Britische Riots

Vertreter der IBT spricht zu Duisburger Anarchisten

Im Oktober 2011 lud die Duisburger Ortsgruppe der anarcho-syndikalistischen Freien ArbeiterInnen Union (FAU) ein Mitglied der Internationalen Bolschewistischen Tendenz ein, um vor Ihrer Gruppe über die Aufstände zu sprechen, die im vorigen August in Britannien ausbrachen. Unser Genosse zeigte ein kurzes Video von BBC News als Einstimmung zu seinen Anmerkungen, das den schwarzen Aktivisten und Schriftsteller Darcus Howe zeigte.

Das Video, das Ihr gerade gesehen habt, ist typisch für die Art und Weise, wie die britischen Medien über die Riots im August berichteten. Die Journalistin zeigte kein Interesse an den fundamentalen Gründen der Riots, sondern konzentrierte sich stattdessen darauf, dass es für sie „keine Ent­schul­digung“ gäbe und beschuldigt Howe, selbst ein Rioter zu sein. Howe brachte derweil eine Meinung zum Ausdruck, die in der britischen Linken ziemlich weit verbreitet ist – die Idee, dass die Riots den Anfang einer zutiefst revolutionären Be­wegung bedeuteten, vergleichbar mit den dramatischen Auf­ständen in Ägypten oder Tunesien Anfang dieses Jahres. Aber das war nur Wunschdenken.

Die Gründe für die Riots sind nicht besonders mysteriös. Sie brachen in Tottenham in Nordost-London aus als Reaktion auf die Erschießung eines jungen schwarzen Mannes am 4. August, Mark Duggan, nachdem die Polizei das Taxi angehalten hatte, in dem er unterwegs war. Nach dem Mord weigerte sich die Polizei, mit Duggans Familie zu sprechen oder Ihr eine Er­klärung des Geschehenen zu geben und wählte statt­dessen, sich direkt an die Medien zu wenden mit einer Version, die sich als ein Haufen Lügen herausstellte. Ihre ursprüngliche Version war, dass Duggan zuerst auf einen der Polizisten ge­schossen habe und seine Kollegen einfach zurück­ge­schossen hätten. Diese Geschichte fiel auseinander, als ent­hüllt wurde, dass der getroffene Polizist von einer Kugel aus einer Polizeiwaffe getroffen wurde. Es ist schwer, sicher zu sein, was genau vorgefallen ist, aber es scheint, das Duggan auf dem Boden lag, als er erschossen wurde – oder eher exekutiert. Zwei Tage nach der Ermordung Duggans brach ein Aufstand aus, als die Polizei ein 16-jähriges Mädchen, während einer Trauerkundgebung seiner Freunde und Familie, mit Schlagstöcken angriff.

In Britannien hat sich jahrelang eine Menge Wut an­gestaut. Im Video erwähnte Darcus Howe einen wichtigen Faktor – das „Stop and Search“-Programm, das der Polizei gestattet, Menschen auf Grundlage des bloßen Verdachts anzuhalten, dass sie vorhätten, kriminelle Aktivitäten zu be­gehen; eine Macht, die natürlich von rassistischen Polizi­sten hauptsächlich gegen Schwarze und Asiaten angewandt wird. Der Daily Mirror vom 21.Oktober 2010 berichtete über eine Studie der London School of Economics, die ent­hüllte, dass Schwarze 26-mal wahrscheinlicher von der Polizei angehalten und durchsucht werden als Weiße (http://www.mirror.co.uk/news/latest/2010/10/21/stop-and-search-figures-shocking-115875-22649236). Ein Stop-and-Search-Zwischenfall löste die Riots in Hackney in Ost-London zwei Tage nach dem ursprünglichen Ausbruch in Tottenham aus.

Der Mord an Duggan erzeugte eine derartige Empörung, teils wegen der großen Zahl von Leuten, die die britische Polizei bei gänzlicher Straflosigkeit in den letzten Jahren tötete – viele von ihnen Schwarze und Immigranten. Laut Guardian vom 8.August 2011 sind seit 1998 in Britannien wenigstens 333 Leute in Polizeigewahrsam umgekommen, ohne dass es eine einzige Verurteilung gegeben hätte. (https://www.guardian.co.uk/commentisfree/2011/aug/08/context-london-riots)

