Besser verspätet als nie

Internationalistische Gruppe: Korrektur zu Russland gegen NATO…„sollte präziser und ehrlicher sein”

„Einen Fehler offen zuzugeben, seine Ursachen aufdecken, die Umstände, die ihn hervorgerufen haben, analysieren, die Mittel zur Behebung des Fehlers sorgfältig prüfen – das ist das Merkmal einer ernsten Partei ….“
– W. I. Lenin, Der ‘linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus

In unserem Artikel „Lackmustest für Trotzkisten“ vom 10. Oktober 2022 untersuchten wir die Haltung diverser vorgeblich trotzkistischer Strömungen gegenüber Russlands Militärkampagne zur De-NATOisierung der Ukraine. Wir unterschieden die Positionen der offen sozialimperialistischen Strömungen, die sich auf die Seite der Ukraine (und ihrer NATO-Paten) stellten, von anderen, die eine neutrale Position einnahmen (von ihnen allgemein als „revolutionärer Defätismus“ auf beiden Seiten bezeichnet). Viele der Organisationen, die sich geweigert haben, eine der beiden Seiten in dem Konflikt zu unterstützen, betrachten Russland fälschlicherweise als eine „imperialistische“ Macht, die qualitativ mit den USA, Britannien, usw. vergleichbar ist. Obwohl sie damit völlig falsch liegen, hat ihre Herangehensweise an das, was sie als einen „inner-imperialistischen“ Konflikt betrachten, eine Art formale Logik.

Aber die Neutralität jener vorgeblich trotzkistischen Gruppen, die den Begriff des „russischer Imperialismus“ ablehnen, entbehrt jeder Logik. Wenn ein nicht-imperialistisches Land (wie Russland) in einen im Wesentlichen defensiven Kampf gegen ein aggressives imperialistisches Militärbündnis (in diesem Fall die US/NATO-Achse und ihr ukrainischer Vasall) verwickelt ist, ergreifen Trotzkisten Partei – mit Ersteren gegen die Letzteren. In unserer ersten Erklärung zum Konflikt vom 27. Februar 2022 haben wir klargestellt, dass die Unterstützung eines russischen Sieges über die NATO keine politische Unterstützung für die repressive kapitalistische Herrscherclique im Kreml bedeutet:

„Ohne Putins reaktionärem bonapartistischen Regime auch nur einen Zentimeter politische Unterstützung zu gewähren, erkennen Marxisten an, dass ein russischer Sieg die imperialistische Achse USA/NATO schwächen und künftige militärische Aggressionen gegen den deformierten Arbeiterstaat China und andere auf der US-Abschussliste erschweren wird; umgekehrt würde ein Sieg des ukrainischen NATO-Stellvertreters weitere Aggressionen fördern.”

In unserem jüngsten Artikel „NATO gegen Russland in der Ukraine – Ein Lackmustest für Trotzkisten“ haben wir die Begründungen von drei Gruppen diskutiert, die Putins Russland nicht als imperialistische Macht betrachten, aber dennoch eine neutrale Position im Ukraine-Konflikt einnehmen: die World Socialist Website (herausgegeben von David Norths Socialist Equality Party und in Deutschland durch die Soziale Gleichheitspartei vertreten), die Trotskyist Fraction (TF – eine Tendenz mit Sitz in Argentinien, die in den USA Left Voice herausgibt und in Deutschland durch die Revolutionäre Internationalistische Organisation repräsentiert ist) und die in New York ansässige Internationalist Group (IG – in Deutschland durch die Internationalistische Gruppe), die wie wir von ehemaligen Kadern der einst revolutionären Spartacist League (SL) gegründet wurde. Besonders überrascht (und enttäuscht) waren wir von der anfänglichen Weigerung der IG, sich militärisch auf die Seite des Kremls gegen die NATO zu stellen.

Weniger als zwei Wochen nach dem Erscheinen unseres „Lackmustests“ gab die IG bekannt, dass sie ihre Position der unparteiischen Neutralität zugunsten des russischen Verteidigungskampfes aufgeben würde. Wir begrüßen diese Veränderung – bis jetzt waren wir trotz unserer geringen Größe wahrscheinlich die führenden Befürworter eines russischen militärischen Sieges unter den vielen internationalen Tendenzen, die sich als trotzkistisch bezeichnen.

