#aufstehen: Wenn Linke Rechtspopulismus predigen

Die Gründung von #aufstehen lässt noch offen, welche Organisationsform angestrebt wird. Es geht um eine Bewegung, deren Programm erst noch erarbeitet werden soll. Man versucht, all jene zu sammeln, die „für Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt, für Frieden und Abrüstung, für die Wahrung unserer natürlichen Lebensgrundlagen“ sind. Der Niedergang von Klassenbewusstsein und Opposition zu Staat und Kapital sind seit Jahrzehnten zu beobachten; mit einer breiten Bewegung ohne Programm hat diese Entwicklung einen neuen politisch populistischen Tiefpunkt erreicht.

Was ist #aufstehen?

Ein Blick in den Gründungstext (aufstehen.de/gruendungsaufruf/) zeigt den politischen Horizont von #aufstehen. Es ist nicht mehr als ein Aufwärmen von alten sozialdemokratischen Plattitüden gepaart mit einer nationalistischen Schlagseite („unserem Land“ als positiver Bezugspunkt). Sorge macht man sich über eine gespaltene Gesellschaft, der Begriff Klassengesellschaft spielt bei #aufstehen keine Rolle. Man will ja das Land wieder vorwärts bringen, unabhängig von Konzernen, die „unsere“ Demokratie untergraben, oder den USA, die dem Land angeblich sagen, wie es aufrüsten muss, und wo es Kriege zu führen hat. Dem stellt das Wagenknecht-Projekt eine alternative Strategie für den deutschen Imperialismus entgegen, die auf eine Achse mit Russland und China setzt und dem US-Imperialismus den Rücken zukehrt .

Wirtschaftspolitisch möchte man das deutsche Kapital vor den ausländischen Heuschrecken des Finanzkapitals retten. Diese Kritik an der Existenz von Finanzkapital, das sich in Unternehmen als Investor einkauft und dann mit Stellenabbau, Lohnraub und anderen Maßnahmen zur Profitmaximierung beiträgt, ist keine Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Es ist der Aufruf an die Arbeiter, sich auf die Seite ihrer Bosse zu stellen und sich so, und nicht klassenkämpferisch gegen die Übernahme von Investoren, Hedgefonds oder anderen Kapitalisten zu wehren. Lächelnd werden die Bosse zur Kenntnis nehmen, dass die Bewegung #aufstehen die Arbeiter anleitet, ihr eigenes Grab zu schaufeln.

Wichtig ist auf alle Fälle, dass #aufstehen keine Orientierung auf die Befreiung der Arbeiterklasse von den Zumutungen des Kapitalismus hat, sondern einfach nur alles demokratischer, gerechter, sozialer und friedlicher unter deutscher Souveränität haben möchte. Dabei gibt man sich offen und basisdemokratisch, und es wundert nicht, dass die reaktionäre Rechte um Jürgen Elsässer und Junge Freiheit zum Unterwandern dieser Formation aufgerufen hat.

Der Niedergang der Sozialdemokratie, ist ein Anzeichen dafür, dass so ein Ansatz gewisse Mobilisierungserfolge haben kann. Man ist politisch beliebig, irgendwie links, irgendwie liberal, irgendwie deutsch, irgendwie offen für alle, außer natürlich für Nazis, von denen sich #aufstehen dann doch distanziert. Bei dieser Bewegung muss man sich nicht festlegen. Sie nennt sich selbst „überparteiliche Sammlungsbewegung“.

Natürlich bleibt es offen, ob #aufstehen sich doch in eine neue Partei entwickeln wird. Noch streiten das die Protagonisten ab. Denkbar wäre ein Szenario, in dem Sahra Wagenknecht aufgrund ihrer Aktivitäten in #aufstehen in der Partei die Linke (PdL) entmachtet wird. Das könnte Kräfte in Richtung einer neuen Partei freisetzen.

Will #aufstehen die PdL spalten?

Die Existenz von #aufstehen polarisiert die PdL. Eine weiter wachsende Sammlungsbewegung kann durchaus bald das Potential haben, die PdL zu spalten. In Anbetracht der Entwicklung dieser Partei zu einem harmlosen linken Anhängsel des bürgerlichen Parlamentarismus, ist eine Spaltung nicht zwangsläufig etwas schlechtes, wenn sie zur Polarisierung eines revolutionären Flügels führen würde. Diesen gibt es jedoch innerhalb der PdL nicht einmal ansatzweise und #aufstehen verkörpert eine weitere Rechtsentwicklung im Spektrum der PdL. . Innerhalb der Partei gibt es auf dem linken Flügel einen Abwehrkampf gegen Wagenknechts Rolle als Fraktionsvorsitzende im Bundestag und ihre gleichzeitige Position bei der Bewegung #aufstehen, die so viel weiter rechts steht, dass sie Grundsatzpositionen der PdL in Frage stellt. Der linke Flügel muss aber daran scheitern, weil er die organisisatorische Einheit mit derartigen rechten Elementen sucht, statt die PdL anhand revolutionärer Positionen zu polarisieren. Letztlich fürt #aufstehen den Rechtstrend der PdL selbst konsequent weiter, die in Regierungskoalitionen im Grunde bereits das durchführt, was #aufstehen fordert. Darüber können auch Floskeln über das Abweichen Wagenknechts von PdL-Grundsatzpositionen nicht hinwegtäuschen.

