Bankrott des Stalinismus

Kampf der kapitalistischen Konterrevolution – Für proletarische politische Revolution

Die UdSSR vor dem Zerfall – njet zu Gorbatschow

Unter dem Druck der imperialistischen Offensive und Massenmobilisierungen im Innern zerbricht die stalinistische Herrschaft, Stück für Stück, von Belgrad über Berlin bis Moskau. Der vorerst letzte Schlag traf den Ceausescu-Clan.

Die Oktoberrevolution unter Führung der Bolschewiki errichtete die Macht der Arbeiterklasse, politisch durch Sowjetdemokratie, ökonomisch durch die Enteignung der Kapitalistenklasse und Schaffung des proletarischen Staatseigentums. „Alle nationalen Opfer bringen, um die internationale Revolution zu fördern“ — das war die Botschaft des Leninismus an die internationale Arbeiterbewegung. Der Stalinismus, kodifiziert in Stalins reaktionärer Utopie vom „Sozialismus in einem Land“, trat 1923 seinen Siegeszug durch die gezielte Zerstörung der Parteidemokratie und Sowjets an; die Liquidierung der Avantgarde der Arbeiterklasse folgte national und international. Diese politische Konterrevolution brachte die Bürokratie an die Macht, ohne im wesentlichen die Grundlagen des Arbeiterstaates anzutasten. Die Bürokratie repräsentiert keine Klasse, da sie keine ihr spezifisch entsprechende Eigentumsformen hervorbringt; vielmehr ist sie eine schmarotzende Schicht, die sich im großen staatlich organisierten Stil reproduziert und als Mittler fungiert zwischen proletarischem Staatseigentum und (klein-)kapitalistischer Warenproduktion sowie zwischen Arbeiterstaat und Imperialismus.

Nach über sechzigjähriger Despotie ist nun das Ende der Fahnenstange erreicht. In der ausweglosen Krise des Stalinismus versucht Gorbatschow, Stalins Erbe, die gefährdete Stellung der Bürokratie durch Perestroika und Glasnost zu retten.

Was nach drei Jahren Perestroika in der Sowjetunion als katastrophale ökonomische Misere zutage tritt, ist die Zuspitzung der strukturellen Krise stalinistischer Kommandowirtschaft. Bereits 1936 wies Trotzki daraufhin, daß auf einer höheren Stufe der Produktivkraftentwicklung die Ökonomie des bürokratisch deformierten Arbeiterstaates auf eine interne Barriere stößt. Nur durch massenhafte Teilnahme der Arbeiter an der Gestaltung des immer komplizierteren Produktionsprozesses ist eine höhere Qualität und Produktivität zu erreichen. Das setzt allerdings den freien Meinungsstreit im Rahmen der Arbeiterdemokratie voraus, den die stalinistische Bürokratie nicht zulassen kann, ohne die eigene Stellung zu gefährden — sie wird so zur Quelle der Stagnation.

Seit Anfang der 80er Jahre ist die Stagnation der Sowjetökonomie i n einen galoppierenden Zerfall übergegangen. Die Bürokratie ist um ihrer Selbsterhaltung willen gezwungen, einen Teil des korrupten Apparats zu säubern und versucht die Verantwortung für die Mißwirtschaft auf die Ebene der Fabrik abzuwälzen. Das Programm der Perestroika greift auf kapitalistische Stimuli zurück: Die Devise heißt Steigerung der Produktion durch Einführung von Konkurrenzmechanismen. Das Ziel der Rentabilität soll erreicht werden mit Methoden wie betriebliche Festlegung der Produktionspalette und der Preise, freier Kauf und Verkauf zwischen den einzelnen Betrieben, freier Zugang zum Weltmarkt, Beteiligung der Belegschaft an erwirtschafteten Überschüssen kombiniert mit der Entlassung „überflüssiger“ Arbeiter.

Die Idee der Ergänzung des Plans durch den Markt, Gorbatschows sogenannter Marktsozialismus, ist ein Spiel mit gezinkten Karten. Zur Rettung und Ausweitung des Staatseigentums war Lenin zum Kompromiß der NEP in den 20er Jahren gezwungen, die heutigen Reformer setzen dagegen auf die Kräfte des Marktes, um den staatlichen Sektor zu schwächen. Im März 1988 wurde mit den Gesetzen zur Gründung von Kooperativen auf Pachtgrundlage die Möglichkeit zur Kapitalbildung geschaffen. Die so v. a. im Dienstleistungs- und Verteilungssektor neu entstehende Bourgeoisie entwickelt sich rasant, vorbei am Plan, über den inneren Markt und den freien Zugang zum Weltmarkt. Indem die Kooperativen auf marktwirtschaftlicher Grundlage als Käufer, Verkäufer und Vermittler mit den staatlichen Betrieben verbunden sind und zudem Teile der durch die Reformen freiwerdenden Arbeitskräfte absorbieren, stärken sie die kapitalistischen Elemente im staatlichen Sektor. Heute gibt es über 10.000 Unternehmen, die das Recht haben selbständig Außenhandel zu treiben (Moskau News Jan. 1990), die Zahl von joint-ventures ist sprunghaft von 70 auf über 1.000 angestiegen (taz 06.10.89). Die Aufhebung des Außenhandelsmonopols im April 1989 hat die Konkurrenz zwischen den von Ministerien kontrollierten Außenhandelsbetrieben und den frei handelnden Kooperativen und Betrieben so sehr angeheizt, daß der Oberste Sowjet schon im Oktober des gleichen Jahres sich gezwungen sah, zugunsten der Ministerien zu intervenieren. Dadurch konnte jedoch der katastrophale Effekt der kapitalistischen Tendenzen, die Verschiebung riesiger Warenmengen auf den Weltmarkt, nicht verhindert werden.

Perestroika hat die Zersetzung des Wirtschaftsorganismus nicht aufgehalten, sondern nur beschleunigt. Kennzeichnend dafür sind der Zusammenbruch der Versorgung, die Einführung des Bezugsscheinsystems in ganzen Regionen, der weitere Zerfall der Maschinerie und d,~s Transportwesens, die inzwischen beträchtliche Arbeitslosigkeit und die schwarzen Arbeitsmärkte v.a. in südlichen Republiken. Indikator für die desolate Situation ist die Entwertung des Rubels. Darüberhinaus verstärkt Perestroika die zentrifugalen Tendenzen, die entlang der Nationalitäten die Union zu sprengen drohen; der großrussische Chauvinismus formiert sich unter Protektion hochgestellter Bürokraten in faschistischen Organisationen wie Pamyat. Das Anwachsen der Klassengegensätze in der UdSSR führt zur Stärkung zentraler Institutionen. Die Konzentration der Machtbefugnisse in einer Person ist Ausdruck dieser gefährlichen Zuspitzung bonapartistischer Herrschaft.

In Perestroika kulminiert die Politik einer selbstsüchtigen Kaste, die nicht umhin kann, die Konterrevolution zu fördern, um weiterhin einen saftigen Teil des Mehrproduktes einzustreichen. Dadurch droht dem Arbeiterstaat der Zusammenbruch.

Gegen Stalins Autarkieillusionen wies Trotzki nach, daß sich mit wachsender Produktivität und Arbeitsteilung die Abhängigkeit der Sowjetunion vom Weltmarkt nicht mindern, sondern steigern würde. Gorbatschows Versuch, die Misere mit kapitalistischen Kräften im Innern zu kurieren, wird kombiniert mit der Aufforderung an das internationale Kapital, in das Projekt Perestroika zu investieren. Perestroika hat es ermöglicht, von Warschau bis Sofia die letzten Schleusen für die Roßkur des IWF zu öffnen.

Revolutionäre Politik zielt dagegen auf die Abwehr des imperialistischen Drucks. Es gibt keinen Sozialismus in einem Land. Der Aufbau der klassenlosen Gesellschaft ist nur international möglich. Die Revolution in einem Land kann sich für eine bestimmte Periode halten, sie muß jedoch ausgeweitet werden — oder sie geht unter. Ohne proletarischen Internationalismus entscheidet die Bourgeoisie die Frage „wer — wen?“ für sich. Die stalinistische Politik der friedlichen Koexistenz, ob in Nicaragua oder Kuba, in Afghanistan, Kambodscha oder Vietnam, führt zum Verrat an den internationalen Interessen der Arbeiterklasse. Die „Abrüstungsverhandlungen“ haben die tendenzielle Entwaffnung der UdSSR und Stärkung der aufrüstenden NATO zur Konsequenz; darüberhinaus beschleunigt Perestroika das Auseinanderfallen des Warschauer Pakts. Es hat den Anschein, als gelänge es dem Imperialismus, das Sowjetreich friedlich mit dem Speer des Kapitals zu durchdringen. In Wirklichkeit aber erfordert der Vollzug der bürgerlichen Konterrevolution den Bürgerkrieg.

