Israels Angriff auf Pazifisten
Die seit 2007 andauernde Blockade des Gazastreifens durch Israel bedeutet für die Bevölkerung eine humanitäre Katastrophe. Auch wenn nach internationalen Protesten die Blockade durch Israel gelockert wurde, ist die Lage im Gazastreifen weiter von Elend geprägt. Insbesondere die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser und ausreichenden Lebensmitteln bleibt prekär. Die weltweite Empörung über die Blockade durch Israel wurde durch die Attacke der israelischen Marine auf einen Hilfskonvoi verstärkt, der, beladen mit zivilen Hilfsgütern, die Blockade brechen wollte. Die sechs Schiffe der Flotte wurden in internationalen Gewässern am 31. Mai durch die israelische Marine abgefangen und brutal geentert, unter ihnen die Mavi Marmara, auf der neun Aktivisten getötet wurden. Die Hilfsflotte war von Istanbul aus in See gestochen und alle Getöteten waren türkische Staatsbürger. Die türkische Regierung gab sich besonders empört über den brutalen Übergriff, doch ist dies letztlich kaum mehr als Augenwischerei, denn seit Jahrzehnten ist die Türkei der engste Verbündete sowohl der USA als auch Israels in der Region. Zudem hat die türkische herrschende Klasse im Umgang mit nationalen Minderheiten im eigenen Land (Kurden und Armeniern) immer wieder bewiesen, dass sie deren Recht auf nationale Selbstbestimmung mit Füßen tritt. Die forschen Proteste Ankaras in Richtung Tel Aviv sind lediglich Ausdruck des türkischen Nationalismus und spiegeln den Druck auf die Regierung durch den wachsenden Einfluss des fundamentalistischen Islams in der Türkei wider. Einigkeit in der Empörung nach Außen soll Differenzen über Probleme im Inneren herunterspielen.
Die Flotte wurde durch ein breites Bündnis von Aktivisten aus dem linken Spektrum organisiert, unter ihnen auch Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE, viele Pazifisten, von Pax Christi bis zu den Ärzten gegen den Atomkrieg, aber auch islamische Fundamentalisten, wie die der türkischen IHH (Humanitarian Relief Foundation) die gemeinsam Seite beziehen wollten.
Reaktion und Revolution
Die Haltung gegenüber Organisationen religiöser Fundamentalisten wie Hamas oder IHH ist eine zentrale Frage für die Linke im Nahen Osten, da der Einfluss der Fundamentalisten weiter wächst. Angewidert von den reaktionären Regimen der Region, und ohne die Alternative einer machtvollen proletarischen Kraft, wenden sich immer größere Teile der Massen denen zu, von denen sie sich soziale Verbesserungen erhoffen. Diese Hoffnung macht sie für die Versprechungen der religiösen Geistlichkeit empfänglich.
So gewann die Hamas 2006 die Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten, was ihr ermöglichte, nach massiven Auseinandersetzungen mit der Fatah, die Macht im Gaza-Streifen an sich zu ziehen. Der unmittelbare Grund war die weit verbreitete Enttäuschung über die korrupte Regierung, die von der bürgerlich-nationalistischen Fatah gestellt worden war. Diese steht in der Tradition der PLO und hat daher noch immer einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung. Deren Politik, mit den USA, der EU und Israel zu verhandeln, ohne dabei etwas zu erreichen, trieb aber auch Teile der nicht-fundamentalistischen Bevölkerung in die Arme der Hamas.
Arbeiterbewegung und Linke müssen erkennen, dass religiöse Fanatiker wie Hamas oder IHH ihre unerbittlichen Gegner sind. Sie schrecken nicht vor Terror gegen linke Gegner und deren Unterdrückung zurück. Ein Beispiel hierfür ist der Iran seit der Machtübernahme der Mullahs 1979. Teile ihres Programms, wie die Klage über die erbarmungslose Profitgier der kapitalistischen Welt, werden immer wieder als antikapitalistisch missverstanden oder sogar wider besseres Wissens zur Legitimation prinzipienloser politischer Kollaboration mit ihnen schöngeredet. Tatsächlich sind sie jedoch Ausdruck einer rückwärtsgewandten Glorifizierung feudaler Verhältnisse. Die Machtübernahme durch solche Kräfte führt nicht zum Bruch mit dem Kapitalismus, hat aber schreckliche Konsequenzen für die Rechte von Frauen, Homosexuellen und aller, die nicht in das bigotte Weltbild und den Alltag der Gotteskrieger passen. Gern rechtfertigen deutsche bürgerliche Politiker die rassistische Hetze gegen muslimische Migranten und den Krieg in Afghanistan als „Mittel zur Demokratisierung der Welt“ damit, dass religiöser Fanatismus mit dem Islam gleichzusetzen sei. Es bleibt oft links-liberalen Journalisten vorbehalten, daran zu erinnern, dass der Islam eine Religion ist.
