Die Reaktion formiert sich – Nicht nur in Chemnitz

Der Tod eines jungen Menschen am 26. August 2018 wird zum Auslöser rassistischer Pogrome in Chemnitz. Aufgestachelt durch rechte Propaganda und rassistische Hetze kommt es noch am gleichen Tag zu Hetzjagden auf Migranten und Linke in der Stadt. Am Abend marschierte die rechte Szene in Zusammenarbeit mit lokalen Nazi-Hooligans, Wutbürgern und AfD auf. 5.000 bis 8.000 werden es am Ende: eine Einheitsaktion der Rechten. Gerade das so offene Zusammenspiel von AfD mit militanten Nazis, und die offene bundesweite Sympathie der AfD-Anhänger mit dem Verlauf des Aufmarsches (Spiegel-Umfrage dazu) sind neue Entwicklungen, die wir als Warnung an die Linke und Arbeiterbewegung verstehen, sich endlich der AfD und der faschistischen Rechten in den Weg zu stellen.

Die linksliberale taz aus Berlin veröffentliche im November 2018 die Ergebnisse einer breit angelegten Recherche.

Überall in Deutschland, auch in Österreich und der Schweiz, haben sich Gruppen formiert, die daran arbeiten, einen eigenen Staat im Staate aufzubauen. Mitglieder in diesen Gruppen sind Polizisten und Soldaten, Reservisten, Beamte und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die unter konspirativen Bedingungen einen Plan hegen: Wenn sie die Zeichen sehen, wenn „Tag X“ da ist, wollen sie zu den Waffen greifen.“

https://www.taz.de/!5548926/

Diese Gruppen haben auch Feindeslisten erstellt, die am „Tag X“ liquidiert werden sollen. Ganz oben auf der Liste stehen politische Führungskräfte der Partei die Linke.

Wir sehen momentan einen alarmierenden Aufstieg der Rechten aller Couleur, von den Stiefelnazis bis zu den „intellektuellen“ Nationalrevolutionären wie Götz Kubitschek oder Jürgen Elsässer.

Teile der Arbeiterklasse und Kleinbürger wählen die AfD, weil ihre soziale Lage, gerade im Osten, noch prekärer geworden ist. So trifft die Hetze gegen Migranten und Flüchtlinge auf fruchtbaren Boden, da sie der Unzufriedenheit Sündenböcke zuführt. Darüber hinaus kann die Rechte auf Rückhalt in der katholischen Kirche und erz-konservativen Kreisen der Union zählen. Hier kommt zusammen, was zusammen gehört, und es hat eine Massenbasis.

Die herrschende Klasse und der braune Sumpf

Wir erleben aber auch regelmäßig, dass Vertreter der herrschenden Klasse sich besorgt über den Aufstieg der AfD äußern. Nach dem Chemnitz-Pogrom merkten Unternehmerverbände an, dass Investitionen in einem Klima,wie es von den Rechten in Chemnitz oder Dresden geschaffen worden ist, eher unwahrscheinlich sind. Da sich das Kapital nicht so einfach die von ihnen geschaffenen Niedriglohnparadiese wegnehmen lassen will, unterstützten auch Großunternehmen das antifaschistische und antirassistische #Wir sind mehr – Festival im Nachtrab der rechten Gewalt in Chemnitz. Wir sehen hier Parallelen zum Aufstand der Anständigen nach dem antisemitischen und faschistischen Terroranschlag auf Juden 2000 in Düsseldorf.

