Kritische Geschichte der Ligue Communiste

Wandlungen des Pabloismus

Dieser Artikel wurde kurz vor Pompidous Tod im April 1974 verfasst. Inzwischen haben französische Anhänger des Vereinigten Sekretariats die Front Communiste Révolutionnaire (FCR) gebildet. Die FCR stellte Alain Krivine in der auf Pompidous Tod folgenden Präsidentenwahl als Kandidaten auf, rief aber zu einer Stimmabgabe für Mitterand in dem zweiten Wahlgang auf (siehe Workers Vanguard, Nr. 43 und 46, 26. April und 7. Juni 1974).

Die starke fraktionelle Polarisierung, die beinahe zu einer Spaltung des sogenannten “Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale” [VS] geführt hat, hatte als wichtigen Anstoss die entgegengesetzte Politik und Praktiken der führenden nationalen Organisationen beider Seiten. Die rechte internationale Minderheit (“Leninistische-Trotzkistische Tendenz”) wird von der amerikanischen Socialist Workers Party geführt, welche mit dem VS freundschaftlich assoziert ist. (Die SWP ist durch eine reaktionäre Gesetzgebung verhindert, irgendeiner internationalen politischen Organisation anzugehören.) Die zentristische Internationale Mehrheitstendenz wird hauptsächlich von ihrer französischen Organisation, der Front Communiste Revolutionnaire (FCR) geführt. Während sie die Grösse und das Prestige der französischen Organisation stark hervorheben, haben die Anhänger der internationalen Mehrheit wenig Interesse gezeigt, die tatsächliche Geschichte und Praktiken dieser Organisation zu untersuchen. Und das ist nicht überraschend; viele der Mitglieder, durch Opposition gegen die reformistischen Praktiken der SWP zur IMT angezogen, suchen eine linke Richtung, aber diese können sie in der IMT nur finden, wenn sie die konkrete Praxis der IMT-Sektionen ignorieren, welche die revisionistische kleinbürgerliche Politik des Pabloismus voll und ganz verkörpern.

Die FCR ist der politische Nachfolger der Ligue Communiste, welche durch die französische Regierung im Juni 1973 verboten wurde. Die Ligue und ihre Zeitung, Rouge, entwickelten sich aus der “erfolgreichen” Anwendung der pabloistischenEntrismuspolitik. Der Kern der Ligue ist aus der Entrismusarbeit der alten Pabloisten der Parti Communiste Internationaliste hervorgegangen, die von Pierre Frank geführt wurde, innerhalb der Jeunesses Communistes (JC Kommunistische Jugend), der Jugendsektion der Kommunistischen Partei. Von der Universitätssektion der JC, der Union d’Etudiants Communistes (UEC Union der Kommunistischen Studenten), rekrutierten die Pabloisten einige ihrer führenden Kader (im besonderen Alain Krivine), die heute die organisatorische Struktur der Organisation dominieren.

Wie so viele Jugendgruppen der stalinistischen Parteien, hatten Teile der JC wie die UEC eine Geschichte von zumindest empirischer linker Opposition gegen den Parteiapparat, im besonderen in bezug auf die Fragen, die Ungarn (1956) und Algerien (1960-62) stellten. Krivine selbst wurde von den Pabloisten 1961 [1] rekrutiert, als die Bemühungen der Entristen, die stalinistische Bürokratie nach links zu drängen, sich auf. eine unkritische Begeisterung über die linksnationalistischen Demagogen der “Dritten Welt” konzentrierten, in Frankreich im besondern auf Unterstützung von Ben Bella und der kleinbürgerlichen algerischen FLN. (Pablo selbst verliess die sogenannte “Vierte Internationale”, nachdem er ein Amt in Ben Bellas Regierung bekleidet hatte.) Die Fähigkeit der Pabloisten, diese Jugendlichen zu rekrutieren, basierte hauptsächlich auf ihrer unkritischen und antitrotzkistischen Verherrlichung von Castros Kuba in den frühen sechziger Jahren (ebenso wie später die Verherrlichung von den Nordvietnamesen). Dies fiel mit der empirischen linken Haltung von einigen kommunistischen Studenten zusammen, welche die Form kleinbürgerlicher “Dritte-Welt-Schwärmerei” annahm.

