Zur Abstimmung über den Lissabon-Vertrag

Den nachstehenden Brief schrieben wir am 29. September 2009 an die Socialist Party (SP) in Irland. Die SP ist Teil des Komitees für eine Arbeiterinternationale (KAI/CWI). Ihre deutsche Schwesterorganisation ist die Sozialistische Alternative (SAV). Am 2. Oktober 2009 fand eine Volksbefragung in Irland über den Lissabon-Vertrag der Europäischen Union statt.

Ein offener Brief an die Socialist Party

Die Sozialistische Partei kritisiert zu Recht die Gewerkschaftsführer, die zum „Ja“ beim Referendum über den Lissabon-Vertrag am 2. Oktober aufrufen. Es kann keine Rechtfertigung für irgendjemanden geben, der behauptet, die Interessen der arbeitenden Menschen zu verteidigen, und einen Vertrag befürwortet, der die Feinabstimmung der Mechanismen der imperialistischen Europäischen Union zum Ziel hat. Es ist jedoch kaum überraschend, dass einige Gewerkschaftsbürokraten — nachdem sie seit mehr als 20 Jahren Hand in Hand mit den Bossen „sozialpartnerschaftlich“ zusammenarbeiten — beschließen würden, als Unterstützer des Lissabon-Vertrags aufzutreten.

Der zentrale Artikel in der September-Ausgabe des Socialist empfiehlt ein „Nein“ auf der Grundlage, dass „die Europäische Union die Löhne und Arbeitsbedingungen der Arbeiter auf dem ganzen Kontinent“ untergraben hat. In der Tat hat jede nationale kapitalistische Klasse ihre eigene Kampagne geführt, um den Lebensstandard der Bevölkerung zu senken — die EU hierfür verantwortlich zu machen, heißt die tatsächliche Dynamik der bürgerlichen Offensive zu verschleiern.

Euer Artikel bemerkt korrekterweise, dass die Entsenderichtlinie (die vor einem Jahrzehnt in Kraft trat) zusammen mit den Gerichtsentscheidungen zu deren Durchsetzung (Laval, Viking, Rüffert, Luxemburg) dazu verwendet wurden, den „Wettlauf nach unten“ zu rechtfertigen, der Arbeiter in ganz Europa leiden läßt. Aber die Socialist Party liegt falsch damit, dass sie vertritt, der Vertrag von Lissabon würde „die Schaffung einer Europäischen Union, die die Interessen des Großkapitals begünstigt, signifikant unterstützen“. Er ist nur eine Fortsetzung des business as usual für die europäische Bourgeoisie — wie Eure eigenen unterstützenden Argumente deutlich machen.

Ihr brachtet das nationalistisch-reformistische Argument, der Vertrag von Lissabon würde es „schwerer machen für Massenprotest und öffentlichen Druck in Ländern, die Entwicklungen in der EU durch Druck auf ihre gewählten Regierungen herauszufordern“. Änderungen in der bürgerlichen Herrschaft können manchmal einen großen Unterschied für das Gebiet, auf dem der Klassenkampf stattfindet, herbeiführen, aber eindeutig nicht in diesem Fall.

Die Annahme des Vertrags von Lissabon würde für die Fähigkeit der Arbeiterklasse, den Klassenkampf zu führen, keinen bedeutenden Unterschied machen. Nationalistische „Lösungen“ für die Probleme, mit denen die arbeitenden Menschen konfrontiert sind, können die Arbeiterbewegung nur schwächen. Ob es besser ist, in diesem Referendum „Nein“ zu stimmen oder ungültig zu stimmen, ist eine taktische Frage, die darauf hinaus läuft, wie Sozialisten das Klassenbewusstsein innerhalb des Proletariats angesichts der aktuellen politischen Lage am besten stärken können.

Der gegenwärtige politische Kontext ist stark durch eine steigende Flut des Nationalismus definiert, die durch Elemente der herrschenden Klasse und der Gewerkschaftsbürokratie als Reaktion auf die Krise vorgetragen wird. Der ekelhafte Chauvinismus, der mit dem Slogan „British Jobs for British Workers“ (Britische Jobs für britische Arbeiter) ausgedrückt wurde, zeigt anschaulich, wie der Nationalismus eine Form der kapitalistischen Ideologie ist, die dem internationalistischen Klassenbewusstsein, das für die Selbstbefreiung der Arbeiterklasse benötigt wird, diametral entgegengesetzt ist.

Die Mehrheit der Kapitalisten in Europa befürworten eine „Ja“-Wahl. Jedoch vertritt eine nicht unerhebliche Minderheit der Bourgeoisie in ganz Europa das „Nein“, vertreten in Irland durch Sinn Fein, Leuten wie Declan Ganley, und seit kurzem die UK Independence Party, die sich ein „Nein“-Flugblatt an alle Haushalte in Irland € 180.000 kosten ließ. Ein „Nein“ unter diesen Umständen schwimmt nur im Fahrwasser des kleingeistigen Nationalismus von Sinn Fein und der Gewerkschaftsbürokratie.

Sozialisten müssen sich bemühen, eine Strategie und die damit verbundenen Taktiken zu entwickeln, um die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, siegreich gegen die Versuche der Kapitalisten zu sein, die Kosten der wirtschaftlichen Krise abzuwälzen. Erfolgreiche Verteidigungskämpfe von Arbeitern können helfen, die Bedingungen für den Übergang in die Offensive zu schaffen und schließlich einen Kampf zum Sturz des verrotteten kapitalistischen Systems zu führen.

In diesem Referendum ruft die Internationale Bolschewistischen Tendenz Arbeiter dazu auf, ungültig zu stimmen. Diese Taktik ermöglicht Arbeitern, bürgerlich-nationalistische Demagogie abzulehnen und gleichzeitig Widerstand gegen die kapitalistischen Streitigkeiten über das Zurechtbiegen der EU anzumelden.

Am 2. Oktober „Stimmt ungültig!“

Alan Davis für die Internationale Bolschewistische Tendenz

29. September 2009