Beilagen-Kreis im Radius der SPD – Denn sie wissen, was sie nicht tun
Denn sie wissen, was sie nicht tun
„Marxisten beginnen immer mit dem Programm. Sie scharen ihre Anhänger um dieses Programm und erziehen sie im Verlauf des Kampfes in dessen Sinn. Die politischen Siege der Marxisten sind immer in erster Linie Erfolge ihres Programmes“, schreibt James P. Cannon in Der Kampf für eine proletarische Partei, herausgegeben von der Gruppe Internationale Marxisten.[1]
„Schließlich ist der KPD auch darin zuzustimmen, daß Rückgriffe auf die Geschichte – z.B. der Sowjetunion – nicht Teil des Programms zu sein brauchen, wenn die entsprechenden Einschätzungen kontrovers sind …“ (ZK-Resolution der GIM vom 16.06.85).[2]
Die geplante Fusion GIM-KPD hat mit dem Kampf für eine proletarische Partei nichts gemein; die rechte Soße der Vereinigungs-Mahlzeit beider Organisationen wirft vielmehr aufs Neue die alte Frage auf: Was hat die GIM mit Trotzkismus zu tun?
Während die Genossinnen und Genossen dieser Gruppierung mit funkelnden Augen der hehren Zukunft einer sozialistischen Arbeiterpartei entgegensehen, wagen wir einen Blick zurück auf Geschichte und Methode dieses „,Trotzkismus“, da wir die von der GIM konstatierte „,Aufbruchstimmung“ nicht zu teilen vermögen. Aufbruchstimmung war in dieser Gruppe schon immer vorherrschend, nämlich Aufbruch weg vom revolutionären Programm und hin zu „,neuen Realitäten“, „,objektiv anti-kapitalistischen Bewegungen“ und immer wieder zum Reformismus alter Schule. Die Unterstützung der konterrevolutionären Solidarność in Polen, das Hinterherlaufen hinter SPD und DGB-Bürokratie, Anleihen an neulinke Politik, kurz: Das Suchen nach Ersatzlösungen für den Aufbau der leninistischen Partei markiert das Erscheinungsbild der GIM und damit die Grundlage der anstehenden Fusion mit der KPD.
Diese Suche nach Abkürzungen, statt Verankerung der Kaderpartei im Proletariat, den schnellen Masseneinfluß auf Kosten des revolutionären Programms zu bekommen, geschieht nach dem Prinzip: Populär – hinterher! Und diese Methode ist die einzig lebendige Tradition der GIM (und ihrer Vorläuferorganisation, der deutschen Sektion des Internationalen bzw. Vereinigten Sekretariats der IV. Internationale). Egal, ob Sozialdemokratie, koloniale Revolution, Studenten- oder Frauenbewegung, im Nu werden Programmverschnitte jenseits des Trotzkismus aus der Tasche gezogen, die es den Genossen ermöglichen, wie ein Fisch im Wasser der Bewegung mitzuschwimmen.
Diese Methode – nach ihrem Protagonisten M. Pablo innerhalb des Internationalen Sekretariats (IS) Pabloismus benannt – besteht darin, dem „,objektiven Prozeß“ der Dinge, der ihnen innewohnenden „,Dynamik“ den absoluten Vorrang vor solchen Banalitäten des subjektiven Faktors wie Klassenbewußtsein und Avantgardepartei zu geben.
Es handelte sich bei der Entstehung des Pabloismus innerhalb der IV. Internationale im wesentlichen um einen revisionistischen Reflex auf die der eigenen politischen Prognose entgegenlaufenden gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg: die Konsolidierung des Imperialismus, Stärkung des Stalinismus bei gleichzeitigem Ausbleiben bzw. Niederschlagen der revolutionären Erhebung und damit weitgehender Isolierung der eigenen Parteien.
Der Anfang der 50er Jahre stattfindende innerparteiliche Kampf gegen die Kapitulation vor klassenfremden Kräften, wie sie von Pablo vertreten wurde, endete mit dem Sieg der Führungsclique Pablo-Mandel-Frank und der programmatischen Zerstörung der IV. Internationale 1953. Die heterogene Opposition gegen den Pabloismus bestand im Kern aus den Mehrheiten der französischen, britischen und amerikanischen Sektionen der Internationale, die sich als Internationales Komitee konstituierten. Sie zerbrach in dieser Form 1963, als die amerikanische SWP zurück zum IS fand und vor allem über eine gemeinsame politische Kapitulation vor dem Castroismus das Vereinigte Sekretariat (VS) gegründet wurde.
Zu Beginn der 50er Jahre konstatierte die damalige Führung der Internationale das unmittelbare Bevorstehen des in die Revolution umschlagenden Dritten Weltkrieges und die Notwendigkeit einer ganzen historischen Etappe deformierter Arbeiterstaaten. Die Sowjetbürokratie würde nämlich unter dem Druck der Ereignisse zu revolutionären Maßnahmen gezwungen und der Kampf der Massen gegen den Imperialismus unter Führung der stalinistischen Parteien stattfinden. Aufgabe der Trotzkisten in dieser Art Klassenkampf, der sogenannten „,Kriegsrevolution“ – Imperialismus contra deformierte Arbeiterstaaten – könne es nur sein, zusätzlichen Druck auf den Stalinismus auszuüben; die Dynamik der Realitäten ließe diesen ohnehin wieder zum revolutionären Faktor werden. „,Die Zersetzung des Stalinismus innerhalb dieser Parteien sollte nicht als organisatorische Auflösung … oder als ein offener Bruch mit dem Kreml, sondern als eine fortschreitende interne Umwandlung verstanden werden“, schrieb das IS im September 1953.[3]
Mandel konkretisierte diesen Objektivismus, der den maoistischen Genossen besser vertraut sein dürfte unter dem Motto „,Die Haupttendenz in der Welt ist Revolution!“, im gleichen Jahr wie folgt: „,Für uns bestimmt sich die Natur einer Periode nicht in erster Linie durch die Führung der Massenbewegung, sondern durch deren Ausmaß … Auf Weltebene entwickeln sich die Kräfteverhältnisse mehr und mehr zuungunsten des Kapitalismus“.[4] Er verbringt seitdem einen Großteil seiner Zeit damit, diese unterstellte Entwicklung durch jeweils wechselnde und sich widersprechende, jedenfalls die aktuelle Stimmung ausdrückende Wirtschaftstheorien zu belegen.
Organisatorisch führte das „,Sich-Eingliedern“ in den objektiven Prozeß zum Abtauchen der Sektionen des IS in die stalinistischen bzw. sozialdemokratischen Massenparteien, zum sogenannten „,Integrationsentrismus“.
