Urteil im NSU-Prozess

Rassismus, Vertuschung, Verharmlosung

“Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzu¬decken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.”
—Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt, Berlin, 23. Februar 2012

Mit den mehr oder weniger erwarteten Urteilen geht der Münchner NSU-Prozess nach 437 Verhandlungstagen zu Ende.

Als Revolutionäre kritisieren wir nicht nur die zum Teil lächerlich geringen Strafen gegen die Nebenangeklagten, sondern kritisieren auch die große Behauptung des Staates über die isolierte Terrorzelle, die mit ein paar wenigen Unterstützern zehn Menschen ermordeten, weitere Terror-Anschläge verübten, und einige Banken überfielen. Diese Behauptung ist eine Lüge und dokumentiert das Verhältnis des bürgerlichen Staates zu den Faschisten.

Egal an welchem der vielen losen Enden der Verstrickungen des NSU-Komplexes man auch zieht, es wird eine andere Wahrheit sichtbar. Und es liegt nun an der Linken und Arbeiterbewegung keinen Frieden mit diesem Urteil zu machen, mit dem der bürgerliche Staat einen Schlussstrich ziehen will. Daher begrüßen wir die Initiativen „Kein Schlussstrich“, „NSU-Watch“ und die anderen Aktivisten, die jeweils an den Orten der Taten auf eine vollständige Aufklärung drängen.

Wir können den Wunsch der Hinterbliebenen nach vollständiger Aufklärung der Taten nicht nur nachvollziehen, sondern sehen die Aufklärung als vitales Interesse der Arbeiterklasse, auch wenn ihr die gesamten herrschenden Verhältnisse entgegenstehen, allen voran der bürgerliche Staat, mit seinem taktischen Verhältnis zu den Faschisten als Rammbock gegen die multinationale Arbeiterklasse. Der Staat ist nicht bereit seine V-Männer zu opfern, um den NSU-Komplex aufzulösen! Und zwar nicht nicht nur aus Nibelungentreue oder der Angst, dass die weitreichenden Verstrickungen des Staates in faschistische Netzwerke offengelegt werden, sondern weil man weiter gute Kontakte zu den Faschisten pflegen will, die der herrschenden Klasse immer wieder als Schlägertrupp dienlich sind. Es beweist aufs neue, dass Staat, Justiz und Polizei keine Bündnispartner im politischen Kampf gegen Rassismus und Faschismus sind. Auch kann es nicht verwundern, dass dieses Urteil in eine Zeit fällt, in der mit der AfD eine Partei Erfolge feiert die keine Berührungsängste mit Faschisten hat und Hetze gegen MigrantInnen durch bürgerliche Politiker an der Tagesordnung ist.

Staatlicher Rassismus gehört zur Staatsräson des deutschen Imperialismus seit eh und je. Exemplarisch sei hier an die „Ermittlungen“ der Polizei nach den faschistischen Terroranschlägen der NSU erinnert, bei der die Familien der Opfer drangsaliert wurden:

“Die Familie wurde zudem selbst durch die Ermittlungsbehörden in erheblicher Weise stigmatisiert. Mehmet Kubasik wurde ohne jeglichen Anlass als vermeintliches Mitglied der organisierten Kriminalität, als vermeintlicher Drogenhändler oder beispielsweise als untreuer Ehemann gebrandmarkt. Anhaltspunkte dafür gab es keine. Selbst die klaren Äußerungen der Familie, dass es sich bei den Tätern doch um „Nazis“ gehandelt haben könnte, wurden von dem damaligen Ermittlungsführer, dem Zeugen KHK Schenk, mit der Bemerkung, dass es dafür doch keine Anhaltspunkte geben würde, abgetan. Gleichzeitig wurde von der Familie ein Stammbaum bis in die dritte Generation erfragt.”
—Antonia von der Behrens (Hrsg.), „Kein Schlusswort“, VSA-Verlag Hamburg, 2018, Seite 72

Es handelt sich hierbei aber auch nicht um obskure Verschwörungen, in der Geheimdienste und Polizei die Faschisten wie Marionetten bewegen, wie wir von Beginn an betonten:

“Die rassistische und faschistische Gewalt ist aber keine Geheimdienstverschwörung, sondern Produkt der kapitalistischen Verhältnisse. Faschistische Organisationen, Parteien, Kameradschaften mögen vom Verfassungsschutz unterwandert sein, aber sie sind eigenständige Organisationen, mit einer eigenständigen, mörderischen Ideologie.”
—„Für einen klassenkämpferischen Antifaschismus!

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten war die Rolle der Nebenklage der interessanteste Teil des Prozesses. Die 93 Nebenkläger haben erklärt, dass sie jegliches Vertrauen in die Ermittlungen verloren haben. Das ist das Ergebnis ihrer akribischen Recherchearbeit, um das Ausmaß der Beteiligung von V-Männern und Verfassungsschutzbeamten im Aufbau und Verhätscheln der Naziszene offenzulegen. Mit jeder neuen Erkenntnis schwand der Glaube an den Willen des Staates, den NSU-Komplex vollständig aufzuklären. Das Bohren in den offenen Wunden des Schweige- und Vertuschungskartells von Polizei, Verfassungsschutz und Justiz muss ein Teil des Kampfes um die Aufklärung des NSU-Komplexes sein.

Und jetzt?

Der faschistische Terror gehört seit Jahren zum Alltag in Deutschland. Die Organisation GewerkschafterInnen und Antifa gemeinsam gegen Dummheit und Reaktion hat eine Liste von Nazi-Morde Seit 1989 mit 312 durch rechte Gewalt getöteten Opfern veröffentlicht. Im Zuge der Recherche zur NSU tauchte in den Medien eine Liste mit 10.000 Adressen auf, gefunden im Brandschutt der letzten Wohnung der drei Nazis in Jena, die als potentielle Ziele für Attentate dienen sollte. Zu dieser Liste wurden, welche Überraschung, keine Ermittlungen angestellt. Sie ist damit zu einem Beweis geworden, dass der NSU nicht nur aus drei Leuten bestand.

Die bürgerliche Offensive ist in vollem Gang. Zahlreiche Grundrechte werden geschliffen, Flüchtlingen und Migranten wird der Krieg erklärt. Etablierte linke Positionen sind in vielen Teilen der Welt auf dem Rückzug und das Fehlen einer revolutionären Partei und Internationale wirkt sich seit Generationen verheerend auf das Klassenbewusstsein der Arbeiterbewegung aus.

Dementsprechend schwer wird die Forderung nach einer vollständigen Aufklärung durchzusetzen sein. Teile der Akten, die sicherlich vieles erklärt hätten, wurden vernichtet. Die Akten der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sind für 120 Jahre gesperrt worden. Ein Interesse an einer vollständigen Aufklärung, wie sie Merkel ankündigte, sieht anders aus.

Wir haben kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat, seine Gerichte und seine Polizei. Es ist eine tödliche Sackgasse und eine politische Illusion, sich auf den Staat und seine Polizei zu verlassen, wenn man die Nazis bekämpfen will. Das ist eine Lehre aus der antifaschistischen Praxis.

Unterstützt die Initiativen gegen den Schlussstrich im NSU-Komplex!

Bekämpft Nazis durch die Mobilisierung der Linken und Arbeiterbewegung!

Kein Vertrauen in Staat, Gerichte und Polizei!