Marxismus, Feminismus und #MeToo

Das Folgende ist eine bearbeitete Version eines Vortrags der IBT-Unterstützerin Roxanne Baker vom 17. Februar 2018 an der Goldsmiths University in London.

Es gab schon immer eine Trennung zwischen Feminismus und Marxismus. Die Bruchlinien ändern sich nicht so stark, wie es jede neue Generation von Aktivisten gerne annimmt. Die Form unterscheidet sich, aber die gleichen Grundmuster bekräftigen sich, weil wir immer noch innerhalb der Klassengesellschaft operieren – genauer gesagt, innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft.

Hundert Jahre nach dem Representation of the People Act [Volksvertretungsgesetz, welches erstmals Frauen in Britannien das Wahlrecht gab, wenn auch gebunden an ein bestimmtes Vermögen und ab dem 30. Lebensjahr] von 1918 lohnt es sich, den mutigen, bahnbrechenden Feminismus von Emmeline Pankhurst (der Geschlechtertrennung förderte und elitär war) zu untersuchen. Es lohnt sich auch, ihn mit der Aktivität ihrer kommunistischen Tochter Sylvia zu vergleichen, die sich auf Arbeiterinnen im East End konzentrierte. Der Abstand zwischen diesen beiden gegensätzlichen Ansätzen hat sich im letzten Jahrhundert verändert, doch ist der grundlegende ideologische Unterschied geblieben. Der Kampf für die Emanzipation der Frauen ist untrennbar mit dem Kampf für die menschliche Emanzipation verbunden – das heißt mit dem Kampf für die Beendigung der Klassengesellschaft und aller Formen sozialer Unterdrückung, die sie hervorbringt. Konkrete Kämpfe um einzelne Aspekte der Unterdrückung von Frauen müssen heute geführt werden, aber die gewonnenen Siege können nur partiell und vorübergehend sein, solange das Kapital regiert. Die materielle Grundlage, um die Ursache des Leidens der Frauen vollständig zu beseitigen, erfordert eine revolutionäre soziale Transformation. Dies kann nur durch die Schaffung einer revolutionären Massenpartei erreicht werden, die auf einem marxistischen Programm basiert und sich aus revolutionären Frauen und Männern zusammensetzt, die in derselben Organisation zusammengeschlossen sind, die sich für die Interessen aller Ausgebeuteten und Unterdrückten einsetzt.

Es ist wichtig zu versuchen, zu klären, worin die wirklichen Unterschiede zwischen Marxisten und Feministinnen bestehen [siehe „Marxism, Feminism & Women’s Liberation“], im Gegensatz zu den angenommenen Differenzen. Viele Feministinnen glauben, Sozialisten tendierten dazu, Frauenrechte als etwas zu sehen, das bis nach der Revolution warten kann. Aber die wirklich revolutionäre Linke hat den Kampf für die Freiheit der Frau immer als grundlegend für den Kampf für eine sozialistische Zukunft betrachtet. Der Kampf gegen die „besondere Unterdrückung“ von Frauen und anderen unterdrückten Gruppen (rassische, ethnische und sexuelle Minderheiten) wird entscheidend sein, um die sozialen Kräfte zu versammeln, die notwendig sind, um die Kontrolle einer stark verwurzelten herrschenden Klasse effektiv in Frage zu stellen. Dies ist ohne die aktive Beteiligung der weiblichen Hälfte der Bevölkerung nicht denkbar. Aber das Gegenteil ist auch wahr. Es ist nicht nur kontraproduktiv, zu versuchen, die Unterdrückung der Frauen ohne eine Klassenperspektive zu beenden, ohne die kapitalistische Tyrannei umzukehren. Es hat sich auch gezeigt, dass sie den Verrat derjenigen bewirkt, die am ehesten frei sein müssen – die ärmsten und am meisten unterdrückten Frauen der Welt.

Der Feminismus, selbst in seiner „sozialistisch-feministischen“ Erscheinungsform, tendiert dazu, die Emanzipation der Frau gegenüber allen anderen Fragen zu priorisieren oder zumindest das Problem der Klassenunterschiede neben der Geschlechtertrennung anzugehen – Klassenunterdrückung mit „Patriarchat“ gleichzusetzen. Die Befürworter der Intersektionalität tun dies mit dem sogenannten „Klassismus“, den sie mit anderen „ismen“ gleichsetzen.