Im Januar 1966 wurde die auf Studenten basierende UEC von der KP wegen ihrer linken Weigerung, die Kandidatur von Francois Mitterrand in der französischen Präsidentschaftswahl Ende 1965 zu unterstützen, weil dieser ein bürgerlicher Politiker sei, ausgeschlossen. (Mitterrands Kampagne im Jahre 1965 war eine der Stufen zu seiner Machtübernahme über die Sozialistische Partei und zur Gründung der Volksfront Union de la Gauche im Jahre 1973, welche die Ligue in den Parlamentswahlen 1973 offen unterstützte. Es ist ironisch, aber keineswegs zufällig, dass nur sieben Jahre nach einem der für seine Gründung bestimmenden Ereignisse die Ligue ihre Kader in dieselbe Politik der Klassenkollaboration führte, die diese ursprünglich dazu veranlasst hatte, mit der KP zu brechen! In den Präsidentschaftswahlen vom Mai 1974 hat Rouge denselben Mitterrand in dem zweiten Wahlgang unterstützt.)

Nachdem es ihnen “gelungen” war, einige KP-Jugendliche ein bisschen nach links zu drängen, wollten die Pabloisten auch anderswo ein wenig Druck ausüben. Auf der am 2. April 1966 abgehaltenen Gründungs-konferenz der Jeunesse Communistes Revolution-naires (JCR Revolutionäre; Kommunistische Jugend) schlossen sich verschiedene parallele Gruppen, von Rouen, Caen und den Alpes Maritimes, im Süden Frankreichs, der JCR an. Die JCR versuchte, sich die um sich greifende “Dritte-Welt-Schwärmerei” zunutze zu machen und zog eine “dritte Tendenz” innerhalb der “sozialistischen Welt”, aus Kuba, Nordvietnam und Nordkorea bestehend, explizit in Betracht. Insbesondere wurde Kuba als “militanter Flügel der dritten Tendenz” bezeichnet, weil es zwischen der russischen und chinesischen Bürokratie stand und implizit beiden vorzuziehen war [2]. So gewannen die Pabloisten einige Hunderte Jugendliche, die sich nach links vom Stalinismus loslösten, aber nur um sie für eine Nachtrabpolitik zu sammeln, die einen verbal militanten Flügel des Stalinismus als revolutionäre Führung ansah, anstatt auf den Aufbau einer trotzkistischen Avantgardepartei des Proletariats hinzuarbeiten.

Vor der Gründung der JCR gab es innerhalb der Führung der pabloistischen Organisation, der PCI (Parti Communiste Internationaliste), eine Auseinandersetzung darüber, ob die von der UEC abgespaltene Gruppe die Jugendgruppe der PCI oder eine unabhängige Organisation mit keiner formalen Mitgliedschaft zum Vereinigten Sekretariat werden sollte. Es siegte die zweite Perspektive, so dass die Gründung der JCR faktisch eine Fortsetzung der “Entrismuspolitik sui generis” der PCI darstellte diesmal innerhalb von Elementen, die die Mehrheit des Vereinigten Sekretariats heute “die neue Massenadvantgarde nennen würde. Tatsächlich bildete eine Geheimfraktion der PCI-Mitglieder die Führung der JCR.

Die angeblich “trotzkistischen” Führer der JCR, die keine Absicht hatten, durch die Notwendigkeit trotzkistischer Kritik den Weg zwischen der Neuen Linken und der JCR versperren zu lassen, wendeten diese dürftig in Orthodoxie verkleidete Nachtrabtheorie einfach erneut an. Der Rolle der indochinesischen Stalinisten unter Ho Chi Minh bei der Liquidierung der vietnamesischen Trotzkisten eine notwendige Begleiterscheinung des wiederholten Verrats an der indochinesischen Revolution durch die FNL kehrte man ganz bequem den Rücken. Kurz vor den Ereignissen des Juni 1968 vertrat die pabloistische Zeitschrift Quatrieme Internationale ausdrücklich die Ansicht, dass die nordvietnamesische Führung unbewusst trotzkistisch sei. Indem er die Analogie zu Moliere’s Parvenue “Bourgeois Gentilhomme” M. Jourdain zog, der entdeckte, dass er sein ganzes Leben “Prosa geredet hätte”, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen wäre, behauptete Henri Vallin in einem Artikel:

„Trotz ihrer gelegentlichen Angriffe auf Trotzki und die Trotzkisten sind die vietnamesischen Kommunisten Trotzkisten in dem Sinne, wie M. Jourdain Prosa geredet hat: so wie Fidel Castro und Che Guevara dies 1959 waren, als sie die Revolution in ihrem Land praktisch durchführten.“ [03]

In allen ihren organisatorischen ErscheinungsformenJCR, Ligue, FCR haben die französischen Pabloisten ständig ihre opportunistische Politik, den Stalinisten und kleinbürgerlichen nationalistischen Bewegungen nachzulaufen, in eine “Theorie” veredelt, die die Unentbehrlichkeit einer trotzkistischen Partei für die Durchführung proletarischer Revolutionen.in der DrittenWelt leugnet. In einem Anfang 1973 veröffentlichten Buch behauptete Pierre Rousset, ein Mitglied des politischen Büros der Ligue, dass die nord-vietnamesische Führung “die für koloniale und halbkoloniale Länder entscheidenden Lehren der permanenten Revolution assimiliert hat” [4]. Vor kurzem hat er in einer Antwort auf einen “orthodoxen”. Angriff durch die SWP diese These zu der allgemeinen Formel ausgeweitet, es habe nach dem Zweiten Weltkrieg eine Reihe von “empirischen oder zentristischen revolutionären Formationen” [5] in Kuba, Vietnam und China gegeben. Die vietnamesische Partei z.B. “ist nicht auf die Seite der Bourgeoisie übergegangen” und darum “ist die Forderung nach einer politischen Revolution falsch und in ihren Implikationen äusserst gefährlich” [6]. Für Rousset und die IMT des Vereinigten Sekretariats behält die pabloistische Politik des tiefen Entrismus noch ihre volle Gültigkeit: Trotzkisten können in Vietnam “eine wertvolle Rolle spielen”, indem sie als Ideenfabrikanten für die Stalinisten fungieren, um sie nach links zu drängen. Die gegenwärtige Politik der IMT stellt also dieselbe pabloistische Kapitulation dar, die von ihren französischen Genossen schon seit den frühen 60er Jahren getrieben wird.

Der Erfolg der Pabloisten mit der JCR beruhte auf dem Appell an den Jugendavantgardismus der Neuen Linken, der praktisch aus allen sozialen Schichten stammende unruhige “Jugend” als Ersatz für das klassenbewusste Proletariat ansieht. Im Fall der JCR haben die Pabloisten nur den von der stalinistischen Bewegung geerbten praktischen Opportunismus kodifiziert. Nicht umsonst trug die Zeitung der JCR den Namen Avant-Garde Jeunesse (“Jugendavantgarde”). Im Februar 1968 hat die JCR eine Solidaritätskundgebung für die indochinesische Revolution zusammen mit dem ultrakleinbürgerlichen, von Rudi Dutschke geführten SDS mitveranstaltet [7]. Indem sie dem kleinbürgerlichen Studentenmilieu nachtrabte, konnte die JCR ihre kurzfristigen Gewinne aus der Studentenbewegung zwar maximieren, jedoch wie immer nur dadurch, dass sie darauf verzichtete, diese ihre Rekruten zu eben der Politik zu gewinnen, die unentbehrlich ist, um die Aufgaben des proletarischen revolutionären Kampfes zu verfolgen.

Die Ligue brüstete sich sogar des Ursprungs ihrer Organisation und Politik in der Neuen Linken. In einer Einschätzung der französischen Ereignisse 1968, die im Mai 1973 von Rouge veröffentlicht wurde, schrieb Daniel Ben-Said, ein führender Sprecher der Ligue:

„Im Gegensatz zu Organisationen,” die ihre Hinweise auf einen akademischen und dogmatischen Trotzkismus hinter verschlossenen Türen pflegen, ist die Ligue durch die JCR mit der gegenwärtigen Radikalisierung der Jugend, mit dem Einfluss des Guevarismus und der indochinesischen Revolution auf diese verbunden. So ist die Ligue in der Lage, das Waffenarsenal sowohl aus einer theoretischen Tradition wie aus einer soliden militärischen Erfahrung zu versorgen.“ [8]

Das “Waffenarsenal”, welche die JCR statt der Theorie und Geschichte des authentischen Trotzkismus verwendete, war anscheinend zu einem Teil dem klassischen terroristischen Arsenal entlehnt.

