Eine konflikteiche Pipeline

Nord Stream 2 und die inter-imperialistischen Rivalitäten

Der Konflikt zwischen den USA und Deutschland um die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 ist von enormer Bedeutung und ein Zeichen der wirtschaftlichen und politischen Umbrüche, die eine Änderung der imperialistischen Weltordnung mit sich bringen können.

Die Gründung des RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) zwischen China und 14 anderen Asien-Pazifik-Staaten ist ein weiteres Beispiel dieser Änderungen. Noch ist die wirtschaftliche Führung Nordamerikas und der EU spürbar und sichtbar. Sie dominieren die NATO, G20 und andere für die Ausrichtung der Weltordnung zuständigen Instrumente. Der Streit um Nord Stream 2 vertieft jedoch Gräben unter Verbündeten, während sich in anderen Teilen der Welt neue Allianzen bilden.

Dabei spielt es eine wichtige Rolle, dass die USA und die EU unter dem Strich verschiedene Strategien haben und beide um die Schwäche der jeweils anderen Strategie wissen. Deutschland und die EU haben ein Interesse an einem regen Handel mit Russland, doch gleichzeitig wollen sie Moskau aus Europa heraus halten. Sie waren daran beteiligt, als ein Staat nach dem anderen, mit Hilfe der USA, aus dem Einflussgebiet Russlands herausgebrochen wurde. Diese Strategie war so erfolgreich, dass nun in Osteuropa anti-russische Hardliner in vielen Regierungen sitzen, die, obwohl sie für den wirtschaftlichen Teil der EU nur Peripherie sind, Furcht vor einer Allianz aus Deutschland und Russland haben, und damit wiederum das Interesse der USA wecken, die sowohl Russland klein, als auch die EU zerstritten sehen möchten. Die führenden Kapitalfraktionen der EU und damit auch Deutschlands sehen diese Entwicklung sehr kritisch, profitieren nicht von den Sanktionen gegen Russland, obwohl sie den militärischen Aufmarsch der NATO in Osteuropa im Allgemeinen und die Stoßrichtung gegen Russland insbesondere unterstützen. Während die Allianz mit den USA auf militärischer Ebene fortlebt, wird sie durch die Wirtschaftsinteressen permanent untergraben, was zu einer Verschärfung der Widersprüche unter den imperialistischen Staaten führt.

Brexit und EU

Revolutionäre haben eine defätistische Position zur Brexit-Abstimmung 2016 vertreten. Beide Seiten wurden von bürgerlichen Kräften dominiert, und die Arbeiterklasse hatte nichts zu gewinnen, unabhängig davon welche Seite sich durchsetzen würde. Unsere Analyse wurde durch die Entwicklung seit dem knappen Erfolg des Brexit-Lagers bestätigt. Großbritanniens Austritt schwächt die EU, aber stärkt nicht die Position der britischen Arbeiterklasse. Ganz im Gegenteil, der soziale Niedergang und das weitere Absinken des Lebensstandards der Arbeiterklasse wird mit nationalistischem Getöse kaschiert, während die Gewerkschaftsführung tatenlos zusieht.

Die EU ist ein imperialistisches Bündnis, das aber weit davon entfernt ist, die unterschiedlichen Interessen der Führungsstaaten in einer gemeinsamen Außen- und Wirtschaftspolitik einen zu können. Nationalstaatliche Interessen sorgen zwangsläufig zu Spannungen unter den imperialistischen Staaten, aber insbesondere auch zwischen den imperialistischen Kräften der EU und der semi-kolonialen Peripherie im Süden und Osten Europas. Die EU wird solange fortbestehen, wie es seine führenden Länder für nötig halten. Einfache Krisen oder nationalistische Alleingänge einzelner Mitgliedsstaaten werden die EU immer wieder vor Krisen und Konflikte stellen, aber eine Auflösung der EU wird dadurch nicht erzwungen.

