Wohnraum statt Profitgier
Mieten und Privatisierungen steigen: Wohnen im Kapitalismus
Seit Jahren gibt es in allen großen deutschen Städten politischen Protest gegen steigende Mieten, Wohnungsnot, steigende Obdachlosigkeit und die Privatisierung des staatlichen Wohnungsbaus. Eine Pressemitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) bringt die Situation auf den Punkt:
„Mehr als eine Million bezahlbare Mietwohnungen fehlen, der Bestand an Sozialwohnungen schrumpft weiter, auf jetzt nur noch 1,18 Millionen. Die Mieten haben Rekordniveau erreicht, die Wohnkostenbelastung liegt für Einpersonenhaushalte bei 34 Prozent, für einkommensschwächere Haushalte bei 46 Prozent. Wohnen ist zum Armutsrisiko geworden. Die Angst vor Mietsteigerungen, Verdrängung und Kündigung wächst. Rund 650.000 Menschen sind sogar wohnungslos.“
— dgb.de
Die Ursache für die aktuelle Entwicklung liegt vor allem in der massiven Privatisierung von staatlichen Wohnungen, aber auch am verstärkten Interesse der Kapitalbesitzer am Wohnungsmarkt. Wohnraum galt als sichere Investition und seit der Weltwirtschaftskrise 2007 betrachtete das Kapital den Kauf von Wohnraum als Mittel, Verluste des eigenen Reichtums zu vermeiden. Steigende Profitaussichten lockten Investoren in Hedgefonds und Kapitalgesellschaften, die den Wohnungsmarkt aufrollten. Ihre Interessen wurden dabei durch die Politik unterstützt, die diesen durch Gesetzesänderungen in die Hände spielten.
Gegenwehr?
Mitte September 2019 gründete sich das Bündnis „Wohnen ist Menschenrecht“. Verschiedene Organisationen unterstützen den Zusammenschluss:
„Träger des parteipolitisch neutralen Bündnisses sind zur Zeit der Deutsche Mieterbund (DMB), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Berliner Mieterverein (BMV), ver.di, die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W), die Nationale Armutskonferenz (NAK), Attac, der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs), das Netzwerk Mieten & Wohnen, Bizim Kiez, Mietentscheid Frankfurt und #ausspekuliert.“
— ebenda
Die Forderungen des Bündnisses, das auch von der Partei die Linke (PdL) unterstützt wird, bewegen sich im realpolitischen Fahrwasser, aber skizzieren die schlimmsten und unmittelbaren Probleme vieler Mieter.
„Das Bündnis ‘Wohnen ist Menschenrecht’ fordert deshalb mehr Neubau für breite Schichten der Bevölkerung und mehr Mieterschutz vor hohen Wohnkosten und Verdrängung. Das heißt:
- Eine dauerhafte, bundesweit wirksame Mietpreisbremse für Bestandswohnungen ist zu schaffen, ohne Ausnahmen.
- Mietpreisüberhöhungen / Mietwucher müssen mit Bußgeldern verfolgt werden, das Wirtschaftsstrafgesetz ist so zu ändern, dass es wieder anwendbar ist.
- Mieterhöhungsmöglichkeiten sind drastisch einzuschränken.
- Mieterhöhungen aufgrund energetischer Modernisierungen sollen möglichst warmmietenneutral sein, die Umlage in der jetzigen Form ist abzuschaffen, zumindest aber auf 4 Prozent zu reduzieren.
- Die Klimaschutzziele von Paris müssen für den Gebäudebestand realisiert werden, die öffentliche Förderung muss um- und ausgebaut werden.
- Der Kündigungsschutz ist zu verbessern, Eigenbedarfsgründe sind einzuschränken. Die Nachzahlung von Mietschulden muss eine Kündigung – nicht nur die fristlose – unwirksam machen. Kündigungen wegen Vertragsverletzungen dürfen erst nach gerichtlicher Feststellung möglich werden.
- Soziale Träger müssen stärker vor Verdrängung geschützt werden, Mieterrechte und eine wirksame Mietpreisbremse sind auch im gewerblichen Bereich zu schaffen.
- Zur Vermeidung von Wohnungsverlusten ist ein wirksames Präventionssystem erforderlich, Zwangsräumungen in die Wohnungslosigkeit müssen verhindert werden.