In Deutschland ging dieser Periode ein Intermezzo voraus, das in einer Reihe von Punkten an den heutigen Fusionsprozeß GIM-KPD erinnert: die Gründung der Unabhängigen Arbeiterpartei (UAP) 1951.
Der rapide Zerfall der KPD führte kurzfristig zu dem Phänomen einer titoistischen Strömung, die zusammen mit der deutschen Sektion des IS, das auch international auf Titos „,unbewußten Trotzkismus“ setzte, sich Ostern 1951 zur UAP konstituierte. Weit entfernt davon, diese Partei mit dem Trotzkismus zu konfrontieren, beteiligte sich die deutsche Sektion vielmehr maßgeblich an deren Aufbau. Der programmatischen Auseinandersetzung – vor allem um die Einschätzung der Sowjetunion – ging man bewußt aus dem Weg, um die wacklige Einheit mit der titoistischen Position des Staatskapitalismus (um die Gruppe Fischer und Leonhardt) nicht zu gefährden. Zentral erschien den Gründungsmitgliedern nämlich ihre Funktion als Sammelbecken linker Kräfte gegen die „,traditionelle SPD und KPD“. Die in Grußadressen der IV. Internationale als „,Wiedergeburt der deutschen Arbeiterbewegung“ gefeierte Partei erwies sich als extrem kurzlebiger Reinfall: Ostern 1951 gegründet, stellte sie Weihnachten des gleichen Jahres das Erscheinen ihrer Zeitung ein, um wenig später ganz von der politischen Bildfläche zu verschwinden.
Daß die russische Frage alles andere als ein Streit um Worte ist, wurde in dem knappen Jahr der UAP-Existenz deutlich. Die Partei nahm entsprechend der pro-imperialistischen Wende der Belgrader Außenpolitik eine neutrale Position zum Korea-Krieg ein, erklärte den Westen für verteidigenswert und unterstützte schließlich – nach dem Ausschluß der Trotzkisten im August 1951 – die Wiederaufrüstungsbestrebungen des deutschen Imperialismus.
Diese „,sozialistische Alternative“ der 50er Jahre unter bewußter Ausklammerung bestehender programmatischer Differenzen wurde nicht zum Magneten für heimatlose Linke und Teile der Arbeiterklasse, sondern landete schnell beim alten Eisen.
Nach dem UAP-Debakel orientierte sich die Sektion auf die Sozialdemokratie. Die Bedingungen entristischer Arbeit wurden vom IS umrissen: „,Die Tätigkeit unserer Mitglieder in der SP wird durch folgende Richtlinien geregelt sein: A. Nicht als Trotzkisten unser vollständiges Programm vorlegen. B. Prinzipienfragen und programmatische Fragen nicht in den Vordergrund schieben“.[5]
Die Umsetzung dieser Politik für die deutsche Sektion bestand im Verschwinden in der SPD, der Übernahme der syndikalistischen Zeitschrift pro und contra, später der Mitherausgabe der Sozialistischen Politik, um Einfluß auf linke Gewerkschafter und Sozialdemokraten auszuüben. Wie weit die Anpassung ging, wird deutlich, wenn man die Anleitung der deutschen Sektion sieht, in der SPD das Wort „,Arbeiterklasse“ nicht in den Mund zu nehmen, sondern zwecks Unauffälligkeit nur von „,Arbeitgebern und -nehmern“ zu sprechen.
Von den „,neuen Realitäten“, der „,Kriegsrevolution“ etc. fand sich in den Publikationen kein Wort. Die ganze These der „,Kriegsrevolution“ wurde mit der Zeit unhaltbar, und 1957 nahm man sang- und klanglos Abschied von ihr. Die ursprünglich taktische Konsequenz – eben der Entrismus innerhalb der reformistischen Massenparteien – wurde jedoch beibehalten und geriet selbst zur strategischen Konzeption: Man blieb in der Sozialdemokratie. Die einzige „,neue Realität“, die diese gut 15 Jahre dauernde Einigelung in der SPD brachte, bestand in der Ausbildung einer Handvoll linker Sozialdemokraten und der Diskreditierung des Trotzkismus.
Ende der 50er Jahre und in den 60er Jahren wurde der „,unaufhaltsam fortschreitende Prozeß“ der Revolution unter dem Eindruck des kubanischen und algerischen nationalen Befreiungskampfes in die Kolonialrevolution verlegt.
Kuba und Algerien waren für das IS gewissermaßen das Nicaragua der 60er Jahre. Die militärische Unterstützung kleinbürgerlicher Befreiungsbewegungen gegen den Imperialismus wurde eingetauscht gegen eine vollkommene politische Unterstützung Castros und Ben Bellas. Die Führer des Konglomerats der angeblichen IV. Internationale fungierten als politische Berater in Havanna und Algier.
Die richtig erkannte Enteignung der kubanischen Bourgeoisie wurde der Ausgangspunkt zur Schaffung des Vereinigten Sekretariats auf der revisionistischen Grundlage, den lider maximo zu lobpreisen, ungeachtet der Unterdrückung der eigenen Partei auf Kuba.
Der unter außergewöhnlichen historischen Umständen von einer kleinbürgerlichen, nationalistischen Guerillabewegung errichtete deformierte Arbeiterstaat Kuba wurde für das VS zum revolutionären Modellfall: „,In ihrem Fortschreiten in Richtung auf den revolutionären Marxismus stellt die (castroistische) Bewegung des 26. Juli ein Modell dar, das einer Anzahl anderer Länder als Vorbild dient“, erklärten die vereinigten Sekretäre und gaben sich castroistischer als Castro selbst.[6]
Diese Kapitulation vor klassenfremden Kräften führte dazu, die revolutionären Aufgaben weltweit sowohl an stalinistische Parteien als auch an nationalistische Befreiungsbewegungen zu delegieren. Die Perspektive der permanenten Revolution, die unmittelbare Verknüpfung der Lösung der demokratischen und nationalen Aufgaben mit der Errichtung der Diktatur des Proletariats als Führer der unterdrückten Nation und ihrer Bauernmassen, wurde von der Notwendigkeit der revolutionären Avantgardepartei getrennt. Die lateinamerikanischen Sektionen wurden in die Guerilla geschickt; die Stalinisten Castro, Ho Tschi Minh und Mao Zedong zu „,unbewußten Trotzkisten“ aufgebaut.