Anders als die TF und die WSWS, die weiterhin an einer neutralen Position in dem Konflikt festhalten, hat die IG endlich die Legitimität der russischen Militärintervention anerkannt, um die ukrainische Bastion der NATO zu zerstören. Es ist keine Schande, einen Fehler zu machen; selbst die besten Revolutionäre (darunter Wladimir Lenin, Leo Trotzki und Rosa Luxemburg) haben zu verschiedenen Zeitpunkten bedeutende politische Fehler gemacht. Entscheidend für die Beurteilung einer politischen Gruppierung ist, wie sie auf ihre Fehler reagiert, wie Lenin in der oben zitierten Passage aus dem „‘Linken Radikalismus‘ – Kinderkrankheit des Kommunismus“ bemerkte.

Zwar hat die IG ihren anfänglich falschen Standpunkt inzwischen korrigiert, doch muss sie ihren Fehler, den militärischen Sieg Russlands über die NATO und ihren ukrainischen Stellvertreter nicht von Anfang an unterstützt zu haben, noch „offen eingestehen“. Bei der Verkündung ihres Kurswechsels stellte die IG richtig fest:

„Washington und seine Verbündeten in der Nordatlantikpakt-Organisation schwören, „Russlands Krieg gegen die Ukraine zu einem strategischen Scheitern zu machen“1 und bestehen darauf, dass Russland besiegt und gezwungen werden muss, sich aus dem gesamten Gebiet zurückzuziehen, das früher einmal die Ostukraine war, einschließlich der Krim und der „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk, die sich 2014 von dem faschistisch verseuchten Putschregime in Kiew losgesagt haben. Viele imperialistische Strategen wollen noch weiter gehen und Russland zerschlagen, um das Land, das sie als geopolitischen Rivalen betrachten, zu zerstören und sich seiner Ressourcen zu bemächtigen.“

Aber die IG irrt, wenn sie behauptet, dass es bis September/Oktober 2022 dauerte, bis „Quantität in Qualität umschlug“ und „die ukrainische Armee in Wirklichkeit zu einer Außenstelle der NATO wurde“. Die IG führt drei wichtige Faktoren für den angeblichen qualitativen Wandel von September bis Oktober an. Der erste ist die „riesige Menge mehr oder weniger hochentwickelter Waffen und Munition, die aus den Vereinigten Staaten und anderen westlichen Ländern in die Ukraine geliefert wird“. Aber das geschieht schon seit 2014 so. Tatsächlich enthielt die Erklärung der IG vom 28. Februar mit dem Titel „Behind the War: U.S./NATO War Drive Against Russia, China“ (deutsche Übersetzung: „Hinter dem Krieg: USA/NATO Kriegskurs gegen Russland, China“) eine Bildunterschrift, die lautete: „Die USA liefern Hunderte von Javelin-Panzerabwehrraketen, Kiew, Januar 2022. Die NATO-Länder haben große Mengen an Waffen geliefert, um das Regime in der Ukraine zu stützen.“

Das zweite Argument der IG für den angeblich „veränderten Charakter des Konflikts“ lautet:

„Nicht nur, dass die USA und ihre Verbündeten tief in die Ausbildung, Planung und Durchführung ukrainischer Militärschläge verwickelt sind, nicht nur, dass es in der Ukraine von CIA-Agenten und Kommandos von Spezialkräfte, „pensionierten“ und im Dienst, wimmelt, plus mehreren tausend ausländischen „Freiwilligen“ (Söldnern) in faschistisch geführten ukrainischen Einheiten, sondern auch, dass US-Offiziere jeden Schlag mit HIMARS-Raketen im Voraus überprüfen.“

