruppen besetzt waren, im Prinzip vom Staat kontrolliert wurden. Teile des staatlichen Landes mitsamt den Bauern, die es bearbeiteten, wurden Adelsfamilien, Soldaten, Religionslehrern und Priestern als Belohnung für ihre Verdienste um das Regime zugeteilt. Der Großteil dieses parzellierten (Birta-)Landes ging an Mitglieder hoher Kasten, die entweder mit den Ranas oder der königlichen Familie verwandt waren. Als Gegenleistung für den Zugang zu einem Flecken Land für den Eigenbedarf mussten die Bauern dem Birta-Eigentümer Miete zahlen, unbezahlte Arbeitsdienste leisten und Grundsteuern zahlen. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, mussten sich Bauern oft bei ihren Grundherren verschulden, eine Praxis, die oft zu Leibeigenschaft führte.

Da die Bevölkerung wuchs, stieg die Nachfrage nach Grundstücken, was den Grundherren erlaubte, immer höhere Mieten und Zinszahlungen zu erzielen. Als Vertreter des Staates fanden die Grundherren zusätzliche Einnahmequellen in der Ausübung von „Gerechtigkeit“, der Einziehung von Geldbußen und der Regulierung lokaler Märkte. Doch im Gegensatz zum europäischen Feudalismus entstand kein dauerhafter Landadel, weil der Staat das Eigentum und die Kontrolle über die Birta-Zuteilungen behielt.

Die Briten duldeten widerwillig, dass die Ranas ein Monopol über den Binnenhandel aufrecht erhielten. Dies führte zur Schaffung eines nationalen Netzwerks von Marktstädten und Bazaren, wo sich nepalesische Händler schließlich selbst als Vermittler zwischen dem Weltmarkt und heimischen Bauern und Handwerkern etablierten. Die Kaufleute spielten eine Schlüsselrolle bei der Einführung von Industriegütern ins Land, die Chaos unter Bauern und Grundherren anrichteten:

“[Die Kaufleute] vernichteten bäuerliches Kunsthandwerk und Heimarbeit, insbesondere im Textilbereich, und profitierten durch Wucher von der wachsenden Armut. Sie ruinierten und vertrieben viele der alten Grundherren, um sich selbst als eine neue Klasse zu etablieren, die Bodenmiete in den Kreislauf von Industriewaren und Profiten einbezog. Sie unterstützten damit das Wachstum des ausländischen industriellen kapitalistischen Übergewichts über die Produktion in Nepal durch Verarmung anstatt durch Umwandlung, während sie die internationalen Interessen etablierten, die sie im Bündnis mit den Dorfpriestern und staatlichen Bürokraten als Opposition oder hegemoniale Gegenmacht innerhalb des Landes repräsentierten.”
Mikesell 1999, S. 203 [Eig. Übers.]Mikesell, Stephen Lawrence: Class, state, and struggle in Nepal : writings 1989-1995. New Delhi : Manohar, 1999. 326 S.

Das traditionelle Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Handwerk wurde erschüttert als einheimische Produkte von den weit billigeren Importen verdrängt wurden. Da die Integration abgelegener nepalesischer Dörfer in die Weltwirtschaft zunahm und die landwirtschaftliche Produktion immer abhängiger von den Einkaufs- und Verkaufsmärkten wurde, wurden Kredite nepalesischer Kaufleute sowohl für Bauern als auch Grundherren lebenswichtig.

Die Dominanz von Kaufleuten (und durch sie des ausländischen Industriekapitals) bewirkte die Umgestaltung des Grundbesitzes in privates (d. h. kapitalistisches) Eigentum. Die Ranas, die königliche Familie und ihre Verbündeten entschieden sich, ihren Besitz in wandelbare Form des Reichtums zu verwandeln, indem Grundherren erlaubt wurde, ihr Eigentum ohne Beschränkungen zu verkaufen, mit Hypotheken zu belasten oder zu vermieten. Dies beschleunigte den Zusammenschluss von Grundbesitz und Handelskapital unter der Dominanz ausländischen Kapitals. Als sich die großen Händler selbst als Grundherren etablierten, hielten sie bestehende Vereinbarungen über Naturalpacht aufrecht, während sich Grundbesitzer an finanzielle und kommerzielle Aktivitäten wagten. In seinen Ethnologischen Notizbüchern, beschrieb Karl Marx einen ähnlichen Prozess in Indien um 1850 und verspottete diejenigen, die diese sozialen Beziehungen vereinfachend als im Wesentlichen „feudal“ beschrieben.

Während der 1930er Jahre versuchten die Ranas, den Auswirkungen des Eindringens ausländischen Kapitals zu begegnen und indigene Manufakturen (vor allem für Textilien) durch eine Kombination von Importquoten und Subventionen seitens des neu geschaffenen Baumwollindustrieamtes wieder zu beleben. Im Laufe der Zeit wuchs bei vielen nepalesischen Eliten (Kaufleute, Grundbesitzer und Intelligenz) die Verärgerung über die Kontrolle des Staatsapparates durch die Ranas. Die Nepalesische Kongresspartei (NCP), 1950 durch den Zusammenschluss von zwei bereits bestehenden Anti-Rana-Parteien (Nepali National Congress und der Nepal Democratic Congress) entstanden, behauptete, für „demokratischen Sozialismus“ zu stehen, war aber eine durch und durch bürgerlich nationalistische Formation, die sich auf Landeigentümer stützte. Die neue Partei wurde von König Tribhuvan, dem Rumpf-Shah-Monarchen, und auch der indischen Kongress-Partei unterstützt, die scharf darauf war, die britisch-loyalen Ranas zu verdrängen. Das indische Regime unterstützte NCP-Milizen bei der Beschaffung von Waffen und bot eine Basis für ihren Aufstand.

Die NCP hatte relativ wenig Schwierigkeiten die Regierungstruppen zu überwinden, war aber alarmiert von der Aussicht, dass ihr begrenzter Kampf gegen die Ranas sich zu einer ländlichen Großrevolte gegen das gesamte System der Ungleichheit und Ausbeutung ausweiten könnte. Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, halfen Nehru und andere indische Politiker dabei, eine Einigung zwischen dem König, den Ranas und der NCP auszuhandeln. Der sogenannte Delhi-Kompromiss von 1951 (alias „Demokratierevolution“) bewahrte die alte Staatsmaschinerie und erhielt bestehende soziale Beziehungen aufrecht, während zugleich einem weiteren Kreis herrschender Eliten die Beteiligung an Regierungsaufgaben eingeräumt wurde. Die Shahs erhielten ihre Vormachtstellung zurück und die Ranas und die NCP bildeten ein gemeinsames Kabinett. Um populäre Forderungen nach radikaleren Veränderung zu beschwichtigen, versprach König Tribhuvan zynisch Wahlen für eine Verfassunggebende Versammlung, brach dann aber sein Wort.