Präsentation der BT bei der Ukraine-Debatte mit der SL

Wie ihr wahrscheinlich wisst, wollen wir von der Bolschewistischen Tendenz einen russischen militärischen Sieg in der Ukraine, während die Spartacist League auf beiden Seiten eine defätistische Position vertritt. Die meisten linken Gruppen, die eine Position des dualen Defätismus einnehmen (einschließlich der Trotzkistischen Fraktion, Socialist Action und unserer ehemaligen Genossen in der IBT), betrachten Russland als eine „imperialistische“ Macht, die den USA, Großbritannien usw. qualitativ gleichwertig ist; für sie ist der Konflikt im Wesentlichen ein Kampf zwischen rivalisierenden Imperialisten. Die SL hingegen lehnt den Begriff des „russischen Imperialismus“ ab und bezeichnet den Krieg seit Februar 2022 als „ein[en] regionale[n] Konflikt zwischen zwei nicht-imperialistischen Kapitalistenklassen“.

Dies steht im Gegensatz zur Analyse der SL im Januar 2014, als Workers Vanguard inmitten der von Faschisten angeführten Maidan-„Revolution“ anmerkte: „Das ständige Ziel der westlichen Imperialisten ist es, einen Klientelstaat an der Grenze zu Russland zu errichten …. Und die Ukraine wäre eine große Beute.“[2] Sechs Wochen später in einem Artikel mit der Überschrift „Ukraine Coup: Spearheaded by Fascists, Backed by U.S./EU Imperialists“ („Ukraine-Putsch: Angeführt von Faschisten, unterstützt von US/EU-Imperialisten“), behauptete die SL: „Mit seiner Intervention auf der Krim versucht Putin, die Interessen des kapitalistischen Russlands gegen die westlichen Imperialisten zu verteidigen, die versuchen, einen Klientelstaat an seiner Grenze zu errichten“[3]. Der Artikel ordnete die Schaffung eines ukrainischen Stellvertreters in den Kontext der imperialistischen Gesamtstrategie ein:

„In ihrem ständigen Streben nach weltweiter Hegemonie haben die USA versucht, Russlands Stärke als Regionalmacht zu beschneiden, die NATO kontinuierlich nach Osteuropa auszudehnen und zu versuchen, gefügige Regime … in ehemaligen Sowjetrepubliken zu installieren. Die USA haben auch Stützpunkte in Zentralasien und anderen Gebieten an der Peripherie Russlands errichtet. Diese militärische Ausweitung zielt auf die Einkreisung nicht nur des kapitalistischen Russlands, sondern auch Chinas ab…“ (Übersetzung durch die BT)

Die Einkreisung Russlands durch US-Klientelstaaten und Militärstützpunkte stellt in der Tat eine Bedrohung für den deformierten chinesischen Arbeiterstaat dar. Indem Russland sich der NATO-Expansion in die Ukraine widersetzt, verteidigt es sich selbst und (indirekt) auch China. Deshalb haben Revolutionäre in diesem Kampf eine Seite – und deshalb ist es falsch von der SL, ihn auszusitzen.

Als Russland 2014 auf die Krim vorrückte, stellte WV richtigerweise fest:

„Die westlichen Imperialisten und ihre Medien heulen lautstark über die russische ‚Aggression‘ auf der Krim. Aber….Putins Intervention ist im Wesentlichen defensiv, auch um Russlands Schwarzmeerflotte in Sewastopol zu schützen.“[4]

WV berichtete, wie der neue ukrainische Premierminister Arsenij Jazenjuk, der vom US-Außenministerium ausgewählt worden war, einige Tage nach seinem Amtsantritt nach Brüssel reiste, um den NATO-Generalsekretär zu treffen, der versprach, „unsere Bemühungen um den Aufbau der Kapazitäten des ukrainischen Militärs zu verstärken, auch durch mehr gemeinsame Schulungen und Übungen“.