Dies führt Feministinnen dazu, die Autonomie von Frauenorganisationen zu betonen. Unsere Organisation, die sich mit der Tradition der Russischen Revolution identifiziert, befürwortet die Schaffung einer kommunistischen Massenbewegung für Frauen (und Organisationen anderer unterdrückter Schichten) als Übergangsorganisationen, die sich auf die revolutionäre Mobilisierung von Frauen konzentrieren, indem sie ihre besonderen Anliegen aktiv angehen. Um effektiv zu sein, müssen diese Organisationen eine große Autonomie haben, in dem Sinne, dass sie entscheiden können, wie sie ihre Kräfte verteilen und welche Prioritäten sie zu einem bestimmten Zeitpunkt verfolgen müssen. Aber sie üben diese Autonomie als Teil einer Arbeitsteilung in einer gemeinsamen Bewegung aus, die sich an ein gemeinsames revolutionäres Programm hält, das in einer revolutionären Partei verkörpert ist.

Marxisten nehmen Frauenrechte jetzt ernst, nicht nur in einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft. IBT-Genossen – männlich und weiblich – in Großbritannien, Irland, Neuseeland, Deutschland und anderswo beteiligen sich aktiv an gemeinsamen Arbeitereinheitsfronten zu spezifischen Themen wie der Verteidigung von Abtreibungsrechten, der Entkriminalisierung von Homosexualität und der Legalisierung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Probleme wie reproduktive Rechte, Kinderbetreuung, Gesundheitsfürsorge und Wohnungsbau betreffen Frauen überproportional, aber die Kämpfe um sie herum sind offensichtlich von entscheidender Bedeutung für die Interessen der gesamten Arbeiterklasse [siehe „The Struggle for Abortion Rights in Ireland“, „Rape and Women’s Rights“ and „Thirty Years of Homosexual Law Reform“].

Die aktuelle #MeToo-Kampagne, die mit Vorwürfen gegen das Hollywood-Schwergewicht Harvey Weinstein begann, der ziemlich offensichtlich ein Serientäter zu sein scheint, ist ein gutes Beispiel dafür, wo sich Marxisten und Feministinnen überschneiden und voneinander abweichen. Die unerwünschten sexuellen Annäherungen, sexuellen Kommentare, das Urteil über unsere „Moral“, sexuelle Attraktivität usw., die alle Frauen erfahren, haben eine kumulative Wirkung und umfassen einen großen Teil der Unterdrückung von Frauen im Kapitalismus. Die #MeToo-Kampagne in den sozialen Medien hat aufgezeigt, wie verbreitet diese ist, wie „normal“ und wie tief verwurzelt in unserer Kultur. Offensichtlich muss sich das ändern.

Wo sich Marxisten von Feministinnen unterscheiden, ist, wie das erreicht werden kann. Die tiefe Struktur der sozialen Beziehungen, die alle Aspekte des Lebens – einschließlich der Beziehungen zwischen Männern und Frauen – bedingen, kann weder auf individueller Ebene festgelegt werden, noch durch einen Prozess, der Frauen gegen Männer ausspielt. Sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe und Ungleichheiten zwischen einzelnen Männern und Frauen spiegeln die wirtschaftliche und soziale Unterdrückung wider, die durch die tiefe Ungleichheit von Macht, Status und wirtschaftlichen Ressourcen entsteht. Individuelles Verhalten kann verändert werden, und sozialer Druck kann zur Geltung gebracht werden und wird zur Geltung gebracht, um die Häufigkeit dieser Missbräuche zu reduzieren. Aber die Wurzel des Problems kann nicht einfach durch Umerziehung von Männern angegangen werden – nur durch die Beseitigung der Machtunterschiede die mit dem Kapitalismus einhergehen.

Die #MeToo-Kampagne, die auf die Stärkung der Frauen abzielt, konzentriert sich auf die sexuellen Demütigungen und kriminellen Übergriffe, die wir erlitten haben. Aber dies kann leicht in die Hände derer spielen, die uns sexuelle Selbstbestimmung verweigern wollen und die sexuelle Aktivität als Gefahr für Frauen darstellen. Marxisten, und ich denke, die meisten Feministinnen lehnen das ab, wollen stattdessen für eine Gesellschaft kämpfen, in der jeder frei ist, seine eigene Sexualität frei von jeglichem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zwang auf einer völlig einvernehmlichen Basis auszudrücken.