Dem verlogenen “Antifaschismus” von oben geht es also im Kern um einen im Interesse des deutschen Kapitals trennscharfen Rassismus, der dessen internationalen Geschäften und Ausbeutungszwecken (verwertbare Migranten) sowie dessen Unterdrückungszwecken (Sündenbockfunktion und Spaltung der Arbeiterklasse) gleichermaßen dient. Diese “Trennschärfe” (Otto Schily, SPD) mit ihrer völkischen Ideologie nicht hinzubekommen, ist in Wahrheit der zentrale Vorwurf der parlamentarischen Staatsrassisten und -rassistinnen gegen das Nazi-Pack. Dem undifferenziert Pöbelhaften der Faschisten wird der vernünftige Rassismus der Festung Europa und der gesunde Patriotismus deutscher Interessendurchsetzung in aller Welt, und insbesondere deutscher Kriegstreiber auf dem Balkan, gegenübergestellt. Das eine schadet, das andere nutzt dem internationalen Ansehen des Vaterlandes.“

– siehe Bolshewik 10

In der CDU/CSU tobt seit Monaten ein Streit über die Flüchtlingspolitik und das Verhältnis zum braunen Mob. Die sächsische CDU und der Innenminister Horst Seehofer (CSU), spielen die Ereignisse von Chemnitz runter: So behauptete Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer es habe gar keinen Menschenjagden gegeben. Damit stell­te er sich öffentlich gegen die Position der Bundeskanzlerin, welche diese ausdrücklich erwähnte und verurteilte. Schützenhilfe bekam Kretschmer vom Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen, welcher eine Videoauf­zeichnung von einer Attacke gegen Migranten aus Chemnitz als Fälschung diskreditierten wollte, obwohl der Verfassungsschutz das Video noch gar nicht geprüft hatte und bürgerliche Journalisten dem Video Echtheit beschieden haben (siehe Medienmagazin Zapp vom 12.09.2018).

Dass der Chef des Verfassungsschutzes den rechten Mob entlastet kann nicht verwundern, da der Verfassungsschutz von überzeugten Nazis gegründet wurde,diese Behörde traditionell auf dem rechten Auge blind ist, und die heutigen Faschisten tatkräftig unterstützt hat. Vom Faschismus ist auch der stramme Antikommunismus geblieben. Man hätschelt die Nazis und kriminalisiert die Linke. So behauptete Maaßen dann auch ganz unverholen, Linke hätten das angeblich gefälschte Video lanciert.

Als Maaßen seinen Hut nehmen musste, weil er untragbar für die herrschende Klasse wurde, machte er vermeintlich linksradikale Kreise in der SPD für seine Absetzung verantwortlich. Der Verfassungsschutz könnte lange suchen und in der SPD keine Linksradikalen finden, da es diese dort nicht gibt.

Die Rolle der Polizei

Der Polizei wurde im Zusammenhang mit den Pogromen in Chemnitz vorgewurfen, sie sei nicht Herr der Lage gewesen. Die Polizei hat in Chemnitz nicht versagt. Sie hat vieles bewusst geschehen lassen, vielleicht hier und da den Überblick verloren, aber nie die Kontrolle. Während der Staatsapparat im Rahmen der neuen Polizeiaufgabengesetze seine Polizei massiv aufrüstet, um Linke und Arbeiter zu drangsalieren, wird den Rechten freie Bahn gewährt.

Die Polizei hat die Aufgabe den Kapitalismus aufrechtzuerhalten. Das erklärt, warum auf jeder linken Demo eine Bürgerkriegsarmee in Uniform aufläuft, während die pro-kapitalistische Rechte hofiert und geschützt wird. Wer im Zuge von Chemnitz oder den NSU-Morden von Staatsversagen spricht, hat das nicht verstanden.

Auf antifaschistischen Demos der 1990er Jahre, aber auch danach, skandierten die Autonomen gerne in Richtung Polizei: „Wo wart ihr in Rostock?“. Gemeint ist der gut dokumentierte Rückzug von Polizeieinheiten im August 1992, als ein faschistischer Mob das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen belagerte, anzündete und stürmte. Vietnamesische Vertrags­arbeiter konnten sich gerade noch retten. Diese Parole zeugte von unglaub­licher Ignoranz, beinhaltet sie doch eine Aufforderung, das die Polizei gefälligst gegen Nazis eingreifen sollte, und übersieht, dass der Befehl der Einsatzleitung Teil des politischen Interesses war, das Asylrecht in Deutschland zu zerstören, was auch kurz danach passierte.