Die Widersprüche zwischen Plan und Markt spitzen sich zu und finden ihren politischen Ausdruck in der unvermeidlichen Fraktionierung der Bürokratie bis hinein in die Armee. Das führt zu Widersprüchen der offiziellen Politik. Im Oktober 1989 sah sich die herrschende Fraktion gezwungen durch erneute Preisfestlegung und höhere Besteuerung der Kooperativen, Perestroika partiell zurückzunehmen. Gleichzeitig brachte sie jedoch das Gesetz zum Eigentum auf den Weg, das durch eine Vielfalt von Eigentumsformen die Dominanz des Staatseigentums ersetzen soll (SZ 21.11.89). Zerrissen zwischen den Interessen der Bourgeoisie und denen des Proletariats schwankt die Bürokratie hin und her: Doch in der Konsequenz können weder die Perestroika-Gegner wie Ligatschow noch die prokapitalistischen Kräfte um Jelzin den Ausgang dieses Kampfes entscheiden. Die Perestroika-Fraktion wird fallen, letztlich wird die Bürokratie gestürzt werden entweder durch die kapitalistische Konterrevolution oder die proletarische politische Revolution. Allen Fraktionen der Bürokratie ist gemeinsam die Furcht vor der unabhängigen Mobilisierung des Proletariats.

Gorbatschow war klar, daß ohne eine offenere Diskussion im wissenschaftlichen und kulturellen Bereich der ökonomischen Stagnation nicht beizukommen ist. Glasnost ist die bürokratische Anerkennung der Notwendigkeit von Arbeiterdemokratie; die Perestroika-Fraktion will diese Liberalisierung zur Stabilisierung der bürokratischen Herrschaft nutzen. Über die Gewinnung der Intelligenz hinaus sollen auch die Arbeiter in den Umbau einbezogen werden. Damit der Ausverkauf reibungsloser über die Bühne geht dürfen sie jetzt, eingeklemmt in die Erfordernisse des Marktes, unter Kandidaten der Bürokratie ihre Fabrikdirektoren „frei“ wählen. Die Verfassungsreformen und die (bisher eingeschränkten) „freien Wahlen“ stärken bürgerlich-parlamentarische Illusionen in der Arbeiterklasse und steigern so die Chancen konterrevolutionärer Kräfte, die Erosion des Arbeiterstaates auch auf der politischen Ebene vorwärtszutreiben.

Der unbeabsichtigte Nebeneffekt von Glasnost, mehr Ellbogenfreiheit für das Proletariat, wurde in den großen Sommerstreiks 1989 genutzt. Die sowjetischen Bergarbeiter aller bedeutenden Kohlereviere standen über die nationalen Grenzen hinweg zusammen und sagten den Auswirkungen der Reformpolitik den Kampf an. Doch gleich zu Anfang mischten sich unter die berechtigten Parolen zur Verbesserung der materiellen Lage Forderungen nach Dezentralisierung, Eigenwirtschaftlichkeit und Weltmarktlizenzen für die Betriebe, die die Illusionen der Arbeiter in Perestroika widerspiegeln. Die Umsetzung solcher Forderungen führt unvermeidlich zur Regionalisierung der Konflikte und zu Verteilungskämpfen zwischen den Arbeitern der einzelnen Betriebe und werden jede Streikfront spalten. Die Bürokratie reagierte auf die Bewegung mit dem Verbot politischer Streiks und hakte beim Wiederaufflammen im Herbst nach durch ein generelles Streikverbot in Versorgungs- und Transportbetrieben. Dadurch nahmen die Streiks automatisch einen politischen Charakter an, was sich deutlich in der Oktoberplattform des Arbeiter- und Streikkomitees von Workuta (taz 18.11.89) ablesen läßt. Neben demokratischen Rechten, an erster Stelle das Streikrecht, und der Kampfansage an die Zentralbürokratie stehen Forderungen nach der Reform von Staats-, Partei- und Gewerkschaftsapparat, die durch allgemeine demokratische Wahlen durchgesetzt werden sollen.

Kommunisten hatten diese Streiks gegen die bürokratische Mißwirtschaft zu unterstützen. Allerdings wäre es fatal, sich über den diffusen Stand des Klassenbewußtseins der sowjetischen Arbeiter irgendwelche Illusionen zu machen; der widersprüchliche Charakter der aufgestellten Forderungen muß alarmieren. Gegen alle Illusionen in eine klassenlose Demokratie und Reformierbarkeit der Bürokratie, gegen die Dezentralisierung und Auflösung des Plans muß Stellung bezogen werden. Kommunisten kämpfen für den Zusammenschluß des Proletariats, für die Erstellung eines gesamtwirtschaftlichen Plans, demokratisch diskutiert und beschlossen durch die Arbeiterräte. Es ist dringend notwendig, mit einem Programm gegen stalinistischen Ausverkauf und kapitalistische Konterrevolution, die von den Bergarbeitern geschaffenen unabhängigen Sowjets über die nationalen Grenzen hinweg auszuweiten und zur Gegenmacht gegen die Bürokratie auszubauen. Die so wieder hergestellte Arbeiterdemokratie wird die Basis bieten, die Stalinisten durch proletarische politische Revolution wegzufegen. Entscheidend ist es, in welche Richtung die Arbeiterproteste gelenkt werden. Die widersprüchlichen Forderungen von Workuta unterstreichen die Notwendigkeit der Intervention der Revolutionäre. Das trotzkistische Programm ist die Voraussetzung zur revolutionären Lösung der Krise der UdSSR.

Perestroika – Programm zur Frauenunterdrückung

„Die Frauen haben alles, was sie wollten, erreicht und blicken zurück“ prahlte die stellvertretende Ministerin für Kultur der RSFSR, N. Schukova, in einem Interview (Monatszeitung Dez. 1989). Die Arroganz ihrer Aussage steht dabei direkt proportional entgegengesetzt zur wirklichen Situation der Frauen in der Sowjetunion. So benennt sie den hohen Anteil berufstätiger Frauen (96%), der zweifellos zeigt, welche Chancen die Freiheit vom Kapital eröffnet: ökonomische Unabhängigkeit — die notwendige Bedingung zur Befreiung der Frau. Doch im deformierten Arbeiterstaat UdSSR heißt das: trotz hoher Qualifizierung überwiegend schlecht bezahlte Tätigkeit z.B. in Textilindustrie, Schule, Kindergarten und Krankenhaus bei überproportional hohem Anteil an Schwerstarbeit (wie z.B. fast alle Landarbeiterinnen); bis zu 6 mal mehr Nachtarbeit im Vergleich zu den Männern. Dazu kommt die Verdoppelung der Belastung durch Hausarbeit und Erziehung aufgrund fehlender bzw. mangelhafter öffentlicher Einrichtungen. Diese Situation ist nicht einfach mit mangelnden ökonomischen Kapazitäten zu erklären, sondern Produkt der stalinistischen Politik der „sozialistischen Familie“, mit der die Bürokratie ihre Macht durch die Spaltung der Arbeiterklasse entlang der Geschlechter erhalten will. Schukova heute: „Die Familie ist die Kernzelle des Staates — Eltern, Kinder und Großeltern“.

Sehr deutlich wird die Frauendiskriminierung in der Frage von Geburt und Abtreibung. Im Zuge der Oktoberrevolution wurden die reaktionären Familiengesetze radikal gestrichen, eine breite Debatte über Sexualität und Frauenunterdrückung eröffnet und die Abtreibung erstmalig auf der Welt legalisiert. Unter Stalin wurde die bürgerliche Moral dann wieder zur Leitlinie und 1936 Abtreibung sowie Propaganda für Verhütungsmittel: verboten. 1968 wurde die Abtreibung wieder erlaubt, aber noch heute fehlen brauchbare Kontrazeptiva in ausreichender Anzahl. So ist jede sowjetische Frau gezwungen durchschnittlich 6-10 mal im Leben abzutreiben. Von den katastrophalen Bedingungen in den Agrarregionen ganz zu schweigen, ist die Versorgung in den Gesundheitseinrichtungen der Zentren schlecht bis lebensgefährlich.