- Der soziale und preisgünstige Wohnungsneubau muss deutlich ausgeweitet werden. Bis zum Jahr 2030 ist der Bestand an Sozialmietwohnungen auf 2 Millionen zu erhöhen. Dazu müssen mindestens 150.000 preisgünstige und preisgebundene Wohnungen pro Jahr gebaut und zum Beispiel zusätzliche Preisbindungen über Ankauf und Modernisierung geschaffen werden. Ziel ist der Umbau der Fördersystematik hin zu langfristigen und dauerhaften Bindungen.
- Die Privatisierung von Wohnungen und Gebäuden der öffentlichen Hand ist auszuschließen. Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist deutlich zu erschweren.
- Der Milieuschutz ist durch Mietobergrenzen zu stärken, die Ausnahmen vom Genehmigungsvorbehalt bei Umwand[l]ung in Eigentumswohnungen sind zu beseitigen und preislimitierte Vorkaufsrechte sind rechtssicher auszugestalten und auszuweiten.
- Bodenpreise und Bodennutzung sind zu regulieren und stärker an das Gemeinwohl zu binden. Grundstücke der öffentlichen Hand dürfen nicht zum Höchstpreis veräußert werden, sie müssen vorrangig an städtische Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und gemeinwohlorientierte Wohnbauakteure auf Erbpachtbasis mit Konzept vergeben werden. Unbebautes Wohnbauland ist stärker zu besteuern, Baugebote müssen ausgesprochen und ausgeweitet werden.
- Gemeinwohlorientierte Eigentümer und Vermieter sind zu stärken und eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit ist einzuführen.
Immobilienbesitz ist transparent zu machen, entsprechende Register sind einzuführen.
Diskriminierungen an den Wohnungsmärkten sind zu sanktionieren, mehr barrierefreier Wohnraum ist zu schaffen.
- Die Kosten der Unterkunft sind jährlich realitätsgerecht anzupassen. Das Gleiche gilt für das Wohngeld, hier müssen auch die Heizkosten berücksichtigt werden.““
— ebenda
Diese Liste von Forderungen spricht zweifelsohne die brennendsten Probleme der Entwicklungen in der Wohnungsfrage der letzten Jahre an, aber es kann nicht mehr sein als eine Einschränkung der extremen Auswüchse der Wohnungsnot. Es beinhaltet keine Perspektive, dem System des kapitalistischen Wohnungsmarktes und seiner Akteure in Staat und Kapital Widerstand zu leisten. Entsprechend sah die Gründungsaktion dieses Bündnisses aus: eine Menschenkette vor dem Bundestag. Konkret demonstriert das Bündnis “Wohnen ist Menschenrecht” damit die Hoffnung, dass Gerichte und Regierungen die Profitgier der Wohnungsbesitzer ausbremsen. Der Konsens der Bündnispartner ist die Illusion, dass die Gesetzgebung im Kapitalismus für die Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten genutzt werden kann. Dass insbesondere die Gesetzesänderungen der letzten Jahre zur heutigen Wohnungsnot beigetragen haben, wird verdrängt und ausgeblendet, dass jede gesetzliche Neuregelung auch schnell wieder rückgängig gemacht werden kann.
Die Gründung dieses Bündnisses ist nicht die erste ihrer Art. Sie ist auch eine Reaktion auf die anderen Kampagnen und Proteste, wie die hohe Wellen schlagende Unterschriftensammlung „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ oder die Bündnisse wie „Recht auf Stadt“ und „Mietenwahnsinn stoppen“.
„Deutsche Wohnen & Co enteignen“
Die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, die sich ursprünglich auf Berlin beschränkte, bezieht sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes:
„Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“
Die Kampagne schlug aufgrund ihrer radikalen Forderung „Enteignen“ bundesweite Wellen. Dazu gehörte auch eine hysterische Reaktion der Bourgeoisie, die mit antikommunistischen Parolen und Hetze gegen die Unterstützer der Kampagne aufwartete. Ein genauer Blick auf die Kampagne offenbart jedoch ein weitverbreitetes Missverständnis über die Tragweite und Zielsetzung der Forderung nach Enteignung. Die Hauptforderung besteht darin, lediglich Wohnungskonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen, zwar unter dem Marktwert, aber doch zu entschädigen, damit die Wohnungen wieder in kommunalen Besitz überführt werden können.