Die USA haben tatsächlich die Kontrolle über die mit dem HIMARS-System durchgeführten Angriffe. Damit soll vermieden werden, dass das ukrainische Militär die Anweisungen ignoriert, keine Ziele auf russischem Boden anzugreifen, und damit eine massive Eskalation des Konflikts über die Ukraine hinaus riskiert. Vor der Anschaffung des HIMARS-Systems verfügte die Ukraine nicht über NATO-Waffen, die in der Lage waren, russisches Territorium zu treffen. Die HIMARS kamen im Juni in der Ukraine zum ersten Mal zum Einsatz, und zwar zu einem Zeitpunkt, als, wie wir feststellten, „plötzlich [Henry] Kissinger, die New York Times usw. zu Verhandlungen aufriefen. Vermutlich, weil das russische Militär das [faschistische] Asow-Bataillon usw. im Donbass erfolgreich vernichtet…“. Die Einführung des HIMARS stellte nur eine relativ kleine Erweiterung der seit 2014 laufenden Integration des ukrainischen Militärs in die NATO-Kommandostruktur dar. Wir spekulierten, dass die IG die Ankunft des HIMARS-Systems zum Anlass nehmen könnte, ihre bisherige Haltung aufzugeben und einen russischen militärischen Sieg über die NATO und ihre Stellvertreter zu befürworten:

„Die Position der ‚revolutionären‘ Neutralisten in diesem Konflikt muss unbequem sein…. Für die IG/SL [Internationalist Group/Spartacist League, die beide anerkennen, dass Russland keine imperialistische Macht ist] wird es sehr schwierig sein, ihren anfänglichen Fehler kohärent zu erklären, ohne zuzugeben, dass sie falsch liegen. Für die SL ist das natürlich kein Problem, denn sie hat sich darin geübt, einstimmig von der zuvor einstimmig befürworteten Position abzurücken. Vermutlich wird sich die IG, die so spröde ist, dass sie nicht einmal vorgeben kann, ihre eigene Geschichte ernsthaft zu untersuchen, auf die neuen US-Raketen [d.h. HIMARS] oder etwas Ähnliches stürzen und behaupten, dass sich die Situation qualitativ verändert hat (und damit auch ihre Position).“

Die mangelnde Bereitschaft der IG, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen (insbesondere mit den Ursprüngen und dem zeitlichen Ablauf der politischen Degeneration der einst revolutionären SL, aus der wir beide hervorgegangen sind), ist ein Thema, das wir bei mehreren Gelegenheiten angesprochen haben – am ausführlichsten in einem langen Brief vom Dezember 1996 (abgedruckt im Trotskyist Bulletin Nr. 6, S. 7-23). Unsere Erwartung, dass die IG die Einführung der HIMARS im Juni nutzen würde, um ihren ursprünglichen Fehler zu korrigieren, hat sich als falsch erwiesen.

Der dritte Teil der Begründung der IG für ihren Kurswechsel ist, dass die NATO das ukrainische Militär „in Echtzeit” mit „sehr guten Satellitenbildern” versorgt hat. Aber auch dies ist wiederum nicht neu; es war während des gesamten Konflikts ein zentraler Bestandteil des Versuchs der USA/NATO, die militärischen Kapazitäten ihres Stellvertreters zu verbessern. Die Behauptung der IG, dass „dieses Maß an Kontrolle auf den NATO-Treffen vom 12. und 13. Oktober [2022] in Brüssel institutionalisiert wurde“, ist lächerlich, wenn man die verfügbaren Unterlagen über die allmähliche operative militärische Integration der Ukraine in die US/NATO-Streitkräfte berücksichtigt, von denen wir einige zu Beginn der Feindseligkeiten, in der am 27. Februar 2022 veröffentlichten Erklärung, dargelegt haben:

„2013 wurde ein ‚Defence Education Enhancement Programme‘ (DEEP; auf deutsch: Verbesserungsprogramm der Verteidigungsausbildung) gestartet, um das ukrainische Militär zu modernisieren. Auf der NATO-Website heißt es: ‚DEEP fördert die Verteidigungsfähigkeit und den Aufbau von Institutionen. Durch die Stärkung der demokratischen Institutionen leistet es einen wichtigen Beitrag zu den Bemühungen der NATO um Stabilität im euro-atlantischen Raum und darüber hinaus zu erlangen‘. Im Jahr 2015 wurde die Ukraine in die NATO Support and Procurement Agency (NSPA) aufgenommen, was ihr den Zugang zu Rüstungsgütern ermöglichte. Zwei Jahre später erklärte die Ukraine die NATO-Mitgliedschaft zu einem strategischen nationalen Ziel.“

