Zu politischer gegenüber militärischer Unterstützung

Kürzlich erhielten wir eine Anfrage einer Leserin, die sich nach dem „Unterschied zwischen militärischer und politischer Unterstützung“ im Zusammenhang mit dem aktuellen Konflikt in der Ukraine erkundigte (wo wir für einen militärischen Sieg Russlands über die USA/NATO und ihre ukrainischen Stellvertreter sind). Wir stimmen mit Wladimir Lenin überein, dass ein nicht-imperialistisches Land das Recht hat, sich militärisch gegen imperialistische Aggression zu verteidigen.

Ein Genosse der BT antwortete und zitierte einen Artikel aus dem Jahr 1937, in dem Leo Trotzki zwischen militärischer und politischer Unterstützung für die antikommunistische Kuomintang-Regierung des halbkolonialen Chinas in ihrem Kampf gegen eine japanische imperialistische Invasion unterscheidet:

„Wenn morgen die französischen Arbeiter erfahren sollten, zwei Schiffsladungen Munition würden für den Seetransport aus Frankreich vorbereitet, eine nach Japan und die andere nach China – wie wird sich Craipeau dazu stellen? Ich halte ihn soweit für einen Revolutionär, dass er die Arbeiter auffordern würde, das für Tokio bestimmte Schiff zu boykottieren und das Schiff nach China durchzulassen, ohne jedoch seine Meinung über Tschiang Kai-schek zu verbergen, und das geringste Vertrauen für Chautemps zu äußern. Das ist genau das, was unsere Thesen besagen: ‚Im Charakter der praktischen Aktionen können sich beachtliche Unterschiede ergeben, hervorgerufen durch die konkrete Kriegslage.‘“
– Leo Trotzki, Noch einmal: die UdSSR und ihre Verteidigung, 1937

Unsere Korrespondentin antwortete mit einer Rückfrage:

„Ich begreife durchaus, dass man militärisches Vorgehen unterstützen kann, ohne gleichzeitig das Regime, um dessen Vorgehen es sich handelt, zu unterstützen. Allerdings scheint mir auch dies zu gelten: Insofern militärisches Handeln dem Zweck dient, bestimmte politische Ziele durchzusetzen, unterstützt man jenes, eben weil es diesen dient. Die Unterstützung bestimmter politischer Ziele wiederum würde ich als politische Unterstützung bezeichnen.“

Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, haben wir eine Passage aus einer Erklärung zitiert, die wir 2003 während des von den USA geführten Angriffs auf den Irak abgegeben haben:

„Wenn man eine Person oder eine Organisation ‚politisch unterstützt‘, bedeutet dies, dass man zumindest mit einigen der Ideen, Programme und Perspektiven, die sie vertritt, weitgehend einverstanden ist. ‚Militärische Unterstützung‘ bedeutet, dass man in einem bestimmten Konflikt eine Seite einnimmt, ohne notwendigerweise die Politik oder Ideologie derjenigen, die man unterstützt, ganz oder teilweise zu billigen. (Hervorhebung hinzugefügt)

Wenn zum Beispiel eine Gruppe von Anarchisten auf eine Gruppe von Nazis stößt, die eine Synagoge voller gläubiger Juden angreift, sollten sie sich dann weigern, einzugreifen, weil der Rabbi der Gemeinde ein religiöser Obskurant ist oder weil die Synagoge Spenden für den rassistischen zionistischen Staat sammelt? Nein, natürlich nicht. Jeder anständige Mensch würde sich auf die Seite der jüdischen Gemeinde (einschließlich des Rabbiners) gegen die Nazis stellen. Das würde weder eine Befürwortung der jüdischen Theologie noch eine Billigung der Verbrechen Israels gegen die Palästinenser bedeuten.“

Unsere Korrespondentin ging der Sache nach und antwortete:

„Die politischen Ziele Russlands im Ukraine-Krieg, welche ich vorrangig für unterstützungswürdig halte, sind die Verhinderung einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und der Schutz von Sicherheit und Selbstbestimmung der Zivilbevölkerung in den der russischen Föderation beigetretenen, ehemals ukrainischen Gebiete.“

Wir stimmen im Wesentlichen zu, dass diese beiden besonderen „politischen Ziele“ des Kremls „unterstützenswert“ sind, ebenso wie das langfristige strategische Ziel, das Projekt des US-Imperialismus zu verhindern, Russland in mehrere kleinere Teilstaaten zu zerschlagen und sich seinen immensen natürlichen Reichtum anzueignen. Gleichzeitig bleiben wir jedoch in genereller politischer Opposition zu Putins reaktionärem, bonapartistischem, kapitalistischem Regime, d. h. wir fordern seinen Sturz durch eine Arbeiterrevolution. Unsere Unterstützung für Russland in diesem Konflikt ist strikt darauf beschränkt, einen militärischen Sieg über die US/NATO-Imperialisten und ihre ukrainischen Stellvertreter zu erreichen, wie unser Genosse erklärte:

„In der Durchsetzung dieser Ziele haben wir eine gemeinsame ‚militärische‘ Front gegen den NATO-Stellvertreter Ukraine. Hier ist die Unterscheidung zwischen politischer und militärischer Unterstützung für uns wichtig: die russische Bourgeoisie mag durchaus weitere Ziele haben, wie beispielsweise das Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen oder die Unterdrückung derjenigen Bevölkerungsschichten, die sich nicht als Russen identifizieren. Ich sprach weiter oben davon, dass es zur Erringung eines Siegs im jetzigen Konflikt wahrscheinlich notwendig ist, bis an die ukrainische Grenze mit angrenzenden NATO-Staaten vorzurücken.

Im Rahmen dieses Vorrückens kann es sein, dass russische Truppen ein Verhalten in den Gebieten an den Tag legen, die ihr bürgerliches Kommando zutage treten lassen. Da es sich bei der russischen Armee um eine bürgerliche Armee handelt, die auf bürgerlichen Normen aufgebaut ist, kann es sein, dass sie zur Niederschlagung von Streiks benutzt wird, die sich für die legitime Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen russischer und ukrainischer Arbeiter einsetzen. Es ist wahrscheinlich, dass sie das Verbot gleichgeschlechtlicher Beziehungen durchsetzt. Und es ist wahrscheinlich, dass sie in den von ukrainischer Herrschaft befreiten Gebieten linke Kräfte unterdrückt, sofern diese soziale Macht entfalten können, wie das im Donbas 2014 geschah. Solche Maßnahmen würden der russisch-nationalistischen Ideologie und Politik Putins entspringen und sie ist für Revolutionäre nicht zu unterstützen….

Wir haben eine gemeinsame Zielsetzung, die darin besteht, den NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern und den verschiedenen Nationalitäten das Recht zu gewähren, ihre jeweilige nationale Zugehörigkeit frei zu wählen. Wir haben auch nichts dagegen, wenn das russische Militär ukrainische faschistische Organisationen zerschlägt. Aber wir wissen, dass, wie wir schon telefonisch besprachen, diese Zerschlagung in ihrer Effektivität zeitlich begrenzt sein wird, gerade weil das Putin-Regime den Kapitalismus als Wurzel des Faschismus nicht aufhebt, sondern im Gegenteil auf eine friedliche Koexistenz mit denjenigen imperialistischen Mächten hofft, die ihm gerade den Krieg erklärt haben. Einen weiteren Horizont hat Putin nicht und kann ihn auch als bürgerlicher Politiker nicht haben.

Insofern ist die Praxis der ‚militärischen Verteidigung‘ wichtig. Wir rufen die Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern auf, Waffenlieferungen an die Ukraine zu boykottieren und zu bestreiken. Wir rufen russische Arbeiter dazu auf, solche Industrien, die gegenwärtig für den militärischen Erfolg Russlands zentral sind, nicht zu bestreiken (wir wiesen in diesem Rahmen auf unsere Opposition zum Streik weißrussischer Eisenbahner auf, die Waffenlieferungen an russische Truppen bestreikten). Hätten wir eine russische Gruppe, würde diese an der Kriegsmobilisierung teilnehmen, würde aber in ihrer Propaganda auf die Unfähigkeit Putins hinweisen, den Imperialismus jenseits eines militärischen Siegs in der Ukraine zu besiegen und daher auf die Notwendigkeit sozialistischer Revolutionen sowohl in Russland als auch in den imperialistischen Ländern hinweisen. Sollte es innerhalb Russlands Streiks in Industrien geben, die sich lediglich für die Verbesserung der Lebensbedingungen einsetzen, ohne den eigentlichen Kriegseinsatz zu behindern (beispielsweise in einer Bierbrauerei), würden wir diese nach wie vor unterstützen. Dies ist die Praxis der ‚militärischen Verteidigung Russlands‘ bzw. die praktische Umsetzung der Forderung nach einem militärischen Sieg Russlands.“

In einem späteren Nachtrag fügte unser Genosse hinzu:

„…es gibt eine bestimmte Schnittmenge an sich überlappenden Interessen … zwischen den historischen Interessen der internationalen Arbeiterklasse und dem Putin-Regime…:

Die internationale Arbeiterklasse hat ein Interesse daran, dass das abhängig-kapitalistische Russland in seiner Auseinandersetzung mit dem imperialistischen Westen gewinnt. Warum? Weil im Falle eines russischen Sieges der Imperialismus geschwächt und er damit entmutigt würde, weitere Konflikte, wie z. B. gegen China anzuzetteln.“