Ein Grund für die Popularität der Kampagne – 20.000 Unterschriften waren für die erste Hürde eines Bürgerbegehrens notwendig; es wurden 77.001 – liegt sicherlich darin, dass das Agieren der Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen, Vovonia, Akelius, Gafagh oder andere so offensichtlich an den Bedürfnissen der Mieter vorbei geht. Da diese Konzerne Rendite für ihre Investoren heranschaffen müssen, ist es nicht verwunderlich, dass die Mieter als notwendiges Übel und lästige Nebenerscheinung behandelt werden. Berichte von überhöhten Nebenkostenabrechnungen oder dramatischen Mietsteigerungen gibt es zuhauf. Durch starke Mietsteigerungen und Verdrängung von Arbeitern und Migranten sollen Stadtteile „aufgewertet“ werden. Die Veränderung der Städte nach den Interessen des Kapitals findet auf dem Rücken der Arbeiterklasse statt.
Die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen – Spekulation bekämpfen“ ist ein Versuch, mit dem Grundgesetz Artikel 15 eine politische Wende herbeizuführen. Für viele Menschen ist der Artikel die beste Antwort auf die zu beobachtende Entwicklung.
Daher war die Resonanz auf das Erscheinen dieser Kampagne im April 2019 ohne Frage riesig. Und auch die negative Berichterstattung der bürgerlichen Medien über die Enteignungsforderung dieser Aktion konnte eine klare bundesweite Unterstützung der Forderung bei Umfragen nicht verhindern. Das zeigt das Potential dieser Frage für kommende Kämpfe. Aber die bestehende Strategie der Kampagne ist eine Sackgasse, weil gewonnene Bürgerbegehren noch lange nicht bedeuten, die jeweilige Regierung müsse die Forderung zwingend umsetzen. Es ist zudem eine Illusion, zu glauben, die betroffenen Kapitalisten würden diesen hochprofitablen Sektor einfach so räumen.
Die Rolle des sozialen Wohnungsbaus
Viele Städte sahen die Anfänge des sozialen Wohnungsbaus in den 1920er Jahren:
“…der Erste Weltkrieg war gerade vorbei, die Inflation nicht zu zügeln, die Armut vieler Menschen verheerend. Und trotzdem standen Städte wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin damals, in den 1920er Jahren, nicht zurück. Überließen das Wohnen nicht den Märkten, kauften Boden, wo immer sie ihn bekamen, förderten die Genossenschaften so großzügig wie möglich und begannen selbst in großem Maßstab zu bauen. Binnen eines Jahrzehnts entstanden allein in Wien über 65.000 Wohnungen.”
— zeit.de
Es wird oft übersehen, dass der soziale Wohnungsbau nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland allerdings im Einklang mit dem Kapital stattgefunden hat. Von Anfang an waren viele dieser Wohnungen nur für einen bestimmten Zeitraum als kommunaler Besitz gedacht. Schon damals war die Privatisierung geplant. Heute erleben wir die Folgen der Umsetzung.
“Deutschland erlebt die größte Wohnungskrise seit vielen Jahren, die meisten Politiker aber scheint es nichts anzugehen. Wohnen, denken sie, sei Privatsache. Da will man nicht weiter stören. Infamerweise engagieren sich viele Städte allein, indem sie sich aus jedem Engagement verabschieden. Statt günstige, soziale Neubauten zu fördern und ihre kommunalen Wohnungen zu pflegen, haben sie ihre Mietshäuser en gros an renditehungrige Großinvestoren verkauft. 48.000 in Dresden, 66.000 in Berlin, gerade eben 32.000 in Bayern, weit mehr als 600.000 insgesamt waren es in den letzten Jahren. Trotz Auflagen wurden die Wohnungen zum Spekulationsobjekt. Die zweite Haut vieler Menschen: zu Markte getragen. Die Städte: beraubt. Was sie über Jahrzehnte aufgebaut hatten, gesellschaftliches Eigentum, geriet leichtfertig in die anonymen Hände des Finanzkapitals. Jede Möglichkeit, auf den Wohnungsmarkt beruhigend einzuwirken, ist für diese Städte verspielt.”
– ebenda
Auch die Aufhebung der Gemeinnützigkeit für Wohnungsbaugenossenschaften war vorhersehbar. Das Projekt der „Neuen Heimat“, ein reformistischer Versuch der Gewerkschaften, günstige Wohnungen für ihre Mitglieder mit einer gesellschaftlichen Vision zu verknüpfen, scheiterte krachend.
