Kapitalismus und Frauenunterdrückung

 

“Die Sozialisten müssen vor allem wissen, daß auf der ökonomi­schen Abhängigkeit oder Unabhängigkeit die soziale Sklaverei oder Freiheit beruht.”
— Clara Zetkin: Für die Befreiung der Frau. Rede auf dem internationalen Arbeiter­kongress zu Paris, 19.07.1889. In: Ausgewählte Reden und Schriften, Bd I, 1957, S. 4

Die Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau spielt in der bürgerlichen Öffentlichkeit der BRD nur noch eine untergeordnete Rolle. Zwar debattiert man hin und wieder über diese Frage, aber sie bleibt auf die bürgerlichen Inter­essen beschränkt. Gelegentlich wird die angebliche Vertei­digung von Frauenrechten bemüht, um den imperialistischen Krieg und die rassistische Hetze gegen Muslime zu recht­fertigen. Managerinnen klagen darüber, dass sie für den Job die lieben Kleinen „im Stich lassen“, oder man bedauert dass es nicht genug Frauen in den Etagen der Bosse gibt. Arbeite­rinnen wird hingegen Mitschuld daran gegeben, dass sie schlechter bezahlt sind als ihre männlichen Kollegen. So äußerte Christina Schröder, Bundesfamilienministerin:

“Hinzu kommt, dass viele Frauen auch einfach schlecht ver­han­deln. Viele sind froh, wenn ihnen der Wiedereinstieg ins Berufs­leben gelingt – Hauptsache, der Job ist einigermaßen kompatibel mit der Familie. Genau das ist falsch! Wir Frauen glauben oft, wir müssten uns damit beliebt machen, dass wir bescheiden sind. Die Personalchefs denken aber: Wer sich so günstig hergibt, kann auch nicht besonders gut sein. In dem Punkt müssen Frauen sehr, sehr viel selbstbewusster und tougher werden.”
—Spiegel-Gespräch – Wir müssen selbstbewusster werden, Der Spiegel 45/2010, 07.11.2011, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-74948227.html

Dass Frauen durchschnittlich 20% weniger verdienen, hat wohl weniger mit fehlendem Verhandlungsgeschick als mit den Profitinteressen des Kapitals und der Rolle, die der Frau seit Jahrhunderten in der Familie verordnet wird, zu tun. Schon 1893 erkannte Clara Zetkin:

“Aber nicht nur die Arbeiterinnen selbst leiden unter der erbärm­lichen Bezahlung ihrer Arbeitskraft. Auch die Arbeiter werden durch dieselbe in Mitleidenschaft gezogen. Infolge ihrer niederen Löhne werden die Frauen aus Konkurrentinnen zu Schmutz­konkurrentinnen, zu Lohndrückerinnen der Männer. Die billigeFrau­enarbeit schlägt die Arbeit der Männer aus dem Felde, und wollen diese in Lohn und Brot bleiben, so müssen auch sie sich niedrigen Verdienst gefallen lassen. So ist die weibliche Arbeits­kraft nicht bloß eine billige Arbeitskraft, sondern eine die Männer­arbeit verbilligende und in dieser ihrer Eigenschaft dem nach Mehrwert heißhungrigen Kapitalisten doppelt schätzbar.”
— Clara Zetkin, Frauenarbeit und gewerkschaftliche Organisation, November 1893. In: Ausgewählte Reden und Schriften, Bd I, 1957, S. 35f

Oft beginnt die Diskriminierung von Frauen schon mit der Wahl des Berufs. Während Männern alle Berufe offen stehen, gibt es viele Berufe, zu denen Frauen in der Regel nicht so selbstverständlich Zugang gewährt wird. Frauen wählen sehr viel häufiger als Männer soziale und pflegerische, sowie Berufe im sogenannten Dienstleistungsbereich. Diese Berufe sind generell schlechter bezahlt, da es sich meist um „körper­liche“ Arbeit handelt, die im Kapitalismus generell geringer bezahlt wird als „geistige“ Arbeit. Dass Frauen solche Berufe eher wählen als Männer, ist Resultat der geschlechts­spezifischen Sozialisierung der Frauen für die Rolle als gütige Pflegerin. Dass aber die Wahl des Berufs nicht alleiniger Grund für die Benachteiligung ist, macht eine Untersuchung von Abgängern der Universität Pforzheim deutlich, die juristische oder wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge besucht hatten. Die Frauen erhielten durchschnittlich 8,7 % weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen und das trotz ihrer besseren Noten. Als Grund für die schlechteren Ein­kommen wird nach wie vor angegeben, dass die Erziehung der Kinder immer noch „Frauensache“ ist. Frauen unter­brechen häufiger ihre Berufslaufbahn, um Kinder zu er­ziehen, was sich auf ihren Lohn auswirkt, wenn sie wieder ihren Beruf ergreifen. Zwei Drittel aller nicht sozialver­sicherungs­pflich­tigen Jobs werden von Frauen gemacht, die gleichzeitig die Erziehung der Kinder erledigen.

