Widerstand statt Kapitulation
Eine Krise der Führung der Arbeiterklasse
Laut einer BBC-Studie in 27 Ländern sind nur 11% der Befragten mit der Funktion des existierenden Systems zufrieden. Offensichtlich gibt es ein Potential für das Anwachsen eines revolutionären Klassenbewusstseins:
„23 Prozent beurteilen den Kapitalismus auch als grundfalsch und glauben, ein anderes System sei nötig.“
— „BBC-Studie zum Kapitalismus — Die Systemfrage“, Frankfurter Rundschau, 09.11.2009
Aber noch gibt es ein mehrheitliches Vertrauen in den bürgerlichen Parlamentarismus:
„Immerhin hält mehr als die Hälfte (51 Prozent) den Patienten für heilbar: Die Probleme des Kapitalismus könnten durch Regulierung und Reformen gelöst werden.“
— ebenda
Diese Studie erscheint genau am 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer, dem Anfang vom Ende des deformierten Arbeiterstaates DDR (siehe dazu unseren Artikel auf Seite 24).
„Der Chef des mit der Studie beauftragten Meinungsforschungsunternehmens Globe Scan, Doug Miller, sagte: ‚Offenbar war der Fall der Berliner Mauer 1989 doch nicht der Kantersieg der kapitalistischen freien Marktwirtschaft, der er damals zu sein schien.‘“
— ebenda
In der aktuellen Weltwirtschaftskrise gibt es eine spürbare Zunahme von Abwehrkämpfen gegen die Abwälzung der Kosten der Krise auf die Arbeiterklasse. Doch sind diese Kämpfe im Normalfall nur Abwehrkämpfe, die mangels einer revolutionären Führung bzw. eines revolutionären Programms im System verhaftet bleiben.
Die Fabrikbesetzungen in Italien, das Bossnapping in Frankreich oder die Massenstreiks in Süd-Korea sind Anzeichen, dass die Arbeiterklasse verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer defensiven Lage sucht.
Gleichzeitig gibt es eine massive Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen. Über 1 Milliarde Menschen hungern. Der Kampf um die wesentlichen Ressourcen wie Wasser, landwirtschaftlich nutzbares Land, Öl und andere Rohstoffe, verschärft sich. Die Lebensperspektive für die überwältigende Mehrheit der Menschheit ist schlecht, und trotz einer massiven Unzufriedenheit sitzt die Bourgeoisie relativ fest im Sattel ihrer Weltordnung.
Deutschland nach der Wahl
In unserem Wahlaufruf für die Bundestagswahl 2009 haben wir geschrieben:
„Es ist egal, welche Parteien die nächste bürgerliche Regierung in Deutschland stellen; die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse werden verstärkt. Bei den kommenden Wahlen stehen für den deutschen Imperialismus zwei Aspekte im Mittelpunkt: Welche Partei oder welche Koalition verbessert die Ausgangslage für die deutsche Bourgeoisie, um in den kommenden Konflikten die Stellung des deutschen Imperialismus als Weltmacht noch zu verbessern, und wie kann die breiteste Zustimmung für die Pläne gewonnen werden, um die weitere Senkung der Lebensqualität für weite Teile der Arbeiterklasse durchzusetzen.“
— „Keine Wahl bei dieser Wahl“, www.bolshevik.org
Die Sieger dieser Wahl, die Koalition aus CDU/CSU und FDP stellen eine Regierung, die die angefangene Drecksarbeit von SPD und Grünen, die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse zugunsten der Profitrate zu beseitigen, vollenden wollen. Auch eine weitere rechtliche Schwächung der Gewerkschaften steht auf Merkels und Westerwelles Plan.
Die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus unter Hinzunahme des Islamismus als Gefahr für die Demokratie in Deutschland ist eine weitere anti-demokratische Maßnahme der schwarz-gelben Regierung. Bewusst wird eine massive Bedrohung für die Demokratie durch eine willkürliche Gleichsetzung von vermeintlichen Feinden der Demokratie konstruiert, um sowohl eine weitere Aufrüstung des Staates, als auch eine weitere Einschränkung demokratischer Grundrechte zu rechtfertigen. Der deutsche Staat, wie auch andere europäische Länder, bemüht sich, die Bevölkerung von einer Art Orwellschen Doktrin zu überzeugen: Verteidigung der Freiheit durch Beschränkung der Freiheit!