Gerne wird auf Wien verwiesen, wenn es darum geht, die Vorzüge eines vom Staat gedeckelten Wohnungsmarktes aufzuzeigen. Es stellt sich die Frage, warum ab 1919 das gerade im 1. Weltkrieg geschlagene Österreich mit dem sozialen Wohnungsbau beginnen konnte? Die Antwort liegt in der Oktoberrevolution in Russland. Die österreichische Sozialdemokratie nutzte den Spielraum, den das Kapital anbieten musste. In Österreich gab es damals eindeutige Sympathie für die siegreichen Bolschewiki in Russland. In dieser Situation musste die österreichische Bourgeoisie darauf achten, die soziale Lage der rebellischen Arbeiterklasse nicht zu verschärfen. Dass bis heute an dem Modell festgehalten wird, wenn auch mit neoliberalen Anpassungen, liegt zum größten Teil am sozialen Frieden, den die Sozialdemokratie nur zu gerne aufrecht erhalten will. Dass ein weiterer Rechtsruck in Österreich dazu führen kann, dass die Regierung diese Errungenschaften der Arbeiterbewegung schleift, liegt auf der Hand.
Mietendeckel und Mietpreisbremse
Vorschläge wie der Mietendeckel oder die Mietpreisbremse haben breite Unterstützung. In Berlin wurde im Herbst 2019 ein Mietendeckel-Gesetz verabschiedet. Es beinhaltet einen Mietenstopp für fünf Jahre, eine Mietenobergrenze für Wiedervermietungen und eine Absenkung überteuerter Wohnungen, wenn diese mehr als 120 Prozent über dem Betrag der Mietentabelle liegen. Grundsätzlich ist jede Verbesserung der Lage für die Arbeiterklasse zu begrüßen. Allerdings ist es offensichtlich, dass die Regelung auf fünf Jahre begrenzt ist und der notwendige Neubau von Wohnungen nicht eingeschlossen ist. Der Wohnungsmangel wird somit nicht beseitigt, wenn die Mieten auch gesenkt werden. Die hohe Belastung durch die Miete war und ist auch ein indirektes Druckmittel, sich ruhig gegenüber Staat und Kapital zu verhalten, denn der Verlust des Arbeitsplatzes oder Sanktionen durch die Arbeitsagentur können Auslöser für den Verlust der Wohnung oder den Umzug in schlechter gelegene Teile der Stadt mit sich bringen. Selbst ein so beschränkter Einschnitt wie das Mietendeckel-Gesetz in Berlin hat zu gerichtlichen Klagen von Seiten derer geführt, die ein Interesse an hohen Mieten und Wohnungsknappheit haben.
Als die Regierungssozialisten der PdL im Sommer 2019 einen Mietendeckel für Berlin vorschlugen, reagierte aber nicht nur die Springerpresse zynisch. Grundsätzlich halten alle bürgerlichen Parteien weitere Eingriffe in den Wohnungsmarkt für schädlich für Investoren und Immobilienbesitzer. Die Reformen wie der Mietendeckel in Berlin oder Mietpreisbremsen haben heute die Aufgabe, die sprießende Saat von Widerstand in bürgerliche Bahnen zu lenken. Die Forderung von Enteignung der privaten Wohnungskonzerne hatte eine für das Kapital beängstigende Unterstützung durch die Bevölkerung bekommen. Insbesondere in der früheren DDR ist die Erinnerung an „Volkseigentum“ und „genossenschaftlichen Einrichtungen“ noch wach. Um „Zustände wie im Osten“ zu vermeiden, beeilten sich die PdL-Politiker, den Mietendeckel durchzusetzen.