Am 15.März 2011 starb der Reggae-Sänger Smiley Culture auf mysteriöse Weise während einer polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung in Warlingham, Surrey. Die Polizei, die behauptete, er handele mit Kokain, verbrachte zwei Stunden in seinem Haus. Laut der offiziellen Version ge­stattete sie inmitten der Razzia Smiley Culture, in die Küche zu gehen und eine Tasse Tee zu machen und er hätte statt­dessen die Gelegenheit genutzt, sich selbst mit einem 30 cm langen Messer zu erstechen. Jeder, der sich auch nur entfernt mit Polizeipraktiken während Razzien von verdächtigten Dro­gendealern auskennt, würde natürlich Schwierigkeiten haben, diese Geschichte zu glauben. Die Independent Police Complaints Commission (Unabhängige Polizei-Beschwerdekommission), eine vermeintlich neutrale Institution, die von einer ehemaligen Polizistin geführt wird, gab kürzlich zu, dass es tatsächlich Unregelmäßigkeiten um den Tod Smiley Cultures gäbe, aber folgerte nichtsdestotrotz, dass es keinen Bedarf für eine weitere Untersuchung gäbe.

In den letzten Jahren gab es zahlreiche Fälle, in denen die Polizei dabei erwischt wurde, schamlos über die Umstände gelogen zu haben, in denen sie Leute umbrachte. Einer der bekanntesten ereignete sich im Juli 2005, zwei Wochen nach den Bombenanschlägen auf das Londoner Transportsystem, als die Polizei den brasilianischen Immigranten Jean Charles de Menezes im U-Bahnhof Stockwell exekutierte. Sein Ver­brechen? Er war ein Ausländer, der einen Rucksack trug. Ursprünglich behauptete die Polizei, dass er sich verdächtig verhalten habe, indem er über die Barrieren gesprungen sei und versucht hätte, zu fliehen, aber das erwies sich als komplette Erfindung.

2009 wurde Ian Tomlinson während der Proteste anlässlich des G-20-Gipfels in London zu Tode geprügelt. Zunächst hatte die Polizei behauptet, dass Tomlinson von einem Hagel von Wurfgeschossen verletzt wurde, der von linken Demon­stranten geworfen wurde, aber ein Handyvideo eines ameri­kanischen Touristen zeigte, dass dies eine weitere Lüge war und Tomlinson tatsächlich von der Polizei zu Tode geprügelt wurde.

Als der Telefon-Abhör-Skandal durch Rupert Murdochs News of the World (NOTW) bekannt wurde, kam ans Tages­licht, dass Polizeipressesprecher schon lange auf der Ge­haltsliste der Zeitung gestanden hatten. Zuvor hatte Premier­minister David Cameron den ehemaligen NOTW-Herausgeber Andy Coulson als seinen Pressesprecher an­gestellt, nachdem Enthüllungen über die Rolle der NOTW beim Hacken von Handys an die Oberfläche drangen, die den Familien der Opfer der Bombenanschläge vom 7.Juli 2005 gehörten. Dies zeigt nicht nur die engen Verbindungen zwischen den Bullen, den Medien und den professionellen Politikern an der Spitze des britischen Imperialismus, sondern auch deren saloppe Missachtung der „Herrschaft des Ge­setzes“, d.h. der bürger­lichen Legalität.

Natürlich gab es keinen Mangel an anderen Skandalen in Britannien. 2009 erfuhren wir, wie Parlamentsmitglieder aller großen Parteien öffentliche Gelder für alle möglichen privaten Gründe veruntreut hatten – einige, um ihr Immobilienportfolio aufzubessern, andere, um die Wassergräben ihrer Landsitze zu reinigen. In Anbetracht der Korruptheit und des Zynismus, die das britische Establishment charakterisieren, war es ein bisschen viel verlangt, den „recht ehrenwerten Mitgliedern“ zuzuhören, wie sie durch das parlamentarische Spektrum hindurch (einschließlich der Labour-„Linken“) Camerons Verurteilung der Riots als „Akte der Kriminalität, klar und ein­deutig“ wiederholten.