Revolutionäre geben religiösen Fanatikern, egal welchen Glaubens, keine politische Unterstützung. Wir sehen es aber auch als Recht der palästinensischen Massen an, sich gegen die brutale Unterdrückung durch die israelische Armee und die israelischen Siedler zu verteidigen. Daher würden wir uns bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Hamas-Regierung und israelischer Armee militärisch auf die Seite der Palästinenser stellen. Auch den Gaza-Hilfskonvoi hätten wir militärisch gegen die israelischen Truppen verteidigt, da dieser den unterstützenswerten Versuch unternommen hatte, die Blockade zu durchbrechen.
Die sozialen Verhältnisse in den palästinensischen Gebieten, die auf der Besetzung durch Israel beruhen, erleichtern es reaktionären Kräften wie Hamas, aber auch der korrupten nationalistischen Fatah, Unterstützung für ihre arbeiterfeindliche Politik zu gewinnen. Wir verurteilen Attentate auf israelische Zivilisten, wie sie von allen relevanten Organisationen der Palästinenser unterstützt und praktiziert werden. Sie sind unvereinbar mit dem Prinzip der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse.
Eine Befreiung der Palästinenser von der Unterdrückung durch Israel kann nur gelingen, wenn dafür auch große Teile der israelischen Arbeiterklasse gewonnen werden können. Dies liegt weniger an der klaren militärischen Unterlegenheit der Palästinenser, sondern vor allem daran, dass ein eigenständiger palästinensischer Rumpfstaat nicht überlebensfähig wäre, was auch durch die korrupten Verhältnisse in den Autonomiegebieten unter der Fatah-Regierung unterstrichen wurde. Entscheidend ist jedoch, dass die Palästinenser verstreut über Israel und die besetzten Gebiete mit den israelischen Bürgern (Juden und Nichtjuden) auf dem gleichen Territorium leben. In einer solchen untrennbar vermischten Bevölkerung ist es unmöglich, innerhalb des Kapitalismus, also auch ohne Überwindung des Nationalismus, eine gerechte und von Allen akzeptierte Lösung zu finden. Die aktuell von Israel mit Gewalt betriebene Apartheidpolitik ist für die Palästinenser unerträglich. Eine Änderung ihrer Lage ist, solange der Staat Israel existiert, unmöglich. Wir lehnen jede Forderung nach Vertreibung der einen oder anderen Seite entschieden ab, halten die Vision eines palästinensischen Staates auf der einen und eines hebräischen auf der anderen Seite für eine kapitalistische Illusion, weil zum Beispiel die Frage nach dem Verwertungsrecht des in der Region spärlich vorhandenen Trinkwasser so nur zu Ungunsten der Palästinenser gelöst werden wird, und treten für die Perspektive eines binationalen hebräisch-palästinensischen Arbeiterstaates ein.
Unter kapitalistischen Verhältnissen kann es keine Lösung des Konfliktes geben, da der US-Imperialismus, aber auch die europäischen Imperialisten, bei aller Konkurrenz untereinander, ein geostrategisches Interesse an der Kontrolle der gesamten Region haben. Die soziale Ungleichheit wird immer ein großes Konfliktpotential darstellen, das als Konflikt nationaler Unterdrückung und Ungleichheit wahrgenommen wird. Dieser gordische Knoten kann nur durch eine soziale Revolution in der ganzen Region zerschlagen werden.
Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens!
Auf der Suche nach einem humanen Imperialismus
An Bord der Gaza-Hilfsflotte befanden sich mit Annette Groth, Inge Höger und Norman Paech drei Bundestagsabgeordnete der Partei DIE LINKE. Die Partei setzt auf eine Zweistaatenlösung und trägt ihren Teil dazu bei, Illusionen in EU und UNO zu stärken. DIE LINKE fordert den deutschen Imperialismus auf, sich für die Durchsetzung der Zweistaatenlösung politisch einzusetzen. So schreibt die Fraktion der Partei DIE LINKE im Bundestag:
“Es ist zu beklagen, dass die Bundesrepublik ebenso wie die anderen europäischen Staaten, die USA und die UNO Israel bei seinen fortgesetzten und anhaltenden Verstößen gegen das Völkerrecht und gegen das humanitäre Völkerrecht jahrzehntelang gewähren ließen. Aus dem jüngsten Krieg im Gazastreifen sind jetzt endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen: Eine politische Wende ist erforderlich, um zu Frieden und Sicherheit zu gelangen.”