Partei die Linke – Weg des geringsten Widerstands
Der Mietendeckel wurde bemerkenswerterweise von der SPD ins Spiel gebracht, vor allem als Antwort auf die Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“. Die Bausenatorin Katrin Lompscher (PdL) übernahm die Idee, und als ein erster Entwurf in den Medien bekannt wurde, eskalierten Bourgeoisie und Immobilienkapital die Diskussion. „Die Linke zündet Berlin an“ war die Kampfparole der Berliner Morgenpost, die ihr Herz für bedauernswerte Vermieter entdeckte und spöttisch vom „Mieter-Beglückungsprogramm“ schrieb. Die PdL erhörte die Signale, trat zwei Schritte zurück und veröffentlichte ein paar Tage später eine erheblich entschärfte Version ihres Vorschlags. Die Begründung: Der kapitalfreundliche Entwurf hätte mehr Chancen bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenige Tage später sollte die PdL bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg massiv an Stimmen verlieren. Genau diese Art des Reformismus, niemals den Rahmen der bürgerlichen Ordnung zu verlassen, hat die Partei für viele Stammwähler unwählbar gemacht.
Die Sozialistische Alternative (SAV) ist Teil der PdL. Ihre Reaktion auf die Entscheidung in Berlin einen Mietendeckel einzuführen, war vor allem Anlass zur Freude, da es nun endlich mal fortschrittliche Reformen zu feiern gab. Sie wollten es aber nicht bloß dabei belassen, sondern mussten ihre Parteigenossen noch erinnern:
„Zudem sollte es DIE LINKE mit Ferdinand Lassalle halten, demzufolge Rechtsfragen Machtfragen sind und auch ein Bundesverfassungsgericht die Stimmung im Land zur Kenntnis nehmen wird.“
Die rührende Bezugnahme auf den Ziehvater des deutschen Reformismus, Ferdinand Lassalle, ist hier gepaart mit einer uneingeschränkten Gewissheit, dass das Bundesverfassungsgericht gar nicht anders kann, als im Sinne des Volkes zu handeln. Das Bundesverfassungsgericht ist jedoch ein Organ der herrschenden Klasse und untersteht den Interessen der Bourgeoisie. Die „Stimmung im Land“ ist hier bestenfalls zweitrangig, insbesondere aufgrund des Mangels einer klassenkämpferischen Kampagne.
Die Antikapitalistische Linke (AKL) stellt sich hinter die SAV und verkündet:
„Denn der Mietendeckel hat gezeigt: Kämpfen lohnt sich. Erst deckeln, dann enteignen: Das muss jetzt die praktische Kampagne-Politik der LINKEN bestimmen und auch zur Kampagne der Gewerkschaften werden. DIE LINKE muss alles dafür tun, dass das juristische Verfahren zur ersten Stufe des Volksentscheids „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ so schnell wie möglich abgeschlossen wird, um in die zweite Stufe der Unterschriftensammlung und der Kampagne einzutreten. Diese kann zum Rahmen werden, um die Organisierung von Mieter*innen qualitativ zu erhöhen und politisch ein Beispiel zu setzen, dass Enteignungen breiten Rückhalt in der Bevölkerung haben und zur Nachahmung in anderen Bereichen empfohlen werden. Denn es geht um nicht weniger, als die kapitalistischen Machtverhältnisse grundlegend zu ändern.“
Wie die bevorstehenden Unterschriftenkampagnen die kapitalistischen Machtverhältnisse verändern sollen, bleibt ein Geheimnis. Dass Enteignungen des Kapitals notwendig sind, um die Wohnverhältnisse zu verbessern, ist hierbei unumstritten. Die Frage ist vielmehr diese: was bringen AKL/SAV dazu, zu glauben, dass die PdL-Führung oder die Gewerkschaftsführungen eine Kampagne zur Enteignung der Kapitalisten führen wollen? Unter den bestehenden politischen Leitungen ist eine solche vollständige Wendung ihrer Politik schlicht undenkbar. Daher ist diese Perspektive nur dann ernst zu nehmen, wenn sie mit einem unerbittlichen Kampf gegen die reformistischen Führungen verbunden ist. Zu diesem Punkt bieten AKL und SAV lediglich anhaltendes Schweigen.
Die Wohnungsfrage kann nicht die sozialistische Insel inmitten des kapitalistischen Meeres werden. Vorschläge, wie man die Situation für die Arbeiterklasse bzw. die Mieter verbessern kann, gibt es viele. In Anbetracht des Kräfteverhältnisses von Lohnarbeit und Kapital, und der Tatsache, dass Immobilienbesitz eine hochprofitable Angelegenheit ist, gibt es gegen jede noch so bescheidene Idee, im Interesse der Mieter etwas zu verändern, massiven Gegenwind. Vorschläge, den Grund und Boden grundsätzlich in staatlicher Hand zu belassen, wie es die SPD in den 1970ern forderte, oder solche wie Decklung, Bremsen, oder besserer Kündigungsschutz decken nur Teile der Wohnungsfrage ab. Nur der Aufbau einer wirklichen Interessenvertretung für die Arbeiterklasse und aller im Kapitalismus Unterdrückten, eine revolutionäre Partei und Internationale, kann grundlegende Änderungen erkämpfen.