Linke Gegner des Kapitalismus werden mit Rassisten und Faschisten gleichgesetzt. Protest-Bewegungen, die sich gegen die alltägliche Barbarei des Kapitalismus stellen, werden so im Vorfeld schon verunglimpft. Bürgerliche Demokratie ist eben Klassenherrschaft.
Faschismus und Rassismus haben aber für das Kapital eine besondere Bedeutung. Sie sind wichtig für die Spaltung der Arbeiterklasse, und der Faschismus hat zudem eine Rammbockfunktion für das Kapital gegen eine revolutionär aufbegehrende Arbeiterklasse. Dass diese Funktion derzeit nicht unbedingt gebraucht wird, ist sicherlich wahr. Dass es aber auch heute eine tödliche Bedrohung durch Faschisten für Aktivisten aus der Linken und Arbeiterbewegung gibt, ist der Bourgeoisie nur recht. Der staatliche Schutz, den derzeit faschistische Strukturen und vor allem Aufmärsche durch die bürgerliche Staatsmacht haben, spricht Bände.
Muslime sind in Deutschland einem massiven Rassismus und der Verunglimpfung ihrer Religion ausgesetzt. Das ist ein Produkt staatlicher Hetze, des Fundamentalismus der christlichen Kirchen und Teilen der CDU/CSU, sowie der ekelhaften Rassisten von Organisationen wie Pro Köln.
Der Niedergang der SPD, die in den Jahren als Regierungspartei 2,3 Millionen (17%) Wählerstimmen verloren hat, ist das Resultat ihrer Drecksarbeit für das Kapital. Die Agenda 2010 war das Werkzeug, um die Ausbeutungsbedingungen für das deutsche Kapital weltmarkttauglich zu machen. Und es war die Komplizenschaft der Gewerkschaftsführung, die sowohl die Agenda 2010 begrüßte, als auch jegliche Proteste gegen die anti-soziale Politik ins Leere laufen ließen.
Neben dieser Entwicklung auf nationaler Ebene gibt es nun im Saarland eine sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, was unsere Analyse der Grünen als „…eine Partei der bürgerlichen Ordnung“ (ebenda) vollauf bestätigt.
Die LINKE hatte vor den Landtagswahlen in Thüringen, im Saarland und in Brandenburg die realistische Chance, dort überall Teil der Landesregierung zu werden. Dass es nur für Brandenburg reichte, enttäuschte die Parteiführung. Doch offenbart zum wiederholten Male die Regierungsbeteiligung den Charakter der LINKEN als pro-kapitalistische Partei. Waren die Forderungen und Ziele der LINKEN schon vorher im langweiligen reformistischen Fahrwasser, so passte man sich in den Koalitionsverhandlungen der SPD noch weiter an:
„In allen wichtigen Bereichen beinhaltet der Koalitionsvertrag die komplette Übernahme des SPD-Wahlprogramms, während die Linke wesentliche Forderungen fallenließ. So soll bis 2019 jede fünfte Stelle in der öffentlichen Verwaltung abgebaut werden.“
— „Vattenfalls Regierung“, junge Welt, 28. Oktober 2009
Das heißt konkret, dass im öffentlichen Dienst Brandenburgs 10.000 Stellen wegfallen werden, und es offenbart die LINKE als vollkommen unglaubwürdig, wenn sie vorgibt Arbeitsplätze zu verteidigen und sich für die Verbesserung der sozialen Lage von Arbeitslosen einzusetzen.
Die LINKE hat so getan, als wäre sie der fortschrittliche Pol im Kampf gegen den Lissabonner Vertrag. Das Beispiel der No-Bewegung aus Irland oder Frankreich ist dabei Pate. Doch bei der erstbesten Gelegenheit ist Mitregieren wichtiger als ihre bisherige Position. Dass sie nun ganz nebenbei dem Vertrag von Lissabon zustimmt, passt einfach dazu.
