Internationale Bolschewistische Tendenz an den Revolutionär-Sozialistischen Bund – Brief vom 18. Februar 2010
Liebe Genossinnen und Genossen des RSB,
wir haben mit Interesse eure Kritik am Papier „Rolle und Aufgaben der Vierten Internationale“ gelesen, das auf der bevorstehenden Welt-Konferenz des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale verabschiedet werden soll. Viele Kritikpunkte der politischen Orientierung Eurer Internationale, die ihr in diesem Papier äußert, treffen sich mit Punkten, die Teil unserer generellen Kritik am Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale sind.
Jedoch glauben wir nicht, dass die aktuelle Politik des Vereinigten Sekretariats lediglich das Ergebnis von taktischen Fehleinschätzungen der letzten Jahre ist. Die politische Methode, deren konkrete Auswirkungen ihr zur Zeit zurecht kritisiert, hat unserer Meinung nach eine gewisse Kontinuität und geht zurück auf die Spaltung der Vierten Internationale. Schon damals propagierten die politischen Führer des Sekretariats der Vierten Internationale (z.B. Michel Pablos „Where are we going?“) eine programmatische und organisatorische Kapitulation vor den sozialdemokratischen Reformisten und Stalinisten, welche durch den Verweis auf den „objektiven Prozess“ kaschiert wurde. Dadurch wurde die Rolle der revolutionären Partei, des bewussten subjektiven Faktors, zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Die folgende praktische Kapitulation vor Reformisten und Nationalisten aller Art prägte die Politik des Vereinigten Sekretariats durch die Jahrzehnte. Viele dieser Aspekte wurden von der damals revolutionären Spartacist Tendenz angesprochen, und ihr könnt einige auf unserer Website finden.
Ihr kritisiert in eurem Dokument die Konzentration des Vereinigten Sekretariats auf Wahlen, breite Bündnisse und eine „plurale linke“ Partei wie die französische Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA). Diese Herangehensweise hat nach eigenen Angaben zu Niederlagen geführt. So stellte das Politische Komitee von Socialist Action, Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale in den USA, fest:
“In Mexiko ist die größte Sektion der VI mit 5.000 Mitgliedern fast verschwunden, einerseits durch Wahlillusionen, dass die errungenen Sitze den wirklichen Einfluss im Klassenkampf widerspiegeln, und später durch die Unterstützung der Revolutionären Arbeiterpartei (PRT) für die Präsidentschaftskampagne von Cuauhtemoc Cardenez und seiner kapitalistischen PRD. In Italien war unsere Mitarbeit in der Kommunistischen Wiedergründung (RC) ein offenkundiger Fehler, welcher durch den kontinuierlichen Rechtsdrift und die prinzipienlose Ausrichtung von RC unsere Mitglieder praktisch zum Austritt zwang. Die Erfahrung mit der RC beinhaltet eine massive Verfehlung politischer Prinzipien, da ein führendes Mitglied der Vierten Internationale die entscheidende Stimme (als die Vertrauensfrage gestellt wurde) im italienischen Parlament abgab, die die kapitalistische Koalitionsregierung an der Macht hielt.”
— A contribution to the pre-World Congress discussion
In Brasilien war eure Schwesterorganisation, Sozialistische Demokratie (DS), Teil von Luiz Inácio Lula da Silvas Arbeiterpartei (PT), die zusammen mit bürgerlichen Kräften ein Austeritätsprogramm umsetzte. Heloísa Helena, damals noch Mitglied von DS, bekam sogar einen Ministerposten.
Es stellen sich beim Lesen eures Dokumentes drei grundsätzliche Fragen. Die erste ist die, wie eine revolutionäre Partei aufgebaut werden kann. Die zweite betrifft das Verhältnis der revolutionären Organisation zum Reformismus. Die dritte Frage ist, welche Position Revolutionäre zum bürgerlichen Staat haben.