Friedrich Engels zur Wohnungsfrage
Wer sich in Theorie und Praxis mit der Wohnungsfrage beschäftigt, wird nicht an den Aussagen Friedrich Engels von 1872 vorbeikommen. Die meisten der heutigen Kämpfe fallen in ihrer Analyse und in ihrer praktischen Ausrichtung weit hinter den Erkenntnissen dieses Revolutionärs zurück. Gegen Mietsteigerungen oder die Auswirkungen der Gentrifizierung, gibt es breiten und unterstützenswerten Widerstand. Doch bleibt dieser Widerstand so gut wie immer im Rahmen der herrschenden Ordnung.
Engels Schrift beschreibt eine Situation, die natürlich nicht mit der heutigen identisch ist. Schaut man sich aber an, warum er die Lösungsvorschläge vorgeblicher Revolutionäre wie des Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon kritisierte und ablehnte, zeigen sich erhebliche Ähnlichkeiten mit den aktuellen Kämpfen. Eine der zentralen Aussagen des Textes, und Richtschnur zum heutigen Handeln ist und bleibt:
„Und solange die kapitalistische Produktionsweise besteht, solange ist es Torheit, die Wohnungsfrage oder irgendeine andre das Geschick der Arbeiter betreffende gesellschaftliche Frage einzeln lösen zu wollen. Die Lösung liegt aber in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, in der Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst.“
— Engels, “Zur Wohnungsfrage”, MEW Band 18
Die junge KPD in Engels’ Tradition
Die damals revolutionäre Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) veröffentlichte 1922 ein umfassendes Programm zur Wohnungsfrage. Die historische Situation war gekennzeichnet von einer instabilen Lage für die herrschende Klasse in der jungen Weimarer Republik. Die KPD war Anfang 1919 gegründet worden und war ab 1920, nach der Fusion mit dem linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) eine Massenpartei, die eine Verankerung in den Arbeitervierteln der Städte hatte. Eine zentrale Taktik beinhaltete, über die von der Komintern ausgegebene Einheitsfronttaktik, Einfluss auf die Mieterorganisationen zu nehmen, konstruktiv darin mitzuarbeiten, dadurch Vertrauen aufzubauen, aber auch das kommunistische Programm zu vertreten.
„11. Die Hauptaufgabe der Kommunisten in den Mieterorganisationen beruht in der Verbreitung der Erkenntnis, daß eine Lösung der Wohnungsfrage im Rahmen des kapitalistischen Staates unmöglich, sondern nur nach Maßgabe der kommunistischen Forderungen in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaft durchführbar ist, und die auf Grund dieser Erkenntnis sich vollziehende Einreihung der Mieterschaft in die Kampffront des revolutionären Proletariats.“
— KPD-Programm 1922, Die Internationale, Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus herausgegeben von der Kommunistischen Partei Deutschlands Jahrgang 1922, Heft 17, S. 402-411
Wie ein solcher Kampf um Wohnraum aktuelle Bedürfnisse nach sicherem Wohnen mit der Perspektive der sozialistischen Revolution verband, machte die junge Kommunistische Partei in den Vereinigten Staaten vor. Dort organisierte sie in einigen Wohnvierteln militanten Widerstand gegen Gerichtsvollzieher, als diese zahlungsunfähige Mieter auf die Straße werfen wollten. Das zeigte auch nichtrevolutionären Arbeitern, dass man sich für die Verteidigung der eigenen Klasseninteressen nicht auf die bürgerliche Staatsmaschine verlassen, sondern die Keimformen einer eigenen schaffen muss, die den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft aufnehmen kann.