Die breite und echt antisoziale Kriminalität der gut mit­einander verbundenen Eliten und ihrer Diener besteht unverändert fort. Ein aktuelles Beispiel ist die fingierte Behauptung der ConDem-Regierung, dass es notwendig sei, Millionen von Pfund in die Banken zu pumpen, um einen wirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden – eine Politik, die als „Quantitative Easing“ bekannt ist. Natürlich wird das alles von gewöhn­lichen arbeitenden Steuerzahlern bezahlt, die bereits für die Rettungspakete (Teilverstaatlichungen) der Royal Bank of Scotland (RBS) und Northern Rock 2008 bluten mussten. Die Kosten, die mit den schlechten Wetten der Bankiers ver­bunden sind, sollen durch Sparmaßnahmen, die die Arbeiter­klasse und die Armen treffen, beglichen werden. Um noch einen darauf zu setzen, wurden die Banker, ein­schließlich derjenigen, die RBS und Northern Rock in den Ab­grund stürzten, mit bemerkenswerten Boni belohnt, während zahl­reiche transnationale Konzerne wie die Drogeriekette Boots und die Mobilfunkfirma Vodafone riesige Steuererlasse er­hielten.

Die massiven Einschnitte im öffentlichen Sektor, die von der Tory-Liberal Democrat-Koalition durchgeführt werden, wurden wesentlich im Voraus gutgeheißen, als Alistair Darling, Wirtschaftsminister unter Gordon Brown, versprach, dass, falls Labour wiedergewählt werden sollte, „wir tiefere Einschnitte vornehmen werden als Thatcher“. Die Koalition fängt gerade erst an und plant zwischen 25 bis 40 Prozent der öffentlichen Ausgaben zu kürzen. Die Folgen sind bereits schwerwiegend.

Viele der Jugendlichen aus Tottenham, die regelmäßiger Belästigung durch Stop and Search ausgesetzt sind, werden auf die Straßen geworfen, weil die Förderung von Jugend­zentren aufgehoben wurde. Die Education Maintenance Allowance (EMA), die es Teenagern aus einkommens­schwachen Familien ermöglichte, Schulbücher und Bus­fahrten zu bezahlen, wurde ebenfalls weggekürzt, was es vielen Jugend­lichen unmöglich macht, sich weiterzu­bilden. Schulen sollen durch Halbprivatisierungen durch die „Free Schools“ und Akademieprogramme ins Visier genommen werden; die Mittel für Kinderbetreuung wurden zusammen­gestrichen und die Regierung debattiert gerade eine „Public-Private Partner­ship“ [Öffentlich-Private Partnerschaft] des nationalen Ge­sundheitssystems [bisher verstaatlicht und kostenlos].

Die offizielle Arbeitslosenzahl ist auf mehr als 2,5 Millionen angestiegen und eines von drei britischen Kindern lebt derzeit in Armut. In London kommen auf jede freie Stelle acht Universitätsbewerber, während die Studiengebühren auf bis zu £ 9.000 pro Jahr hochgeschnellt sind. Als Tausende Studie­rende im Dezember 2010 demonstrierten, wurden sie stun­denlang von Einsatzpolizei in der klirrenden Kälte ein­gekesselt. Natürlich sind die unterdrückteren Teile der Gesells­chaft – diejenigen, die Opfer rassistischer oder ethnischer Diskriminierung sind – als hauptsächliche Nutzer vieler So­zialdienstleistungen besonders schwer getroffen. Berufs­tätige Frauen sind ebenfalls durch die Kürzungen in der Kinder­betreuung und von Beratungsstellen usw. betroffen.

Die Bürokraten des Trades Union Congress (TUC) [dem britischen Gewerkschaftsdachverband] antworteten Monate im Voraus auf die Kürzungen mit dem Aufruf zu einer landesweiten Demonstration und lehnten sich dann zurück und taten nichts. Als sie dann im März 2011 endlich stattfand, strömten mehr als 250.000 Gewerkschafter und andere auf die Straße. Lokale Gruppen gegen die Kürzungen entstanden im ganzen Land – mit aktiver Beteiligung der meisten Linken, einschließlich der IBT.

Die zahlreichen Symptome des sozialen Niedergangs im heutigen Britannien lieferten den Hintergrund zu den Riots, besonders der virulente und unnachgiebige Rassismus und die Korruption der Polizei und die wachsende Kluft zwischen einer winzigen Schicht Superreicher und einer beachtlichen Schicht der Arbeiterschaft, die komplett am Boden liegt. In Britannien befinden sich die Sozialbausiedlungen, anders als in anderen europäischen Ländern, in der Nähe wohlhabender Nachbarschaften und den klotzigen Häusern der Reichen. Diese Nähe verschlimmerte nicht nur das Ressentiment der Opfer des Kapitalismus, sondern intensivierte die Angst und die Wut während der Riots bei vielen von denen, die bisher noch nicht soviel gelitten haben.