Antimuslimische Hetze und Feminismus

Diese materiellen Grundlagen der Unterdrückung der Frau werden von bürgerlichen Medien und Politik gerne unter den Teppich gekehrt. Doch sie bilden die materielle Basis für die alltäglichen Formen der Frauenunterdrückung, wie z.B. sexu­eller Gewalt. Ironischerweise wird hingegen die zunehmende anti-muslimische Hetze mit dem Verweis auf die Unter­drückung der Frau durch den Islam gerechtfertigt. Dabei wird dann wahlweise das säkulare Abendland oder das christliche Abendland gegen den „unzivilisierten“ Islam in Stellung ge­bracht. Dies dient der Spaltung der Arbeiterklasse und soll die imperialistischen Kriege rechtfertigen. Als problematisch erweist sich der Umstand, dass die von der BRD gestützte Regierung in Afghanistan unter immer stärkeren Einfluss der Islamisten gerät und die Scharia schon längst als eine der Quellen des Rechtssystems gilt. Auch lässt sich der deutsche Imperialismus durch die Unterdrückung der Frau keine lukra­tiven Geschäfte vermasseln, wie die Waffenverkäufe an das Regime in Saudi-Arabien beweisen. Dort dürfen Frauen noch nicht einmal Auto fahren, aber solange die Regierung deut­sche Waffen mag, sehen die „aufgeklärten“ deutschen Politi­ker keinen Anlass, ein befreundetes Regime zu kritisieren.

Auch nach innen wird das Gift des Rassismus gegen Muslime versprüht – mit dem Verweis darauf, dass die Rechte der Frau verteidigt werden müssen. An vorderster Front enga­gierte sich hierbei die bürgerliche Feministin Alice Schwarzer, die sich durch ihre Zusammenarbeit mit dem Springer-Verlag und ihre reaktionäre Por(no)Aktion hervortat. Schwarzer scheute sich nicht, das muslimische Kopftuch mit dem Juden­stern zu vergleichen, der während des deutschen Faschismus Juden kennzeichnete und aussonderte:

“Das Kopftuch ist die Flagge des Islamismus. Das Kopftuch ist das Zeichen, das die Frauen zu den anderen, zu Menschen zweiter Klasse macht. Als Symbol ist es eine Art „Branding“, vergleichbar mit dem Judenstern. Und real sind Kopftuch und Ganzkörper­schleier eine schwere Behinderung und Einschränkung für die Bewegung und die Kommunikation. Ich finde es selbstverständ­lich, daß wir uns an Ländern wie Frankreich ein Beispiel nehmen und das Kopftuch in der Schule und im Kindergarten untersagen, für Lehrerinnen und Schülerinnen.”
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/alice-schwarzer-im-interview-die-islamisten-meinen-es-so-ernst-wie-hitler-1358511.html

Sicherlich handelt es sich beim Kopftuch um ein Symbol der Unterdrückung der Frau. Doch das kann man über jedes religiöse Symbol sagen, da letztlich alle Religionen das be­ste­hende System verteidigen. Schwarzer behauptet, der Islam sei ebenso gefährlich wie der Faschismus, wenn sie den Völkermord an sechs Millionen Juden mit einem religiö­sen Symbol des Islams gleichsetzt. Gerne verweisen Liberale wie Schwarzer in diesem Zusammenhang auf Ehrenmorde in isla­mischen Familien. Dies ignoriert geflissentlich Ehrenmorde in deutschen Familien (bekannt unter der Rubrik „Familien­tra­gö­die“). Zu Ende gedacht läuft Schwarzers Vergleich darauf hinaus, dass der Islam alle Frauen in einem Genozid töten wolle. Das ist nicht nur ein rassistisches Hirngespinst, son­dern verharmlost auch den Mord an sechs Millionen Juden. Auch lehnen wir das Verbot von Kopftüchern in öffentlichen Gebäuden als rassistisch ab, da es nicht nur die Unter­drückung von Frauen durch andere Religionen ignoriert, son­dern auch die betroffenen Frauen vom öffentlichen Leben ab­schneidet.