Am 2. Mai 2014 verkündete WV:

„Wir sind gegen den jüngsten, von den USA unterstützten Putsch in der Ukraine, der von den Faschisten angeführt wurde, und stehen in Opposition zu den provokativen militärischen Vorstößen des Kiewer Regimes in der Ostukraine. Wir sind gegen die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland und gegen die militärische Präsenz der USA und der NATO im Baltikum und anderswo in Osteuropa“.[5]

Die Logik dieser Position, die die SL noch nicht offiziell aufgegeben hat, sollte offensichtlich darin bestehen, die „Sonder-Militäroperation“ des Kremls militärisch zu unterstützen, um die NATO aus der Ukraine zu vertreiben. Stattdessen weigert ihr euch, Partei zu ergreifen.

Seit Jahren diskutieren US-Strategen darüber, wie eine Aufteilung Russlands in mehrere kleinere Staaten das Land als geopolitischen Rivalen ausschalten und seine riesigen natürlichen Ressourcen für die Ausbeutung durch westliche Konzerne öffnen könnte. Zbigniew Brzezinski (Nationaler Sicherheitsberater von Jimmy Carter) und Dick Cheney (Verteidigungsminister 1991 und Vizepräsident unter Bush I und II) waren beide begeisterte Verfechter dieser Politik. In jüngerer Zeit, im September 2022, sponserte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa eine Veranstaltung in Warschau mit dem Titel „Decolonizing the Russian Empire“ (Entkolonialisierung des russischen Imperiums).[6] Am 23. Juni dieses Jahres veranstaltete die US-amerikanische „Commission on Security and Cooperation in Europe“ (Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) ein Kongress-Briefing zum Thema „Decolonizing Russia—A Moral and Strategic Imperative“ (Russland entkolonialisieren – Ein moralischer und strategischer Imperativ) [7], das als „ein längst überfälliges Gespräch über Russlands inneres Imperium, angesichts der Herrschaft Moskaus über viele einheimische nicht-russische Nationen und des brutalen Ausmaßes, mit dem der Kreml deren nationale Selbstdarstellung und Selbstbestimmung unterdrückt“ angepriesen wurde.

Artikel, in denen die „Entkolonialisierung“ und die Zerschlagung der Russischen Föderation diskutiert werden, sind kürzlich in The Atlantic, Foreign Policy, The Hill und Radio Free Europe erschienen.[8] Seid ihr, Genossinnen und Genossen, euch dieses seit Langem bestehenden imperialistischen Verlangens, Russland zu zerstückeln, tatsächlich nicht bewusst? Könnt ihr nicht verstehen, warum die russischen Machthaber dies als eine ernsthafte Bedrohung ansehen und warum sie bereit waren, ihre „militärische Sonderoperation“ in der Ukraine zu starten, um dem entgegenzuwirken?

Putin ist ein reaktionärer Bonapartist, ein homophober großrussischer Chauvinist und ein Feind der Arbeiterklasse. Aber in diesem Konflikt geht es nicht darum, Putins Regime zu unterstützen, sondern zu verhindern, dass die Ukraine zu einem „Frontstaat“ der NATO an der Grenze zu Russland wird. Westliche Experten beharrten lautstark darauf, dass Russlands „unprovozierte“ Intervention nichts mit der NATO-Erweiterung zu tun habe (so wie sie 20 Jahre zuvor bestritten, dass die USA in den Irak einmarschiert seien, um die Kontrolle über das Öl im Nahen Osten zu erlangen). Doch am 7. September bestätigte Jens Stoltenberg, der derzeitige NATO-Generalsekretär, beiläufig, dass die NATO-Erweiterung in der Tat den Konflikt ausgelöst habe – er sagte, Putin:

„wollte, dass wir dieses Versprechen unterschreiben, die NATO niemals zu erweitern. Er wollte, dass wir unsere militärische Infrastruktur in allen Bündnisstaaten, die der NATO seit 1997 beigetreten sind, abbauen. … Wir haben das abgelehnt. Also zog er in den Krieg, um die NATO, und noch mehr NATO, in der Nähe seiner Grenzen zu verhindern.“[9] (Übersetzung durch die BT)

Die militärischen Einrichtungen der NATO an den Grenzen Russlands erhöhen das Risiko eines präemptiven „Erstschlags“ erheblich, wie Theodore Postal, ein bedeutender amerikanischer Raketenwissenschaftler vom MIT (Massachusetts Institute of Technology),[10] erklärte. Das liegt daran, dass die russische Satellitenüberwachung derjenigen der NATO hinterherhinkt, so dass Moskau mehr Zeit braucht, um einen feindlichen Angriff zu erkennen und darauf zu reagieren – und die Ukraine als neutraler, nicht-militarisierter Puffer bietet diese Zeit. Wir verteidigen das Recht Russlands, die NATO-Anbindung der Ukraine als einen elementaren Akt der Selbstverteidigung zu kappen. Diese Frage ist der Kern des gegenwärtigen Konflikts, wie selbst Stoltenberg einräumt – doch bisher weicht die SL dieser Frage aus.

