Sparsamer Widerstand gegen Sparpaket
Die deutsche Bourgeoisie jubelt. Die Krise sei angeblich überwunden. Dies ist eine reine Propagandaveranstaltung, während die kapitalistische Wirtschaft in die nächste Krise steuert. Die Überproduktion bei den Autoherstellern, die noch immer existierenden faulen Kredite in den Geldschränken der internationalen Banken und das Ab- und Aufwerten von Währungen sind Zeugnis der fortdauernden Krise des weltweiten Kapitalismus.
Der politische Widerstand erlebt auf internationaler Bühne sehr unterschiedliche Aufführungen. In Ländern wie Griechenland, Spanien oder Frankreich gehen Millionen auf die Straße oder beteiligen sich an Streiks. Großdemonstrationen und eine geballte Portion Wut, wie z. B. in Irland, zeigen den Herrschenden, dass sie nicht mit allem durchkommen, was sie zu ihren Gunsten beschließen.
Durch Deutschland dagegen weht nur ein laues Lüftchen, das von der Gewerkschaftsbürokratie und der reformistischen Linken als „Heißer Herbst“ verkauft wird. Abgesehen von den klassenübergreifenden Protesten gegen Stuttgart21 und den diesmal besonders großen Demonstrationen gegen die Atommüll-Transporte nach Gorleben wegen der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke gibt es nur einen sparsamen Widerstand unter der Hegemonie der Reformisten gegen das Sparpaket der Bundesregierung.
Die angekündigte Blockade des Bundestags am 26. November 2010, dem Tag, an dem über das Sparpaket im Bundestag abgestimmt wurde, war ein Flop. Es beteiligten sich nur wenige Tausend. Da war es keine Überraschung, dass das Sparpaket ohne Probleme durchgewunken wurde.
Gerecht geht anders — Widerstand geht anders!
Die Gewerkschaftsbürokratie mobilisierte unter dem Motto „Gerecht geht anders“ vor allem, um ihren verbliebenen aktiven Mitgliedern Zeit und Raum zum Dampfablassen zu geben. Die Lüge, es gäbe Gerechtigkeit im Kapitalismus, wird durch reformistische Forderungen populär aufgearbeitet. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer verteidigte am 18. November 2010 in Kiel in einer Rede vor 10.000 Demonstranten die sozialpartnerschaftliche Rolle des DGB.
“Nachdem die Finanzhaie und Wirtschaftsspekulanten die Welt an den Rand des ökonomischen Abgrunds geführt haben, da waren wir, da waren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gut genug, den ganzen Laden zu retten.
Was wäre denn gewesen, ohne unseren Lohnverzicht bei Kurzarbeit, ohne Milliardenschwere Bankenrettungspakete, für die letztlich alle Steuerzahler gerade stehen müssen.
Was wäre denn gewesen ohne die von uns energisch geforderten Konjunkturprogramme und die von uns gegen den massiven Widerstand von Teilen der Politik und der Wirtschaft durchgesetzte Abwrackprämie?
Es ist unstreitig, dass ein Wirtschaftseinbruch von fünf Prozent dieses Land in eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe gestürzt hätte, wären wir nicht gewesen. Ohne die Opfer der Arbeitnehmerschaft, ohne die vielfältigen Initiativen der Betriebsräte, ohne das Engagement der Gewerkschaften hätten wir heute keinen Aufschwung.”
— Michael Sommer: Politik gegen die Menschen — Deutschland in Schieflage (Rede). Kiel, 18. November 2010
Und nachdem der Konjunkturmotor für das Kapital wieder halbwegs läuft, die Auftragsbücher der Exportwirtschaft wieder gefüllt sind, und die Betriebe, die die Krise überstanden haben, die Kurzarbeit wieder abgeschafft haben, da wärmt Sommer noch einmal die Lüge auf, dass nicht der Kapitalismus Schuld an der Krise war:
“Ich rede von verantwortungslosen Managern, die ehrliche Arbeit, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verachten, die uns bekämpfen und sich für etwas Besseres halten. Sie stellen sich über das Gemeinwesen, in vielen Fällen sogar über das Gesetz. In der Krise sind sie abgetaucht und jetzt machen sie weiter, als wäre nichts geschehen.
