Immer schön realistisch

Wie der RSB die kapitalistische Krise lösen will

Der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) hat im Sommer 2013 eine Reihe von Forderungen aufgestellt, die er zusammengenommen als „Sofortprogramm gegen die Krise“ präsentierte („Unser Leben ist mehr wert als ihre Profite! Sofortprogamm gegen die Krise“, http://rsb4.de/content/view/4908/84, 11.06.2013). Der RSB sieht die 13  Vorschläge als Wegbereiter einer „soziale[n], ökologische[n] und demokratische[n] Wende“ ( ebenda). Auffällig ist die Abwesenheit einer „sozialistischen Wende“. Wir nehmen trotzdem an, dass der RSB genau das will. Nach Lektϋre des Artikels sind wir jedoch zu dem Schluss gekommen, dass viele Elemente des RSB-Sofortprogramms fϋr eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ungenügend sind. Wir wollen versuchen, den Genossen des RSB und unseren Lesern anhand einiger Beispiele unsere Kritik zu verdeutlichen und näher zu bringen.

Viele der Forderungen des RSB sind selbstverständlich fortschrittlich. Falls sie realisiert würden, bedeutete dies eine Verbesserung der materiellen Situation der Arbeiterklasse und weiten Teilen der Bevölkerung. Dazu zählen unter anderem die Forderungen nach unbefristeten Vollzeitarbeitsverträgen, fϋr die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit und die Verteidigung demokratischer Rechte. Um diese Forderungen durchzusetzen, bedarf es einer zum Kampf entschlossenen Arbeiterklasse, da die Konzernbosse und ihre Vertreter im Parlament freiwillig keine Zugeständnisse machen werden. Wir gehen davon aus, dass wir in dieser Hinsicht Übereinstimmung mit dem RSB haben. Die Losung „Entlassungen verbieten!“ im RSB-Krisenprogramm zeigt jedoch Illusionen auf, als sei eine legislative Lösung des kapitalistischen Ausbeutungssystems möglich.

Die Formulierung legt nahe, dass es sich hierbei um eine gesetzliche Verordnung handelt, die es Unternehmen untersagt, Arbeiter zu entlassen. Wie wahrscheinlich ist es, dass ein solches Gesetz vom Deutschen Bundestag, einem kapitalistischen Parlament, das im Interesse der Kapitalisten handelt, verabschiedet wird?

Die weitergehenden Forderungen des RSB zu dieser Frage schüren Illusionen in eine sozial-verträgliche Warenproduktion im Kapitalismus. Wer bankrotte Unternehmen verstaatlichen oder gar den Arbeitern die Kontrolle über die Art und Menge der Produktion geben will, muss sich die Frage gefallen lassen, wie die Arbeiter mit der Weltmarktkonkurrenz, die letztendlich wohl zur Schließung des Betriebes führte, umgehen sollten. Per Gesetz wird die nämlich nicht verschwinden. Der Kampf um die Arbeitermacht muss an die Beseitigung der verallgemeinerten Warenproduktion gekoppelt sein, da Verstaatlichungen innerhalb des kapitalistischen Systems das Profitprinzip nicht aufheben.

Ein weiterer Bestandteil der 13 Vorschläge des RSB richtet sich gegen „die Abwälzung der Krisenlasten“ (ebenda). Hierbei proklamiert der Text eine scheinbar einfache und zugleich radikale Lösung des Problems der Staatsschulden:

“Wir setzen uns in Europa für die Angleichung der sozialen Rechte auf dem jeweils höchsten Niveau ein. Wir wollen europaweit gültige Mindestlöhne, Arbeit und ein gleiches Arbeitsrecht für alle genauso wie den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen. Die Staatsschulden sind die Profite der Banken und des Finanzsektors. Sie müssen deshalb von diesen übernommen werden.”
– Ebenda

Alle Schulden der öffentlichen Hand werden also an die Banken und andere private Kreditinstitute ϋberschrieben, und so werden im Handumdrehen der Haushalt saniert und die Banken gestraft und an die Kette gelegt. Ist dies möglich, und wenn ja, wie würde dies vonstatten gehen? Dieser Vorschlag wird im Text nicht weiter erörtert, obwohl er einer der weittragendsten des RSB ist. Es ist unserer Meinung nach lohnend, diesen Punkt näher zu betrachten.