Sahra Wagenknecht ist die wichtigste Initiatorin von #aufstehen. Schon länger fällt sie dadurch auf, dass sie in der großen Debatte um Flucht und Migration versucht, deutsche Arbeiter gegen Migranten auszuspielen und zu behaupten, diese hätten entgegengesetzte Interessen.

Die Arbeiter, die der rassistischen Hetze auf den Leim gehen, werden kein besseres Leben bekommen, wenn Flüchtlinge und Migranten schlecht behandelt werden. Im Gegenteil – eine Verschärfung der Ungleichbehandlung von Migranten erleichtert es dem Kapital, die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die Spaltung entlang nationaler Linien zu verschärfen, indem Migranten häufig in schlechter bezahlten Jobs arbeiten müssen und weniger Lohn für die gleiche Arbeit erhalten. Allein schon deshalb ist es entscheidend, gleichen Lohn für gleiche Arbeit sowie volle Staatsbürgerrechte für alle Immigranten zu fordern.. Von oben werden die Interessen von Flüchtlingen, Arbeitsmigranten und im Land lebenden Arbeitern systematisch gegeneinander ausgespielt, und die radikale Linke fällt durch liberale Slogans wie „No Border, No Nation“ auf, die vorgeben, dass die Verbindung von verschärfter Ausbeutung und Migration im Kapitalismus zu lösen sei. Im Kapitalismus wird es immer Grenzen und Nationalstaaten geben, auch wenn die neoliberale Ideologie das anders verkaufen will. Wer hier utopisch eine Auflösung einfordert, ohne von der Notwendigkeit einer dem zuvorkommenden internationalen sozialistischen Revolution reden zu wollen, der darf sich nicht wundern, dass dieser Bewusstseinssprung von niemandem aus der Arbeiterklasse so ohne weiteres mitgemacht wird.

Mal formuliert Wagenknecht es etwas linker, wenn sie vor einem linken Publikum redet, mal erheblich rechter, wenn sie den bürgerlichen Medien Interviews gibt. Höhepunkt war die Ablehnung Wagenknechts, die linksliberale antirassistische Demonstration „Unteilbar“ Mitte Oktober 2018 zu unterstützen. Ihr fadenscheiniges Argument: der Aufruf sei für offene Grenzen. Die Abgrenzung von einer Demonstration, die mit linksliberalen Inhalten sich gegen den Rechtsruck wendet, war bezeichnend. Das Detail, dass im Aufruf für diese Aktion nirgends etwas von offenen Grenzen stand, ist dabei Nebensache. Revolutionäre fordern im imperialistischen Deutschland, das global von imperialistischen Kriegen und Ausbeutung profitiert, durchaus offene Grenzen. Wagenknecht befindet sich seit Jahren im Sinkflug nach rechts, ihre Kapitalismuskritik hat sie zugunsten eines Lobes für Ludwig Erhards Wirtschaftspolitik der 1950er Jahre aufgegeben. Dass sie nun auch an das ständische Bewusstsein deutscher ArbeiterInnen appelliert, indem sie den Interessen deutscher ArbeiterInnen Priorität vor denen anderer Länder einräumt, ist nur die Krönung.

Sie kann sich in Talkshows gut verkaufen und ihre Popularität an der Basis der PdL, aber auch außerhalb sind deutlich zu sehen. Daher ist die ganze Geschichte nicht ein Ausdruck eines individuellen Rechtsrucks sondern Teil eines weitergehenden Problems. Das Argument, man wolle AfD-Wähler gewinnen, die nur aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik die AfD wählen, aber ansonsten nichts mit der rechten Agenda der Partei zu tun haben wollen, ist nur vorgeschoben. Ziel von Wagenknecht ist es, elementare linke Positionen zu bekämpfen, und eine Bewegung, die sich auf die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse beruft, zu vereiteln.

Weder Partei die Linke noch #aufstehen!

Worin liegen die Differenzen zwischen Wagenknecht und der PdL? Auf dem letzten Parteitag ist Wagenknecht mit ihrer rechten, bürgerlich-moderaten Flüchtlingspolitik durchgefallen. Gewonnen haben aber Positionen, die im politischen Alltagsbetrieb der PdL keine Rolle spielen, da sie überall wo sie (mit-)regiert, abschiebt und das gleiche mit Flüchtlingen macht, was in anderen Bundesländern auch geschieht. Es ist nicht nur Wagenknecht, die sich nach rechts bewegt: Bodo Ramelow (Ministerpräsident in Thüringen /PdL) möchte auch, wie Union und SPD, dass die Maghreb-Staaten (Tunesien, Algerien, Marokko) in Leugnung der Menschenrechtssituation als sichere Herkunftsstaaten behandelt werden. Als Gegenleistung möchte Ramelow bessere und schnellere Asylverfahren.

Die objektive Aufgabe von #aufstehen liegt darin, die Linke und Arbeiterbewegung weiter zu schwächen. Das Ziel „Für eine Regierung der politischen Vernunft“ () ist frei von jeglicher Klassenanalyse. Klar ist aber auch, dass die PdL mit ihrem Latein am Ende ist. Reformistische Anpassung hat sie zum festen Bestandteil des Parlamentarismus gemacht, verändert hat sie jedoch gar nichts. Nun ist die PdL in einer Krise, da Teile der eigenen Partei mit rechten Ideen liebäugeln. Sollte sie dies zu einer Spaltung treiben, wäre dies eine angemessene Quittung für ihre Prinzipienlosigkeit.