Was Schukova mit „alles erreicht haben“ meint, macht Gorbatschow in seinem Buch „Perestroika“ klar (ganze 2 von 340 Seiten sind der Frauenfrage gewidmet): Wohl haben die Frauen noch das „Recht auf Arbeit wie die Männer“, ihn beschäftigt jedoch vor allem die Frage „… was zu tun ist, um es den Frauen zu ermöglichen, zu ihrer eigentlichen weiblichen Lebensaufgabe zurückzukehren.“ Reaktionäre Gestalten wie der Schriftsteller Anatoli Afanasjew sind da offener: „Ich bin überzeugt, daß die bloße Präsenz der Frau in der Produktion ihrem biologischen wie psychischen Wesen widerspricht“ (Sputnik Okt. 1988). Gorbatschows Versprechen für die Zukunft der Frau heißt Kinder, Küche und auch Kirche, der er zu verstärktem Einfluß verhilft. Während kapitalistische Tendenzen sich entfalten können (d. h. unter anderem Arbeitslosigkeit auch und v.a. für Frauen) wird die Konterrevolution auf der gesellschaftlichen Ebene durch die Förderung der Familie gestärkt.

Im ärmeren südlichen Teil der UdSSR droht den Frauen durch Perestroika darüberhinaus die Gefahr mittelalterlicher Verhältnisse. Der Islam, an dem sich die stalinistische Bürokratie der Region und in Moskau anpaßt, wird zum ideologischen Konsens konterrevolutionärer Kräfte, für Frauen bedeutet er Versklavung.

Gegen diese Angriffe auf die Stellung der Frau muß grundsätzlich vorgegangen, die gesamte Arbeiterklasse mobilisiert werden: Während Teile der Bürokratie mit der kapitalistischen Restauration liebäugeln gilt es jeden Angriff auf das Recht auf Arbeit zurückzuschlagen, Frauen gleichberechtigte Positionen in der Gesellschaft zu erkämpfen und für den radikalen Ausbau sozialer Einrichtungen einzutreten. Dies muß Hand in Hand gehen mit dem Kampf gegen den auch in der Arbeiterklasse verbreiteten männlichen Chauvinismus. Die Schaffung einer kommunistischen Frauenbewegung, die Seite an Seite mit den Männern für die proletarische politische Revolution streitet, ist entscheidend: Freie Bahn für die Frau in der revolutionären Partei und der Gesellschaft!

Stoppt die kapitalistische Wiedervereinigung

Die DDR steht vor der Bildung einer großen Koalition. Eine neue Regierung Modrow mit dominierendem Einfluß der bürgerlichen Opposition hat als prokapitalistische Regierung die Aufgabe, die soziale Konterrevolution durch Anschlußpolitik an die BRD sicherzustellen. Vom imperialistischen Druck an die Wand gequetscht, bedroht von der Auflösung ihres Machtapparates, setzt die rechte Fraktion der stalinistischen Bürokratie zur Rettung ihrer Privilegien auf die kapitalistische Karte und macht sich zum direkten Agenten der Bourgeoisie. Berghofers eiliger Übertritt zur demokratischen Konterrevolution ist beispielhaft für diese Schmarotzer und Karrieristen in Staatsapparat und Fabrikmanagement, die bei der Herausbildung einer neuen Bourgeoisie und Wiederherstellung alter kapitalistischer Zustände nicht leer ausgehen wollen. Der schwächliche Bonaparte Modrow distanziert sich von der SED/PDS und zeigt seine definitive Kapitulation an mit dem Abbau der letzten Hürden für das deutsche Kapital: joint-ventures mit kapitalistischer Mehrheitsbeteiligung; Gewerbefreiheit; offizielle Anerkennung der DM als internes Zahlungsmittel der DDR (beim 6 Milliarden ERP-Kredit). Der Rekapitalisierungsprozeß der DDR, das roll back des proletarischen Staatseigentums zum endgültigen Sturz des Arbeiterstaates DDR ist in voller Fahrt. Arbeiter und Angestellte: Laßt Euch nicht vor den Karren der demokratischen Konterrevolution spannen! Kampf der Großen Koalition! Stoppt die kapitalistische Wiedervereinigung!

Was vor drei Monaten als heterogene Massenbewegung für Demokratie und Reisefreiheit begann, polarisierte sich rasant in ein Milieu von Deutschland-einig Vaterland-Grölern, in dem die Nazis versuchen Fuß zu fassen und jenen Teil, der wie diffus auch immer, am „Sozialismus in den Farben der DDR“ festhalten möchte. Nach 60.000 Anti-Kohl-Demonstranten Ende 1989 und der Massenkundgebung gegen Nazis in Berlin-Treptow sah sich die Bourgeoisie genötigt, ihren Druck zu verstärken. Der Verteidigungsreflex der Bürokratie, den Zerfall der Macht über den „Neuaufbau“ des Verfassungsschutzes aufzuhalten, wurde abgewehrt. Die bürgerliche Opposition fälschte die reale faschistische Gefahr in der DDR zum SED-Betrugsmanöver um. „Weg mit der SED/PDS“ wurde zum vereinenden Schlachtruf der Konterrevolution, während die Modrow-Regierung zu einem immer schnelleren Ausverkauf getrieben wurde. Die wachsende Unruhe im Land, u.a. der Sturm auf die StasiZentrale, gefährdet jedoch den „friedlich“ organisierten, von der Bourgeoisie kontrollierten Einkauf der DDR. So ergibt sich noch vor dem 06. Mai die „Notlage“ für die Bildung einer prokapitalistischen Regierung, während die konterrevolutionäre Opposition jeden taktischen Schritt mit Bonn abspricht und die BRDParteien den Wahlkampf der DDR organisieren. Der deutsche Imperialismus ist der Erfüllung seiner revanchistischen Absichten einen bedeutenden Schritt näher gerückt!

Die BRD, Weltexporteur Nr. l, ist eine der stärksten imperialistischen Mächte. Historisch, geographisch und ökonomisch hat sie die beste Ausgangslage zur Eroberung der Märkte im Osten, wobei der Einverleibung der DDR eine Schlüsselrolle zukommt. Dabei soll jedoch die Dominanz der BRD in der EG möglichst gesichert bleiben. Über den einzuschlagenden Kurs gibt es angesichts der neuen Möglichkeiten graduelle Differenzen im imperialistischen Lager. Kohls Weigerung, die polnische Grenze auch für die nahe Zukunft anzuerkennen, wertet die FDP als unzeitgemäß; aktuell schafft diese Position unnötigen Ärger mit den Alliierten und ist geschäftsschädigend. Die innerimperialistische Konkurrenz um Absatz und Bodenschätze, heute speziell in Bezug auf die Anlagemöglichkeiten im wiederzuerringenden Osten, erfordert scharfe Angriffe auf die soziale Lage und die Rechte der Arbeiterklasse im Innern. In Deutschland ist es die historische Aufgabe der bürgerlichen Arbeiterpartei SPD, ihren Einfluß in der Arbeiterklasse für die Absicherung bzw. zur eigenständigen Durchsetzung imperialistischer Politik zu nutzen. So leugnen Lafontaine und Böhme auch gar nicht, daß sie Opfer in West und Ost verlangen. Doch 40 Jahre Stalinismus in der DDR und erfolgreiche sozialdemokratische „Wandel durch Annäherung“-Politik auf der einen, 8 Jahre Kohl/Genscher auf der anderen Seite haben Bedingungen geschaffen, die der SPD allen Grund zur Hoffnung geben, die erste Regierung im neuen Großdeutschland zu stellen. Brecht mit der SPD — Kampf dem Programm der demokratischen Konterrevolution!

Der Runde Tisch, ursprünglich von der Bürokratie als Zugeständnis an die Opposition und zu deren Integration installiert, entwickelte sich unter Anleitung der BRD zur bürgerlichen Gegenmacht. War 1919 die Wahl zur Nationalversammlung der Schlachtruf der SPD zur Liquidierung der Räte, so soll die Losung „freie Wahlen zur Volkskammer“ deren Entstehung vorbeugen. Der bürgerliche Parlamentarismus ist nicht im Interesse der Lohnabhängigen: Unter dem Deckmantel der „Demokratie“ legitimieren sich am 06. Mai vor allem bürgerliche Parteien, die die Politik einer Minderheit, der Bourgeoisie nämlich, betreiben. Im Gegensatz zu kapitalistischem Elend, Kriegsgefahr, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung kann nur die Demokratie der Arbeiterklasse, die sich auf alle Werktätigen stützen muß, den politischen Rahmen für die persönliche Entfaltung aller gewähren. Mit der Bildung von Arbeiterräten gaben die russischen Arbeiter 1917 ein Beispiel. Durch direkte Wahl und Abwahl ihrer Vertreter suchten sie herauszufinden, welche politische Strömung in der Arbeiterbewegung am konsequentesten ihre Interessen vertrat. Aufgrund der praktischen Erfahrungen gelang es den Bolschewiki unter Lenin und Trotzki die damaligen sozialdemokratischen Arbeiterverräter, die Menschewiki, politisch zu isolieren und in der Oktoberrevolution die Macht der Räte gegen die Bourgeoisie zu sichern. Für Räteherrschaft statt Volkskammerbetrug — unter diesem Motto muß auch der anstehende Wahlkampf genutzt werden, um die parlamentarischen Illusionen zu zerstören.