So charakterisierte das VS die Pekinger Bürokratie als „,zentristische Führung, die mit dem Stalinismus gebrochen hat, diesen Bruch aber nicht theoretisch verarbeitet hat“, um in ihrem Nachruf 1976 Mao als „,die bedeutendste Persönlichkeit der Weltrevolution seit Lenin und Trotzki“ einzuschätzen.[7][8]
Die „,vietnamesische Führung als ganze hat die entscheidenden Implikationen der permanenten Revolution für koloniale und semikoloniale Länder assimiliert“, so ein Cheftheoretiker der französischen VS-Sektion 1973 ; dito Kuba, wo Castro und Guevara von Beginn an Marxisten waren, die auf „,empirische Weise“ die Theorie der permanenten Revolution angewandt haben.[9]
Grundlage dieses objektivistischen Revisionismus gegenüber (bewaffneten) stalinistischen Parteien war die bekannte „,Dynamik des objektiven Prozesses“, die die permanente Revolution notgedrungen verwirklicht.
Die kubanischen und vietnamesischen Genossen wurden von dieser Internationale ebenso verraten und verkauft, wie schon 1953 die von Mao Zedong blutig verfolgten chinesischen Trotzkisten, die vom IS als „,Flüchtlinge vor der Revolution“ abgestempelt und ihrem Schicksal – Kerker und Ermordung – überlassen wurden.
Permanente Revolution, Parteifrage und politische Revolution gegen die stalinistischen Bürokratien in deformierten Arbeiterstaaten – allesamt Kernpunkte des trotzkistischen Programms – wurden auf dem Altar der Anpassung an herrschende Strömungen, wie z.B. gegenüber der maoistischen Dominanz innerhalb der westdeutschen Linken, geopfert. Es bedurfte erst des kriminellen Überfalls von KPD und KPD/ML auf die Westberliner GIM 1975, damit im GIM-Jargon aus den „,Linkszentristen“ „,Mao-Stalinisten“ wurden.
Es sei hier nur am Rande vermerkt, daß die logische Konsequenz dieses Objektivismus mit zwingender Notwendigkeit das VS immer vor das gleiche Problem stellt, die eigene Existenz als organisierte Kraft innerhalb der Arbeiterbewegung zu begründen! Und immer wieder ziehen Sektionen des VS genau den Schluß, in der Bewegung, dem Prozeß ganz aufzugehen und ihrer internationalen Organisation den Rücken zu kehren.
Doch zurück zur GIM-Vorläuferin: Das Abwandern des SDS und der Ostermarschbewegung von der SPD konnte selbst der deutschen Sektion nicht entgehen. Anstatt jedoch polarisierend in das sich bildende linke Milieu einzugreifen, um potentiell revolutionäre Kräfte zu gewinnen, bemühte man sich in der Bewegung „,den allzu starken Einfluß kleinbürgerlicher und pazifistischer Tendenzen, die von der KPD gefördert wurden, zurückzudrängen und sozialistische Perspektiven in die Bewegung hineinzutragen“, so der ehemalige Vorsitzende der deutschen Sektion Jungclas.[10]
Die Bewegung zu modeln war auch Zielsetzung in Hinblick auf die sich auflösende APO Ende der 60er Jahre. In der Studentenbewegung sah man den Bündnispartner per se, mit dessen Hilfe Arbeiterklasse und Kolonialrevolution den Imperialismus schlagen würden.
Der Entrismus in der SPD wurde aufgegeben; nach einer Spaltung der Sektion durch die Konstituierung der „,Gruppe Internationale Marxisten“ (GIM) 1969 wurde Kurs auf das Milieu außerhalb der SPD – die APO – genommen. Die ein Jahr zuvor erschienene Was Tun versuchte sich als eine Art Gemeinsame Beilage mit Teilen des SDS; so finden sich Semler und Dutschke im Impressum der Was Tun. Die GIM steuerte nicht gegen die sich bildenden maoistischen Organisationsansätze, sondern lief hinter Kulturrevolution und „,Roter Universität“ her.
Mit dem Abflauen der Studentenbewegung nahmen Mitte der 70er Jahre andere kleinbürgerliche Bewegungen (wie Frauen- und Anti-AKW-Bewegung) und linke Strömungen den Platz der „,neuen Avantgarde mit Massencharakter“ ein; deren Kennzeichen: objektiver Anti-Kapitalismus.
Diese Schablone, sowohl „,Neues“, „,Massen“ als auch „,Avantgarde“ in einem objektiv gegen den Kapitalismus gerichteten Prozeß umfassend, sorgte für die ideologische Auffrischung des Pabloismus – konnte man doch alles und jedes darunter verstehen. Formell warnte das VS vor dem kleinbürgerlichen Charakter der „,neuen Massenavantgarde“ und betonte die Führung der Arbeiterklasse; in der Realität kapitulierte man jedoch vor klassenfremden Kräften nach dem Motto „,Jedem seine eigene Avantgarde!“.[11]
So sah und sieht das VS z.B. im Marxismus und Feminismus komplementäre, sich gegenseitig ergänzende Bewegungen. Die Frauenbefreiung wurde nicht als Teil des Kampfes für die sozialistische Revolution verstanden, der sich auch gegen Ideologie und Bewegung des Feminismus richten muß. Voraussetzungen hierfür sind ein kommunistisches Programm zur Frauenbefreiung und entsprechende Parteistrukturen, um eine kommunistische Frauenbewegung als Teil der revolutionären Bewegung aufzubauen. Umgekehrt das VS: Der Pabloismus erklärte die konsequenteste feministische Ideologie zur revolutionären Doktrin und setzte die „,feministische Revolutionierung der bolschewistischen Parteikonzeption“ auf die Tagesordnung. Innerhalb verschiedener VS-Sektionen wurden „autonome Frauengruppen“ gebildet, welche sich vorwiegend mit der (sicherlich berechtigten) Kritik an den eigenen chauvinistischen Genossen beschäftigten.
Die Partei wurde zu einer Föderation verschiedener Interessensgruppen heruntergekocht und die Dominanz des revolutionären Subjekts Arbeiterklasse verkam zur puren Deklamation.
Auch die heutigen GRÜNEN-Fans der GIM können auf die „,neue Massenavantgarde“ zurückgreifen. Um den Anschluß an die sich formierenden Bunten und Grünen Listen nicht zu verpassen, betonte man den objektiv anti-kapitalistischen Charakter der Anti-AKW-Bewegung, proklamierte die Wahlunterstützung kleinbürgerlicher „,Bunter Listen“ und kam bei der Blockbildung mit Resten des Feudalismus an: „Zur Zeit steht nicht die Enteignung des Grafen (von Gorleben) auf der Tagesordnung, sondern die Verhinderung einer Wiederaufbereitungsanlage in Gorleben und anderswo“.[12]
Ende der 70er Jahre nahm die Popularität vieler neulinker Marotten und Bewegungen ab, und die GIM brach nach einer Reihe von Abspaltungen und Ausschlüssen zur Wiederentdeckung der Arbeiterklasse auf: Proletarische Wende und sozialistische Alternative wurden proklamiert.