Die Rioter waren arm, relativ jung und multiethnisch. Der erste Ausbruch in Tottenham am Samstag, dem 6.August [2011] hatte sich über zahlreiche andere Gegenden der Stadt (Brixton, Walthamstow und Islington) am darauf folgenden Abend ausgebreitet. Zum Höhepunkt brachen die Unruhen Süd-Londons Stadtteile Lewisham, Peckham, Clapham, Woolwich, Bromley und Croydon aus, wie auch in Camden in Nord-London und Hackney, East Ham und Stratford im Osten. Es gab auch Ausbrüche in anderen Städten einschließlich Birmingham, Salford und Manchester.

In vielen Orten bewarfen Jugendliche die Polizei mit allem, was sie an Wurfgeschossen greifen konnten. In Peckham wurde ein kleiner Kiosk in Brand gesetzt, was die Bewohner der darüber liegenden Wohnungen zwang, aus den Fenstern zu springen, um sich in Sicherheit zu bringen. Eine große Menge von Waren wurde aus den Geschäften entwendet wie Schuhe, Windeln, Alkohol, Kleidung und Fernseher. In Croydon brannte ein ganzer Häuserblock nieder. In Ealing in West London wurde ein Mann angegriffen und getötet, während er versuchte, eine brennende Mülltonne zu löschen. Die Medien machten viel aus einem Video, das eine verletzte Person zeigt, der eine Gruppe Jugendlicher auf die Beine geholfen hat, um ihm dann den Inhalt seines Rucksacks zu stehlen.

Medienberichte konzentrierten sich auf das Chaos und ignorierten die Armut und den systematischen Polizeirassis­mus, die ihm zugrunde liegen. Polizeibeschwerden über „politisch korrekte“ Restriktionen ihrer Aktivitäten waren mehr als zynisch, wenn man ihre lange Geschichte rücksichtsloser Morde bedenkt. Es gab einige Diskussionen über den Einsatz von Gummigeschossen, die in Nordirland routinemäßig ein­gesetzt werden, aber früher als zu brutal für das britische Festland betrachtet wurden.

Einige Leute, die freiwillig dabei halfen, in Clapham am Tag nach den Unruhen aufzuräumen, trugen T-Shirts mit Slogans wie „Looters are scum“ (Plünderer sind Abschaum). Die faschistische English Defense League (EDL) ergriff die Chance, sich als Bürgerwehr darzustellen, die versucht, Plünderungen zu verhindern, und versammelte sich in dem weißen Vorort Eltham in Südost-London (in dem Stephen Lawrence vor 18 Jahren von Rassisten erstochen wurde). Sie wurden aber von der Polizei daran gehindert, nach Lewisham zu marschieren (einer Gegend mit großem schwarzem Be­völkerungsanteil).

Der reflexartige Rassismus des britischen Establishments wurde deutlich durch den Historiker David Starkey gezeigt, der Riots als Ausdruck schwarzer Kultur beschrieb und be­sonders auf den Dialekt Patois hinwies, der von Ein­wanderern aus der Karibik gesprochen wird und in den Texten rebelli­scher Hip-Hops zu finden ist. Starkey stellte dem die „Eloquenz“ des schwarzen Bürgermeisters Tottenhams, David Lammy, gegenüber, der vermeintlich die kulturellen Werte der weißen Oberschicht repräsentiert. Diese rassistischen Stereo­typen (die die Tatsache übersehen, dass sowohl Patois als auch Cockney im Slang der Londoner Jugend aller Ethnien enthalten sind), wurden in weiten Kreisen als absurd be­trachtet.

Die Einstellung der herrschenden Klasse offenbarte sich in der drakonischen Behandlung, die vermeintlichen Unruhestiftern durch die kapitalistischen Gerichte zuteil wurde: ein Mann erhielt sechs Monate Haft für die Entwendung von ein paar Flaschen Wasser aus einem Geschäft in Brixton; eine Mutter wurde inhaftiert, aber später wieder freigelassen, weil sie ein paar Kleidungsstücke für ihr Kind akzeptiert hatte; und viele Verwandte der Verurteilten wurden mit der Kündigung ihrer Sozialwohnungen bedroht. Die Absicht war eindeutig,, die Opfer der bestehenden sozialen Ordnung einzuschüchtern.