Das „strategische Ziel“ der USA/NATO bei der Unterstützung des Staatsstreichs von 2014 bestand darin, die Ukraine zu einem Handlanger des langjährigen Ziels Washingtons zu machen, Russland zu zerstückeln. Zu diesem Zweck wurde das ukrainische Militär gemäß den NATO-Standards und -Einsatzdoktrinen umorganisiert. In einem Artikel aus dem Jahr 2017 über das von der NATO initiierte „Zentrum für Doktrinen und Taktiken“ in der Ukraine stellte eine russische Denkfabrik fest:

„die Tatsache, dass die Ukraine bereits zu einem integralen Bestandteil des westlichen Abschreckungsmodells geworden ist, wird durch die praktisch ständige Präsenz von Militärpersonal der Mitgliedsländer der Allianz auf den Truppenübungsplätzen der Ukraine belegt. Diese ständige Präsenz wird durch Rotation, gemeinsame bilaterale Übungen oder Übungen innerhalb der NATO oder durch die Notwendigkeit der Anwesenheit von Beobachtern der Allianz aufrechterhalten.”

Die Autoren stellten fest, dass:

„Als Ergebnis [der Ausbildung in NATO-Doktrinen, Organisationsstrukturen und Taktiken] wird die Ukraine, selbst wenn sie nicht formell Mitglied der NATO wird, in die Pläne eines antirussischen Bündnisses einbezogen. Insbesondere werden durch verschiedene bilaterale Abkommen die Stationierung von Truppen und die Einrichtung von Militärstützpunkten auf dem Territorium des Landes legalisiert.“

Als die Feindseligkeiten am 24. Februar 2022 begannen, machte das russische Militär das von den USA errichtete Marineoperationszentrum in Otschakow zu einem Ziel von höchster Priorität. Drei Tage zuvor hatte Wladimir Putin erklärt, es solle „die Aktionen der NATO-Schiffe, einschließlich des Einsatzes von Hochpräzisionswaffen durch sie, gegen die russische Schwarzmeerflotte und unsere Infrastruktur entlang der gesamten Schwarzmeerküste verhindern“.

Der aktuelle militärische Konflikt wurde durch die Ausdehnung der NATO an die Grenzen Russlands ausgelöst – es geht um die Frage, ob die Ukraine ein „Recht“ hat, dem antirussischen imperialistischen Militärbündnis beizutreten. Die im Februar 2022 gestartete „Spezialmilitäroperation“ stellte die Eskalation eines Konflikts dar, der acht Jahre zuvor begonnen hatte, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow im vergangenen April bemerkte:

„Im Februar 2014 half die Europäische Union bei der Vermittlung eines Abkommens zwischen dem ukrainischen Präsidenten [Viktor Janukowitsch] und der Opposition. Am nächsten Morgen wurden die Unterzeichner, nämlich die Vertreter der EU (Polen, Frankreich und Deutschland), von der Opposition ignoriert, die einen Staatsstreich durchführte. Sie erklärten, dass sie eine ‚Regierung der Sieger‘ bilden würde, sie würde den Sonderstatus der russischen Sprache aufheben, sie drohte damit, ethnische Russen von der Krim zu vertreiben und schickte bewaffnete Gruppen, um den Obersten Rat der Krim zu stürmen. So hat der Krieg begonnen.”

Die NATO war von Anfang an in den Konflikt in der Ostukraine verwickelt, und zwar durch ihre fortwährenden Bemühungen, die Waffen und Taktiken der ukrainischen Armee zu reorganisieren und zu modernisieren. Das meinte Adam Schiff, der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Repräsentantenhauses, als er im Januar 2020 vor dem Kongress erklärte: „Die Vereinigten Staaten unterstützen die Ukraine und ihr Volk, damit wir Russland dort bekämpfen können und nicht hier bekämpfen müssen.“

Die US/NATO-Politik in der Ukraine wird seit dem Maidan-Putsch von 2014, durch den Präsident Viktor Janukowitsch gestürzt wurde, der erfolglos versucht hatte, ein Gleichgewicht zwischen dem Kreml und der EU/Washington-Achse herzustellen, vom „Kampf gegen Russland“ getrieben. Dieses Ziel wurde am 7. April 2022 deutlich, als die stellvertretende kanadische Premierministerin Chrystia Freeland (Enkelin eines prominenten ukrainischen Nazis aus dem Zweiten Weltkrieg) in ihrer Rede zur Vorlage des Regierungshaushalts von der „Vernichtung“ des russischen Militärs sprach:

„Putin und seine Gefolgsleute sind Kriegsverbrecher. Die Demokratien der Welt – einschließlich unserer eigenen – können nur sicher sein, wenn der russische Tyrann und seine Armeen vollständig besiegt werden. Und das erwarten wir von den mutigen Menschen in der Ukraine. Da sie unseren Kampf führen – einen Kampf für die Demokratie -, liegt es in unserem dringenden nationalen Interesse, dafür zu sorgen, dass sie die Raketen und das Geld haben, die sie zum Sieg brauchen. Und genau dazu trägt dieser Haushalt bei.”