„Avant-Garde Jeunesse veröffentlichte Anweisungen über die Herstellung von Molotow-Cocktails ebenso wie Berichte über die verschiedenen Polizeieinheiten, ihre Bewaffnung, ihre Taktiken, ihre Zusammensetzung und die Technik der Selbstverteidigung.“ [9]

Während der 1968er Ereignisse und deren Nachwirkungen konnte die JCR die überflutende Schwärmerei für die Neue Linke für sich ausnutzen und bedeutend anwachsen. Innerhalb der JCR bildete die pabloistische PCI eine Fraktion, die laut Krivine Anfang 1968 ca. 75 Mitglieder zählte [10]; so liess die PCI-Fraktion die JCR als Frontgruppe funktionieren, indem sie versuchte ihre faktische Jugendsektion nach links zu “drängen”. Die Ligue Communiste wurde im April 1969 gegründet, nachdem die JCR und die meisten anderen zur “extremen Linken” gehörenden Gruppen nach den Ereignissen 1968 verboten worden waren. Auf der Gründungskonferenz fusionierte die PCI formal mit den um Rouge gruppierten Militanten und veranstaltete kurz danach eine grosse Reklamekampagne, indem sie Alain Krivine, damals Rekrut in der französischen Armee, als Präsidentschaftskandidat für die Wahlen im Juni 1969 aufstellte.

Aber die Neuen Linken liessen sich nur so weit drängen und die JCR/Ligue stand bedeutender Opposition gegenüber, als sie sich in die Ligue Communiste umnannte, eine offen “trotzkistische” Organisation. Auf der Gründungskonferenz stellten sich etwa 20 Prozent der ca. tausend aktiven Mitglieder gegen eine formale Angliederung ans VS, um sich im folgenden von der Ligue Anfang 1971 abzuspalten, wobei sie die Gruppe “Revolution!” bildete, die durch Schwärmerei für Dritte Welt, Neue Linke und Workerismus gekennzeichnet ist [11]. Heute liebäugelt Rouge oder zumindest Ben Said wieder mit “Revolution!”.

Angesichts des schnellen und einigermassen unerwarteten Wachstums waren die Pabloisten in die Klemme geraten. Einerseits hatten sie die opportunistische und Nachtrabpolitik der KP und Neuen Linken geerbt . und bewusst vorangetrieben, andererseits mussten sie darauf bedacht sein, eine gewisse orthodox “trotzkistische” Deckung aufrechtzuerhalten. Dies zwang das VS, ihren Haupttheoretiker Ernest Mandel von Pontius zu Pilatus zu schicken, um eine Reihe von orthodox klingenden Formeln zur Rechtfertigung der Neuen-Linken-Orientierung der Ligue zusammenzukratzen.

Vom “DSI” zur “Peripherie”

In der auf 1968 folgenden Periode arbeitete die Ligue hauptsächlich auf Universitäten und in anderen kleinbürgerlichen Milieus. Sie arbeitete unter Studierenden an Schulen und Universitäten und organisierte die Indochina-Solidaritätsfront (FSI), das französische Gegenstück zur National Peace Action Coalition (NPAC) der SWP. Obwohl “radikaler” und stärker pro-FNL in ihrer Antikriegsarbeit als die SWP wie es sich für Opportunisten ausserhalb der USA schickt, wo man offenkundiger “antiamerikanisch” sein und zugleich seine Salonfähigkeit weiterhin behalten kann war die Politik der Ligue nur eine kleinbürgerlich zentristische Version des schreienden Reformismus der SWP.

Immer bereit mit neuklingendem Jargon taschenspielerartig zu hantieren, um denselben müden alten Jugendavantgardismus und Opportunismus zu verherrlichen, erfanden die “Theoretiker “der Ligue die “Dialektik der Interventionssektoren” oder DSI. Nach diesem zur “Theorie” aufgeblasenen Common sense, sollen die Revolutionäre in allen radikalisierbaren sozialen Gruppen arbeiten (“Interventionssektoren”); die revolutionäre Partei baut man auf, indem die Arbeit in verschiedenen Gebieten miteinander kombiniert wird (“die Dialektik”). Praktisch diente diese Vorstellung dazu, die fast ausschliessliche Konzentration auf kleinbürgerliche Milieus zu rechtfertigen. So wurden die sechs einsamen Militanten der Ligue unter den 38 000 stalinistisch dominierten Arbeitern bei Renault-Billancourt von der Führung der Ligue in dem grossen Renault Autostreik 1971 sich selbst überlassen. In einer Einschätzung des Streiks 1971 fand sich die Autokommission der Ligue gezwungen, den Schluss zu ziehen:

„Wir waren unfähig, irgendeine Perspektive auf dem Niveau der Forderungen aufzuzeigen … Wir habendie Gelegenheit total verscherzt… Schliesslich scheint es uns, dass Hilfe von seiten der Führung der Organisation fehlte. Nach einer Woche war die Zelle von Mans in einer Lage tragischer Isolierung.“ [12]

Um wenigstens den Anschein eines Interesses an der Arbeiterklasse zu retten, brachte man eine zweite “Theorie” hervor: “Von der Peripherie zum Zentrum”. Nach dieser Zwitter-Idee wurde die Ligue, indem man in am Rande der Arbeiterklasse stehenden Sektoren arbeitete und die traditionellen Bastionen der Klasse mied (die dermassen von den Stalinisten beherrscht sein sollten, dass politische Tätigkeit dort unmöglich war), irgendwie, irgendwann, “dialektisch”zauberhaftumgewandelt werden in eine in der Klasse fest verankerte Arbeiterorganisation; sie wäre “von der Peripherie zum Zentrum übergewachsen” [transcoitre]. Es erübrigt sich zu sagen, dass so eine “Theorie” nur als Ausrede dienen kann, um ernste politische Arbeit in der Klasse zu vermeiden, insbesondere in der Hauptgewerkschaft, der von den Stalinisten dominierten CGT.

Durch die Beibehaltung von Praktiken der Neuen Linken bei gleichzeitig versprochener Orientierung auf die Arbeiterklasse (sicherheitshalber in die ferne Zukunft verlegt), konnte die Ligue nicht unähnlich den anderen Organisationen der “extremen Linken” in Frankreich eine ziemlich sensationelle Wachstumsrate für drei Jahre nach 1968 aufrechterhalten.

Es ist bemerkenswert, dass der Anfang 1974 abgehaltene “Weltkongress” des VS es für rätlich hielt, eine gewisse Distanz von diesen beiden vorigen Ecksteinen der Strategie der Ligue einzuschalten. Es war noch mehr Jargon, der die Mittel zu diesem verschleierten Versuch liefern sollte, sich vor der Verantwortung für den Opportunismus der Vergangenheit zu drücken: die “Theorie” der “neuen Massenavantgarde”. Von den eigenen Mitgliedern wie von der politischen Entwicklung in Frankreich und Europa im allgemeinen unter Druck gesetzt, fand sich die Ligue, geführt von Jebracq und Weber und der Nationalen Arbeiterkommission (welche die “Theorie” der neuen Massenavantgarde erfand), gezwungen, auf Mandel Druck auszuüben und ihn schliesslich zu überzeugen, die neue “Theorie” zu unterstützen. Es war die Wallonische Sektion des Vereinigten Sekretariats, welche die Zusatzanträge zu Mandels Dokument über die europäischen Perspektiven vorlegte.

Während des Jahres 1971 setzte eine Stagnationsperiode ein, und die Wachstumsrate der Ligue fiel stark. Obwohl in bezug auf die Ligue oft angenommen wurde, dass sie 5 000 Mitglieder Ende 1972 und im Jahre 1973 besass, ist dies einfach nicht wahr: Ihre tatsächliche Mitgliedschaft lag um 2 000, eine Schätzung, die auf den 287 Delegierten auf dem Dritten Kongress der Ligue im Dezember 1972 basiert, die nach dem Prinzip ein Delegierter pro acht (oder mindestens fünf) Mitglieder, bestimmt wurde [13]. Eine Bestätigung dieser Schätzung kann auch in demDokument von Santuchos ERP vom August 1973 anlässlich ihres Bruchs mit dem VS gefunden werden, welches die Ligue auf 2 300 Mitglieder schätzt [14]. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass in dem Jahr vor dem Dritten Kongress, obwohl die Ligue 800 Mitglieder gewann, 500 austraten [15]-meistens mittlere Kader mit einigen Jahren Erfahrung. So hatte die Ligue 1972 einen Mitgliederwechsel von ca. 25 Prozent.