Während die Rolle der rassistischen Polizeiunterdrückung als Auslöser der Ereignisse von vielen in der Linken hervor­gehoben wurde, ging Ken Livingston, Bürgermeister­kandidat der Labour Party, ganz anders daran und be­schwerte sich, dass die Kürzungen der Regierung die Repressionsfähig­kei­ten der Polizei verringert hätten. Diese widerliche Kriecherei vor den Schlägern der Bosse wurde durch die vorgeblichen „Revolutionäre” der Socialist Party (Schwester­organisation der Sozialistischen Alternative Voran [SAV] in Deutschland) in einer Erklärung wiederholt, die sie am 8. August 2011 auf ihrer Website posteten:

“In Anbetracht dessen, wie weit die Unruhen vorhergesehen wurden, gab es auch Verärgerung darüber, dass die Polizei nicht vorbereitet darauf war, die Kommunen zu schützen. Viele machten die Kürzungen der Regierung beim Polizeidienst dafür verantwortlich.

Paul Deller von der Metropolitan Police Federation sagte: „Die Moral unter Polizeibeamten, die mit diesem Vorfall umzugehen haben, wie auch innerhalb der Polizei insgesamt, ist auf dem bisher niedrigsten Niveau aufgrund der dauernden Angriffe auf sie durch den Home Secretary und die Regierung in Form der Überprüfung der Polizeilöhne und der Arbeitsbedingungen.“”
— Sarah Sachs-Eldridge: Tottenham riots. (2011-08-08) [Eig. Übers.], http://www.socialistworld.net/doc/5219

Anders als die zahmen Reformisten der Socialist Party waren sich Marxisten immer bewusst, dass Polizei, Gefäng­niswärter und Armee den Kern des Repressionsapparates verkörpern, der das gesamte System sozialer Ungerechtigkeit aufrechterhält, das Kapitalismus genannt wird.

Die Socialist Workers Party (deren deutsche Co-Denker die Zeitung Marx21 in der Linkspartei veröffentlichen), nahm die dem entgegengesetzte falsche Posi­tion ein und be­hauptete, dass die Unruhen selbst ein „zutiefst politischer Akt“ seien, durch den Arbeiter sich das zurück nah­men, was ihnen gehörte. Ein ähnliches Argument wurde von vielen An­archisten vorgebracht, die auch dazu neigen, wahllose Plünde­rungen als einen inhärent revolutionären Akt zu be­trachten. Mar­xis­ten vergießen keine Träne für das verloren gegangene Eigentum der zahlreichen Konzernketten, die vermutlich gut versichert sind, aber die Aufgabe von Revolutionären besteht nicht darin, Plünderungen als Lösung der Ungerechtigkeit und Ausbeutung des kapitalistischen Systems zu bewerben. Unsere Aufgabe ist es, danach zu streben, die arbeitenden Menschen zu organisieren und ihnen politisch beizubringen, dass es notwendig ist, sich daran zu machen, eine Organisation zu erschaffen – eine revolutionäre Massenpartei – mit der Fähigkeit, das gesamte System umzustürzen. Die Arbeiterklasse muss sich der gesamten Pro­duktionsmittel durch sozialistische Revolution bemächtigen – nicht ein paar Schaufenster einschlagen und sich das schnappen, was sich gerade in der Auslage befindet.

Wir fordern die sofortige Freilassung all derjenigen, die der Plünderung beschuldigt werden – die wirklichen Kriminellen sind jene, die von einem Gesellschaftssystem profitieren, das Millionen zu äußerster Armut verdammt. Jedoch sind wir auch gegen die ziellose Gewalt gegen die normale Bevölkerung – es war nichts Revolutionäres daran, die drei Männer in Birmingham zu überfahren, die versuchten, lokale Geschäfte zu verteidigen. Die Tatsache, dass viele Menschen ihren ge­rechtfertigten Ärger durch die Mitnahme eines Plasmafern­sehers oder eines schönen Paars Joggingschuhe zeigten, ist ein Ausdruck der Entfremdung und Entpolitisierung weiter Teile der britischen Arbeiterklasse.