Mit seiner Militärintervention im Februar verfolgte der Kreml zwei Hauptziele: 1) die Beendigung von acht Jahren militärischer Angriffe auf die russischsprachige Bevölkerung im Donbass und 2) die Zerschlagung der Anbindung der Ukraine an die NATO. Revolutionäre können in keiner dieser beiden Fragen gleichgültig sein. Die Frage der Integration der Ukraine in die NATO (d.h. ihr angebliches „Recht“, dem imperialistischen Bündnis beizutreten) war von Anfang an ein zentrales Thema des Konflikts.

In einem am 14. Mai 2022 veröffentlichten Artikel stellte Glen Greenwald fest, dass die Rolle der Ukraine als NATO-Stellvertreterin im Kampf um die „Auslöschung“ Russlands von führenden Persönlichkeiten sowohl der Demokratischen als auch der Republikanischen Partei weitgehend geteilt wird:

„Wie wir am Dienstag feststellten, haben viele führende Demokraten, wie z.B. der Abgeordnete Jason Crow (D-CO), begonnen, über diesen Krieg nicht nur als einen amerikanischen Stellvertreterkrieg zu sprechen – was er schon lange ist – sondern als ‚unseren Krieg‘, den wir bis zum Ende kämpfen müssen, damit der ‚Sieg‘ unser ist, während Senator Lindsey Graham (R-SC) schwört, dass es ‚keine Ausreden‘ gibt, um den Krieg diplomatisch zu beenden, da das wahre Ziel des Krieges der Regimewechsel in Moskau ist.
Noch schlimmer ist, dass der zweiundachtzigjährige Mehrheitsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, Steny Hoyer (D-MD), der sich nun in seiner zwanzigsten Amtszeit im Kongress befindet, am Freitag im Repräsentantenhaus zweimal erklärte, dass ‚wir uns im Krieg befinden‘ – was bedeutet, dass sich die USA jetzt im Krieg mit Russland befinden – und dass es daher unangebracht ist, unseren Präsidenten scharf zu kritisieren….
. . .
Noch vor zwei Monaten wurden diejenigen, die feststellten, dass es sich nicht um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern um einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA/NATO handelte, als Kreml-Propagandisten verunglimpft. Jetzt rühmen sich die US-Führer offen mit dieser Tatsache und gehen noch weiter, indem sie behaupten, die USA befänden sich tatsächlich im Krieg mit Russland und müssten einen vollständigen Sieg erringen. Dass kein einziger demokratischer Politiker bereit ist, dem zu widersprechen oder auch nur irgendetwas davon in Frage zu stellen, spricht Bände darüber, was diese Partei ist, und auch darüber, wie gefährlich dieser Krieg für die Amerikaner und die Welt im Allgemeinen geworden ist.“

Ein Artikel im New Yorker vom 24. Oktober mit der Überschrift „Inside the U.S. Effort to Arm Ukraine“ enthielt den folgenden ausführlichen Untertitel: ‚Seit Beginn der russischen Invasion hat die Biden-Regierung wertvolle Geheimdienstinformationen und immer leistungsfähigere Waffen bereitgestellt – eine riskante Entscheidung, die sich im Kampf gegen Putin ausgezahlt hat.‘“

Der Artikel zeichnet die Beteiligung der USA an dem Konflikt nach:

„In den ersten Tagen des Krieges erklärte Biden den nationalen Sicherheitsbeamten im Weißen Haus und im Verteidigungsministerium, dass die USA in der Ukraine drei politische Hauptinteressen hätten. ‚Erstens: Wir werden nicht zulassen, dass wir in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden‘, erinnerte sich ein hochrangiger Beamter der Biden-Administration. ‚Zweitens müssen wir sicherstellen, dass wir unsere Verpflichtungen gemäß Artikel 5 der NATO-Vereinbarung erfüllen können‘ (….). ‚Und drittens werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um der Ukraine auf dem Schlachtfeld zum Erfolg zu verhelfen‘, so der Beamte weiter. ‚Der Präsident war deutlich: Wir wollen nicht, dass die Ukraine besiegt wird.‘“
– Ebenda

Die US/NATO-Kriegsplaner übernahmen von Anfang an die Verantwortung für die Versorgung des ukrainischen Militärs:

„Zu diesem Zeitpunkt [April 2022] verfügte die Armee nach Angaben ukrainischer Generäle über genügend Artilleriemunition für zwei Wochen intensiver Kämpfe. Die Ukraine verwendete 152-Millimeter-Granaten, eine Munitionsart, die viele ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten von der Sowjetunion geerbt hatten. Die NATO-Streitkräfte verwenden 155-Millimeter-Granaten, und die beiden Systeme sind nicht kompatibel. Das Problem bestand nicht nur darin, dass die Bestände an Munition sowjetischen Kalibers in der Ukraine zur Neige gingen, sondern auch darin, dass sie überall auf der Welt immer schwerer zu finden waren. Zu Beginn des Krieges hatten westliche Regierungen und private Waffenhändler Transfers aus Ländern wie Bulgarien und Rumänien ausgehandelt. Zu den größten Waffenlagern gehörten diejenigen, welche die USA und die NATO für die afghanischen Sicherheitskräfte bestimmt hatten und die sich seit der Machtübernahme durch die Taliban ungenutzt in osteuropäischen Lagern befanden. …. Konteradmiral R. Duke Heinz, der Leiter der Logistikabteilung des Europäischen Kommandos der US-Armee, sagte: ‚Wir sahen, dass immer weniger Länder die Hand hoben und sagten, sie hätten Munition zu spenden.‘ Das ließ eine andere Option übrig: Die Ukraine müsste auf Waffen mit NATO-Kalibern umsteigen. Am 26. April trafen sich die Verteidigungsminister von mehr als vierzig Ländern, darunter alle NATO-Mitgliedstaaten, auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein. Der amerikanische Verteidigungsminister Austin eröffnete die Sitzung. ‚Die Ukraine ist eindeutig davon überzeugt, dass sie gewinnen kann, und alle Anwesenden glauben das auch‘, sagte er. ‚Ich weiß, dass wir alle entschlossen sind, alles zu tun, was wir können, um die Bedürfnisse der Ukraine zu erfüllen, während sich der Kampf weiterentwickelt.‘“
– Ebenda

US-Personal hat während des gesamten Konflikts eine zentrale Rolle bei der Lieferung von Waffen und anderer wichtiger Ausrüstung an die Ukraine gespielt. Ein berühmtes Beispiel ist das von Elon Musk bereitgestellte Starlink-Kommunikationsnetz, wie in einem Artikel vom 21. Oktober 2022 auf der Website von „Visit Ukraine Today“ beschrieben:

„Wie Sie wissen, hat Musk der Ukraine zu Beginn des richtigen Krieges Starlink-Stationen zur Verfügung gestellt, die den Ukrainern sehr geholfen haben, auch dem Militär.
. . .
Satelliten-Internetsignale können nicht wie normale Funksignale gestört werden, und die Einrichtung des Satelliten-Internet-Kits dauert nur 15 Minuten. So können die Streitkräfte Starlink für eine stabile und einsatzbereite Kommunikation zwischen dem Hauptquartier und dem Militär an der Front nutzen.“

In dem Artikel des New Yorker wird die Rolle von US-Spionageflugzeugen und Satelliten bei der Bereitstellung von Echtzeitinformationen für die Ukraine beschrieben:

„Die Ukraine verfügt über eine Flotte von Aufklärungsdrohnen und ein loses Netz menschlicher Quellen in den vom russischen Militär kontrollierten Gebieten, aber ihre Fähigkeit, auf dem Schlachtfeld Informationen zu sammeln, nimmt etwa fünfzehn Meilen hinter der Frontlinie stark ab. US-Spionagesatelliten können dagegen überall auf der Erde Schnappschüsse von Truppenstellungen machen. Näher am Boden fliegende Spionageflugzeuge des US-Militärs, die entlang der Grenzen fliegen, vervollständigen das Bild, und nachrichtendienstliche Abhörmaßnahmen erlauben es Analytikern, die Kommunikation zwischen russischen Befehlshabern abzuhören. Seit der Invasion haben die USA und andere westliche Partner einen großen Teil dieser Informationen an die Ukraine weitergegeben. Mykola Bielieskov, ein Verteidigungsexperte am Nationalen Institut für Strategische Studien in Kiew, sagte: ‚Das ist ein wichtiger Bereich, in dem uns die USA helfen.‘“
– Ebenda

IG-Genossen, bitte beachtet: Musks Starlink lieferte dem ukrainischen Militär von Anfang an „operative Kommunikation“, und US-Spionagesatelliteninformationen wurden „seit der Invasion“, d. h. seit Februar 2022, ausgetauscht. Der US/NATO-Geheimdienst spielte eine entscheidende Rolle bei der spektakulären Versenkung des russischen Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte im April:

„Eines Abends im April baten ukrainische Militäroffiziere in einem nachrichtendienstlichen Koordinationszentrum irgendwo in Europa ihre amerikanischen und NATO-Kollegen um die Bestätigung einer Reihe von Koordinaten. Dies war zu einer gängigen Praxis geworden. Die ukrainischen Vertreter baten manchmal um die Bestätigung des Standorts eines russischen Kommandopostens oder eines Munitionsdepots. ‚Wir machen das, das ist nur gerecht‘, sagte der hochrangige Beamte der Regierung Biden.
. . .
Die ukrainische Anfrage im April bezog sich auf den vermuteten Standort der ‚Moskwa‘, eines russischen Seekreuzers und Flaggschiffs der Schwarzmeerflotte. Konnten die US-Geheimdienste bestätigen, dass sich das Schiff an bestimmten Koordinaten südlich der ukrainischen Hafenstadt Odessa befand? Die Antwort lautete ‚Ja‘. Schon bald sahen Beamte in Washington Presseberichte, wonach das Schiff eine Art Explosion erlitten hatte. Am 14. April verschwand die ‚Moskwa’ im Schwarzen Meer.“
– Ebenda

Das war genau sechs Monate vor dem „NATO-Treffen vom 12. bis 13. Oktober in Brüssel“, das laut IG die qualitative Umwandlung des ukrainischen Militärs in einen imperialistischen Stellvertreter markiert. Sogar die zombiehaften Überreste der einstmals revolutionären Spartacist League (in Deutschland vertreten durch die Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands), die sich immer noch an den beidseitigen Defätismus klammern, den die IG schließlich aufgegeben hat, wissen, dass sich seit Februar nichts Wesentliches an den Beziehungen zwischen den USA/NATO und ihrem ukrainischen Stellvertreter geändert hat (obwohl die SL nicht in der Lage ist, die offensichtliche politische Konsequenz zu ziehen):

„Schon seit 2014 ist die Ukraine ein Stellvertreter für die Imperialisten. Direkt bei Ausbruch des Konflikts überschwemmten imperialistische Waffen die Ukraine und militärische Operationen wurden durchweg mit der NATO koordiniert. Die IG führt endlose Details an über dieses oder jenes Waffensystem, über Reden, über militärische Kooperationen, um zu ‚beweisen‘, dass die ukrainische Offensive im September einen qualitativen Wechsel darstelle.“

Während der vielen Monate, in denen sich die IG hartnäckig weigerte, in dem Konflikt Partei zu ergreifen, positionierte sie sich gleichzeitig als harter Gegner des imperialistischen Bündnisses und machte gelegentlich ein paar aufschlussreiche Beobachtungen zu dem, was auf dem Spiel stand, wie zum Beispiel die folgende:

„Zusammen mit seinen Verbündeten in der imperialistischen Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) schickt Washington immer schwerere Angriffswaffen an das faschistisch verseuchte ukrainische Militär. Aber die USA haben den Untergang Russlands als dramatisches Beispiel für die militärischen Fähigkeiten der USA und der NATO und als implizite Bedrohung für China im Visier. Die USA schwören, Russland zu besiegen und sein Militär zu schwächen, so dass es auf Jahre hinaus ‚geschwächt‘ sein wird, wie Pentagon-Chef General Lloyd Austin sagte.“
internationalist.org, Mai 2022 [eigene Übersetzung]