EU-Gerangel um die Nähe zur USA

Frankreich und Deutschland haben unterschiedliche Positionen zur weiteren Entwicklung ihres Bündnisses mit den USA. Militärisch plädiert Emmanuel Macron für mehr europäische Souveränität, während die deutsche Regierung sich militärisch im Schoße der NATO wohler fühlt.

Joe Biden, als Nachfolger von Donald Trump, dessen Politik als befremdlich von seinen imperialistischen Verbündeten in der EU wahrgenommen wurde, wird Trumps „America First“-Politik gegenüber der EU lindern, aber nicht grundlegend verändern. In der außenpolitischen Stoßrichtung des US-Imperialismus gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen den Demokraten und Republikanern. Die EU, und ihre Einzelstaaten haben momentan kein Interesse, sich militärisch von der NATO zu lösen, oder einen Abzug der US-Truppen aus Europa zu fordern.

Nord Stream 2

Seit Ende 2011 gibt es die Gaspipeline Nord Stream 1. Unter der Federführung von Gazprom (51% der Anteile, Russland), Wintershall, E.ON (beide Deutschland), Gasunie (Niederlande) und Engie (Frankreich) wurde die Pipeline von Russlands Wyborg nach Lubmin in Deutschland gelegt. Hauptkonfliktpunkt war von Anfang an der Plan, die Pipeline durch die Ostsee zu verlegen, was zur Folge hatte, dass die Staaten zwischen Russland und Deutschland umgangen wurden, um Transitzahlungen zu vermeiden. Für die betroffenen Staaten (Polen, Estland, Lettland und Litauen) waren das empfindliche Summen.

Gab es um Nord Stream 1 ordentlich Zunder, verschärfte sich der Konflikt mit der Planung und des Baus der Nord Stream 2-Pipeline. Washington verhängte diverse Sanktionen gegen Russland, begründet durch den erneuten Anschluss der Krim 2014, die 1954 von Nikita Chruschtschow an die Sowjetrepublik Ukraine abgetreten worden war, den undemokratischen Umgang mit der russischen Opposition oder auch aufgrund des aktiven Eingreifens im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten des Assad-Regimes. Handelspartner von Russland sind auch ins Visier der amerikanischen Politiker geraten. Die ökonomischen Vorteile für die europäischen Firmen sind allerdings beachtlich, und daher werden die Drohungen aus dem fernen Washington nur bedingt wirken.

„Ein Sprecher von Nord Stream 2 sagte, die Anteilseigner und die fünf Finanzinvestoren stünden ebenso wie die Zulieferer zu dem Projekt. Die Kosten durch Verzögerungen und Sanktionsdrohungen seien derzeit nicht bezifferbar. Bei der Nord Stream 2 AG mit Sitz im schweizerischen Zug ist der russische Konzern Gazprom formal einziger Anteilseigner. Dazu kommen aber als “Unterstützer” die deutschen Konzerne Wintershall Dea – ein Gemeinschaftsunternehmen von BASF und LetterOne – und Uniper (eine Abspaltung von Eon) sowie die niederländisch-britische Shell, Engie (einst GDF Suez) aus Frankreich und OMV aus Österreich. Nord-Stream-Aufsichtsratschef ist Altkanzler Gerhard Schröder, bei Nord Stream 2 ist er Präsident des Verwaltungsrats.“
n-tv.de/politik/USA-wollen-Aus-fuer-Nord-Stream-2-erzwingen-article22183768.html

Nord Stream 2 hat für Deutschland und die westliche EU eine strategische Bedeutung: das russische Erdgas ist reichlich vorhanden, gilt als CO2-ärmer und ist preiswerter als Flüssiggasimporte aus den USA.

Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft im Bundestag ist die wichtigste Pressure-Group für die Aufrechterhaltung und den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Dem steht gegenüber die Gruppe der Transatlantiker, die seit dem Bestehen der Bundesrepublik das Sagen haben und ein Bündnis mit Washington favorisiert, und bis heute eindeutig die überwältigende Mehrheit der Bourgeoisie repräsentiert. Seit dem Erstarken des russischen Nationalstaats gibt es als Anhängsel einen Menschenrechts­imperialismus gegen Russland, dessen Vertreter bei den Grünen oder der CDU zu finden sind, die Kriminelle wie Mikhail Chodorkowski hofieren oder dafür sorgen, dass die russische Bourgeoisie regelmäßig mit Sanktionen überzogen wird, und die auch den Abbruch der Bauarbeiten für Nord Stream2 fordern.

Die Spaltung der deutschen Bourgeoisie über Russland ist ein Fakt, aber man muss ihn richtig einschätzen. Als führende Macht in der EU kann sich Deutschland den Luxus erlauben, über diese Frage gespalten zu sein, weil jedem moralischen Entrüstungssturm gegen eine politische Entscheidung Putins eine realpolitisch nüchterne Reaktion folgt, die kaum etwas an der Geschäftsgrundlage ändert, wobei die zunehmende Verschärfung von US-Sanktionen gegenüber wichtigen Geschäftspartnern der EU wie Russland, China und dem Iran zunehmend für Verstimmungen sorgt. Anti-amerikanische Statements aus der herrschenden Klasse findet man zuhauf. Kritik an der Innen- und Außenpolitik ist mittlerweile Standard, wirkliche Konsequenzen hat das aber so gut wie keine. Ramstein bleibt eine der wichtigsten Drehscheiben für die imperialistischen Interventionen der USA. Die Versuche sich unabhän­giger von einem vom Dollar dominierten Finanzsystem zu positionieren, bzw. eine Alternative zu dem Banküberweisungssystem SWIFT zu etablieren, stecken noch in den Kinderschuhen fest.

Die Rolle Russlands

Russland ist ein kapitalistisches Land, dessen Schwäche darin liegt, überwiegend auf den Abbau und Verkauf von Rohstoffen angewiesen zu sein. Die staatlichen Öl- und Gasunternehmen vertrauen darauf, dass ihre reichen Rohstoffvorkommen von zahlungskräftigen Kunden aufgekauft werden. Mehr oder weniger machtlos musste die russische Regierung in den letzten drei Jahrzehnten zugucken, wie ein Land nach dem anderen sich aus ihrem Macht- und Einflussbereich verabschiedete und die NATO in breiter Front an der Westgrenze Russland Einzug fand.

„Sanktionen der EU gegen Russland bestehen seit 2014. Damals entschied die EU als Reaktion auf Russlands Besetzung der Krim Einfuhrverbote für Waren von der Halbinsel sowie ein Ausfuhrverbot für Güter und Technologien, die für militärische Zwecke eingesetzt werden können.“

„Klar ist, dass die Sanktionen wirtschaftliche Folgen haben. Der Handel zwischen Russland und Deutschland schrumpfte zwischen 2013 und 2019 um mehr als 25 Prozent. Zu diesem Rückgang dürfte allerdings auch die allgemein schwächelnde russische Wirtschaft beigetragen haben, die von Öl- und Gasexporten abhängig ist. Sinkende Energiepreise ließen weniger Geld in Russlands Kassen fließen.“
zeit.de/2020/39/sanktionen-russland-wirtschaft-nord-stream-2-eu

Russland ist kein imperialistisches Land, aber hat noch immer regionalen Einfluss und hat sich der verschärften Umzingelung durch führende NATO-Staaten durch ihre militärische Unterstützung Syriens und einer klareren Politik gegenüber der Ukraine in den Weg gestellt. Doch wenn sich die imperialistischen Großmächte wie die USA und das westliche Europa um eine Gaspipeline streiten, ist Putin auf seine westlichen Partner, und deren Technologie angewiesen.

„Der russische Präsident Wladimir Putin hatte nach Verhängung der US-Sanktionen angekündigt, die Arbeiten eigenständig zu Ende bringen – unabhängig von ausländischen Partnern. Auch das Betreiberkonsortium hatte betont, die Pipeline fertigstellen zu wollen.”