Die Deutsche Bundesbank ist die Zentralbank der Bundesrepublik Deutschland. Als solche ist sie fϋr die finanzielle Abwicklung von Geschäften im In- und Ausland zuständig und koordiniert die Haushaltsplanung der Regierung mit Ländern und Gemeinden. Des Weiteren steht die Bundesbank den privaten Kreditinstituten als Refinanzierungsquelle zur Verfϋ­gung. Hierbei tauschen Geschäftsbanken bei der Zentralbank Wertpapiere in Zentralbankgeld um, was ihnen erlaubt Bargeld fϋr die Finanzierung ihrer eigenen Kreditgeschäfte zu erhalten. Es besteht also eine enge Verknüpfung zwischen den Geschäftsbanken und der Bundesbank.

Eine weitere Form der engen Verbindung besteht in der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestreserve. Sie verpflichtet die privaten Banken, bei der Zentralbank eine Mindestreserve zu hinterlegen. Der Mindestreservesatz der Europäischen Zentralbank, der die Deutsche Bundesbank angehört, beeinflusst die Liquidität der verschiedenen Geschäftsbanken. Die Zentralbank nutzt die Refinanzierung von Geschäftsbanken, um den Geldumlauf zu steuern, Zinssätze zu beeinflussen und Preisstabilität zu erreichen.

Sollte die Bundesregierung die Staatsschulden auf die privaten Kreditinstitute überführen, würde dies deren Liquidität drastisch verringern, da sie nun Gelder für eine erhöhte Schuldtilgung bereitstellen müsste. Die Banken wären daher gezwungen, eine Refinanzierung bei der Zentralbank zu versuchen. Damit fände sich die Zentralbank vor der Aufgabe, eine indirekte Finanzierung der Schulden vorzunehmen, die sie gerade an die Geschäftsbanken abgewälzt hat. Sollte die Zentralbank eine Refinanzierung ablehnen, ständen die betroffenen Banken und ihre Anleger vor dem Aus. Die wahrscheinlichsten Folgen wären eine Verschärfung der europäischen Finanzkrise, Betriebsschließungen und massive Preissteigerungen.

Diese Interdependenz der Finanzeinrichtungen sprach auch Rudolf Böhmler, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, auf einer Rede am 23. Oktober 2013 in Berlin an:

“Die engen Verflechtungen im Finanzsystem bedeuten ein hohes Ansteckungsrisiko bei Schocks. Deshalb hatte die Krise in den Jahren nach 2007 auch so gravierende Auswirkungen. Daher nimmt die Bundesbank seit Anfang des Jahres das sogenannte makroprudenzielle Mandat wahr.

Das bedeutet, dass wir laufend die für die Finanzstabilität maßgeblichen Sachverhalte analysieren und mögliche Gefahren für die Finanzstabilität identifizieren. Gegebenenfalls erarbeiten wir Vorschläge, wie diese Gefahren abgewehrt werden können.”
– Rudolf Böhmler, „Die Bundesbank als Stabilitätsanker in stürmischer Zeit“, https://www.bundesbank.de/de/startseite/hinweis-761296#doc158270

Wo Herr Böhmler recht hat, hat er recht. Die „engen Verflechtungen im Finanzsystem“ sind in der Tat so weitgehend und erstrecken sich durch die Vermischung von Finanz- und Industriekapital bis in jeden Wirtschaftszweig, dass jede maßgebliche negative Veränderung auf den Finanzmärkten weite Kreise zieht. Der Zusammenbruch des Lehmann Finanzinstituts war nur der Anfang der tief greifenden, globalen Rezension seit 2008. Während diese Erkenntnis fϋr die Bundesbank bedeutet, dass sie die Machenschaften der einzelnen Geschäftsbanken beobachten muss, um eventuelle gefährliche Konsequenzen von erheblicher Risikobereitschaft (Gier) oder unrealistischen Gewinnprognosen (Dummheit gepaart mit Gier) abzuwenden, ziehen Marxisten aus dieser Situation einen anderen Schluss.