Die stalinistische KPD in sektiererischer Isolation
Historisch erlitt die internationale Arbeiterklasse mit der politischen Konterrevolution in der Sowjetunion durch die Stalin-Fraktion eine Niederlage. Welche Auswirkung das auf die Rolle der KPD in der kommunalen Wohnungspolitik hatte, fasste Trend-online zusammen:
„Erst als die stabile Wirtschaftschaftsphase mit dem Black Friday 1929 zu Ende ging und die Massenarbeitslosigkeit dazu führte, dass Wohnraum von immer breiteren Schichten der Arbeiter*innenklasse kaum zu bezahlen war, griff die KPD voluntaristisch in den sich regenden proletarischen Widerstand ein. Dies geschah allerdings auf der Basis der ideologischen Festlegungen des VI. Weltkongresses der Komintern(1928), worin die Sozialdemokratie als “sozialfaschistisch” denunziert worden war. In der Reichstagswahl 1932 wurden z.B. in Hamburg die sozialdemokratisch bewohnten Genossenschaftsbauten als “Bonzenburgen” denunziert.
Wenn also die KPD am Ausgang der Weimarer Republik in der Wohnungsfrage Gesicht zeigte, dann mittels ihrer Straßenzellen, denen es ab 1929 punktuell gelang neben dem Reichsbund Deutscher Mieter eigene kommunistisch dominierte lokale Mieterzusammenschlüsse ins Leben zu rufen – 1931 literarisch aufbereitet in dem Roman von Willi Bredel ‘Rosenhofstraße’. Diese Mieterzusammenschlüsse kämpften vornehmlich gegen Mietpreistreiberei und Zwangsräumungen. So z.B. in Hamburg, München, Breslau, Waldenburg, Dortmund, Solingen, Moers – wobei sicherlich das herausragendste Beispiel der Mietstreik in Berlin 1932/33 war.
In dieser wohnungspolitischen Protestphase am Ausgang der Weimarer Republik führte die bürgerliche Mieterorganisation “Dresdner Bund” im Februar 1932 reichsweit eine Unterschriftenaktion für Mietsenkungen, Mieterschutz und öffentliche Wohnungsbauförderung durch. Innerhalb von zehn Tagen wurden über 500.000 Unterschriften gesammelt. Obgleich das Protestpotential riesig war unterstützte die KPD weder diese Kampagne noch unternahm sie eigene reichsweite Initiativen. Sie hatte sich vollends auf eine reine Defensivpolitik im Kiez ausgerichtet, da sie – selbstverschuldet – nicht mehr an den offensiven Impetus eines antikapitalistischen kommunalpolitischen Programms anknüpfen konnte, dessen erster Entwurf in den Archiven der Partei vermodert war.“
— Karl-Heinz Schubert, “Mehr als nur eine Reminiszenz – Anmerkungen zum Programmentwurf“
Was tun?
Heute gibt es keine revolutionäre Massenorganisation, die wirksamen Einfluss auf die Arbeiterklasse und Mieterorganisationen oder Beratungsstellen nehmen könnte. Die Hegemonie der neoliberalen Ideologie und ihr Einfluss auf das Bewusstsein der arbeitenden Klasse schlägt sich in der Wohnungsfrage vor allem in der Entsolidarisierung mit der Nachbarschaft nieder. Die Großdemonstrationen der verschiedenen Kampagnen um die Wohnungsfrage haben das Potential, das zu überwinden, wenn aus ihnen kämpferische Organisationen entstehen, die bereit sind, die eigenen Viertel gegen Mietpreiserhöhungen zu verteidigen, den Verkauf sozialen Wohnraums zu verhindern oder auch Versuche, zahlungsunfähige Mieter auf die Straße zu setzen, zu stoppen. Ansätze zu letzterem gab es dafür in Berlin in den letzten Jahren verschiedentlich. Aktionen wie Unterschriften zu sammeln oder Menschenketten zu bilden, erzeugen vor allem Bewegung im Leerlauf, weil sie von der wesentlichen Aufgabe, in den eigenen Vierteln eine Gegenmacht aufzubauen, ablenken und stattdessen ihre Hoffnung auf Symbolpolitik setzen.
Löhne rauf! Mieten runter!
Gegen jede Privatisierung von kommunalem Wohnungseigentum!
Entschädigungslose Rücknahme privatisierter Wohnungen!
Gegen jede Zwangsräumung!
Sofortige Bereitstellung von Wohnraum für Obdachlose!
Leerstand bekämpfen durch Beschlagnahmung durch Mieterorganisationen!
Für den Aufbau einer proletarischen Mieterorganisation!