Unserer Überzeugung nach ist der Aufbau einer revolutionären Partei zur Zeit nur durch eine Umgruppierung um das revolutionäre Programm möglich. Zwar mögen reformistische Programme das Klassenbewusstsein momentan besser widerspiegeln und viele ansprechen, doch sind sie für den Kampf um eine wirkliche Verbesserung der sozialen Lage oder gegen den imperialistischen Krieg ein Hindernis. Reformistische Massenparteien können weder ein revolutionäres Programm noch die geduldige Schulung der Arbeiter und Unterdrückten in den Lehren des Klassenkampfes ersetzen. In diesem Sinne stimmen wir ausdrücklich mit eurer Feststellung überein, dass die Trennung des Spartakusbundes von der SPD alles andere als ein Fehler war.
Es muss das Ziel von Revolutionären sein, das Programm des revolutionären Marxismus gegen den Einfluss bürgerlicher Ideologie in der Arbeiterklasse zu verteidigen und eine revolutionäre Partei und Internationale um dieses Programm aufzubauen. Dies kann aber nicht gelingen, wenn man sein Programm zugunsten einer „pluralen linken“ Partei (welche sich erfahrungsgemäß auf ein reformistisches Programm einigt) aufgibt und meint, die reformistische Führung nach links drücken zu können.
Bei der NPA handelt es sich um eine Partei mit einem klassischen reformistischen Programm. Die Passivität der Partei während der Klassenkämpfe in Frankreich in den ersten Monaten des Jahres 2009 und ihre Orientierung auf die Europawahlen 2009 waren Zeugnis dieses Programms. Lenin bezeichnete die politischen Führer des Reformismus als „Agenten der Bourgeoisie in der Arbeiterklasse“, d.h. als diejenigen, die bürgerliche Ideologie in den Reihen der Arbeiterbewegung verbreiten. Dies erlaubt es ihnen, für einen Klassenkompromiss zwischen Arbeiterklasse und bürgerlicher Klasse einzutreten, von dem sowohl die reformistischen Führer als auch die herrschende Klasse profitieren. Aufgabe von Revolutionären muss es daher sein, den Einfluss des Reformismus in der Arbeiterklasse durch den Aufbau kommunistischer Gewerkschaftsfraktionen und die Sammlung von Revolutionären um das Programm des revolutionären Marxismus zu brechen. Die NPA hat bisher keinen ernsthaften Versuch unternommen, eine oppositionelle Strömung in den Gewerkschaften aufzubauen, da sie eine Konfrontation mit den Gewerkschaftsführern vermeiden will.
In diesem Zusammenhang sehen wir es ebenfalls als positiv an, dass ihr euch auf eurer Delegiertenkonferenz 2009 gegen eine Unterstützung der Linkspartei ausgesprochen habt.
Ihr schreibt in eurer Kritik, dass eine „Entwicklung“ reformistischer Parteien stattgefunden hat und greift den Gebrauch des Begriffes des „Linksreformismus“ in eurer Organisation an. Es ist uns nicht vollkommen klar, was der Kernpunkt dieser Kritik ist, und welche programmatische Konsequenz ihr aus dieser Kritik ableitet.
Revolutionäre wissen, dass der bürgerliche Staat in Zeiten der Krise seine Regierung auch gerne „sozialistisch“ oder „antikapitalistisch“ erscheinen lässt, um somit die Massen besser zu täuschen. Eure Mahnung, dass sehr verschiedene Kräfte das Etikett „antikapitalistisch“ tragen, ist vollauf berechtigt. Der bürgerliche Staat ist das Organ zur Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse. So kann es kommen, dass es für die bürgerliche Klasse vorzuziehen ist, Reformisten mit der Regierung zu betrauen, um ihre Macht zu sichern. Nur die Räteherrschaft des Proletariats ist wahrhaft „antikapitalistisch“.
Um diese und verwandte Punkte tiefgehender zu klären, halten wir eine Diskussion zwischen unseren Organisationen für sinnvoll. Wir hoffen auf eine Antwort auf die angesprochenen Punkte und unseren Vorschlag zur Diskussion.
Mit kommunistischen Grüßen,
Heiko Schultz für die IBT Deutschland