Das ist kaum verwunderlich, da die organisierte Linke und die Arbeiterbewegung seit Jahrzehnten auf dem Rückzug sind. Nach dem Scheitern des Bergarbeiterstreiks Mitte der achtziger Jahre, verabschiedete Britannien die reaktionärste Anti-Gewerkschaftsgesetzgebung in ganz Europa. Die Ge­werkschaftsbürokraten, die sich passiv einem Angriff auf Arbeiterrechte nach dem anderen unterworfen haben, sind gegenwärtig aktiv dabei, alle Vorschläge für ernsthafte Streik­aktionen gegen die Kürzungen abzuwehren. Vor anderthalb Jahren gab der TUC-Vorsitzende Brandon Barber bekannt, dass es keine Unterstützung für „destruktive“ Streiks wie jene in den dreißiger Jahren geben werde. Heutzutage hat Barber durch den wachsenden Unmut der Basis an­gefangen, eine etwas militantere Pose einzunehmen. Aber wir können nichts als Verrat von ihm und dem Rest der Kaste erwarten, die er repräsentiert. Deren Vorstellung von „politischer Aktion“ be­steht in der fortwährenden Lenkung riesiger Mengen von Geld an die Labour-Verräter, die während der 13-jährigen Herr­schaft Tony Blairs und Gordon Browns nur die abgefeimte Gesetzgebung gegen die Arbeiter stärkten, die von Margaret Thatcher durchgedrückt wurde. Und es hat keinen diesbezüg­lichen Wandel gegeben – als Ed Miliband der neue Labour-Führer wurde, beeilte er sich „unverantwortliche Streiks“ zu denunzieren.

Ein paar Jahrzehnte zuvor beschrieb Ralph Miliband, Eds Vater, die britische Sozialdemokratie passend als eine Agen­tur der herrschenden Klasse, die von Beginn an ein völlig nutzloses Instrument für irgendwelche Schritte in Richtung sozialistische Transformation der Gesellschaft sei. Und doch betätigt sich ein Großteil der britischen „revolutionären“ Linken als Kuppler für Labour in Wahlkampfzeiten, während er zugleich die Tatsache beklagt, dass sie wenig oder gar nichts tut, um die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu fördern. An der Macht beteiligte sich Labour begierig an den fehlgeschlagenen imperiali­stischen Abenteuern in Afghanistan und dem Irak, während sie zu Hause ihr eigenes Spar­programm durchsetzt. Heut­zutage setzen Labour-Stadträte routinemäßig jeden Einschnitt durch, der von der ConDem-Regierung verfügt wurde. Die einzige Ausnahme, die mir bekannt ist, war Kingsley Abrams, ein Labour-Stadtrat aus Lambeth, der von der Partei suspendiert wurde, weil er sich getraut hatte, sich bei der Abstimmung über die Imple­mentierung der Kürzungen in seinem Londoner Stadtbezirk lediglich zu enthalten.

Die schwelende Wut, die die Riots angetrieben hat, ist nicht erloschen, aber um sie in eine effektive Kraft zu ver­wandeln, ist es notwendig, ihr einen organisierten und bewusst revolutionären Ausdruck zu geben. Nun weiß ich, dass viele in diesem Raum mir in diesem Punkt wider­sprechen werden, aber meiner Ansicht nach ist der einzige Weg, wie man dies schaffen kann, durch die Schaffung einer disziplinierten kämpferischen Bewegung – einer revolutio­nären Arbeiterpartei – die in den Gewerkschaften und den unterdrückten Gemeinden verankert ist. Eine solche Partei würde danach streben, die Schaffung multiethnischer Arbei­terselbstverteidigungsgruppen voranzutreiben, zur Ver­teidi­gung der lokalen Kommunen gegen die wachsende Be­dro­hung durch die faschistische EDL sowie gegen die routine­mäßige Schikane durch die Polizei. Diese Partei würde auch darum ringen, die gewaltige potenzielle Macht der Ge­werk­schaften zu nutzen, um staatlicher Gewalt Widerstand zu leisten und den raubgierigen Angriff auf die Lebens­standards zurückzuschlagen, die die Kapitalisten und Ihre Lakaien in Labour so entschieden durchsetzen wollen. Eine revolutio­näre kämpfende Partei, die in der Lage ist, effektiven Wider­stand gegen die kapitalistischen Angriffe zu organi­sieren, kann nur durch die Grundlage eines Programms auf­gebaut werden, das die Tageskämpfe der Arbeiter mit der strategi­schen Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus und dessen Ersetzung durch eine demokratisch geplante Wirt­schaft verbindet, in der die Produktion an menschlichen Bedürfnissen anstelle von Profit ausgerichtet ist. Das ist eine sehr große Aufgabe, aber meiner Meinung nach ist es der einzige Weg vorwärts.