Wenn nach den faschistischen Umtrieben in Chemnitz die Polizei 10 Anzeigen wegen des Zeigens von Hitler-Grüßen verfolgt, soll das zur Beruhi­gung der staatsnahen linken und liberalen Kräfte passieren. In Anbetracht der faschistischen Führung des Aufmarsches, der Parolen und Drohungen gegen Linke und Journalisten ist das lediglich ein Witz.

Wir leben in einer Klassengesellschaft und die Interessen der herr­schenden Klasse sind die herrschenden Ideen. Noch hat die herrschende Klasse kein Interesse daran, Faschisten wieder an die Macht zu holen, aber wer all die Entwicklungen verfolgt weiß, dass diese Option nicht aus der Welt ist. Die unterdrückte Klasse braucht ein politisch unabhängiges und revolutionäres Programm zur Befreiung. Als Trotzkisten in Deutschland wissen wir darüber hinaus, dass der Kampf gegen den Faschismus ein wichtiger Baustein in diesem Programm ist, und dass andere Strömungen gerade dabei sind die alten Fehler, die zur Katastrophe 1933 führten, zu wiederholen.

Reformisten

Auf Adamag, einer neuen Onlineplattform angelehnt an Jacobin, einer sehr bekannten US-amerkanischen linken Internet-Publikation, heißt es im Selbst­verständnis „Ada ist auf der Seite von Arbeiterinnen.“ (adamag.de/ada)

In einem Text, der sich unter anderen mit der Perspektive des faschistischen Flügels in und um die AfD beschäftigt, analysiert der Autor auch sehr genau die Verbindungen welche die AfD mit der Bundeswehr und der Polizei hat. Björn Höcke hat den Traum der Zerstörung der verhassten bürgerlichen Demokratie. Der Autor von adamag sieht dieses Ziel zu Recht als Warnung, ist doch Höcke ein sehr populärer Politiker, der mit dieser faschistischen Vision nicht hinter dem Berg hält. Doch was schlägt nun der Autor konkret vor?

Gerade in Sachsen, in dem keine nennenswerte zivilgesellschaftliche Gegenwehr zu erwarten ist, wird es in dieser und künftigen Konfrontationen auf die Polizei ankommen. Die Linke stellt dies vor eine schwierige Situation. Zurecht kritisieren wir die Handlungen von Polizei und Justiz. Doch müssen wir an dieser Stelle auch auf sie setzen.“

adamag.de/revolution-rechts-chemnitz-pegida-hoecke

So wie heute Stalinisten und Maoisten immer wieder das Märchen vom antifaschistischen Widerstand von Thälmann, Dimitroff und Stalins Komintern wiederkauen, erzählen uns Reformisten, Sozialdemokraten und Pseudo-Sozialisten die Geschichte vom bürgerlichen Staatsapparat, der irgendwie dazu gebracht werden sollte, aktiv gegen die Nazi-Strukturen vorzugehen. Das hat in der Weimarer Republik nicht geklappt, und wird auch heute nicht klappen.

Die pseudotrotzkistische Sozialistische Alternative Voran (SAV) ist ein klassisches Beispiel dafür wie eine richtige Analyse durch ein tiefes Vertrauen in eine Politik der Klassenzusammenarbeit auf dem politischen Holzweg endet.