International war schon die Parole durch Mandel ausgegeben worden, zum Sammelbecken des linken Gesamtsumpfes zu werden: „,Meiner Meinung nach liegt die Zukunft der revolutionären Bewegung in der Art von Gruppen, die offener sind als die, die sich trotzkistisch nennen. Gruppierungen allerdings, die sich mit Sektionen der Vierten Internationale vereinigen“.[13]
Dieser kurze Rückblick auf die Geschichte der GIM, der nicht alle Facetten dieser bunt schillernden Organisation beschreiben konnte, verdeutlichte die Methode des Pabloismus, nämlich: „,Hauptsache ist in jedem Fall Massenaktion und Massenmobilmachung, um die Dynamik der Selbsttätigkeit und der kollektiven Aktivität zu entfalten“.[14] Anders ausgedrückt: Die Bewegung ist alles – das Ziel ist nichts!
Wie schon erklärt, ist die russische Frage kein professoraler Streitpunkt, sondern für revolutionäre Politik hier und heute von zentraler Bedeutung. GIM und KPD klammern diese Frage bewußt aus ihrem Fusionsprozeß aus. Den realistischen Einschätzungen der beiden Führungen kann man nur zustimmen: „,Daß die feststellbaren Differenzen in diesen Fragen im Fortgang der programmatischen Diskussion durch ‘theoretische Klärung’ völlig verschwinden, ist eine unrealistische Erwartung In der politischen Praxis erscheint die Gemeinsamkeit von GIM und KPD etwa in der Kritik der Sowjetunion und des Warschauer Paktes eher stärker als in den vorliegenden schriftlichen Beiträgen“, so das Politbüro der KPD.[15]
Und die GIM ist ebenfalls der Meinung, „,daß wir bereits jetzt in der Lage sind, in einem Programm zu gemeinsamen und tragfähigen Formulierungen bezüglich der Charakterisierung dieser Gesellschaften, der Unterstützung der demokratischen und sozialistischen Opposition, der Notwendigkeit einer revolutionären Beseitigung der bürokratischen Diktatur und der Notwendigkeit einer sozialistischen Demokratie zu gelangen“.[16]
Abgesegnet wurde diese „,tragfähige Praxis“ in der gemeinsamen Unterstützung der konterrevolutionären Solidarisch in Polen, zu der man sich vereint mit den Rechten auf die Straße begab. So mobilisierte im Dezember 1981 die Westberliner GIM u.a. mit dem reaktionären Klub Polski, der unter der Parole „,Rote Schweine raus aus Polen!“ aufmarschierte, und verdeutlichte ihre Einschätzung der Sowjetunion: „,Die Welt der Honecker und Schmidt, der Wall Street und des Kreml ist eine Welt: eine Welt, die auf der ökonomischen Ausbeutung und politischen Unterdrückung der Arbeiterklasse, auf der Aneignung des gesellschaftlichen Reichtums und der Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel durch die herrschenden Klassen oder staatlichen Bürokratien basiert“.[17]
Dieses Weltbild ist bestimmend für die Politik des VS. Es schließt natürlich theoretische Reminiszenzen an den Trotzkismus mit ein. So warnen in der Gemeinsamen Beilage 2/85 GIM-Genossen vor der Möglichkeit, daß sich in der UdSSR und anderen deformierten Arbeiterstaaten Markttendenzen zur Abschaffung der zentralen Planung bis zur Restauration des Kapitalismus geltend machen können. Dies wäre der Fall, wenn die einzelnen Betriebe über Investitionen, Preise und Löhne bestimmen könnten und Rück- und Zuflüsse der Kapitalien vermittels eines Marktes über das wirtschaftliche Wachstum entscheiden würden. Die Genossen „,übersehen“ bei ihren Ausführungen nur, daß sie hier das originäre Solidarisch-Programm für Polen beschreiben. Dieses stellte sich den Weg zur sozialen Konterrevolution in Polen genau vor über den Mechanismus „,sozialistische Marktwirtschaft“ (kombiniert mit der Öffnung gegenüber dem Internationalen Währungsfonds).[18]
Eine marxistische Analyse der Sowjetunion ist Voraussetzung kommunistischer Politik in der BRD. Wie weit die GIM in ihrer opportunistischen Kapitulation vor sozialdemokratischen Einflüssen schon gesunken ist, wird gerade deutlich in ihren Anbiederungsversuchen an die KPD, „,das Gemeinsame“ in der Sowjetunion-Analyse hervorzuheben: „,Wir stimmen beispielsweise mit der KPD-Argumentation überein, daß bei der Charakterisierung der RGW-Staaten der Begriff ‘Ausbeutung’ durchaus verwandt werden kann, da es korrekt ist, – z.B. analog der Sklavenhaltergesellschaft – daß die hier herrschende Bürokratie sich mittels Aneignung eines Teils des Mehrprodukts als Schicht (Klasse) reproduziert“.[19] Schicht oder Klasse? Historische Errungenschaft trotz Bürokratie oder „eine Welt“?
„Diese Charakterisierung der Bürokratie als soziale Schicht und nicht als Klasse ist kein einfacher Streit um Worte. Sie ist entscheidend wichtig für das richtige Verständnis der revolutionären Möglichkeiten der internationalen Arbeiterbewegung und ihrer Bindungen an die Bürokratie“ (Mandel).[20] Das ist korrekt; Mandel und seine GIM landen jedoch in der Praxis beim bloßen Streit um Worte, in die man dann nur noch sein reformistisches Programm einpacken muß.