Es ist der eigentliche Skandal unserer Zeit, dass diejenigen, die uns mit ihrer grenzenlosen Gier in diese Krise gestürzt haben, sich heute wieder ungehemmt die Taschen füllen und füllen können…”
— Ebenda
Als Antwort auf das Sparpaket schlägt Sommer keine klassenkämpferischen Maßnahmen in den Betrieben oder auf der Straße vor, sondern bedient sich des reformistischen Märchens, dass die Regierung im Grunde neutral sei, und nur durch eine Kapitallobby zu ihrer Politik gezwungen werde. Und die Antwort auf den Sozialabbau, die steigende Armut und die Perspektivlosigkeit für Jugendliche?
“Wir haben keinerlei Problem, dem Finanzminister vorzurechnen, wie er statt 70 Milliarden Euro bei den kleinen Leuten zu sparen, 70 Milliarden bei den Reichen holen kann.”
— Ebenda
Die Vorstellung, dass es möglich ist, eine „gerechtere“ Verteilung im Kapitalismus vorzunehmen, ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Sie beruht auf der Annahme, dass die Regierung einfach entscheiden könne, wie der soziale Reichtum verteilt wird. Das ist grundfalsch. Der Hauptwiderspruch liegt zwischen Kapital und Arbeit. Ob das Proletariat oder die Bourgeoisie im Klassenkampf das relative Übergewicht hat, beeinflusst die Entscheidungen der Regierung. Allein auf das parlamentarische Kasperle-Theater zu vertrauen, und durch wohlkalkulierte alternative Wirtschaftsprogramme realpolitisch aktiv zu werden, eignet sich für Pressekonferenzen und Propaganda. Solche Aufrufe sind ansonsten nutzlos. Die Gewerkschaftsführung bleibt damit nur der dumme August des Kapitals.
LINKE bremst
DIE LINKE tut alles, damit die Mobilisierungen so klein wie möglich bleiben. Massenaktionen gegen Regierungspolitik sieht die Partei ungern. Sie bewirbt sich ja längst für eine Regierungsbeteiligung in Bund und Ländern. Wichtig ist ihr, dass die Gegner des Sozialabbaus sich innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens bewegen. Das Bundesverfassungsgericht wird nicht nur als Hüter von Recht sondern auch von Gerechtigkeit angesehen:
“Schwarz-Gelb plant, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Hartz IV zu ignorieren. Der Haushalt, der am 26.11. verabschiedet wird, belegt dies in Zahlen. Es wurde solange gerechnet, bis die neuen Regelsätze der Regierung in den Kram passten. Das Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum wird so unterlaufen. Wenn Schwarz-Gelb dieses Grundrecht ignoriert, muss ihnen die Rote Karte gezeigt werden.”
— Katja Kipping: Warum Schwarz-Gelb die Rote Karte zeigen? In: Sparpaket stoppen, S. 3, http://zielona-gora.so36.net/material/bundestag-umzingelung-zeitung.pdf
Pro forma solidarisiert sich DIE LINKE mit den Klassenkämpfen in Spanien, Griechenland oder Frankreich. Politisch fährt sie einen vollkommen legalistischen Kurs, der in der aktuellen Angriffswelle der Bourgeoisie von vielen enttäuschten und frustrierten Arbeitern als Signal für passives Warten auf positive Gerichtsurteile aus Karlsruhe gewertet wird. DIE
LINKE hat diese Arbeiter als Wähler für ihre notwendigen Parlamentssitze im Auge, und nicht als Empfänger von Mobilisierungsaufrufen für klassenkämpferische Aktionen, um den Sozialraub zu bekämpfen.
Mit derzeit zwei Regierungsbeteiligungen hat DIE LINKE ihren Anteil daran, dass der Sozialabbau so reibungslos wie möglich verwirklicht wird.
Das Aktionsprogramm gegen das Sparpaket der Sozialistischen Alternative Voran (SAV), die Entrismus in der Partei DIE LINKE betreibt, sieht als vermeintlich radikalste Forderung vor:
“Für die Vorbereitung eines eintägigen, von den Gewerkschaften organisierten Generalstreiks.”
— Sparpaket stoppen. SAV Sozialistische Alternative. S. 12
Warum dieser nur einen Tag dauern soll, bleibt ein Geheimnis der Taktiker der SAV. Genauso auch, warum die SAV weiterhin in der Linkspartei mitarbeitet, die absolut kein Interesse an einem Streik oder gar Generalstreik zeigt. Anstatt DIE LINKE für ihre hohlen Phrasen und ihre offene Tatenlosigkeit zu kritisieren, und sie für die von ihr durchgeführten Kürzungen anzuprangern, schickt die SAV genossenschaftliche Appelle an die Führung.