Zynisch betrachtet die LINKE die Regierungsbeteiligung in Brandenburg und versucht, sie als Politikwechsel zu verkaufen:
„Brandenburg wird Belastungen für sozial Benachteiligte verringern u. a. mit der Beibehaltung des Sozialtickets…“
— „Herausforderung für die Gesamtpartei“, Pressemitteilung der LINKEN, 06. November 2009
Innerhalb der LINKEN gab es heftige Kritik an dem Koalitonsvertrag mit der SPD in Brandenburg, doch es gibt nur eine verschwindende Minderheit, die sich generell gegen eine Regierungsbeteiligung aussprach. Viele Strömungen, wie die Antikapitalistische Linke oder die Sozialistische Linke, wollten nur Nachbesserungen. Generell ist festzustellen, dass das Zustandekommen der Koalition aufzeigt, dass die LINKE eben eine Partei der Elendsverwaltung des Kapitalismus ist und keine Gegnerin dieses Systems.
OPEL: Not und Elend der Gewerkschaftsbürokratie
Das ganze Elend der Situation der Opel-Arbeiter ist in folgender Aussage des Frankfurter IG-Metall-Bezirksleiters und Opel-Aufsichtsratsmitglieds Armin Schild zusammengefasst:
„Wir sind sehr enttäuscht. Es gab eine Alternative. Mit Magna wäre Opel auf die Siegesstraße gegangen. Jetzt wird es anders kommen. Opel wird substanziell und existenziell gefährdet. Das wird viele tausend Menschen den Job kosten.“
— „Bochumer Opel-Belegschaft protestiert gegen GM-Kurs“, derwesten.de, 05. November 2009
Der Autozulieferkonzern Magna wollte Opel übernehmen, den Konzern wieder fit für den Weltmarkt machen und knapp 10.000 Arbeitsplätze vernichten. Nachdem Magna für dieses Vorhaben von Staat, Gewerkschaftsführung und Teilen der Belegschaft Unterstützung zugesagt wurde, rudert nun General Motors zurück. GM will den Konzern behalten, mehr Arbeitsplätze vernichten, ein paar Standorte schließen usw. GM und das US-amerikanische Kapital haben die Wichtigkeit von Opel für ihre Wirtschaftsleistung erkannt und wollen nun weiter von den Opel-Arbeitern profitieren.
Daher ist ein Kampf unter der Losung „Wir sind Opel“ eine Sackgasse, da die Arbeiter bei Opel eben nur die sind, die für Opel ihre Arbeitskraft verkaufen.
Für die Arbeiter bei Opel ist jedoch die Frage, unter welcher Flagge sie das machen, eine Frage der Wahl zwischen Pest und Cholera. Wer, wie die IG-Metall-Führung, Illusionen in Milliarden von deutschem Staatsgeld schürt, hat schon den Kampf um den Erhalt jedes Arbeitsplatzes aufgegeben und sich mit dem vermeintlich kleineren Übel zufrieden gegeben.
Der Konflikt um die Arbeitsplätze bei Opel ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Gewerkschaftsbürokratie ein Hindernis im Kampf gegen den Sozial- und Stellenabbau des Kapitals ist. Wir halten es für notwendig, in den Gewerkschaften für kommunistische Gewerkschaftsfraktionen zu kämpfen und die Bürokraten durch eine klassenkämpferische Führung zu ersetzen. Gegen jede Form von Sozial- und Stellenabbau können nur klassenkämpferische Mobilisierungen unter einer Führung gewinnen, die verstanden hat, dass der Klassenkampf von der anderen Seite in vollem Gange ist.