Um sich für die Friedensbewegung zu rüsten, warf die GIM bereits 1978 den schon immer lästigen Ballast der bedingungslosen militärischen Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten gegen den Imperialismus über Bord. Das ZK der GIM verkündete als Perspektive: „,Abzug aller ausländischen Truppen aus der BRD und der DDR“ und „,Austritt der BRD aus der Nato und der EG, Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt“.[21] Das Eintrittsbillet in die nationalistische und antisowjetische Friedensbewegung war somit ausgestellt. Im Laufe der Zeit wurde die GIM deutlicher: „,Der einzige Ausweg für die nicht-kapitalistischen Länder wäre eine politische Offensive: Das bedingungslose Setzen auf die Friedensbewegung im Westen, demonstrative Abrüstungsschritte des Warschauer Paktes, Verzicht auf die Nachrüstung mit SS 21, Abzug aus Afghanistan“, während die dänische Schwesterorganisation SAP unter dem Motto „,Eine Atomrakete macht keinen Unterschied zwischen einem Arbeiter und einem Unternehmer“ den dänischen Unternehmerverband zu gemeinsamen politischen Streiks mit den Gewerkschaften gegen die NATO-Rüstung aufrief! [22]
Mandels 25 Thesen zur Antikriegsbewegung bemühen sich dagegen, den orthodoxen Schein aufrechtzuerhalten, das VS trete für die militärische Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten ein (inklusive, unter gewissen Bedingungen, ihrer Nuklearbewaffnung). Sie verlieren sich aber vollkommen in dem Bemühen, die Friedensbewegung als solche aufzubauen: „,Jede Schwächung dieser Bewegung, egal unter welchem ideologischen Vorwand, würde de facto den Imperialismus stärken. Unsere Herangehensweise ist in erster Linie sozial und politisch bestimmt, nicht ideologisch. Wir wollen das Kräfteverhältnis zuungunsten des Imperialismus faktisch verändern. Diese politischen Ziele Gründen ‘rein’ ideologischer Natur zu opfern, hieße objektiv, die Arbeiterklasse und die Arbeiterstaaten zu schwächen“.[23]
Austritt der DDR aus dem Warschauer Pakt, Abrüstung des Warschauer Paktes, Abzug aus Afghanistan, die atomwaffenfreie Zone von Polen bis Portugal, die Unterstützung der osteuropäischen Friedensbewegungen, die Friedens-Volksfront mit dem Unternehmerverband in Kopenhagen, das ist für Mandel und das VS die Verteidigung der UdSSR gegen den Imperialismus, da diese Politik „,das Kräfteverhältnis zuungunsten des Imperialismus faktisch“ und objektiv verändert. Wir sehen dagegen in dieser Politik – die den linken Flügel des VS repräsentiert – „,faktisch und objektiv“ einen gemeinsamen Forderungskatalog mit Bundeskanzleramt und SPD-Baracke!
Indem man Pazifismus und Nationalismus der Friedensbewegung nicht mit dem kommunistischen Programm gegen den Krieg konfrontiert – bei Mandel „,Gründe ‘rein’ ideologischer Natur“ -, um subjektiv revolutionäre Elemente, die ernsthaft gegen die imperialistische Kriegsgefahr kämpfen wollen, zu gewinnen, übertrifft man die Friedensbewegung nicht nur an Bewegung. In Zuerst das Programm faßten wir diese Seite der VS-Politik zusammen: „,Das Vereinigte Sekretariat teilt nicht einfach den Nationalismus der Friedensbewegung. Es formuliert in seiner Politik ausgefeilte sozialdemokratische Positionen, die ausschließlich in Attacken gegen die deformierten Arbeiterstaaten münden. Nicht die eigene Bourgeoisie ist der Hauptfeind, sondern die USA und die ‘Ausbeuter in den nicht-kapitalistischen Ländern’. … Klasseninteressen werden wie gehabt in pabloistischer Manier gegen Bewegungen mit ‘objektiv anti-kapitalistischem’ Charakter ausgetauscht. Der entscheidende Unterschied zu den Spielereien mit einer ‘neuen Massenavantgarde’ etc. ist jedoch der, daß sich das VS im Kalten Krieg geschlossen im Lager der imperialistischen Konterrevolution wiederfindet, beim Fähnlein der Sozialdemokratie“.[24] Wir haben dem heute nichts hinzuzufügen.
In ihrer Eigenreklame Die Notwendigkeit einer revolutionären Internationale, die heute der widerspenstigen KPD die internationale Organisierung schmackhaft machen soll, annonciert Mandel: „,Die Vierte Internationale ist nicht ein bloßer Fetisch oder ein Markenzeichen. Sie ist eine Quelle der Vervielfachung der Kräfte in der Tagesaktion und ein beständiger Anziehungspol für revolutionäre Kräfte auf der ganzen Welt“.[25]
Wir möchten das bezweifeln und dagegen halten: Das Vereinigte Sekretariat ist ein verrotteter internationaler Block, der momentan mühsam durch die Unterstützung der nicaraguanischen FSLN als „,Avantgarde in Mittelamerika“ zusammengehalten wird. Nicht erst seit 1963 (bei der Bildung des VS) stellt der Pabloismus einen immer wieder den ganzen Block in Frage stellenden Balanceakt verschiedener Strömungen dar. Er hat nicht programmatische Klärung im Rahmen des demokratischen Zentralismus zum Ziel, sondern bringt vielmehr faule Kompromisse fauler Cliquen hervor. Zur Zeit dreht sich das Cliquen-Karussell besonders schnell in den USA, wo im ganzen vier Gruppen als Bruderorganisationen des VS anerkannt sind, deren größte – die SWP – laut Selbsteinschätzung des Vereinigten Sekretariats „,in der Praxis ein minimales Funktionieren der Internationale (durchkreuzt)“ und „,auf den demokratischen Traditionen des Bolschewismus und der Kommunistischen Internationale herumtrampelt“.[26] Vervielfachung der Kräfte in der Tagesaktion? Diese Internationale ist die Krisensitzung in Permanenz! [27]
Die bonapartistischen Commandantes in Managua haben heute Modellcharakter für das VS, welches die in seinem gleichnamigen Dokument kodifizierte Sozialistische Demokratie und Diktatur des Proletariats in Nicaragua verwirklicht sieht. „,Zum ersten Mal seit der bürokratischen Degeneration der UdSSR gibt eine Revolution an der Macht das Beispiel einer authentischen und pluralistischen Demokratie“, kommentiert das VS die bürgerlichen Parlamentswahlen 1984.[28]
Die Elle, an der die Wahlen wie die gesamte Entwicklung in Nicaragua gemessen werden, ist eine durch und durch demokratistische. Sie findet sich allerdings in dem besagten Dokument, daß darauf aus ist, bürgerlichen Kräften unter allen Umständen eine politische Präsenz in der Diktatur des Proletariats zu garantieren. Dieser Entwurf einer demokratischen Verfassung für die Diktatur des Proletariats, einer Art sozialistischen Demokratie in einem Lande, ignoriert die jeweils konkreten Bedingungen der proletarischen Machterhaltung und Ausweitung der Revolution. Diese Bedingungen verlangen nämlich keineswegs nur demokratische Antworten gegen die organisierte Konterrevolution, sondern beinhalten auch Schläge auf das Haupt bürgerlicher Organisationen oder Strömungen. Die Organisationsfreiheit für diese ist somit kein prinzipielles Recht, sondern taktische Möglichkeit!