Die politische Situation verschlechtert sich täglich für die Arbeiterbewegung. Der SPD-Einfluß wächst, während die Krise der SED/PDS unter den Schlägen der Bürgerlichen dramatische Formen annimmt. Auf ihrem letzten Parteitag formulierte einer der Hoffnungsträger der Bürokratie, Gysi, den Kompromiß mit den prokapitalistischen Umsteigern: den „Dritten Weg“, oder anders ausgedrückt — Stalinismus als zweiten Aufguß der Sozialdemokratie. Gysis Unterstützung der Regierung stärkte erst recht den Liquidatoren-Flügel. Der endgültige Übertritt Modrows auf die andere Seite markiert den politischen Bankrott der SED/PDS-Führung, den die Partei in ihrer Gesamtheit nicht überleben wird. Wer organisiert jetzt die ehrlichen Kommunisten in der SED, die ihre Verachtung der stalinistischen Führung nicht mit der Unterstützung der SPD eintauschen wollen? Notwendig ist die Bildung einer leninistischen-trotzkistischen Fraktion in der SED, die einen revolutionären Ausweg aus der Krise bietet, in die die Stalinisten die Partei und die gesamte Arbeiterklasse gestürzt haben.

Vor dem Hintergrund der Rechtsoffensive beginnen nun auch die DDR-Arbeiter zu mobilisieren, wobei die Warnstreiks nicht unter einheitlichen Parolen standen. Zum einen wurde die Forderung nach „Weg mit der SED/PDS“ erhoben, eine aktuelle Forderung der Konterrevolution. An anderen Streikpunkten wehrten sich die Arbeiter zu Recht gegen Überbrückungsgelder für ehemalige Stasi-Spitzel und machten ihrem Ärger Luft über die jahrelange elende Lohnsituation sowie die ersten Auswirkungen der Austeritätspolitik Modrows. Jetzt schon, noch zu Beginn der Rekapitalisierung, gibt es bereits nach Angaben der Gewerkschaften ca. 85.000 Arbeitslose ohne Unterstützung. Unter den ersten Opfern: Frauen mit Kleinkindern!

Es besteht die Gefahr, daß Arbeiteraktionen zu Stützen der Konterrevolution werden und z.B. in reaktionäre Streiks für die Wiedervereinigung münden, statt der Kapitaloffensive zu begegnen. Schmeißt die Vertreter von Mercedes-Benz, Siemens und der Deutschen Bank aus den Kombinaten! Wer gibt eigentlich den VEB-Direktoren das Recht, sich mit den BRD-Imperialisten an einen Tisch zu setzen? Die Arbeiter müssen sofort feststellen, welche Pläne da hinter ihrem Rücken ausgeheckt werden! Die Arbeiterkontrolle durch gewählte Belegschaftsvertreter muß hergestellt werden, um durch Öffnung der Bücher über kapitalistische Machenschaften wie z.B. Entlassungen zu informieren. Ohne genaue Informationen ist keine Abwehr möglich. Die Arbeiterkontrolle muß in Betrieben und Verwaltung von unten nach oben erweitert werden, damit sich die Arbeiterklasse ein Bild von der wirtschaftlichen Situation der DDR machen kann. Die Aufgabe von gewählten Arbeiterdelegierten besteht darin, einen gesamtgesellschaftlichen Plan im Interesse der Bevölkerung im Gegensatz zu den Interessen der Kapitalisten und der Regierung zu erstellen. Wir warnen vor der Auflösung des Staatseigentums und der Zerstückelung der einzelnen Kombinate. Der Kurs der Dezentralisierung, von einigen Linken unterstützt mit „betrieblichen Selbstverwaltungskonzepten“, arbeitet den Imperialisten in die Hände. Nur ein zentraler Plan, eine geplante Wirtschaft, die Wiedererrichtung des Außenhandelsmonopols kann den imperialistischen Druck mildern und den Einkauf der DDR verhindern. Die stalinistische Kommandowirtschaft konnte nicht funktionieren, weil die Werktätigen das Maul zu halten hatten über Pläne, die vor allem der Sicherstellung der Bonzenprivilegien dienten. Der offene Meinungsstreit über die einzuschlagende wirtschaftliche und politische Richtung kann dagegen die Rätebewegung vorwärtstreiben von einer Gegenmacht zur sozialistischen Räteregierung.

Der Widerstand der besonders Unterdrückten muß in diesen Kampf einbezogen werden. Die Frauen gehören zu den ersten Opfern der bürgerlichen Offensive. Die geplanten Entlassungen müssen zurückgeschlagen werden! Schluß mit dem Skandal, daß 75 % aller Frauen in traditionell weiblichen, schlecht entlohnten Berufen arbeiten. Der Doppelbelastung durch Betrieb und Familie muß mit radikalem Ausbau der,sozialen Einrichtungen begegnet werden! Für eine kommunistische Frauenbewegung!

Gleiche Rechte für Ausländer, die in der DDR leben und arbeiten! Kampf dem deutschen Nationalismus, auf dessen Welle sich die Faschistenpest auszuweiten droht. Zum Schutz der ausländischen Kollegen müssen sich Arbeiter zusammen mit Teilen der Volkspolizei, NVA und sowjetischen Soldaten zur Zerschlagung der Nazis verbünden — ein Schritt in die Richtung der Bildung von Arbeitermilizen, den Selbstverteidigungsorganen der Arbeiterklasse.

In einem sind sich stalinistische Bürokratie und bürgerliche Opposition einig: Zu einer politisch unabhängigen Arbeiterbewegung soll es nicht kommen. Das zeigte im Kleinen der Fall des Dzierzynski-Regiments: Spontan sicherte es die Stasi-Akten, der Runde Tisch dagegen forderte wenig später seine Auflösung.

Die Bildung einer prokapitalistischen Koalitionsregierung ist eine Niederlage, doch der Krieg um die DDR ist noch nicht verloren. Zudem steht das DDR-Proletariat nicht allein: In Polen macht die Konterrevolution gerade Ernst mit ihren geforderten Opfern, aber die ersten Verteidigungsstreiks im Bergbau wurden gewonnen. In der BRD beginnen die IG-Metall-Tarifauseinandersetzungen. Mit der Verteidigung der Errungenschaften der Arbeiter muß die schon lange fällige Gegenoffensive eingeleitet werden. Wie die Krise der DDR beweist ist ein isolierter Arbeiterstaat auf längere Sicht nicht zu halten. Aus dem Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung wird die Notwendigkeit der revolutionären Wiedervereinigung der Arbeiter in Deutschland in der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa deutlich werden. Es bedarf einer organisierenden Kraft, die das Blatt wendet: der Herausbildung einer leninistisch-trotzkistischen Arbeiterpartei.

Lenin und die nationale Frage in der UdSSR

Während Perestroika einen Frontalangriff auf die Interessen der Arbeiterklasse bedeutet, setzt sie gleichzeitig die bisher unter russisch-chauvinistischer Knute unterdrückten nationalen Antagonismen frei. Die Moskauer Nationalitätenpolitik schloß ein partielles Eingehen auf nationale Bedürfnisse zur Stabilisierung der Macht ein (beginnend in den 20er Jahren mit der Politik der Korenisazija). Die nationale Unterdrückung wurde aber immer dann verschärft, wenn sich die russische Bürokratie in ihrer Herrschaft bedroht sah. Unterdrückung der nichtrussischen Minderheiten ist immanenter Bestandteil des stalinistischen Systems. Entweder es gelingt, den Kampf gegen nationale Unterdrückung in den Kampf für proletarische politische Revolution einzubetten oder die nationale Frage wird die Klassenkämpfe im bürgerlichen Nationalismus ersticken.

In der Tradition Lenins treten Trotzkisten für das Recht auf Selbstbestimmung ein. Wir kämpfen gegen alle Formen nationaler Unterdrückung im politischen, ökonomischen und kulturellen Bereich. 1939 konkretisierte Trotzki zur Ukraine dieses Programm für die bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten: Wir sind gegen die Loslösung in Form bürgerlicher Staaten, gegen die bürgerliche Konterrevolution unter dem Deckmantel des Widerstandes gegen nationale Unterdrückung, aber für das Recht auf Bildung unabhängiger sozialistischer Republiken.