SAV und GAM: Lass das mal DIE LINKE machen
Eine vollkommen andere Perspektive haben die Genossen der Sozialistischen Alternative (SAV), die ihr Heil in einem Entrismus in der LINKEN suchen (siehe BOLSCHEWIK Nr. 26, „Die SAV und die bürgerlichen Arbeiterparteien: Eine Liebe der besonderen Art“). Diese Taktik ist voll von Widersprüchen: Die LINKE ist eine bürgerliche Arbeiterpartei mit einer klaren Orientierung auf Teilhabe an kapitalistischen Regierungen. Dort haben revolutionäre Gegner des Kapitalismus nichts verloren.
Die Gruppe Arbeitermacht (GAM) stellt dabei den linken Flügel der Illusionen in Die LINKE dar. Zuerst vollzog sie einen ausgedehnten Zick-Zack-Kurs gegenüber der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG — siehe BOLSCHEWIK Nr. 23, „Gruppe Arbeitermacht zurück in der WASG“). Dann versuchte sie, im Netzwerk Linke Opposition (NLO) — ein Sammelbecken einiger vorgeblich revolutionärer Strömungen, die sich gegen die Fusion von PDS und WASG stellten — mitzumischen. Die programmatische Basis des NLO war reformistisch. Es entwickelte sich nach einer Spaltung, ausgelöst durch eine Führungsmehrheit rund um die GAM, nach links, um dann sang- und klanglos von der Bildfläche zu verschwinden.
Die GAM hat in ihrem theoretischen Organ Revolutionärer Marxismus eine umfassende Kritik an der Programmatik und der Perspektive der LINKEN formuliert, um diese dann bei den Wahlen doch wieder kritisch zu unterstützen. Es scheint, als würde die GAM ihrer eigenen Analyse nicht trauen.
Nur eine schonungslose Kritik und eine Absage an die Hofierung der LINKEN bei den Wahlen kann die Arbeiterklasse mit einer neuen politischen Perspektive ausstatten. Um Genossen und Genossinnen vom Reformismus zu brechen, muss die Gefahr, die er für die Arbeiterklasse darstellt, deutlich aufgezeigt werden. Wie wir im BOLSCHEWIK Nr. 18 schrieben:
„Will eine revolutionäre Partei einer bürgerlichen Arbeiterpartei kritische Wahlunterstützung geben, hat sie vor, diese Partei einem Praxistest zu unterziehen, in dem die Reformisten nur versagen können.“
— „Kritische Wahlunterstützung als revolutionäre Taktik“, BOLSCHEWIK Nr. 18, September 2002
Die bürgerliche Arbeiterpartei Die LINKE behauptet nirgends, dass sie die Klassenkämpfe anheizen will. Sie hat auch keine Forderungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse aufgestellt.
Welchen Praxistest möchte die GAM also benutzen? Sie zeigt einmal mehr, dass sie eine zentristische Organisation ist — revolutionär in Worten, reformistisch in Taten.
Revolutionäre Perspektive
Die aktuelle Weltwirtschaftskrise hebt die politische Impotenz des Reformismus klar hervor. Zu einer Zeit, da zahlreiche Reihen von Arbeitern vor der Frage Kampf oder Kapitulation stehen, rät der Reformismus. Opfer zu bringen, und meint dabei die Arbeiter selbst. Zu einer Zeit, da der Reformismus nur noch Niederlagen bringt, halten wir abermals fest:
„Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse, die ein objektives Interesse am Sturz des Kapitalismus hat. Sie ist die einzige Klasse, die es durch ihre strategische Stellung in der Produktion der materiellen Lebensgrundlagen in der Hand hat, die politische und wirtschaftliche Grundlage der Gesellschaft sozialistisch umzuwälzen.
Wir treten für den Aufbau einer Partei ein, welche die Massen der Arbeiter für den Sturz der Bourgeoisie vorbereitet. Unsere programmatische Grundlage ist der Trotzkismus, der revolutionäre Marxismus unserer Periode. Wir rufen alle Linken und Arbeiter, die auf der Suche nach einer Alternative zum Reformismus von SPD und LINKE sind, dazu auf, mit uns über die revolutionären Perspektiven zu diskutieren.“
— „Die Krise kann nicht abgewählt werden: Keine Wahl bei dieser Wahl“, www.bolshevik.org