Ursprünglich als Schibboleth für den Eurokommunismus und seinen gegen die Diktatur des Proletariats gerichteten Demokratismus entworfen, ging die Losung der „,sozialistischen Demokratie“ im formal theoretischen Sinne noch von der klassenmäßigen Schablone der Diktatur des Proletariats aus. Die völlige politische Unterstützung der Sandinisten sorgte indessen dafür, die Organisierung bürgerlicher Wahlen, Organisationsfreiheit für konterrevolutionäre Kräfte und Schläge gegen die Linke als Diktatur des Proletariats zu verkaufen und umgekehrt die Oktoberrevolution zur Revolution des Pluralismus und der Demokratie herunterzukochen.
Wenn Nicaragua für die GIM – im Gegensatz zur KPD – als das Modell für die Diktatur des Proletariats gilt, bleibt zu fragen: Worin besteht eigentlich die konstatierte Gemeinsamkeit in puncto „,sozialistische Demokratie“? Seit 1980 war die SPD-Wahlunterstützung Dauerbrenner der Gruppe Internationale Marxisten. „,Notwendig ist eine neue SPD-Regierung, unterstützt von den Grünen, die von Massenmobilisierungen der Gewerkschaften und Bewegungen in die Pflicht genommen wird, die Lebensinteressen der Bevölkerungsmehrheit Gegen Kapital und NATO durchzusetzen“, konkretisierte die GIM nach den Bundestagswahlen 1983. „,Notwendig ist letzten Endes eine grundlegende Alternative zur bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung … Also: eine Gesellschaft, die in völligem Gegensatz zum Kapitalismus und den bürokratischen Regimes in der DDR, Polen, UdSSR, VR China usw. steht“.[29]
Diese als „,sozialistische Alternative“ angebotene Plattform suchte über den parlamentarischen Weg der SPD-Regierung einer neuen Gesellschaft näher zu kommen, die allerdings nicht mit Sozialismus verwechselt werden darf, sollte sie doch „,im völligen Gegensatz“ zu den deformierten Arbeiterstaaten stehen. Für Trotzkisten existiert dieser völlige Gegensatz nicht, da die in den deformierten Arbeiterstaaten vorhandenen Errungenschaften – Enteignung der Bourgeoisie und zentrale Planwirtschaft – Grundlagen der Diktatur des Proletariats sind.
Der „,dritte Weg“ der GIM gegen Kapitalismus und Stalinismus sah die Wahlunterstützung für die Sozialdemokratie auch nicht als eine Taktik gegenüber der SPD, sondern als Etappenziel: In den Bewegungen sollte Druck ausgeübt werden, damit diese wiederum Druck auf die GRÜNEN und diese Druck auf die SPD ausüben.
Mittlerweile hat die GIM von der „,SPD-Regierung gestützt auf die GRÜNEN“ Abschied genommen. Die Mehrheit der GIM-Delegiertenkonferenz 1985 erkannte, daß „,niemand ihnen (SPD und GRÜNEN) eine wirkliche Umkehrung der Logik der Wende-Politik zu(traut)“; vielmehr würde „,eine solche Regierung prokapitalistische Krisenpolitik machen und noch größere Katastrophen vorbereiten“.[30]
Die jetzige Mehrheit (um die Tendenz 1 von insgesamt drei Tendenzen auf der Konferenz) sieht dementsprechend im Aufbau einer „,klassenkämpferischen Alternative in den Gewerkschaften“ und in „,einer sozialistischen Kandidatur, die diesen Namen verdient“, die Perspektiven zum „,Aufbau einer zunächst noch kleinen, aber ernstzunehmenden sozialistischen Arbeiterpartei“.[31]
Fixpunkt für alle drei Tendenzen bleibt neben der Fusion mit der KPD die Bundestagswahl 1987. Doch schauen wir uns zuerst die proklamierte klassenkämpferische Alternative in den Gewerkschaften an.
Die von Mandel auf der Delegiertenkonferenz ausgegebene Parole „,Im Kampf gegen die Angriffe des Kapitals unsere Nützlichkeit beweisen“ bedeutet, die Rolle des linken Beraters der DGB-Bürokratie weiterzuspielen. Bereits 1984 haben GIM – und KPD – ihre „,Nützlichkeit“ bewiesen, als sie mit der Maske des radikalen Gewerkschafters auftraten und den „,linken“ Bürokraten wie Steinkühler in der 35-Stunden-Woche-Kampagne hinterherliefen. Als Manövriermasse zur Beraterfunktion versucht die GIM ihre „,Arbeitsgemeinschaft für klassenkämpferische Gewerkschafter“ aufzubauen, deren zentrale Rolle (in Gestalt des Info 35) 1984 nicht im Kampf für Arbeit für alle, verbunden mit der Perspektive der Arbeiterregierung bestand; vielmehr organisierte man hier „,von unten“ für die 35-Stunden-Woche, verbunden mit dem Ziel, die SPD nach links zu drücken.[32]
Die Ergebnisse der Wahldiskussion in der GIM scheinen dagegen ein Abrücken von der langjährigen pro-SPD Orientierung anzuzeigen. Schaut man sich die Dokumente der Diskussion genauer an, so fällt der unpolitische Charakter der ganzen Debatte auf, die insgesamt unter dem Erfolgszwang steht, die Fusion mit der KPD trotz aller möglichen Zweifel zu erreichen. Einer Bestandsaufnahme nahe kommt lediglich die Tendenz 3, die die GIM am Rande der gesellschaftlichen Entwicklung und dazu in einer tiefen Krise sieht – weshalb sie dann auch vorschlägt, in die GRÜNEN einzutreten. Die pabloistischen „,Realos“ der T 3 setzen den Parteiaufbau in Anführungszeichen zugunsten „,eines Verschmelzens mit nennenswerten Kräften dieser neuen politischen Generation“ in Form des Entrismus; entsprechend lautet ihre Wahlaussage: GRÜNE wählen, unter der Voraussetzung, daß diese eine SPD-Regierung tolerieren.
Die Tendenz 2 tritt wie die T 1 für eine eigenständige Kandidatur ein, will diese jedoch an eine Initiative gegenüber den GRÜNEN für ein „,Ökologie und Sozialismus“-Bündnis gekoppelt sehen. Generell muß die Zweitstimme für SPD und GRÜNE reserviert werden, um der „,parlamentarisch einzig realistischen Ablösung der Bürgerblock-Regierung durch SPD und Grüne keinen Stein – keine einzige Stimme – in den Weg“ zu legen.[33]
Die Tendenz 1 ordnet die Notwendigkeit des eigenen Wahlbündnisses ihrer kleinen, sozialistischen Arbeiterpartei zu; deren Propagierung „,wird die zentrale Aussage unseres Eingreifens bei den Wahlen sein, verbunden mit der Propagierung von Mobilisierung und Selbstorganisation, gegen jedes Vertrauen in diesen Staat und seine Institutionen: In diesem Zusammenhang erklären wir auch, was eine Arbeiterregierung machen würde und worauf sie sich stützen müßte“.[34]
Bisher konnte die GIM lediglich den BWK für ihre sozialistische Bündnisliste gewinnen; die Hälfte der zukünftigen gemeinsamen Organisation – die KPD – ist um die Frage der Kandidatur gespalten, was der T1-Konzeption nun gar nicht in den Kram passen dürfte.