Die Behauptung, es handele sich lediglich um einen „regionalen Konflikt“ zwischen zwei abhängigen kapitalistischen Bourgeoisien, ignoriert völlig die geostrategischen Imperative, die den Stellvertreterkrieg der NATO antreiben. Die Weigerung, in diesem Konflikt Partei zu ergreifen, stellt einen bedeutenden, wenn auch uneingestandenen Kurswechsel gegenüber der früheren Erkenntnis der SL dar, dass die NATO-Expansion nicht nur auf Russland, sondern auch auf den deformierten chinesischen Arbeiterstaat abzielt. Meines Erachtens hilft James Robertsons Aphorismus vom „Programm, das die Theorie bestimmt“, die Ursprünge dieses abrupten programmatischen Wechsels zu erhellen, mit dem der Verzicht auf die militärische Unterstützung des Versuchs des Kremls, die Ukraine zu “entNATOisieren”, rationalisiert wurde.

Wir alle erinnern uns sicher noch an die frenetische bürgerliche Propaganda zur Verteidigung der „armen kleinen Ukraine“ im Februar 2022. Der Druck war groß; die herrschende Klasse befand sich auf dem Kriegspfad, und kapitalistische Ideologen jeglicher Couleur, von rechtsgerichteten Libertären bis zu radikalen Linksliberalen, prangerten hysterisch den „russischen Imperialismus“ an. In solchen Momenten ist es nicht leicht, aufzustehen und die einfache Wahrheit zu sagen. Die SL tat dies 1979, als sie die sowjetische Intervention in Afghanistan unterstützte. Zwei Jahre später, 1981, bewies die SL erneut die Fähigkeit, „gegen den Strom zu schwimmen“, als sie Lech Wałęsas Solidarność als Instrument der kapitalistischen Konterrevolution anprangerte. Doch 2022 kapitulierte die SL und verkündete unter Missachtung ihrer früheren Beschreibungen von Selenskijs faschistisch geprägtem Regime als Stellvertreter der NATO: „Dies ist ein Krieg zwischen zwei nicht-imperialistischen Ländern.“ [11] (Übersetzung durch die BT)

Die SL war nicht die einzige Tendenz, die von der Verurteilung des Maidan-Putsches von 2014 (der die USA Victoria Nuland zufolge 5 Milliarden Dollar gekostet hat) zu einer Haltung „weder Washington noch Moskau“ überging. Auch die Internationalistische Gruppe (IG) und David Norths World Socialist Web Site wichen im Februar 2022 zurück, als es darauf ankam. Sechs Monate später, als der Enthusiasmus für die ukrainische NATO-Marionette nachzulassen begann, nahm die IG ihre ursprüngliche Kapitulation zurück und vertrat verspätet eine Russland-verteidigende Position. Wir begrüßten diese Korrektur, kritisierten jedoch den plumpen Versuch der IG, ihre Kehrtwende mit einer Änderung der objektiven Lage zu begründen.[12] Die SL übte eine parallele Kritik, in der sie richtigerweise feststellte, dass:

„Schon seit 2014 … die Ukraine ein Stellvertreter für die Imperialisten [ist]. Direkt bei Ausbruch des Konflikts überschwemmten imperialistische Waffen die Ukraine und militärische Operationen wurden durchweg mit der NATO koordiniert.“[13]

Das ist richtig. Aber die Tatsache, dass „seit 2014 die Ukraine … ein Stellvertreter für die Imperialisten [ist]“, ist genau der Grund, warum Revolutionäre in diesem Kampf nicht neutral sein können. Im aktuellen Spartacist stellt ihr zurecht fest: „Der wesentliche Ausgangspunkt muss sein, dass es das imperialistische System selbst ist – heute definiert als die von den USA dominierte liberale Ordnung –, das für den Konflikt in der Ukraine verantwortlich ist.“[14] Im selben Artikel [oben in Spalte 2, S. 32] heißt es:

„Die beiden entscheidenden Akteure im Ukraine-Krieg sind Russland und die USA.“ (Übersetzung durch die BT)

Das ist sehr richtig – Russland und die USA sind tatsächlich die „zwei entscheidenden Akteure“. Aber wie kann ihr diesen Konflikt dann als „einen Krieg zwischen zwei nicht-imperialistischen Ländern“[15] bezeichnen, wenn die USA imperialistisch sind und Russland nicht? Im aktuellen Spartacist-Artikel heißt es, dass „die NATO und Russland in einen Stellvertreterkrieg verwickelt sind“[16], der:

„als Folge der jahrzehntelangen NATO-Osterweiterung ausgebrochen ist…. Russland sieht in der Ukraine ein lebenswichtiges strategisches Interesse…. Für das westliche liberale Establishment geht es bei der ‚Verteidigung der Ukraine‘ darum, die liberale Weltordnung zu verteidigen, d.h. das Recht der Vereinigten Staaten, zu tun, was sie wollen, wo immer sie es wollen.“ [Ebenda] (Übersetzung durch die BT)

Leider ist es unwahrscheinlich, dass die NATO eine Niederlage durch eine aufständische, klassenbewusste russische/ukrainische Arbeiterbewegung erleiden wird – aber es ist auch klar, dass der imperialistische Stellvertreter untergeht: Die ukrainische Armee hat horrende Verluste erlitten und scheint kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen, während die Wirtschaftssanktionen gegen Russland spektakulär gescheitert sind. Der NATO bleiben nur sehr wenige Optionen, ohne eine nukleare Konfrontation zu riskieren, die die amerikanische Bourgeoisie natürlich lieber vermeiden würde. Der aktuelle Spartacist stellt richtigerweise fest, dass ein russischer militärischer Sieg „ein demütigender Schlag für die USA wäre. Er würde Schwäche signalisieren, hätte destabilisierende Folgen für das politische Establishment Europas und würde die Zukunft der NATO in Frage stellen.“ Was kann man daran nicht mögen? Warum begrüßt die SL nicht die Aussicht auf eine bevorstehende imperialistische Niederlage und den Zusammenbruch der NATO?

Im WV vom 7. Februar 2020 heißt es zu Washingtons Einsatz seines ukrainischen Stellvertreters:

„Es ist kriminell, dass die USA Kiew in diesem Stellvertreterkrieg gegen die Aufständischen in der Ostukraine weiterhin bewaffnen und finanzieren. Der Russlandfeind Adam Schiff, der Amtsenthebungs-Zar der Demokraten im Kongress, wetterte in Anlehnung an einen Zeugen während [Trumps] Prozess: ‚Die Vereinigten Staaten unterstützen die Ukraine und ihr Volk, damit sie da drüben gegen Russland kämpfen können und wir hier nicht gegen Russland kämpfen müssen.‘“[17]

Schiffs Ansicht wird von vielen anderen führenden amerikanischen Politikern geteilt. Im vergangenen August erklärte der demokratische Senator Richard Blumenthal nach einem Besuch in Kiew zusammen mit seiner Kollegin Elizabeth Warren, Mitglied des Ausschusses für Streitkräfte des US-Senats: „Die Ukraine ist die Speerspitze in unserem Kampf für Unabhängigkeit und Freiheit.“ Er fügte hinzu:

„Unsere Investitionen in der Ukraine sind ihr Geld wert. Mit weniger als 3 Prozent des Militärbudgets unserer Nation haben wir es der Ukraine ermöglicht, Russlands militärische Stärke um die Hälfte zu verringern…. Und das alles, ohne dass auch nur eine einzige amerikanische Soldatin oder ein einziger amerikanischer Soldat verletzt wurde oder ums Leben kam.“[18]

Mitt Romney, der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat, bezeichnete die militärische Unterstützung für die Ukraine als „die besten Landesverteidigungsausgaben, die wir, wie ich glaube, je getätigt haben“, weil „wir das russische Militär für sehr wenig Geld schwächen und zugrunde richten … ein geschwächtes Russland ist eine gute Sache.“[19] Romney verknüpfte den Krieg in der Ukraine auch ausdrücklich mit dem sich abzeichnenden Kampf mit China:

„Das Wichtigste, was wir tun können, um Amerika im Verhältnis zu China zu stärken, ist, Russland in der Ukraine zu besiegen. Ein geschwächtes Russland dient als Abschreckung für die territorialen Ambitionen der KPCh …. Die Unterstützung der Ukraine liegt in unserem Interesse.“[20]

Romney hat Recht, dass eine russische Niederlage in der Ukraine „Amerika im Verhältnis zu China“ sowie zu Kuba, Iran, Venezuela und jedem anderen potenziellen Opfer der US/NATO-Aggression erheblich stärken würde. Umgekehrt würde ein russischer militärischer Sieg „Amerika im Verhältnis zu China“ schwächen. Vermutlich können die SL-Genossen diese einfache Gleichung verstehen. Wie könnt ihr also neutral sein?

Abschließend möchte ich noch einige Bemerkungen zu Eurem Vorschlag an die IG machen, eine ernsthafte und unserer Meinung nach längst überfällige Diskussion über die Geschichte der Spartacist League zu eröffnen. Es ist problematisch, nur bis 1990 zurückzublicken, wie ihr vorgeschlagen habt – denn die SL ist als revolutionäre Organisation schon lange vorher aus den Fugen geraten.[21] 1978 wurde Liz Gordon, die immer noch „Direktorin für Parteipublikationen“ ist, scharf angegriffen, weil sie es gewagt hatte, darauf hinzuweisen, dass eine einzige Zeile in einem von Jim Robertson mitverfassten Entwurf „unausgewogen“ sein könnte. Robertsons Drohung, die Fraktion deswegen zu spalten, war tatsächlich unausgewogen. Später im selben Jahr startete Robertson die „Klon-Säuberung“, einen „subpolitischen“ Kampf, der die einst vielversprechende Jugendgruppe der SL dauerhaft lähmte.

1979 war, wie sich einige von uns hier erinnern können, das zentrale Ereignis auf der Gründungskonferenz der internationalen Spartacist Tendenz der Schauprozess gegen Bill Logan wegen schwerer Misshandlung junger Genossen in Australien. Logan war in der Tat schuldig, aber die Behauptung, er trage die alleinige Verantwortung, war eine dreiste Lüge: Seine Handlungen waren Robertson und der übrigen SL-Führungsspitze bekannt und wurden von ihnen gebilligt, wie wir in einer Broschüre dokumentiert haben, die an unserem Büchertisch erhältlich ist.[22] Diese Travestie lieferte eine Vorlage für künftige Schauprozesse, einschließlich des betrügerischen „Prozesses“, der bei der Säuberung der IG 1996 eine Rolle spielte.

Anfang der 1980er Jahre begann die SL mit einer Reihe offenkundiger programmatischer Abweichungen – die erste davon war, unter dem Banner der Salvadorianischen Volksfront zu marschieren.[23] Im nächsten Jahr begrüßte die SL Juri Andropow,[24] den Sowjetbürokraten, der die Niederschlagung der politischen Revolution der ungarischen Arbeiter von 1956 leitete. 1983 rief die SL-Führung dazu auf, die Überlebenden des LKW-Bombenanschlags des Islamischen Dschihad zu retten, der die US-Marines aus dem Libanon vertrieb. Jeder echte Revolutionär würde diesen Angriff (zu dem sich Hisbollah-Führer Nasrallah letzte Woche [25] mehr oder weniger bekannte) als einen willkommenen Schlag gegen den Imperialismus betrachten. Aber die SL-Führung tat das nicht. Dieses feige sozial-patriotische Zurückweichen war beispiellos in der bisherigen Geschichte der Spartacist Tendency,[26] obwohl es später eine Parallele in der Weigerung fand, 2001 nach der US-Invasion eine Position zur Verteidigung Afghanistans einzunehmen.[27] In der jüngsten Korrespondenz mit der neuen SL-Führung beanstandete der Genosse Norden zu Recht die „Provokateur-Verleumdungen“ der SL gegen die IG.[28] Wir sind ebenfalls der Meinung, dass diese schmutzige Verunglimpfung von der SL formell zurückgezogen werden sollte – aber wir erinnern uns auch an mehrere ähnlich abscheuliche Verleumdungen, die während Nordens Amtszeit als WV-Redakteur in Spartakist-Publikationen gegen uns gerichtet wurden und die er und die SL ebenfalls dementieren müssen.[29]