Recht auf Lostrennung heißt für Leninisten aber nicht per se in jeder Situation für die Lostrennung zu agitieren. Die Parole der Lostrennung muß vielmehr, allgemein gesprochen, den nationalen wie internationalen Klassenkampf fördern anstatt die Arbeiter entlang nationalistischer Linien zu spalten. So forderten

Trotzkisten 1939 eine unabhängige sozialistische Ukraine, um den sich herausbildenden Unabhängigkeitswillen für die proletarische politische Revolution gegen Stalin zu nutzen. (Darüberhinaus sollte so die sozialistische Revolution gegen die kapitalistischen Regime in Rumänien, Ungarn und Polen vorangetrieben werden, die die ukrainischen Minderheiten verfolgten.) Hingegen traten die Bolschewiki 1917 zu Polen und der Ukraine zwar für das Recht auf Lostrennung ein, propagierten darüberhinaus jedoch eine Politik der revolutionären Vereinigung mit der russischen Revolution, obwohl z.B. in Polen die Mehrheit der Bevölkerung vehement diese Vereinigung ablehnte. Der Mehrheitswillen einer unterdrückten Nation stellt für die Taktik der Kommunisten zur Frage der Lostrennung also kein allein entscheidendes Kriterium dar.

Glasnost bringt es an den Tag: Die Kämpfe gegen die großrussische Unterdrückung, soweit uns bekannt fast ausschließlich unter reaktionärer Führung, haben sich zu einem unionweiten Phänomen ausgeweitet, während im Gegenzug Pamyat wächst. Trotz aller Konzessionen Gorbatschows, die russische Zwangsjacke zu lockern: Über 60 Jahre nationalistische Verfolgung zeigen, daß eine grundsätzliche Wende nötig ist. Mit einem prinzipiellen Nein zur bürokratisch zwangsvereinigten Union muß jede revolutionäre Stellung zur Nationalitätenfrage in der UdSSR beginnen.

Natürlich sind Kommunisten grundsätzlich für einen möglichst umfassenden staatlichen Zusammenschluß der internationalen Arbeiterklasse; nur eine zentralisierte Planwirtschaft kann die vorhandenen Ressourcen unter den Nationen gleichmäßig verteilen. Ein Auseinanderfallen der Sowjetunion entlang partikularer, nationaler Linien wäre zudem ein fundamentaler Schlag gegen die Interessen der internationalen Arbeiterbewegung.

Der Kampf für das Recht auf Selbstbestimmung muß heute entgegen der Lostrennung verbunden werden mit der Perspektive der freiwilligen Vereinigung der Völker der UdSSR auf der Grundlage sozialistischer Republiken. Entscheidend dafür ist die Erfahrung des Bergarbeiterstreiks 1989: Die kommenden Arbeiterkämpfe gegen die Auswirkungen der Perestroika stehen in einem unionweiten Kontext; die Perspektive der Aufsplitterung in nationale Republiken würde somit dem internationalen Charakter der Arbeitermobilisierungen zum Sturz der Moskauer Bürokratie zuwiderlaufen.

Darüberhinaus ist die Revision der Völkerverbrechen Stalins, die Verschleppung z.B. der Krim-Tartaren oder der Wolgadeutschen, die Einlösung des Rechts auf Rückkehr in vorher bewohnte Gebiete überhaupt nur denkbar in einem internationalen Verbund. Nur so können die Rechte der jetzt dort heimisch gewordenen Bevölkerung geschützt werden; nur so kann verhindert werden, daß eine Wiederansiedlung im nationalen Hader, womöglich mit einer erneuten Vertreibung endet.

Von der Stärke der Arbeiterbewegung im Kampf für proletarische politische Revolution wird die Form der freiwilligen Vereinigung abhängen. Während die russischen Trotzkisten im Kampf gegen den großrussischen Chauvinismus das Recht auf unabhängige sozialistische Republiken betonen, müssen z.B. die armenischen und aserbaidschanischen Trotzkisten das Ziel der Vereinigung herausstellen. Nur mit dieser Methode, das Genaue Gegenteil von Ignoranz gegenüber der nationalen Frage, kann deren reaktionäre „Lösung“, also die großrussische bzw. die Bildung unabhängiger kapitalistischer Staaten, verhindert werden.

Blutiger Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan

An der Peripherie der UdSSR erhielten die bürgerlichen Sezessionsbestrebungen durch Perestroika mächtigen Auftrieb. Der kriminelle Rückzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan stärkte zudem die konterrevolutionären islamischen Kräfte. Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist es zu einem reaktionären Krieg gekommen, bei dem die Arbeiter beider Seiten nur verlieren können. Wir verteidigen militärisch die Entsendung sowjetischer Truppen und treten für die Verbrüderung mit den sowjetischen Soldaten ein. Die organisierte bürgerliche Konterrevolution wird damit fürs erste gestoppt, politisch jedoch löst der Einmarsch nichts!

Handelsblockaden, Genozid an den jeweiligen Minderheiten, Massenvertreibungen — dahin ist es durch den großrussischen Chauvinismus der Bürokraten gekommen! In Perspektive der freiwilligen Vereinigung fordern wir die revolutionäre Verbrüderung der Arbeiter beider Länder gegen den tödlichen Nationalismus. Nagorny Karabach ist zum Vorwand der Pogrompolitik der Reaktionäre beider Seiten geworden. Bei 80% armenischem Bevölkerungsanteil muß der Wille nach Wiederangliederung an Armenien von aserbaidschanischen Internationalisten unterstützt werden — wie 1920 nach dem Einmarsch der Roten Armee. Umgekehrt müssen die armenischen Revolutionäre die Sicherheit und gleichen Rechte der in Nagorny Karabach lebenden Aseris durchsetzen und gleichzeitig den Anspruch armenischer Nationalisten auf das aserbaidschanische Nachitschewan zurückweisen. Nur durch eine Praktizierung des Internationalismus haben die werktätigen Massen der UdSSR eine Zukunft!

Die Konterrevolution im Baltikum marschiert

Die reaktionären Konsequenzen der Perestroika sind auch im Baltikum deutlich. Die Förderung der kapitalistischen Tendenzen durch Moskau führte zur Konzession der baltischen Wirtschaftsautonomie — ein geeigneter Boden für die erstarkten bürgerlichen Kräfte, die den nationalen Widerstand gegen großrussischen Chauvinismus nutzen wollen, um die bürokratisch deformierte Diktatur des Proletariats in diesen Republiken zu stürzen.

Die Volksfronten, einst gegründet mit Hilfe Moskaus, kippten endgültig Mitte letzten Jahres ins Lager der Konterrevolution. Die Erklärung des „Baltischen Rates“ für bürgerliche Demokratie und gegen die „roten Faschisten“ war das Credo der Menschenkette am 23. August 1989. Aufgrund dieser nationalistischen Agitation gelang den Interfronten, deren Führungen sich v. a. aus höheren russischen Militärs und Betriebsmanagern zusammensetzen, eine Verankerung in der russischen Arbeiterklasse. In diesem Bürgerkriegsgebräu entlang nationalistischer Linien versuchen die nationalen KP-Führungen zur Erhaltung ihrer Stellung durch Kollaboration mit den Volksfronten die Explosion zu verhindern. Ein Spiel mit dem Feuer! Trotzkisten sind für die gemeinsame Mobilisierung der baltischen wie russischen Arbeiterklasse gegen Konterrevolution und Bürokratie. Arbeiter haben nichts zu wählen zwischen bürokratischen Zentralisten und Reformern. [wir sind für den Sturz aller Fraktionen der Bürokratie.

Für den Kampf gegen die lettischen, litauischen und estnischen Nationalisten, die Träger der kapitalistischen Restaurationsbestrebungen, ist darüberhinaus eine korrekte Position zur nationalen Frage entscheidend. Ausgangspunkt muß der Kampf gegen den traditionellen großrussischen Chauvinismus im Baltikum sein. Eine mögliche, von uns nicht befürwortete Lostrennung könnte jedoch demokratisch nur durch einen gemeinsamen Sowjetkongreß beschlossen werden, der die Arbeiter aller Nationalitäten eines Landes umfaßt. Obwohl wir die Methoden der Entwicklung der baltischen Länder durch Stalin und seine Nachfolger ablehnen — Fakt ist, daß Russen und andere Nichtbalten jetzt dort leben und darum ein Recht auf volle Gleichberechtigung haben. Auf lettischem und estnischem Gebiet existieren eng miteinander verbundene Völkerschaften. In Lettland ist die Hälfte der Bevölkerung russisch, in Estland stellen die Esten nur ca. 60%; nur in Litauen dominieren noch die Litauer mit ca. 80%. In allen baltischen Staaten bilden die russischen Arbeiter einen wesentlichen Teil des Industrieproletariats.