Die Grundlage der „,sozialistischen Kandidatur, die diesen Namen verdient“ soll sich an der Wahlplattform von BWK und KPD 1983 orientieren; „,antikapitalistisch“ soll sie laut BWK sein. Und die GIM ergänzt die allgemeine Stoßrichtung, die so jeder Sozialdemokrat unterschreiben kann und soll: „,Weg mit der Rechtskoalition – für ein Ende der Wende – Vertrauen in die eigene Kraft!“.[35]
Das bedeutet auch „,Absage an jede Illusion in eine ‘rot’-grüne Regierungsalternative“ und negative Beantwortung der Regierungsfrage. Allerdings: „,Wo die Organisation bzw. das Wahlbündnis nicht kandidieren kann bzw. keine Listen aufstellen kann, wird dazu aufgerufen, gegen die bürgerlichen Parteien zu stimmen. Die Wahlkampagne ist auf die Darstellung der sozialistischer. Alternative zu jeder Form bürgerlicher Politik, auch zu der der Sozialdemokratie ausgerichtet. Gleichwohl wird die Sprache gegenüber SPD und Grünen eine andere sein als gegenüber CDU/CSU/FDP. Während wir klar erklären, warum eine pseudo-rot-grüne Regierungsmehrheit, ob im Bund oder in den Ländern, keine wirkliche Alternative darstellt, werden wir doch die Versprechen der Sozialdemokraten und Grünen aufgreifen, um sie – sollten sie an die Regierung kommen – zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen, die ihnen zunächst geglaubt haben, daran ‚zu erinnern‘“.[36]
So erblickt mit der Tendenz 1 eine neue „,revolutionäre Taktik“ das Licht der Welt: die kritische Wahlunterstützung der SPD ohne Wahlunterstützung! Die auf den ersten Blick „,linker“ erscheinende Alternative der T 1 gegenüber der alten Mehrheit erweist sich beim nochmaligen Hinsehen als eine Verschiebung der Politik des kleineren Übels. Die GIM setzt auf ihr eigenes reformistisches Programm. Während die alte Mehrheit ihren Reformismus zur Grundlage der SPD-Wahlunterstützung machte, holt der faule Block Tendenz 1 tief Luft und … beantwortet die Regierungsfrage negativ, ruft gleichzeitig auf, gegen die bürgerlichen Parteien zu stimmen und greift dann schließlich „,doch die Versprechen der Sozialdemokraten und Grünen“ auf. Offen bleibt die Frage nach der Grundlage dieser Politik: Ist die SPD eine bürgerliche Arbeiterpartei oder eine bürgerliche Partei? Wie soll man also gegen bürgerliche Parteien stimmen – mit Wahl der SPD oder gerade gegen die SPD per ungültiger Stimmabgabe? Wie sollen die „,Versprechen der SPD und Grünen“ aufgegriffen werden? Die GIM kommt so mit ihrer Wahlpolitik wohl dem Ziel einer kleinen, aber keineswegs dem einer ernstzunehmenden Arbeiterpartei näher.
„Ernstzunehmen“ ist folgendes: Die Spaltung der Sozialdemokratie ist Voraussetzung zum Kampf um die Arbeiterregierung. Die Taktik der kritischen Wahlunterstützung kann Trotzkisten diesem Ziel näher bringen, wenn es gelingt, im Klassenkampf stattfindende Polarisierungen der Arbeiterklasse gegen die bürgerliche Führung „,ihrer“ Partei zu wenden. Die Konfrontation dieser Führung soll auf parlamentarischer Ebene verschärft werden, um Teile der sozialdemokratischen Basis für die eigene Politik zu gewinnen. Voraussetzungen hierzu bestanden weder 1980, als die SPD in einer bürgerlichen Koalition an der Macht war, noch 1983, wo sie zwar formell ohne bürgerliche Blockpartner zur Wahl antrat, aber keine Illusionen in eine angeblich sozialistische, Arbeiterinteressen vertretende Politik aufkommen ließ, sondern offen ihr bürgerliches Programm vertrat. Ob 1987 eine kritische Wahlunterstützung der SPD möglich ist, kann heute noch nicht definitiv beantwortet werden, da diese von der Wechselwirkung Klassenkampf-SPD-Wahlpolitik abhängt. Was heute beantwortet werden kann: Egal ob eigene Kandidatur oder kritische Wahlunterstützung – Kommunisten haben die Pflicht, laut und deutlich auszusprechen, was sie von der SPD halten; sie haben die SPD-Politik mit dem revolutionären Programm zu konfrontieren.
Der Programmverschnitt der sozialistischer. Bündnisliste – aufbauend auf dem reformistischen Wahlprogramm der GIM 1976 und dem Minimal-Maximalprogramm von BWK-KPD 1983 – dürfte bei vielen die Frage aufkommen lassen: Warum nicht gleich SPD wählen?
Bereits 1976 wurde die GIM-Kandidatur geprägt von reformistischen Verstaatlichungsmodellen und der Tendenz, vor dem Antikommunismus zu kapitulieren. Der dort schon anklingende „,dritte Weg“ gegen Sozialdemokratie und Stalinismus als eine Welt, wurde in der Zwischenzeit mit Siebenmeilenstiefeln beschritten und manifestiert sich heute in den demokratischen Programmvorstellungen gegen die deformierten Arbeiterstaaten im Rahmen der „,sozialistischen Bündniskandidatur“.
Wie verrottet alle Varianten reformistischer GIM-Politik in der Praxis sind, sah man zuletzt bei der skandalösen Apologie für den hessischen Noske Winterstein: „,Günter Sare mußte sterben, weil führenden Politikern von CDU, CSU und FDP die Verschärfung des Demonstrationsrechts durch die Bonner Wende-Koalition noch nicht weit genug geht und weil sie das Bündnis von SPD und Grünen in Wiesbaden zu Fall bringen wollen … Als ob die Polizeiprovokationen sich nicht direkt gegen den SPD-Innenminister richteten“, kommentierte die Was Tun die Ermordung Sares.[37]
Wenn es so scheint, daß wir kein gutes Haar an der Gruppe Internationale Marxisten gelassen haben, so liegt das daran, daß wir eine Perücke lüften mußten, mit der diese Gruppierung sich ab und an noch als trotzkistisch verkleidet.