“Marxisten und Feministen finden sich zwar häufig auf der selben Seite im Kampf für das Recht der Frauen, sie haben aber zwei fundamental unvereinbare Ansichten. Der Feminismus ist eine Ideologie, die auf der Idee aufbaut, dass die fundamentale Spal­tung in der Gesellschaft zwischen den Geschlechtern besteht, statt zwischen den sozialen Klassen. Feministische Ideologen sehen deshalb den Kampf für die Gleichberechtigung der Frau als getrennt vom Kampf für den Sozialismus, den viele lediglich als alternative Form der „patriarchalischen“ Herrschaft sehen.”
— Marxism, Feminism & Women’s Liberation, 1917 No. 19

Ursprünge der Unterdrückung der Frau

Aber wo liegen die Ursachen der Unterdrückung der Frau und der Zuschreibung bestimmter gesellschaftlicher Aufgaben? Friedrich Engels beschäftigte sich unter anderem mit dieser Frage in seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ im Jahr 1884. Auch wenn einige Überlegungen wissenschaftlich nicht haltbar sind (wie Engels negative Einstellung zur Homosexualität) war das Werk ein Durchbruch in der Entwicklung der Familien- und Staatssoziologie und gilt noch heute für Marxisten als Basis ihres Verständnis der Familie. Für Engels war die Familie, wie es Marx und Engels auch schon in der Schrift „Die deutsche Ideologie“ entwickelt hatten, keine ewige Institution die immer schon und in der heutigen Form existiert hat.

Die Unterdrückung der Frau begann mit der Entstehung der monogamen Familie. In allen vorhergehenden Familien­formen (Blutverwandtschaftsfamilie, Gruppenfamilien, Paa­rungsfamilie) herrschte sogar die Vererbung von Besitz über die Stammeslinie der Frau vor. In den zwei letzten Familien­formen kam den sogenannten Gens, Gruppen die eine gemeinsame Haushaltung führten, eine bedeutende Rolle zu. Mit der Entstehung eines materiellen Überschusses, welchen die Männer anhäuften, wurde die gemeinsame Haushaltung des Gens untergraben. Der Gens und auch der Stamm lösten sich zugunsten der Familie auf. Dies bedeutete die Verlage­rung der Haushaltsführung von einer öffentlichen Aufgabe in eine private und brachte gleichermaßen die ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Mann. Auch wurde die Ab­stammung nun von der männlichen Linie aus definiert, um die Vererbung vom Vater auf den Sohn zu sichern, was wiederum das Postulat der Monogamie verlangte.

Perspektive zur Befreiung der Frau: Soziale Revolution

Wie aber kann die Unterdrückung der Frau aufgehoben wer­den? Als Kommunisten beziehen wir uns positiv auf die erste erfolgreiche proletarische Revolution, auf die Oktober­revo­lu­tion des Jahres 1917 in Russland. Den Bolschewiki war klar, dass die Unterdrückung der Frau an die Existenz der bürger­lichen Familie gebunden war. Ihnen war aber auch bewusst, dass die Auflösung der bürgerlichen Familie nicht durch ein Dekret allein erfolgen konnte, da die soziale Be­freiung an die Entwicklung der Produktivkräfte, also den materiellen Reich­tum und dessen Verteilung, gebunden war. Diese Frage spielte gerade für die UdSSR eine große Rolle, da es sich um ein unterentwickeltes Land handelte, und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft nur weltweit gelin­gen konnte, da sonst der materielle Mangel dies verhindern würde.

Die Bolschewiki versuchten umgehend, die Situation der Frau durch eine Reihe von Gesetzen und Reformen funda­mental zu verbessern. So wurden Mann und Frau vor dem Gesetz gleichgestellt; ein Schritt der für uns heute vielleicht selbstverständlich erscheint (auch wenn er das in weiten Teilen der Welt nicht ist). Im Jahr 1917 war er radikal. Das neu eingeführte Scheidungsrecht war das egalitärste, das es bis dahin gab und verzichtete auf jegliche Schuldzuweisungen an einen der Ehepartner. Außereheliche Kinder wurden ehe­lichen Kindern im Familienrecht gleichgestellt. Auch wurde Abtreibung legalisiert und wurde auf Wunsch durchgeführt. Dies erlaubte es Frauen, selbst zu entscheiden und sorgte dafür, dass Abtreibungen nicht mehr unter unhygienischen Umständen und mit großen Gefahren für das Leben der Frau verbunden auf Küchentischen oder in Hinterhöfen durchge­führt werden mussten. Prostitution wurde legalisiert und somit die Grundlage dafür geschaffen, dass Prostituierte sich gegen Übergriffe durch Freier schützen konnten.