Kommunisten sind gegen die Umkehrung von Unterdrückung. Deshalb sind wir gegen die chauvinistischen Wahlrechtsbeschränkungen, gegen jegliche Diskriminierung, die sich im Baltikum besonders gegen Russen richtet, generell für die gleichen staatsbürgerlichen Rechte aller Nationalitäten. Der Kampf gegen die bürokratisch zwangsvereinigte Union, für den freiwilligen Zusammenschluß auf sozialistischer Grundlage muß auch hier Leitlinie für eine integrierte baltische Parteiorganisation der sowjetischen trotzkistischen Arbeiterpartei sein, um den Kampf gegen alle nationalistischen Spaltungen aufzunehmen und so die Hegemonie der Arbeiterklasse herzustellen.

Polen und Ungarn am Rande des Abgrunds

In Polen und Ungarn ist die Erosion der bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas am weitesten fortgeschritten; dies findet seinen Ausdruck in der Bildung prokapitalistischer Regierungen. Im Unterschied zur Gorbatschow-Regierung, die durch ihre Ausverkaufspolitik bürgerliche Restaurationstendenzen stärkt, wollen Mazowiecki und Nemeth kapitalistische Verhältnisse.

In Polen kanalisierte 1981 die katholisch-reaktionäre Massenbewegung Solidarnosc die politische Enttäuschung der polnischen Arbeiterklasse über die Arbeiterverräter Gomulka und Gierek. Dem Ziel Walesas — Durchsetzung eines kapitalistischen Polens — kam Jaruzelskis Coup im Dezember 1981 zuvor. Trotzkisten verteidigen bedingungslos militärisch die proletarischen Eigentumsformen aller deformierten Arbeiterstaaten. Bedingungslos heißt: Wir machen diese Verteidigung nicht abhängig von der Existenz der stalinistischen Bürokratie. Militärische — im Gegensatz zu politischer — Verteidigung heißt: Wir rufen die Arbeiter zum Widerstand gegen innere wie äußere Konterrevolution auf, was die Möglichkeit eines militärischen Blocks mit den Stalinisten einschließt. Jaruzelski durfte nicht durch rechts gestürzt werden! In der Kritik der stalinweichen Internationalen Kommunistischen Liga/Trotzkistische Liga Deutschlands (IKL/TLD) hielten wir jedoch fest: Wir Trotzkisten übernehmen keine politische Verantwortung für stalinistische Politik. Jaruzelskis Unterdrückung von Solidarnosc geschah aus selbstsüchtigen Motiven; der polnischen Bürokratie ging es um die Verteidigung ihrer Privilegien, die von der Erhaltung sozialistischer Eigentumsformen abhingen. Die politische Unabhängigkeit der Trotzkisten auch in dieser zugespitzten Situation war die Voraussetzung, den Solidarnosc-Einfluß mit revolutionären Methoden zu zersetzen, mit einer revolutionären Reorientierung der Arbeiterklasse zu beginnen hin zum Sturz der Bürokratie.

Die aktuelle Entwicklung Polens gibt unserem Programm Recht. Während wir 1981 in Konfrontation zur Mehrheit standen, ist heute die Position von Solidarnosc in der Arbeiterklasse angeschlagen. Die Stalinisten hingegen waren unfähig die strukturellen Probleme des Landes zu lösen. Rasanter Produktivitätsverfall in der Industrie, weitere Stärkung der ineffizienten privaten Landwirtschaft, hohe Auslandsverschuldung — da Jaruzelski sich nicht auf die Arbeiter stützen konnte, setzte er das Solidarnosc-Programm Stück für Stück selbst um, in der Hoffnung die Kontrolle zu behalten. Offenes Eingeständnis des Bankrotts war die Regierungsübergabe an die bürgerlichen Kräfte; ein Teil der Bürokratie erklärte damit seine Bereitschaft, durch direkte Kollaboration mit der Konterrevolution den Kapitalismus zu etablieren, um die eigenen Privilegien zu retten.

In Ungarn finanzierte Kadar seinen „Gulaschkommunismus“ mit dem Ausverkauf des Landes an die Imperialisten. Nach der Niederschlagung des ersten organisierten Versuchs der proletarischen politischen Revolution durch Arbeiterräte 1956 erkauften die ungarischen Stalinisten die Wiederherstellung der Ruhe im Land mit Verschuldung und ökonomischer Stagnation. Die ersten marktwirtschaftlichen Reformen Ende der 60er Jahre blieben wirkungslos. Die systemimmanente Ausweglosigkeit der Krise führte zur Herausbildung des prokapitalistischen Flügels um Poszgay, Horn, Nemeth. 1989 spaltete sich die Bürokratie in die USAP (Grosz, Berecz, Ribanszki) und Nyers USP, die den restaurativen Kurs der bonapartistischen Regierung Nemeth/Poszgay stützt.

„Niemand hat je die Möglichkeit ausgeschlossen — vor allem im Falle eines weiter anhaltenden Zersetzungsprozesses in der Welt —, daß eine neue, aus der Bürokratie hervorgehende besitzende Klasse entstehen kann“ (Trotzki). Ungarn und Polen bestätigen Trotzkis Hypothese von der Umwandlung eines Teils der Bürokratie in Kapitalisten. Die Bürokratie ist keine Klasse sondern eine schmarotzende Kaste. Trotzkis zentraler Aspekt bei der Analyse des degenerierten Arbeiterstaates UdSSR in den 20er und 30er Jahren war die Gefahr der inneren wie äußeren Konterrevolution durch kapitalistische Kräfte (unterstützt durch marginale Teile der Bürokratie) gegen die Zentralbürokratie.

Ungarn und Polen zeigen nun, daß ein Teil der Zentralbürokratie selbst sich auf die Suche nach Stützen in neuen, kapitalistischen Eigentumsverhältnissen begibt. Hier ist der Prozeß der Umwandlung der Bürokraten in Kapitalisten schon weit vorangeschritten. In Form von Aktiengesellschaften pachten Betriebs- und Staatsbürokraten produktive Betriebe für ein Butterbrot und/oder verkaufen direkt, vorbei an den staatlichen Organen, an die Imperialisten (kürzlich Hungaria an die Münchener Allianz, Tungsram an General Electric usw.; allein 1989 94 teils renommierte Betriebe (FAZ 20.12:89)). Die Rekapitalisierung des polnischen Lebensmittelgiganten Iglopol oder der Verkauf von USAP-Besitz auf dem Budapester Immobilienmarkt durch die Partei-Firma Next 2000 wirbelten in der Öffentlichkeit einigen Staub auf. Darüberhinaus verdienen die Bonzen als Agenten mit, wenn sie bei der Verteilung knapper Güter die neue Bourgeoisie bevorzugen. Diesem Umwandlungsprozeß entspricht politisch die Bildung prokapitalistischer Regierungen, die mit der Auflösung des Außenhandelsmonopols, der Förderung des Privateigentums und der Degradierung der Planungsbehörden zu statistischen Ämtern die Rahmenbedingungen schaffen, die das internationale und entstehende nationale Kapital benötigen.

Obwohl die kapitalistischen Tendenzen in Polen und Ungarn die Grundlagen des Arbeiterstaates tief untergraben haben, ist es zu einem konterrevolutionären Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse noch nicht gekommen; nach wie vor sind diese Länder als Arbeiterstaaten einzuschätzen. Ausgehend von einer großen sozialen Erschütterung diskutierte Trotzki 1933 in Der Klassencharakter des Sowjetstaates die Möglichkeit des Bürgerkriegs: „Die Arbeiter, die die Kontrolle über Staat und Wirtschaft verloren haben, könnten, um sich selbst zu verteidigen, zu Massenstreiks Zuflucht nehmen. Die Disziplin der Diktatur würde gebrochen. Unter dem Druck der Arbeiter und der wirtschaftlichen Schwierigkeiten wären die Trusts gezwungen, das System der Planwirtschaft zu durchbrechen und miteinander zu konkurrieren. Die Erschütterung des Regimes würde natürlich auf dem Lande stürmischen und chaotischen Widerhall finden und unweigerlich auch auf die Armee überspringen. Der sozialistische Staat würde zusammenbrechen; an seine Stelle träte das kapitalistische Regime, genauer gesagt, das kapitalistische Chaos“. Genau vor dieser Situation des Bürgerkriegs mit der Möglichkeit der Zerstörung der Arbeiterstaaten steht die Arbeiterklasse Ungarns und Polens, wenn es ihr nicht gelingt zu kontern.

