SAV: Toleranz für kapitalistische Regierungspolitik

Ein fester Bestandteil der Taktik der Sozialistischen Alternative (SAV) in der Partei die Linke (PdL) ist es, sich gegen Regierungsbeteiligungen auf Länder- und Bundesebene stark zu machen. So haben die Genossen der SAV gegen den Koalitionsvertrag in Berlin Ende 2016 gestimmt. Gegen die Tolerierung von Minderheitsregierungen durch die PdL hat man hingegen nichts einzuwenden.

Diese Taktik wollen sie nun anlässlich der Wahl im Frühjahr 2019 in Bremen verfeinern. Am Anfang der taktischen Erwägung steht die nüchterne Analyse.

“Die SAV hält Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen für falsch. Alle Erfahrungen zeigen, dass Ergebnis solcher Koalitionen der Verzicht auf wirklich linke Politik im Interesse der Arbeitnehmer*innen ist und sich linke Parteien darin zu Erfüllungsgehilfen für prokapitalistische Politik machen. Das kann auch angesichts wirtschaftlicher Krisenprozesse und der Tatsache, dass die wirkliche Macht im Staate bei denen liegt, die das große Kapital zur Verfügung haben, kaum anders sein.”

sozialismus.info

Doch weil sie schließlich ihre Arbeit in der PdL begründen muss, hebt die SAV die PdL auf eine vorrevolutionäre Wolke:

“DIE LINKE hat den Anspruch, die Lebensverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung nachhaltig zu verbessern, sicher und dauerhafte Arbeitsplätze zu schaffen, Armut zu beseitigen, den Zugang zu Bildung für alle zu ermöglichen, Kriege zu verhindern und Diskriminierung zu bekämpfen. Eine solche Politik kann nicht im Rahmen kapitalistischer Sachzwänge, sondern nur auf Kosten der Reichen und Superreichen und im Konflikt mit diesen durchgesetzt werden.”

ebenda

Doch ist ihnen sozialistische Opposition im Parlament gegen den Kapitalismus dann doch zu radikal, daher:

“Die SAV schlägt vor, der Bildung einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen nicht im Weg zu stehen, ohne aber selbst in diese Regierung einzutreten oder sich durch einen Tolerierungsvertrag an sie zu binden und für deren prokapitalistische Politik die Mitverantwortung zu übernehmen.”

ebenda

Die PdL ist eine biedere reformistische Partei, die sich seit Jahren nach rechts bewegt. Auf Länderebene tritt sie in Regierungen ein, eben auch mit den bürgerlichen Grünen. Da wird dann Politik gegen die Interessen der Arbeiterklasse gemacht. So werden unter Landesregierungen mit Beteiligung der PdL massenhaft Flüchtlinge abgeschoben, die Polizei aufgerüstet, Naziaufmärsche geschützt und Jagd auf Linke gemacht. Jüngst überfielen 560 Polizisten in Berlin-Friedrichshain linke Wohnungen wegen einer Nichtigkeit. Aber auch sonst fällt die PdL kaum durch oppositionelle Positionen gegen die herrschenden Verhältnisse auf. Schließlich sind Teile ihrer Führung pro-NATO und/oder pro-EU. Wer in der PdL nach einer sozialistischen klassenkämpferischen Alternative sucht, hat nicht verstanden, was die Verteidigung der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse gegen die Anpassung an bürgerliche Politik wirklich bedeutet. Die Taktik der punktuellen Tolerierung von SPD-Grünen-Minderheitsregierungen ist klarer Ausdruck der Klassenzusammenarbeit.

“DIE LINKE kann dann erklären, dass sie jedes Gesetz der Regierung unterstützt, das die Lage der arbeitenden Men­schen, sozial Benachteiligten und ausgegrenzten Minderheiten verbessert und jedes ablehnt, dass den Interessen dieser Menschen entgegen steht. So kann die LINKE ihre politische Unabhängigkeit wahren und die Regierungsparteien vor sich her treiben, indem sie weiter gehende Forderungen aufstellt. Sie kann auf dieser Grundlage außerparla­mentarischen Widerstand organisieren und neue Mitglieder gewinnen. Sie ist glaubwürdig, macht sich nicht zum Teil des Establishments und kann aus der Opposition heraus stark werden. Sie kann auf dieser Grundlage erklären, dass es nötig ist, dieses System grundlegend zu ändern und eine sozialistische Gesellschaft zu erkämpfen, um dauerhaft Verbes­serungen für die Masse der Bevölkerung zu erkämpfen.”