Die „engen Verflechtungen im Finanzsystem“ sorgen dafϋr, dass die Lösung der Krise, wie sie vom RSB angestrebt wird, vollkommen unmöglich ist. Es ist nicht ohne Ironie, dass die scheinbar „realistische“ Lösung, die Schulden an die Banken abzuwälzen, innerhalb des kapitalistischen Systems die höchst unrealistischste ist. Die Vorstellung, der Staat, seine Regierung und der bestehende Haushalt könnten dadurch entlastet werden, dass die Schulden an den Privatsektor abgeschoben werden, stößt sich an der ökonomischen Realität die reformistische Nase. Eine radikale Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse zugunsten der Arbeiterklasse ist innerhalb des bestehenden Systems unmöglich. Es ist die Aufgabe des Reformismus diese Tatsache permanent zu bestreiten, indem seine Vertreter vermeintlich „realistische Lösungen“ anbieten. Von ähnlich „realistischem“ Kaliber sind die Vorschläge des RSB, die nicht darauf abzielen, die Herrschaft des Kapitals zu brechen, sondern die „Volkswirtschaft“ anzukurbeln:

“Unternehmensgewinne sollen mit 50 % besteuert und die Bemessungsgrundlage für die Vermögenssteuer durch Einbeziehung der Firmenvermögen verbreitert werden.

Seit den 80er Jahren ist der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt gegenüber den Kapitalerträgen gesunken – das ist der wahre Jahrhundertraub! Dieses Geld zurückzuholen dient sowohl der volkswirtschaftlichen Entwicklung als auch der sozialen Gerechtigkeit.”

Die Volkswirtschaft muss also in Schwung gebracht werden. Wenn die Arbeiter mehr Lohn haben, dann können sie mehr kaufen und dann läuft auch die Wirtschaft besser. Hoher Lohn = gut für Kapital und Proletariat. – Das ist die Essenz der Forderungen des RSB. Es ist der Versuch, die kapitalistische Krise innerhalb des Kapitalismus zu lösen. Gewollt oder ungewollt agiert der RSB hier mit dem vollen Spektrum der reformistischen Zaubertricks: Gefordert wird eine soziale Wende, wobei Menschen „zu einem demokratischen politischem [sic] Engagement ermutigt werden“, um am Ende die volkswirtschaftliche Entwicklung zu fördern.

Es stellt sich abschließend die Frage, wie eine vermeintlich marxistische Organisation wie der RSB überhaupt dazu kommt, derartige Vorschläge zu unterbreiten. Die Antwort darauf findet sich erfreulicherweise im Text selbst:

“Unser Vorschlag lautet, das Geld von denen zurückzuholen, die es sich auf Kosten der Gesellschaft aneignen. Zum Beispiel die 480 Milliarden Euro des „Bankenschutzschirms”, die im Oktober 2008 innerhalb von fünf Tagen für die Finanzbranche und die SpekulantInnen zur Verfügung gestellt worden sind. Das Problem ist also rein politischer Natur.”

Das Problem ist rein politischer Natur? Kann eine andere Politik das Problem der kapitalistischen Krise wirklich beseitigen? Die Sozialdemokraten in SPD und der Partei die Linke wϋrden diese Fragen mit einem „ja“ beantworten. Marxisten hingegen sehen in der aktuellen Krise ein strukturelles Problem der bestehenden Wirtschaftsordnung. Der Kapitalismus und seine inhärenten Krisen werden nicht durch noch so radikale Maßnahmen „rein politischer Natur“ beseitigt.

Das Profitsystem kann nur durch einen bewussten Akt der Zäsur beseitigt werden, durch die soziale Revolution. Dafür braucht es eine revolutionäre Partei und Internationale, die der jetzigen reformistischen Führung der Arbeiterklasse den Kampf ansagt, mit einem wirklichen Übergangsprogramm und nicht einem Anti-Krisen-Programm, das in weiten Teilen eine linke Politikberatung für SPD, Partei die Linke und Gewerkschaften ist. Alle anderen Vorstellungen und Vorschläge dienen letztlich nur dazu, die Hoffnung am Leben zu erhalten, dass es einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz geben kann.