“DIE LINKE steht in der Pflicht, ihren Apparat und ihre Positionen zu nutzen, eine Massenkampagne mit Flugblättern, Plakaten, Verteilaktionen zu starten und offensiv für grundlegende Alternativen zu den Kürzungen — für die Verstaatlichung der Banken, für Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverzicht, für den Aufbau von Widerstand in den Kommunen — zu werben. Und für eine Alternative zum kapitalistischer [sic] Regierungskurs und auch zu der Politik der Hartz-IV-Parteien SPD und Grüne.”
— Ebenda
Ein wichtiges Detail scheint der SAV entgangen zu sein: Das Pferd ist tot und es ist zwecklos auf es einzupeitschen. Die SAV peitscht jedoch weiter in der Hoffnung, in der Linkspartei den großen Durchbruch zu schaffen. Dies ist ein unappetitliches Spektakel, denn der Kadaver stinkt bereits.
Die zwei deutschen Sektionen des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale kommen von jeweils sehr unterschiedlichen Richtungen zu einer fast gleichen politischen Perspektive.
Der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB) formuliert eine relativ radikale Kritik am Kapitalismus und dem Sparpaket, während die internationale sozialistische linke (isl) den kapitalistischen Alltag mit weniger Tiefgang kommentiert.
Der RSB will die Systemfrage stellen, indem er einfach alle populären Proteste, wie die gegen Stuttgart21 oder die Atom-Politik, mit dem Widerstand gegen den Sozialabbau zusammenlegt. Dies führt zu Illusionen in eine klassenübergreifende außerparlamentarische Opposition, die Arbeiter, Bauern und Kleinbürger vereinen will:
“Wir verstehen uns als Teil einer antagonistischen Linken, die in letzter Instanz die Systemfrage stellt. Daher unterstützen wir die Zusammenführung aller Formen dieses im Wesentlichen außerparlamentarischen Protestes und Widerstandes. Die Bauern aus dem Wendtland [sic] mit ihren Traktoren in Stuttgart sind ein ermutigendes Signal!”
— http://www.rsb4.de/content/view/4061/84
Der RSB ignoriert den Umstand, dass verschiedene Klassen auch verschiedene Interessen haben und diese entsprechend vertreten. Ein großes und klassenübergreifendes Bündnis ist daher nicht notwendigerweise besser, wie es uns der RSB weismachen will.
Die isl sieht in dem Widerstand gegen die Atompolitik oder Stuttgart21 sogenannte soziale Bewegungen – das aktuelle Schlagwort, um jedes Sammelsurium von entrüsteten Bürgern beklatschen zu können.
“Selbstorganisation von unten und Unabhängigkeit der sozialen Bewegungen müssen der Kompass des antikapitalistischen Widerstands bleiben.”
— http://www.islinke.de/pdf/isl-extra13.pdf, Seite 4
“Ein europäischer Generalstreik und die Einigung der Gewerkschaften, der Linken und der sozialen Bewegungen auf gemeinsame Forderungen für einen europäischen Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung und eine armutsfeste Grundsicherung können die EU in die Knie zwingen.”
— Ebenda, Seite 2
So wichtig eine internationale Klassenkampfperspektive wäre, einfach nur die bestehenden Kämpfe unter ein Dach zu holen, macht der EU noch kein Ende. Dies zu behaupten ist blanker Unsinn. Nicht nur die Notwendigkeit der Spaltung klassenübergreifender Bewegungen an Hand der entgegengesetzten Interessen von Proletariat und herrschender Klasse, sondern vor allem die Notwendigkeit einer revolutionären Arbeiterpartei werden von den Massenfetischisten des Vereinigten Sekretariats einfach ignoriert. Selbst wenn die Kämpfe sich durch den Druck der Basis radikalisieren, besteht die Gefahr, dass die reformistischen Gewerkschaften und bürgerlichen Arbeiterparteien die Proteste bei nächster Gelegenheit ausverkaufen.
Nur eine Arbeiterpartei, die über ein revolutionäres Programm verfügt, kann in die bestehenden Kämpfe intervenieren, um die falsche Führung der Arbeiterklasse durch linke Sozialdemokraten oder Alt-Stalinisten (wie in Frankreich und Griechenland) herauszufordern, und gleichzeitig die Kämpfe mit der Perspektive der Arbeiterregierung zu verbinden. Der Aufbau einer solchen Arbeiterpartei bleibt die zentrale Voraussetzung, um effektiv in die Geschehnisse eingreifen zu können. Wir haben uns diesem Ziel verpflichtet.