Hinter dieser Feststellung steht nicht etwa die Auseinandersetzung „,reine Lehre“ contra Häresie oder die Streitfrage, wer am „,trotzkistischsten“ sei, und wie sonst noch die rhetorischen Plattitüden der GIM-Genossen auf unsere Kritik lauten mögen. Das Programm ist für uns keine heilige Gesetzestafel, sondern Anleitung zum revolutionären Handeln.
Strategie und Taktik zum Sturz der Bourgeoisie setzen programmatische Klarheit und Kohärenz in den eigenen Reihen voraus, um wenn nötig gegen den Strom zu schwimmen – eine Art der Fortbewegung, welche die GIM nur vom Hörensagen kennt.
Die von Mandel konstatierte „,Zersetzung der traditionellen Arbeiterorganisationen“ ließ ihn einen politischen Leerraum entdecken, den es zu füllen gälte, um „,radikalisierend“ bei der Verteidigung der Tagesinteressen des Proletariats zu wirken. Trotzki hob im Übergangsprogramm gegen diese Art von Nützlichkeit die Besonderheit der gegenwärtigen Epoche hervor, in der Tagesinteressen nicht an sich verteidigt werden können, sondern verbunden werden müssen mit dem Ziel der revolutionären Machteroberung. „,Die gegenwärtige Epoche zeichnet sich nicht dadurch aus, daß sie die revolutionäre Partei von der Alltagsarbeit befreit, sondern dadurch, daß sie gestattet, diese Arbeit verbunden mit den Aufgaben der Revolution durchzuführen“.[38]
Die GIM ist strukturell unfähig, eine revolutionäre Kampfperspektive in stattfindende Klassenkämpfe hineinzutragen, um den politischen und organisatorischen Bruch der westdeutschen Arbeiterklasse mit der Sozialdemokratie zu erreichen. Sie ist heute selbst eine reformistische Organisation; ihren Zentrismus hat sie irgendwo zwischen SPD-Baracke und Solidarność-Hauptquartier verloren.
Ihre pabloistische Methode der Anpassung an die jeweils herrschende Strömung hat sie nach den Irrwegen der 70er Jahre wieder vor die Tür der SPD geführt, wo sie mit dem eigenen reformistischen Programm in der Tasche noch anzuklopfen zögert. Zuvor präsentiert sie nämlich ihren praktizierten Opportunismus als Grundlage zum Aufbau eines linkssozialdemokratischen Sammelbeckens in der BRD. Dies ist der Hintergrund der von W. Wolf festgestellten „,grundlegenden Änderung der Mehrheitsverhältnisse“ in der GIM, als auch der gemeinsame Ausgangspunkt der geplanten Fusion mit der KPD.
Als Ergebnis der Fusion werden wir eine kleine, reformistische, arbeitertümelnde Partei bekommen – eine Art SAP/ML. Ob ihre Lebensspanne ähnlich kurz bemessen sein wird, wie vor 35 Jahren die der UAP, vermögen wir nicht zu sagen; die Lebensqualität dürfte allerdings noch schlechter ausfallen, da die GIM 1986 eine richtig sozialdemokratische Politik machen will.
Da es auch der zukünftig vereinigten Organisation an Masseneinfluß fehlt, wird man weiterhin versuchen, Bewegungen zu modeln und politische Zugeständnisse zu machen, um eine Attraktivität für den Rest des links-sozialdemokratischen Milieus zu erreichen. Genau diese Attraktivität ist aber schon heute fraglich, so daß die Entwicklung zurück zu den Ursprüngen in Richtung SPD verlaufen dürfte: Hier bin ich Sozialdemokrat, hier darf ich’s sein!
Beim heutigen Stand der zweckoptimistischen Verlautbarungen in Sachen „,sozialistische Alternative“ fällt uns oft jene Proustsche Romanfigur Monsieur Norpois ein; dessen „,Artikel, in denen jedes Wort wohlabgewogen war, glichen jenen optimistischen Bulletins, denen der Tod des Patienten auf dem Fuße folgt“.
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Anmerkungen
DENN SIE WISSEN, WAS SIE NICHT TUN
1) Cannon, Der Kampf für eine proletarische Partei, S. 46
2) zit. nach: Die Vereinigungsverhandlungen zwischen KPD und GIM, S. 27
3) zit. nach: Spartacist 3, dt. Ausgabe, März 1975
4) Quatrieme Internationale April 1953, zit. nach Kommunistische Korrespondenz (KK) 23
5) zit. nach: Spartacist 3, dt. Ausgabe, März 1975
6) Frank, Die Geschichte der IV. Internationale, Anhang, S. 165
7) Inprekorr 20. Oktober 1972
8) Was Tun 124
9) Rousset, Le parti communiste vietnamien, S. 98
10) Jungclas 1902-1975 – Eine politische Dokumentation, S. 256
11) siehe Der Aufbau revolutionärer Parteien im kapitalistischen Europa, in: die Internationale 1/73
12) Was Tun 3.3.77, zit. nach: KK 24
13) Topo Viejo November 1976, zit. nach: KK 23
14) Mandel, Die Strategie der Ubergangsforderungen, S. 88
15) zit. nach: Die Vereinigungsverhandlungen…, S. 29
16) ebenda, S. 28
17) Flugblatt der GIM/SoLi Westberlin 14.12.81
18) siehe Gruppe IV. Internationale, Zuerst das Programm, S. 6-13
19) zit. nach: Die Vereinigungsverhandlungen…, S. 27
20) Mandel, Über die Bürokratie, S. 54
21) Was Tun 227, zit. nach: KK 24
22) Was Tun 388
23) Inprekorr 172, September 1985
24) Gruppe IV. Internationale, Zuerst das Programm, S. 16 f
25) Inprekorr 173, Oktober 1985
26) Inprekorr 174, November 1985
27) siehe Gruppe IV. Internationale, Zuerst das Programm, S. 19-24
28) Intercontinental Press 24/1985
29) Unsere Plattform, in: Was Tun 385
30) Was Tun 419
31) ebenda
32) siehe Gruppe IV. Internationale, Zuerst das Programm, S. 34-36
33) zit. nach: Dokumente der DK der GIM, S. 10
34) ebenda, S. 6
35) Was Tun 421
36) zit. nach: Dokumente der DK der GIM, S. 6
37) Was Tun 415
38) Trotzki, Übergangsprogramm (Verlag Neuer Kurs), S. 18