Die Bolschewiki versuchten, die Fesselung der Frau an den heimischen Herd zu durchbrechen und sie in das politische und ökonomische Leben einzubinden. So wurden Großküchen und Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, welche die Frauen entlasteten und eine Erwerbsarbeit erlaub­ten, eingeführt. Innerhalb der bolschewistischen Partei wurde eine Abteilung gegründet, die sich um die Belange der Frauen kümmern und diese vor allem in die politische Arbeit einbin­den sollte, und der lange Zeit die erste Volkskommissarin für soziale Fragen, Alexandra Kollontai, vorstand. Sie erklärte in ihrer Schrift „Ich habe viele Leben gelebt“:

“Die Frauen und ihr Schicksal haben mich mein ganzes Leben lang beschäftigt. Ihr Los war es, das mich zum Sozialismus gebracht hat.”
— Alexandra Kollontai: Ich habe viele Leben gelebt. 1987, S. 508

Doch mit der immer länger anhaltenden Isolation der UdSSR, bedingt durch das Ausbleiben von proletarischen Revolutionen in anderen Ländern, begann der Aufstieg einer bürokratischen Kaste, die durch Stalin repräsentiert wurde. Diese Kaste lehnte die Perspektive einer weltweiten Revo­lution ab und war daran interessiert, die gesellschaftlichen Verhältnisse in der UdSSR zu konservieren, da diese ihren Aufstieg ermöglicht hatten. Dies führte zu einer Anpassung der Politik an kleinbürgerliche Ideale, die von den Funktio­nären vertreten wurden, und war auch ein Zugeständnis an die bäuerlichen Massen, die generell rückschrittlicher als die Arbeiter waren.

Dies hatte eine erhebliche Auswirkung auf die Rechte der Frauen in der UdSSR. So propagierten die Bürokraten das Ideal der „sozialistischen Familie“. Praktisch bedeutete dies das Verbot von Prostitution und Abtreibungen. Auch wurden Scheidungen nun mit einer Gebühr belegt, die es vielen Armen unmöglich machte, sich scheiden zu lassen. Gleich­zeitig wurde der Ausbau von Krippen gebremst, was für viele Frauen eine Rückkehr zu „Heim und Herd“ bedeutete. Diese Entwicklung wurde besonders deutlich nach der Abschaffung der Lebensmittelmarken im Jahre 1935. Viele Arbeiter ver­lagerten ihre „Hauswirtschaft“ wie Kochen und Waschen von den öffentlichen Einrichtungen zurück ins Heim.

Vorwärts zur Befreiung der Frau

Von Anbeginn hat sich die marxistische Bewegung für die Gleichberechtigung und die Rechte der Frauen eingesetzt. Aber wir wissen auch, dass die Unterdrückung der Frau (wie auch die rassistische, nationale und andere Formen der be­sonderen Unterdrückung) untrennbar mit der sozialen Frage verbunden ist, also konkret mit der Perspektive einer proletarischen Revolution, denn in der endgültigen Analyse dient die Frauenunterdrückung den materiellen Interessen der herrschenden Klasse. Dies bedeutet aber nicht, dass Revo­lutionäre der Frauenfrage wenig Aufmerksamkeit schenken und sich damit trösten, dass nach der Revolution alles besser wird. Ganz im Gegenteil: die Verteidigung von Frauenrechten und der Kampf zur Verbesserung der Lage von Frauen im Kapitalismus, verbunden mit der Perspektive der sozialen Revolution, ist eine zentrale Aufgabe für Revolutionäre. So treten wir für die Vergesellschaftung der Hausarbeit in Kan­tinen und Institutionen zur Kinderbetreuung ein. Wir fordern die Verteilung der gesamtgesellschaftlichen Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich, was mit der Anglei­chung der Löhne von Mann und Frau einhergehen muss. Wir sind der Ansicht, dass sexuelle Belästigung und gewaltsame Über­griffe auf Frauen durch gewerkschaftliche Komitees zur Ver­teidigung der Frauen begegnet werden müssen. Wir treten dafür ein, dass Abtreibungen auf Wunsch, und ohne Einmi­schung des Staates oder der Kirchen, durchgeführt werden.

Die vollständige Befreiung der Frau ist innerhalb des Kapi­talismus nicht möglich. Es gibt keine Freiheit im Gefängnis. In unserer programmatischen Erklärung stellten wir fest:

“Die Unterdrückung der Frauen wurzelt materiell in der Existenz der bürgerlichen Familie: Dieser wichtigen und unentbehrlichen Einheit der bürgerlichen sozialen Ordnung. Der Kampf für die vollständige soziale Gleichberechtigung der Frauen ist von strategischer Bedeutung in jedem Land der Erde.”
Für den Trotzkismus, IBT, 1987