Eine friedliche Restauration wird es nicht geben, so wenig wie es umgekehrt möglich ist, den Kapitalismus friedlich zu überwinden. Für Leninisten ist der Staat eine besondere Formation bewaffneter Menschen zur Verteidigung bestimmter Eigentumsformen. Zwar hat die Bourgeoisie mit der Bildung der neuen Regierungen einen großen Einbruch erzielt, der Loyalität von Polizei und Armee, des Verwaltungsapparates bis hinunter zu den Kommunen kann sie sich jedoch nicht sicher sein. Der Widerstand nicht nur der stalinistischen „Betonköpfe“, sondern auch der Elemente, die der Arbeiterklasse verbunden sind, muß erst noch gebrochen werden! Im Hintergrund steht die bisher noch wesentlich passiv verharrende Arbeiterklasse, deren wachsende Bereitschaft zum Widerstand bei den Kapitalisten national wie international Nervosität aufkommen läßt. Von ihr wird es entscheidend abhängen, ob die kapitalistische Konterrevolution durchkommt und die Etablierung kapitalistischer Verhältnisse sichert. Deshalb ist die Niederschlagung der Arbeiterbewegung für die Bourgeoisie notwendig!

Polen und Ungarn befinden sich in einer Übergangssituation, oder anders ausgedrückt in der Periode der Vorbereitung des Bürgerkriegs. Die bisher „friedlichen“ Methoden der demokratischen Konterrevolution (Einführung des bürgerlichen Parlamentarismus durch „freie“ Wahlen) reichen nicht mehr aus. Mit Förderung der antisemitischen Katholischen Kirche schießen rechte Parteien bis hin zu faschistischen Terrororganisationen wie Pilze aus dem Boden (taz 09.01.90). Die Polnische Unabhängigkeitspartei, „Kämpfende Jugend“ und die „Kämpfende Solidarnosc“ (unter Führung des „Radikalen“ Gwiazda, dem ehemaligen Liebling der westeuropäischen Linken) überfallen PVAP und andere Arbeiterorganisationen.

Zum Jahresende verordneten die Parlamente beider Länder auf Vorschlag der Regierungen und Geheiß des IWF ihrer Bevölkerung Austeritätsprogramme, die selbst Milton Friedmans oder Thatchers Konzeptionen in den Schatten stellen. In Polen sollen Realeinkommensverluste bis zu 25%, eine astronomische Teuerung und wie in Ungarn Massenarbeitslosigkeit durch Betriebsschließungen hingenommen werden; darüberhinaus der Abbau der „Subventionen“, in Ungarn voran die drastische Erhöhung der Mieten usw. usf.

Dahinter steht das Diktat des IWF und insbesondere des deutschen Imperialismus, den Zugriff zum ungarischen wie polnischen Markt zu erweitern: kurzfristig die Sicherung der Rahmenbedingungen zur Verwertung des Kapitals (Preis- und Währungsreform, Investitionsschutz, Beseitigung der letzten Handelsbeschränkungen etc.); mittel- und langfristig vor allem die Privatisierung und Aufkauf von staatlichen Großbetrieben und Banken. Zentrale Voraussetzung dabei: „Es muß der Regierung gelingen, die Arbeiterschaft in ein Programm einzubinden, das von vielen Opfer verlangt“ (FAZ 08.11.89). Dazu gewähren die Imperialisten „Stabilisierungskredite“ zur Durchsetzung der Schocktherapie (nachdem Ungarn als auch Poleri die Verlängerung der Kreditlinien verweigert wurde und die Zahlungsunfähigkeit drohte). Nemeth erhielt noch eine halbe Milliarde DM drauf als Dank für seine Kollaboration mit dem deutschen Imperialismus zwecks Begünstigung der DDR-Fluchthilfe via Budapest und Erpressung des Honecker-Regimes. Im Dezember überließ er es Kohl und dessen Auftritt vor dem ungarischen Parlament, die „mutigen und weitsichtigen Beschlüsse zur Erneuerung der ungarischen Wirtschaft“ (Kohl) durchzusetzen.

Mit bürgerlich demokratischen Methoden wird der Aderlaß der Bevölkerung nicht zu sichern sein. Die Stärkung bonapartistischer Tendenzen sind unübersehbar. Nemeth verließ vorsorglich das USP-Präsidium, Geheimpremier Walesa wollte seinen Strohmann Mazowiecki mit Sondervollmachten ausgestattet sehen.

Fällig ist jetzt die Antwort des ungarischen und polnischen Proletariats, die bürgerliche Offensive zu stoppen und damit ein Zeichen gegen die Rechtsentwicklung in ganz Osteuropa zu setzen. Die Mobilisierung zur Rücknahme der Austeritätsprogramme muß zum Läuten der Sturmglocken für den Sturz der Regierungen Mazowiecki und Nemeth/Poszgay werden. 1985 schrieben wir zu Polen: „Ausgangspunkt einer revolutionären Arbeit muß der konsequente Bruch mit der Solidarnosc-Tradition sein“. Jeder Tag einer Mazowiecki-Regierung wird hierfür Möglichkeiten liefern, den noch vorhandenen Einfluß von Solidarnosc bei den polnischen Arbeitern durch anschauliche Beispiele zu eliminieren. Nur der erbarmungslose Kampf gegen den stalinistischen Ausverkauf wird verhindern, daß die Arbeiterklasse erneut betrogen wird. Die aufzubauende trotzkistische Arbeiterpartei in Polen und Ungarn mit der Zielsetzung der revolutionären Räteregierung wird in ihr Programm den Grundsatz zu verankern wissen: Die Verteidigung, die Beibehaltung der Enteignung der Kapitalistenklasse ist nur möglich durch die politische Zerstörung des Stalinismus.

Die Agonie der Linken in BRD und DDR

Der Bankrott des Stalinismus hat die Offensive des Imperialismus nur verstärkt, auch in der BRD und DDR führt sie zu einem zunehmenden Rechtstrend. Nach jahrzehntelangem sich ergänzenden Verrat von Sozialdemokratie und Stalinismus erscheint die westdeutsche Arbeiterbewegung fest im Griff der SPD, die ostdeutsche ist desorientiert gegenüber den Angriffen der Konterrevolution.

In der DDR trat die Vereinigte Linke (VL) als Sammelbecken der Verteidiger des „gesellschaftlichen Eigentums“ an und — kapitulierte innerhalb weniger Wochen. Die politische Heterogenität der VL nutzte eine Gruppe „neuer“ Wendehälse, die Zusammenarbeit mit alten „Demokraten“ nahezu unkontrolliert weiter auszubauen. Auf ihrem l. Kongreß setzten sich die Anhänger des bürgerlichen Parlamentarismus mit ihrem Beschluß zur Teilnahme am Runden Tisch durch, während die versprengten konfusen „Rätedemokraten“ weiter mitmachten — um Schlimmeres zu verhindern. Nur folgerichtig führte dieser Verrat auch zur Linienänderung vom Werktätigen- zum Volkskongreß, bei dem nun alle VL-Strömungen angetreten sind, die Kollaboration mit den bürgerlichen Kräften durch „Rundtischgespräche“ auch in den Betrieben populär zu machen. Zur Schaffung einer „demokratischen Volksmacht“ dächte man zu Anfang an den Dialog, sprich Zusammenarbeit mit der SED am Runden Tisch. Aber als die bürgerlichen Kräfte dort das Heft in die Hand nahmen, hielten die VL-Vertreter mit; der überraschten Mitgliedschaft präsentierten sie einen Wahlblock mit DA, SDP u.a. Das darauffolgende Dementi schloß dennoch ein gemeinsames Bündnis mit diesen Kräften nicht aus, sondern machte dies vom Inhalt der Wahlplattform abhängig. Sollte immer noch nicht klar sein, was allen voran die SPD will? Der Restlinken in der Vereinigung nach rechts müßte es nun langsam mulmig werden, da die objektive Funktion der VL immer klarer wird: Organisierung subjektiv sozialistischer Elemente für das deutsche Kapital.

Die reale Gefahr der BRDigung der DDR hat die Demoralisierung und Rechtsentwicklung im Westen nur noch vertieft. Während der SE4J-Vorstand die Auflösung der Organisation empfiehlt, glauben die Betonköpfe der DKP allen Ernstes von der Entwicklung in der DDR verschont zu bleiben. Die generelle Richtung des europäischen Stalinismus ohne Macht ist klar: Vorwärts zur Sozialistischen Internationale Willy Brandts. Politisch den Halt am (halben) Vaterland verloren, bereiten den Westdeutschen die SED-Subventionskürzungen den organisatorischen Garaus: Und kein Phönix aus der Asche ist in Sicht — im Gegenteil: Der einstige Hoffnungsträger eines geläuterten, linken BRD-Stalinismus, Prof. Fülberth, wird zur Übelkrähe des historischen Pessimismus. Der Kapitalismus sei noch jung, nicht ausgeschlossen seine weitere Lebensdauer von Jahrhunderten, meint dieser „negative Patriot“ (UZ 05.01.90) — und das nach zwei barbarischen Weltkriegen und der Möglichkeit eines dritten, endgültigen. Die Oktoberrevolution wird von ihm neu definiert: ein „Abfallprodukt“ innerimperialistischer Auseinandersetzungen, darüberhinaus Lenins Komintern: ein „Revolutionshaufen“. Sozialismus gerät Fülberth zum platonischen „Prinzip der Gegenwehr“, wobei sich seine „Strategie der gezielten Negation“ auf Klassenkampf à la Honecker reduziert: Anerkennung der „Eigenstaatlichkeit der DDR“. Auch für ihn steht die DDR am Scheideweg, entweder vorwärts zum Sozialismus oder zurück in den Kapitalismus — für Fülberth aber nur eine rhetorische Frage, denn in der aktuellen „5. Periode des Kapitalismus“ hat letzterer den Sieg davongetragen. Was noch nicht einmal für die deutschen Imperialisten erledigt, ist für Fülberth und seine Freunde in der „Radikalen Linken“ schon beschlossene Sache: „DDR ade!&dquo; — an der DDR gäbe es nichts zu verteidigen. Und überhaupt: Staatskapitalismus existiere seit 1945 in der DDR. War und ist Fülberth also ein Ideologe der (Staats-)Kapitalisten?