Putin konnte selbstbewusst auftreten, da er verstand, dass er nicht in die Lage kommen würde, die Pipeline ohne westliche Hilfe zu Ende zu bauen. Das Betreiberkonsortium hatte kein Interesse, das Riesenprojekt kurz vor Fertigstellung zu kippen. Die ökonomische Verknüpfung ist für Moskau umso wichtiger, da die NATO regelmäßig Manöver an der Westgrenze zu Russland durchführt. Darüber hinaus setzt die politische Führung der NATO-Staaten der herrschenden Klasse in Russland mit massiven Sanktionen ordentlich zu.

Offensichtlich kann Russland im Streit um Nord Stream 2 nur zuschauen. Es hat nicht das  wirtschaftliche und politische Potential, um auf Augenhöhe mit den USA oder den EU-Imperialisten konkurrieren zu können, oder gar eine unabhängige Position zu formulieren, die über das Pochen auf das Einhalten von geltenden Verträgen hinausgeht.

Russlands militärisches Potential, das Erbe der sowjetischen Aufrüstungs­programme in der letzten Phase der Sowjetunion, ist immer noch groß. Die Qualität der Waffen ist auch der NATO bewusst. Deswegen ist das wirtschaftliche und politische Niederringen durch Sanktionen, Ausschlüsse und die Isolierung der Moskauer Regierung der momentan bevorzugte Weg. Diese Strategie wurde durch den Aufstieg Chinas und dessen zunehmende Kooperation mit Russland unterminiert. Insbesondere die USA sind besorgt, dass eine Allianz aus China, Iran und Russland neue geopolitische Realitäten schaffen könnte.

Partei die Linke: Bundesregierung „darf nicht einknicken“

Sevim Dagelen von der Linkspartei (PdL) möchte die Vollendung der Pipeline Nord Stream 2. Im inter-imperialistischen Konflikt zwischen den USA und Deutschland um die Energiepartnerschaft Deutschlands mit Russland schlägt sie sich auf die pro-eurasische Seite des deutschen Imperialismus, und schlägt juristische und politische Wege zur Durchsetzung der Pipeline vor.

Sie steht damit exemplarisch für eine in der Linken weit verbreitete Herangehensweise.

„Trotzdem: Sollten die angekündigten massiven US-Strafmaßnahmen gegen Sassnitz auf der Insel Rügen zur Blockade von Nord Stream 2 tatsächlich umgesetzt werden, muss die Bundesregierung gegen die extraterritorialen US-Sanktionen vor dem Internationalen Gerichtshof vorgehen. Sie darf nicht einknicken. Schon gar nicht darf sie wie Vizekanzler Olaf Scholz, den Erpressern auch noch Schutzgeldzahlungen in Aussicht stellen und das umweltfeindliche, teure Fracking-Gas aus den USA mit deutschen Steuergeldern subventionieren.“
– Sevim Dagelen auf ihrer Facebookseite 28. September 2020, sevimdagdelen.de/us-sanktionsdrohungen-gegen-sassnitz-sind-ein-akt-der-aggression/

Revolutionäre beziehen keine Seite in der Frage wie der Kapitalismus investiert, oder sein Energieproblem löst, sind aber Gegner imperialistischer Sanktionen gegen abhängige kapitalistische Länder wie Russland. Die imperialistische deutsche Bourgeoisie ist unser Hauptfeind und die Lobby-Arbeit der PdL für eine der zwei diskutierten Strategien des deutschen Imperialismus ist keine Initiative gegen eine mögliche imperialistische Intervention gegen Russland, sondern lediglich Ausdruck eines deutschen Sonderwegs. Ihr Appell an die Bundesregierung verdeutlicht, dass die PdL eine zweite sozialdemokratische Partei ist, die mit sozialistischen Prinzipien nichts gemein hat.