— Position der Fraktion DIE LINKE zum Nahost-Konflikt : Beschluss der Fraktion DIE LINKE im Bundestag vom 20. April 2010
Jede Hoffnung oder Erwartung, dass irgendeine imperialistische Macht ihre eigenen Interessen denen der palästinensischen Massen unterordnet, ist nicht nur naiv, sondern gefährlich. Zwar protestierten sowohl Berlin als auch Washington gegen die Blockade durch Israel, doch mehr als pflichtschuldige, öffentlichkeitswirksame Zurechtweisungen und Erwähnungen von Menschenrechten waren dies nicht, die, wie in solchen Fällen üblich, keinerlei Konsequenzen nach sich zogen. Der deutsche Imperialismus hält sich mit seiner Kritik an der israelischen Regierung traditionell zurück und verkauft dies als politische Lehre aus dem deutschen Faschismus. In Wirklichkeit verdient der deutsche Imperialismus durch Waffenlieferungen an diesem blutigen Konflikt. So wurden über die EU Millionen an das korrupte Fatah-Regime gezahlt. Gleichzeitig verkaufte man Waffen für Millionen an Israel. Allein zwischen 1995 und 2005 importierte Israel Waffen im Wert von einer Milliarde Dollar aus der BRD, und 2009 waren bei den brutalen Attacken auf den Gazastreifen auch deutsche Waffen im Einsatz. Einmal mehr versagt die Partei DIE LINKE vor dem Hauptfeind der deutschen Arbeiterklasse, dem sie sich schon in der Vergangenheit angebiedert hat (Vgl. Imperialistische „Aufklärung“ scheitert am Hindukusch, BOLSCHEWIK, Nr. 27). Es ist die Aufgabe von Revolutionären, in der Arbeiterklasse das Bewusstsein zu fördern und zu verankern, dass der Imperialismus der nationalen Bourgeoisie unerbittlich zu bekämpfen ist, und dass die bürgerlichen Arbeiterparteien SPD und DIE LINKE als Agenten der herrschenden Klasse in der Arbeiterbewegung dieses Ziel konterkarieren. Reformistische Illusionen, der amerikanische Imperialismus könne zur friedlichen Beilegung des Konfliktes maßgeblich beitragen, ignorieren oder verschweigen die geostrategischen Interessen der US-Bourgeoisie. Für den amerikanischen Imperialismus kommt eine Schwächung Israels, ihres engsten Verbündeten in der Region, nicht in Frage. Zudem verfügt Israel über große Öl-Vorräte, auf die der US-Imperialismus angewiesen ist, während Israel auf wirtschaftliche und militärische Unterstützung durch die USA nicht verzichten kann. Gleichzeitig hält Washington seine schützende Hand über Israel im UN-Sicherheitsrat. Das Völkerrecht, das DIE LINKE durchgesetzt sehen will, ist solange nichts weiter als eine Leerformel, bis es zur moralischen Keule wird, wenn es die wahren Interessen einer imperialistischen Macht verschleiern kann, wie z. B. in der Vorbereitung des Krieges gegen den Irak, auch wenn dafür Desinformation und Propagandalügen herhalten müssen. EU und UNO sind Institutionen, die von den Imperialisten zur Durchsetzung ihrer Interessen betrieben werden. Der russische Revolutionär W. I. Lenin bezeichnete den Völkerbund, die faktische Vorläuferorganisation der UNO, zutreffend als „Räuberhöhle“.
Der Sonderpreis für die Anbiederung an den deutschen Imperialismus gehört dem Rechtsexperten und Teilnehmer am Gaza-Hilfskonvoi Norman Paech, der sogar einen militärischen Einsatz des deutschen Imperialismus zum Schutz einer erneuten Gaza-Hilfsflotte ins Gespräch brachte. So erklärte Paech in einer Diskussion am 4. September in der Hamburger Luise-Schröder-Schule auf die Frage, ob er befürworten würde, dass türkische oder/und skandinavische Truppen die nächste Gaza-Hilfsflotte begleiten:
“Ja, und schließlich der Konvoi und Schutz der Marine: Eigentlich ja! Das ist ‘ne Idee! Man könnte die Bundesmarine auffordern, den nächsten Konvoi zu begleiten…
— Freies Sender Kombinat Hamburg FSK (Eigenes Transkript)
Schon 2001 hatte Wolfgang Gehrcke, damals stellvertretender Vorsitzender und außenpolitischer Sprecher der Vorgängerpartei PDS ein stärkeres Engagement Berlins im Konflikt zwischen Palästinensern und der israelischen Regierung gefordert (siehe BOLSCHEWIK Nr. 10). DIE LINKE beweist einmal mehr ihre Sorge für den deutschen Imperialismus und dessen Einfluss. Das einzige Mittel, um die mörderische Blockade zu brechen, ist die internationale Solidarität der Arbeiterklasse. Dies ist keinesfalls nur eine abstrakte Idee, sondern bereits beispielhaft von Arbeitern in die Realität umgesetzt worden. So streikten in Norwegen, Südafrika und an der US-amerikanischen Westküste Hafenarbeiter gegen die Blockade und bewiesen machtvoll ihre Solidarität mit den bedrängten Palästinensern.
Anschließend dokumentieren wir die deutsche Übersetzung einer Erklärung der IBT anlässlich des Streiks der Hafenarbeiter in Oakland, USA gegen die Blockade des Gaza-Streifens durch Israel, den wir unterstützt haben.