Über die politisch interessierte, aber unerfahrene DDR-Arbeiterklasse und -Linke ergießt sich jetzt eine Flut trotzkoider Propaganda, die über die in der westlichen Isolation erlittenen Gebrechen hinwegtäuschen soll. Die Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) hat ältere Urheberrechte auf die Theorie des Staatskapitalismus als Fülberth. Schon zu Anfang der 50er Jahre, während des Bürgerkriegs in Korea und Beginn des Kalten Krieges, zog die britische Gruppe um Cliff, dem Mentor der SAG, es vor, lieber Trotzkis Position der militärischen Verteidigung der Arbeiterstaaten zu kippen als dem imperialistischen Druck zu widerstehen. Die SAG kann sich nicht erklären, warum die stalinistischen Bürokraten als vermeintliche Klasse nicht einheitlich und sofort auf die Seite der Bourgeoisie übertreten, ja die DDR überhaupt noch existiert. Ihr antikommunistisches Leitmotiv „Weder Washington noch Moskau“ muß besonders perfide in den Ohren deutscher Internationalisten klingen, da es den BRD-Imperialismus zur Bananenrepublik herunterspielt und so dem deutschen Nationalismus Tür und Tor öffnet.

Die Gruppe Arbeitermacht (GAM), Sektion der Liga für eine Revolutionäre Kommunistische Internationale (LRI:I), entstanden aus einer Abspaltung der Cliff-Gruppe, wiederholt zwar formal Trotzkis Einschätzung des Stalinismus, aber ihre vermeintliche Taktik „positiv an den widersprüchlichen Arbeiterforderungen anzusetzen“ führt sie immer wieder zur Kapitulation vor rückständigem Bewußtsein in der Arbeiterklasse. Zur Illustration: Statt den Kampf gegen Illusionen in den Parlamentarismus, für Räteherrschaft contra Volkskammer zu organisieren, tritt die LRKI für „Massenversammlungen, jährliche Wahlen und Abwählbarkeit“ ein, um die Gefahren des bürgerlichen Parlamentarismus auf ein Minimum zu reduzieren. Räteprinzipien auf der Grundlage des bürgerlichen Parlamentarismus! Weil sie dem bürgerlichen Druck nachgeben und sich nicht isolieren wollen, wo man sich isolieren muß, vermischen diese Mobilisierungstechniker was Lenin entgegen ähnlicher Versuche Kautskys scharf getrennt wissen wollte. Die GAM möge linken DDR-Arbeitern doch einmal erklären, warum sie in der DDR für unabhängige Arbeiterkandidaten gegen die sozialdemokratische Gefahr eintritt, aber schon jetzt weiß, daß sie’in der BRD Ende 1990 (wie schon immer) zur Wahl der SPD aufrufen wird.

Die gleichen reformistischen Appetite verspürt auch die „IV. Internationale“

Mandels, die allerdings Trotzki nicht mehr allzuoft im Munde führt. „Populär — hinterher“, diese Methode führt Mandel heute dazu in der FDJ-Zeitung Junge Welt (15.11.89) Glasnost zu verteidigen, während seine Organisation als Eintrittsbillet in die baltischen Volksfronten das Andenken estnischer Faschisten hochhält (International Viewpoint 169). In der BRD vereinigte sich die deutsche Sektion mit den Staatskapitalisten der ex-maoistischen KPD zur Vereinigten Sozialistischen Partei (USP), deren schlabberige Linie zur DDR H.J. Schulz umschreibt mit „Hände weg von der DDR! Eine revolutionäre (!) demokratische Bewegung wie die in der DDR muß bedingungslos (!) unterstützt werden — was solidarische Kritik nicht ausschließt“ (SoZ 23.11.89). Zu dieser Unterstützung der demokratischen Konterrevolution paßt ihre politische Solidarität mit der VL.

In unserer Kritik der VSP-Gründung 1986 verwiesen wir auf den revisionistischen Ursprung der aktuellen Politik der Kinder Mandels. Die von Trotzki 1938 gegründete IV. Internationale, dezimiert und isoliert nach dem II. Weltkrieg, wurde 1951 durch den Pabloismus politisch zerstört. Die Mehrheit um Pablo und Mandel prophezeiten den III. Weltkrieg und Jahrhunderte deformierter Arbeiterstaaten, in denen für den Aufbau unabhängiger trotzkistischer Parteien weder Zeit noch Platz sei. Sie lösten ihre Sektionen zugunsten von „Strömungen“ in stalinistischen, sozialdemokratischen und kleinbürgerlichen Parteien auf, um diese nach links zu drängen. Die heterogene Minderheit um das Internationale Komitee (IK) hielt zwar formal am Aufbau trotzkistischer Parteien fest, pflegte aber selbst pabloistische Nachtrabpolitik. Ihre hohle Orthodoxie konnte keine Alternative zu Mandel bieten. Eine ihrer zentralen Entgegnungen war die These vom durch und durch konterrevolutionären Charakter der stalinistischen Bürokratie, deren Anwendung der Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA), einer der IK-Wurmfortsätze, so anschaulich demonstriert: „Kämpft gegen die Verschwörung von Modrow und Kohl“ ist seine Linie, wobei er den widersprüchlichen Charakter der Bürokratie negiert und von vornherein einen militärischen Block mit ihr gegen konterrevolutionäre Kräfte ausschließt. Die Stellung der Bürokratie ist jedoch abhängig von proletarischen Eigentumsformen, so daß an bestimmten Punkten Arbeiter- und Bürokrateninteressen zusammenfallen. Modrow ist noch nicht Einkäufer sondern reaktionärer Ausverkäufer an das Kapital. Der blinde Stalinhaß treibt den BSA auf die Seite der bürgerlichen Opposition, wenn er die faschistische Gefahr in der DDR als SED-Betrugsmanöver herunterspielt und die Organisierung der Treptower antifaschistischen Kundgebung mit 250.000 Teilnehmern sabotierte. Mit Mandel teilt er das Hurra über die objektive Dynamik von Massenkämpfen, die Organisierung der Konterrevolution in Leipzig und Dresden wird vom BSA verschwiegen.

Auch für die TLD/IKL, die sich in die IK-Tradition einreiht, hat die proletarische politische Revolution in der DDR begonnen und wie der BSA hält auch sie die SPD/DDR für eine kleinbürgerliche Partei. Im Gegensatz zum BSA knüpft die IKL jedoch an der stalinophilen Seite des Pabloismus wieder an. In ihrer Propaganda umgeht sie Modrow und schont Gysi: bei ihrer Aktionsbeteiligung in Treptow kein Sterbenswörtchen zur Politik der Regierung Modrow, die den Faschisten den Boden bereitet sowie nichts gegen die Unterstützung des Ausverkaufs durch die SED/PDS-Führung. Diese Stalinophilie impliziert möglichen Streikbruch berechtigter ökonomischer Abwehrkämpfe. Mit ihrem Zweckoptimismus unterschätzt sie das Ausmaß der konterrevolutionären Gefahr, das gerade durch die in der DDR weitverbreiteten Illusionen in die SPD zum Ausdruck kommt.

Die revisionistischen DDR-Interventionen der Organisationen, die sich auf den Trotzkismus berufen, zeigen auch die Notwendigkeit, im aktuellen Tageskampf bis auf die Wurzeln der Zerstörung der IV. Internationale zurückzugehen. Das Festhalten am und die Weiterentwicklung des trotzkistischen Programms ist Voraussetzung der revolutionären Umgruppierung der Arbeiterklasse in der DDR und BRD wie in der gesamten internationalen Arbeiterbewegung, um Desorientierung und Fatalismus zu überwinden, den Reformismus stalinistischer und sozialdemokratischer Art zu zerstören, um dem Imperialismus endgültig den Kopf abzuschlagen.