Heute scheint der Wunsch der Genossen Perrault und David, einen neuen Kurs einzuschlagen, leider meist darin zu bestehen, Dinge aufzugeben, in denen Robertson Recht hatte – wie die Warnung an iranische Linke, ihre Köpfe nicht in Khomeinis Schlinge zu stecken, und die Ablehnung der stalinistisch-menschewistischen „Freiheitscharta“ des ANC, die für die Reformierung statt für die Zerschlagung des südafrikanischen Apartheidstaats eintrat.

Es überrascht nicht, dass der derzeitige Zustand programmatischen Wandels in der Spartacist-Tendenz zu großer Verwirrung innerhalb des Kaderstamms geführt hat. Das haben wir vor sechs Wochen in Toronto gesehen, als wir John Masters, den langjährigen führenden Genossen der kanadischen Sektion, fragten, ob ihr immer noch eine Position des doppelten Defätismus in den arabisch-israelischen Kriegen von 1948, `67 und `73 vertretet. Wir mussten dreimal nachfragen, bevor John schließlich erklärte, er wisse es einfach nicht. Vielleicht kann Jemand hier diese wichtige Frage beantworten.

Wir hoffen natürlich, dass diese und eure bevorstehende Debatte mit der IG in New York den Beginn einer ernsthaften, ungeschminkten Diskussion über die Geschichte der Spartakisten darstellen wird. Ungeachtet ihrer Probleme war die SL in den 1960er und `70er Jahren die einzige wirklich trotzkistische Strömung in der Welt, und die Aufnahme ihres politischen Erbes ist unserer Meinung nach für die künftige Wiedergeburt der Vierten Internationale unerlässlich.


Anmerkungen:

      1. https://spartacist.org/english/esp/67/spartacist-en-67.pdf [S. 17]
      2. https://www.icl-fi.org/english/wv/1038/ukraine.html
      3. https://www.icl-fi.org/english/wv/1041/ukraine.html
      4. https://www.icl-fi.org/english/wv/1042/crimea.html
      5. https://www.icl-fi.org/english/wv/1045/chicago.html
      6. https://www.youtube.com/watch?v=8W1XsSqRN8A
      7. https://www.csce.gov/international-impact/events/decolonizing-russia
      8. https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/05/russia-putin-colonization-ukraine-chechnya/639428/, https://foreignpolicy.com/2023/04/17/the-west-is-preparing-for-russias-disintegration/, https://www.rferl.org/a/russia-war-ukraine-western-academia/32201630.html, https://thehill.com/opinion/international/3483799-prepare-for-the-disappearance-of-russia/
      9. https://www.youtube.com/watch?v=Zf5xEBwBhds
      10. https://www.youtube.com/watch?v=ppD_bhWODDc [Der Kommentar von Postal beginnt ab 1:06:50]
      11. https://spartacist.org/english/esp/67/spartacist-en-67.pdf [p48]
      12. https://bolsheviktendency.org/2023/03/20/besser-verspatet-als-nie/
      13. https://icl-fi.org/deutsch/spk/225/internationalistischegruppe/
      14. https://www.icl-fi.org/english/esp/68/breakdown/ [p32]
      15. https://spartacist.org/english/esp/67/spartacist-en-67.pdf [p48 c1]
      16. https://www.icl-fi.org/english/esp/68/breakdown/ [p30 c2]
      17. https://www.icl-fi.org/english/wv/1169/impeachment.html
      18. https://www.ctpost.com/opinion/article/sen-blumenthal-opinion-ukraine-tip-spear-18335871.php
      19. https://scheerpost.com/2023/08/31/sen-blumenthal-us-getting-its-moneys-worth-in-ukraine-because-americans-arent-dying/
      20. https://twitter.com/SenatorRomney/status/1695183212174266556?s=20
      21. https://bolsheviktendency.org/wp-content/uploads/2023/11/IG-letter-1996-and-rejoinder-leaflet-with-contact-box-FINAL-for-printing.pdf 
      22. https://bolsheviktendency.org/2021/08/10/on-the-logan-show-trial/
      23. https://www.marxists.org/history/etol/newspape/workersvanguard/1981/0280_08_05_1981.pdf [p1][S. 1] „Am 3. Mai [1981] wurden allein die Fahnen der salvadorianischen Nationalen Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) vom Antiimperialistischen Kontingent [der SL] getragen, dessen Fahnenabordnung auch vietnamesische und kubanische Fahnen sowie rote Fahnen des proletarischen Internationalismus trug….“
      24. https://bolsheviktendency.org/2019/01/18/no-1-only-trotskyism-can-defend-the-gains-of-october/
      25. https://www.reuters.com/world/middle-east/hezbollah-leader-says-hamas-oct-7-assault-was-100-palestinian-2023-11-03/„Nasrallah sagte, die Hisbollah habe keine Angst vor den Kriegsschiffen. ‚Wir haben uns gut auf eure Flotten vorbereitet, mit denen ihr uns bedroht‘, sagte Nasrallah, zu dessen Arsenal auch Anti-Schiffs-Raketen gehören. Er erinnerte an Angriffe auf US-Interessen im Libanon in den frühen 1980er Jahren – eine Anspielung auf die Selbstmordattentate von 1983, bei denen das Hauptquartier der US-Marine in Beirut zerstört wurde und 241 Soldaten ums Leben kamen, und einen Selbstmordanschlag auf die US-Botschaft. Die Vereinigten Staaten machen die Hisbollah für die Anschläge verantwortlich: ‚Diejenigen, die euch im Libanon besiegt haben, … sind noch am Leben‘, sagte er.“
      26. https://bolsheviktendency.org/2019/03/05/tb-2-marxism-vs-social-patriotism/
      27. https://bolsheviktendency.org/2019/05/05/where-is-the-icl-going-2/
      28. https://www.internationalist.org/corresondence-between-international-communist-league-and-league-for-the-fourth-international-2310.html„Im Gegensatz dazu entfesselte die IKL eine jahrzehntelange Flut von Verleumdungen gegen uns, indem sie versuchte, die IG auf dem Höhepunkt der Hysterie nach dem 11. September 2001 wegen unseres Aufrufs, den US-Imperialismus in Afghanistan zu besiegen, als ‚antiamerikanisch‘ zu brandmarken, als ‚Provokateur-Verleumdungen‘,5 ‘provocateur’-baiting,6 und vieles mehr.“ [Norden an die SL, 27. Sept. 2023] (Übersetzung durch die BT)
      29. https://www.marxists.org/history/etol/newspape/workersvanguard/1987/0428_15_05_1987.pdf„Aber wie kann man die BT erklären? Als wir vor zwei Jahren über die BT schrieben („ET: New Name, Same Game?“ (ET: Neuer Name, Gleiches Spiel?) WV Nr. 388, 4. Oktober 1985), stellten wir fest: ‚Diejenigen, die sich von intensiver‘ subjektiver Boshaftigkeit als politischem Programm leiten lassen, bitten nur darum, das Werkzeug von Irgendjemandem zu sein, wissentlich oder unwissentlich (manchmal beides)…. Wendet man jedoch das Kriterium cui bono (wem nützt es) auf die ET /BT an, so erhält man Antworten, die vom einfach Widerwärtigem bis hin zu geradezu Unheimlichen reichen.‘“ „Der gesamte Ton der BT erinnert an nichts so sehr wie an den anzüglichen Stil, der mit dem berüchtigten COINTELPRO des FBI verbunden ist.“ (Übersetzung durch die BT) https://www.marxists.org/history/etol/document/icl-spartacists/1990/trotskyism.html„Was die eigenen politischen Positionen der BT betrifft, so scheinen diese höchst zweifelhaften Provokateure neben ihrem Hass auf die Sowjetunion auch eine Abneigung gegen amerikanische Schwarze zu hegen, den Zionismus zu befürworten und die wahllosen Massentötungen von Amerikanern zu loben. Von den staatlichen Stellen in der Welt hat nur der Mossad, die israelische Geheimpolizei, ähnliche Ambitionen.“ (Übersetzung durch die BT)