Die IG weiß, dass Russland keine imperialistische Macht ist und dass die Versuche des US/NATO-Bündnisses, das „faschistisch verseuchte ukrainische Militär“ zu nutzen, um „Russland zu besiegen und sein Militär zu zermürben“, auch den chinesischen deformierten Arbeiterstaat bedrohen. Dennoch weigerte sie sich, eine Seite zu beziehen. Als die anfängliche Welle intensiver Anti-Russland-Hysterie im Juni abebbte, dachten wir, dass die IG bereit sein könnte, eine Position aufzugeben, die eindeutig zu einer Peinlichkeit geworden war; aber sie gab erst im Oktober endgültig ihre Neutralität auf. Zu diesem Zeitpunkt meldeten die Meinungsforscher, dass eine Mehrheit der Amerikaner der US-Ukraine-Politik, insbesondere der scheinbar unbegrenzten Finanzierung des Krieges, überdrüssig geworden war.

Die IG war nicht die einzige Organisation, die auf den Meinungsumschwung in der Bevölkerung reagierte; auch die Regierung Biden begann, ihre Haltung neu zu justieren, als die Unterstützung für den Krieg abnahm.

Am 5. November berichtete die Washington Post, dass das Weiße Haus angesichts der weit verbreiteten „Kriegsmüdigkeit“ Selenskyj dazu drängte, so zu tun, als sei er offen für Verhandlungen:

„Während US-Beamte die Einschätzung ihrer ukrainischen Kollegen teilen, dass Putin es mit Verhandlungen vorerst nicht ernst meint, räumen sie ein, dass das Verbot Wolodymyr Selenskyjs von Gesprächen mit ihm, in Teilen Europas, Afrikas und Lateinamerikas Besorgnis ausgelöst hat, dort wo die verheerenden Auswirkungen des Krieges auf die Verfügbarkeit und die Kosten von Lebensmitteln und Treibstoff am stärksten zu spüren sind.
‚Für einige unserer Partner ist die Ukraine-Müdigkeit ein echtes Problem‘, sagte ein US-Beamter, der, wie andere für diesen Bericht befragte Personen, unter der Bedingung der Anonymität sprach, um die sensiblen Gespräche zwischen Washington und Kiew zu diskutieren.“

Es scheint unwahrscheinlich, dass es ernsthafte Verhandlungen geben wird, aber wenn sie stattfinden, kann man davon ausgehen, dass Selenskyjs Regierung in etwa die gleiche Rolle spielen wird wie das Marionettenregime von Ashraf Ghani während des afghanischen „Friedensprozesses“, der dem chaotischen Abzug der US-Truppen aus Kabul im August 2021 vorausging.
In unserem „Lackmustest“ vom Oktober 2022 stellten wir fest, dass die Weigerung der IG, sich militärisch auf die Seite Russlands gegen die Imperialisten und ihre Stellvertreter zu stellen,

„angetrieben durch die Anpassung an die politische Rückständigkeit“ war. „Erschwerend kommt hinzu, dass die Führer der Gruppe nur ungern zugeben, überhaupt einen Fehler gemacht zu haben. Führerkulte verschiedener Couleur betreiben routinemäßig diese Art von ‚Prestigepolitik‘, doch ist dies ein Ansatz, der der bolschewistisch-leninistischen Tradition, in der die IG zu stehen behauptet, völlig fremd ist.“

Der mühsame Versuch der IG, ein routinemäßiges NATO-Treffen Mitte Oktober als einen Moment der qualitativen Veränderung darzustellen, erinnert an die ungeschickten Versuche des Kremls und seiner internationalen Satelliten, die verschiedenen abrupten politischen Wendungen der sowjetischen Bürokratie zu entschuldigen. 1954 bemerkte James P. Cannon:

„Wissen Sie, die Stalinisten machen mehr Änderungen, und zwar schnellere und drastischere Änderungen als jede andere Partei in der Geschichte. Aber sie sagen nie: ‚Wir haben einen Fehler gemacht.‘ Sie sagen immer: ‚Die Situation hat sich geändert.‘ Wir sollten präziser und ehrlicher sein.“