Die AfD wird richtig charakterisiert, wenn die SAV schreibt:

Die AfD bildet eine Brücke zwischen gemäßigten und radikalen rechten Ansichten und innerhalb der Partei bildet sich ein Flügel heraus, der zum Teil Überschneidungen mit Faschisten aufweist. Prominente Vertreter dieses Flügels sind Poggenburg, Gauland und Höcke. Sie bekommen zudem Unterstützung aus verschiedenen Landesverbänden und der Jungen Alternative. Mitglieder des Jugendverbandes sind zum Beispiel bei den neofaschistischen Identitären und Burschenschaften aktiv. Dabei stellen Mobilisierungen der AfD einen Schutzraum für rechte Gewalt für Nazis, die außerhalb der Partei agieren, dar. Doch dies prägt nicht die gesamte Partei.“

Auch werden die sozialen Wurzeln der Partei fundiert aufgezeigt:

Ein Merkmal PEGIDAs und des rechten Flügels der AfD ist dieses Element – Teile des Mittelstandes radikalisieren sich und gehen gegen die vermeintlich Schuldigen für ihre Situation auf die Straße. Und obwohl Nazischläger diesen Raum für gewalttätige Aktionen nutzen, entspricht dieses Bild nicht der Gesamtpartei. Deren gemäßigter Flügel verhindert zwar einen Bruch mit den Parteirechten, aber sie wollen vor allem den bürgerlichen Staat im parlamentarischen Rahmen regieren und nicht die physische Vernichtung der Gewerkschaften und linken Parteien, wie es faschistische Organisation taten oder sich heute noch auf die Fahne schreiben.“

Doch wenn es um den Kampf gegen die AfD und Faschisten geht, bleibt die SAV bei ihren Illusionen in Die Linke in die sie sich tief vergraben hat, wie ihre Vorgängerorganisation einst in die SPD:

Der LINKEN und auch den Gewerkschaften ist es nicht gelungen, als echte Alternative wahrgenommen und angenommen zu werden. Warum? Sie haben es verpasst, den Sozialabbau zu verhindern bzw. den Kampf dagegen zu organisieren.“

Alle drei Zitate aus sozialismus.info/2016/07/ist-die-afd-faschistisch/

In der Tat. Da die LINKE es „verpasst“, Widerstand gegen Angriffe auf die Arbeiter zu organisieren, haben die Arbeiter sie nicht „als echte Alternative wahrgenommen“! Anstatt sich an diesem Einblick der Arbeiter zu erfreuen, gibt es der SAV Grund zur Sorge. Vielleicht haben die Proleten nicht das Potential der Partei erkannt? Oder die Partei hat es „verpasst“ sich als „echte Alter­native“ darzustellen? Da kann die SAV nicht tatenlos zusehen und hat sofort ein paar Heilmittel parat:

Es reicht nicht, an die Güte der Mitmenschen und das Mitgefühl mit den Geflüchteten zu appellieren. Die soziale Frage muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Gewerkschaften und DIE LINKE müssen dafür in die Offen­sive kommen. Sie müssen von sich aus Aktionen anstoßen für wirkliche Verbesserungen, zum Beispiel eine Senkung des Renteneintrittsalters, Rekommunalisierung von Krankenhäusern und Wohnungen, Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro und dafür in den Betrieben, Verwaltungen und Nachbarschaften werben.

Denn das wirksamste Mittel gegen Rassismus ist Solidarität und der gemeinsame Kampf für soziale Verbesserungen.“

sozialismus.info/2017/11/afd-im-bundestag-was-tun/

Das „wirksamste Mittel“ gegen den Einfluss von Reformismus, ist ihn zu verurteilen und blosszustellen. Der Versuch der SAV ihn mit linken Forderungen schön zu reden, kann die Illusionen in diesen nur stärken.

Für den Kampf gegen die wachsende Gefahr von Rechts kann weder die Perspektive der Stalinisten einfach die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, noch der Glaube an einen „guten“ bürgerlichen Staat oder bürgerliche Arbeiterparteien, wie Reformisten ihn propagieren, zum Erfolg führen. Praktischer Kern dieses Kampfes muss hierbei die Einheitsfront der Linken und Arbeiterbewegung sein, welche Vertreter verschiedener linker politischer Strömungen in der Praxis vereint, aber nicht versucht deren programmatische Differenzen zu überdecken.

Für einen militanten, klassenkämpferischen Antifaschismus!

Für die Einheitsfront der Linken und Arbeiterbewegung!