ebenda

Natürlich nutzt die PdL die Aufmerksamkeit, die sie als Parlamentsfraktion bekommt auch mal dazu, sich links zu posi­tionieren. Woher in dieser Partei aber Kräfte kommen sollen, die die „Regierungsparteien vor sich her treiben“ und die die Einsicht haben sollen „dieses System grundlegend zu ändern“ bleibt seit 2007 ein Geheimnis der Entrismustaktik der SAV. Wer das System ändern will, wer für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse eintreten will, wer eine sozialistische Gesellschaft erkämpfen will, muss raus aus dem parlamentarischen Sumpf der PdL und mit dem Entrismus der SAV brechen. Letztlich macht sich die SAV zur Gehilfin der pro-kapitalistischen Regierungspolitik der PdL, weil sie nicht darauf eingehen will, wie die sozialistische Gesellschaft entstehen kann, die die SAV innerhalb der PdL und schließlich deutschlandweit erkämpfen möchte. Dazu müsste die SAV erläutern, warum diese Perspektive eine dramatische Linksentwicklung der PdL-Mitgliedschaft erforderlich machen würde, die im Korsett der PdL wohl kaum realisierbar ist. Hundert Jahre nach der fehlgeschlagenen Novemberrevolution sollte sich die Erkenntnis verbreitet haben, dass sozialdemokratische Parteien wie die PdL keineswegs einen Automatismus für die Revolutionierung der Arbeiterklasse darstellt, sondern vielmehr ein Hindernis gegen eine revolutionäre Linksentwicklung. Das haben die ersten zehn Jahre der PdL durch direkte Angriffe auf die Interessen des Proletariats eindrucksvoll bewiesen.

Trotzkis Entrismusperpektive beruhte darauf, in sozialdemokratische Parteien zu intervenieren, in denen sich eine Linksentwicklung vollzog. In einer solchen Situation war es für die marginalisierten trotzkistischen Kräfte sinnvoll, zeitlich begrenzt zu versuchen, durch politische Intervention die Parteien zu polarisieren, um den linken Flügel politisch für sich zu gewinnen und sich schließlich gemeinsam mit diesem zur Gründung einer größeren revolutionären Organisation abzuspalten. Die Entrismustaktik war im wesentlichen nach zwei Jahren abgeschlossen. Heute kann die SAV mit dem über Bordwerfen der eigenen Prinzipien nicht erwarten, innerhalb der PdL eine trotzkistische Opposition aufzubauen, die diesen Namen verdienen würde. Diese Taktik gab die SAV auch schnell auf, um sich der linksreformistischen Antikapitalistischen Linken (AKL) anzuschliessen. Die Regierungseintritte in bürgerliche Regierungen, einschließlich der klassenübergreifenden Bündnisse der PdL mit den Grünen, hätten eine Basis für eine Polarisierung schaffen können, indem man diese innerhalb der PdL anprangert und sie als Prüfstein für die tatsächliche Radikalität (oder ihrem Mangel) benutzt. Revolutionäre hätten innerhalb der PdL darauf zu verweisen, dass dem Klassenkampf Priorität einzuräumen ist und das Parlament bestenfalls als Bühne für dessen Unterstützung taugt. Die SAV neigt dazu, im Zweifelsfall in einer sozialdemokratischen Massenpartei ohne revolutionäre Prinzipien zu arbeiten, statt die Polarisierung und den Bruch mit der PdL zu suchen. Ihr Entrismus ist zum Scheitern verurteilt und gipfelt in der Schaffung von Illusionen in die PdL. Sie hat mit Trotzkis Entrismustaktik wenig gemeinsam.

Natürlich ist eine Marginalisierung von Revolutionären kein Idealzustand, aber ein größerer, ernsthaft revolutionärer trotzkistischer Pol, der nicht aus opportunistischen Gründen davor zurückschreckt, die Wahrheit zu sagen, könnte die Grundlage für eine revolutionäre Massenpartei schaffen. Eine solche Partei würde offen die notwendigen Tageskämpfe mit einem klar definierten revolutionären Ziel verbinden, an dessen Ende die Beseitigung des bürgerlichen Staatsappa­rates und seiner wirtschaftlichen Grundlage im Kapitalismus und die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft stehen muss.