Es ist wichtig, ausreichend zwischen einem breiten Spektrum von Vorfällen zu unterscheiden, das von Vergewaltigung bis hin zu unerwünschten Kommentaren auf der Straße reicht. Beides ist nicht akzeptabel, aber dies sind Handlungen sehr unterschiedlicher Größenordnung, die sehr unterschiedliche Reaktionen und Konsequenzen für den Täter verdienen. Das bürgerliche Justizsystem ist notorisch schlecht im Umgang mit Vergewaltigung. Aber darauf zu antworten, dass alle Anschuldigungen geglaubt und öffentlich gemacht werden sollten, fördert ein Klima des „Strafprozesses durch die Medien“, das Gerechtigkeit für die Opfer nicht garantieren und letztendlich das Leben und die Karriere der Unschuldigen zerstören kann. Die Missachtung der Grundsätze des „fairen Verfahrens“ und der Unschuldsvermutung schafft gefährliche Präzedenzfälle für berufstätige Frauen und Männer – insbesondere für diejenigen, die es wagen, die herrschende Klasse herauszufordern. Zum Beispiel könnten Arbeitgeber, die ansonsten nicht am Wohlergehen ihrer weiblichen Angestellten interessiert sind, sehr glücklich sein, unbegründete Anklagen gegen Gewerkschafter als Vorwand für die Entlassung zu verwenden.

Ähnliche Arten von Anschuldigungen wurden historisch gegen Linke und andere, die als gefährlich oder unbequem galten, verwendet. In den USA wurden die Lynchmorde schwarzer Männer traditionell durch Behauptungen motiviert, sie hätten irgendwie die sexuelle Reinheit weißer Frauen eingegriffen. Männer, die Frauen angreifen oder vergewaltigen, sollten natürlich schwerwiegende Konsequenzen erleiden, aber die begrenzten Schutzmaßnahmen, die in der Vergangenheit zum Schutz der Unschuldigen gegen willkürliche und launenhafte Verfolgung durch den Staat oder die Bosse ergriffen wurden, sollten energisch verteidigt werden.

Es ist auffällig, dass die Mainstream-Medien erst dann ernsthaft auf sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aufmerksam wurden, als hochkarätige Hollywood-Prominente und dergleichen involviert waren. Die ständige unerbittliche sexuelle Belästigung von schlecht bezahlten Frauen in den Dienstleistungsbranchen ist nicht von großem Interesse – vermutlich, weil es nicht glamourös ist. Frauen sind stärker von sexueller Belästigung und Körperverletzung bedroht, wenn andere Ungleichheiten bestehen.

Erfolgreiche bürgerliche Politiker wie Hillary Clinton, Theresa May und Angela Merkel haben gezeigt, dass Gender weniger relevant ist als politisches Programm – unter ihrer Herrschaft ändert sich für die berufstätigen Frauen nichts. Sie sprechen über die Gleichberechtigung von Frauen, aber ihre Handlungen werden durch das Dienen und Schützen des Status quo bestimmt. Jeder Versuch, eine weibliche Einheit über Klassengrenzen hinweg zu erreichen, kann nur dazu führen, dass die Interessen armer, schwarzer Frauen und Frauen der Arbeiterklasse denen der reichen Frauen der herrschenden Klasse untergeordnet werden, die erheblichen Nutzen aus der bestehenden Gesellschaftsordnung ziehen, trotz der Nachteile, die sie als Frauen Erleben.

Die marxistische Strategie, alle vom Kapitalismus Ausgebeuteten und Unterdrückten zu vereinigen, ist der einzige Weg, die Basis für eine Welt frei von sozialer Ungleichheit und materiellem Mangel zu schaffen und damit die Möglichkeit, dass jede Frau und jeder Mann den eigenen Weg gehen und ein erfülltes persönliches Leben genießen können. Die Pathologie sexueller Gewalt ist im Grunde ein soziales Problem, das von einer Gesellschaft herrührt, die Selbstsucht, Besitzgier und die Fähigkeit, Macht über andere zu haben, feiert und belohnt. Die einzige Möglichkeit, das volle menschliche Potential zu verwirklichen, ist die Schaffung einer rational geplanten sozialistischen Wirtschaft, die einen sicheren Zugang zu den Grundlagen der Existenz für alle schaffen kann. Sobald die materielle Grundlage für den sozialen Egalitarismus erreicht ist, werden die täglichen Brutalitäten, denen Frauen auf allen sozialen Ebenen, vor allem aber auf den unteren Stufen der sozialen Leiter, ausgesetzt sind, allmählich der Vergangenheit angehören. Bis dahin ist das Beste, was wir tun können, gegen die großen und kleinen Ungerechtigkeiten zu kämpfen, die vom Kapitalismus auferlegt werden, während wir aktiv versuchen, eine lebensfähige revolutionäre Bewegung aufzubauen, die die Schrecken der Klassengesellschaft ein für alle Mal beenden kann.