Impotenter Ökonomismus

Die Stagnation der Ligue und ihre Unfähigkeit irgendeine relevante Verankerung in der Arbeiterklasse zu entwickeln, führte zu zwei grossen auseinandergehenden Trends: auf der einen Seite, anwachsende Forderungen nach einer Wendung zur Arbeiterklasse hin, auf der anderen, eine scharfe Wendung zum kleinbürgerlichen Guerillaismus. Es muss erwähnt werden, dass der zunehmende Ruf nach einer “proletarischen Orientierung” Teil einer weitverbreiteten Entwicklung in und um pabloistische Gruppen ist. In der Periode von 1969 bis 1973 entwickelten sich innerhalbder amerikanischen SWP verschiedene solche Gruppen, die eine “Wendung zur Klasse”, forderten. Viele dieser Oppositionellen verliessen die SWP in aufeinanderfolgenden Wellen, um dann in workeristischen Gruppen wieder aufzutauchen, wenn auch eine bedeutende Minderheit ihren Weg zum authentischen Trotzkismus der Spartacist Tendenz fand. Andere sind nun in der pro-IMT “Internationalistischen Tendenz” organisiert. In Deutschland spaltete sich ein grosser Teil der VS-Sektion, einschliesslich fast ihrer gesamten Gruppe in Berlin (damals das Zentrum der Studentenpolitik in Deutschland), nach links ab. Daraus entstanden die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD), die dann sowohl workeristische wie noch offensichtlicher kleinbürgerlich orientierte Flügel entwickelten, um jetzt, nach einer Reihe von Spaltungen, im Februar, 1974 im “Spartacusbund” zusammenzukommen.

In der Ligue wurde die Frage der Gewerkschaftsarbeit aufgeworfen, und Mitte 1972 prophezeiten Anhänger der Ligue, dass die “echte” proletarische Orientierung gerade jetzt ansetze. Aber bei solchen Ansätzen war man schon mehrmals steckengeblieben. Mindestens seit 1971 proklamierte die Ligue die dringende Notwendigkeit einer Wendung hin zur Arbeit in der Klasse, besonders in den Gewerkschaften. Zuerst wurde diese “Wendung” unter dem Namen “von der Peripherie zum Zentrum” vorgetragen. Dies war aber lediglich eine Ausrede für eine nur zur Schau vorgenommene Verpflanzung, damit die Mitglieder der Ligue von Zeit zu Zeit rituell auf ihre “Arbeit” in der Klasse hinweisen konnten. Diejenige Arbeit, die man unternahm, blieb praktisch ohne jede Perspektive und basierte ebensowenig auf der Absicht, kommunistische Arbeit in der Klasse durchzuführen. So beklagte die vom Zweiten Kongress der Ligue (Juni 1971) angenommene Resolution über die Tätigkeit in der Arbeiterklasse: “Die offensichtlich falsche Anwendung von [Arbeiterkontrolle] in verschiedenen Sphären führte dazu, dass wir jegliche Übergangspropaganda aufgaben…. Eine Diskussion über diesen Punkt sollte so bald wie möglich eingeleitet werden.” [16] Heute, 1974, wird es in Diskussionen in Rouge über den Lip-Streik immer noch bejammert, dass eine Diskussion über die Frage der Arbeiterkontrolle und den Gebrauch von Übergangsforderungen begonnen werden müsste, woraus wir schliessen können, “plus ca change chez les Pablistes, plus c’est la meme chose.”

Während dieser ganzen Periode funktionierte die Nationale Arbeiterkommission der Ligue nur unterbrochen und unsystematisch und sorgte nicht für eine planmässige Führung für isolierte Militante der Ligue. Es fehlte zum Beispiel an jeder Koordination der politischen Tätigkeit in der CGT sowie an ernsthaften Bemühungen, Kader in Schlüsselindustrien wie Renault zu verpflanzen. Im Gegenteil, es wurde proklamiert, dass der Schlüssel zum Erfolg in der direkten Rekrutierung von jungen militanten Arbeitern läge. Diese Rekrutierung sollte nicht auf einer programmatischen Basis durchgeführt werden, sondern eher auf der Grundlage eines “militanteren” Trade-Unionismus. Einer der Führer der Gewerkschaftsarbeit der Ligue konnte behaupten:

„Wir sind in den Gewerkschaften, um den Tageskampf der Arbeiter gegen die Bosse auf der Basis des Klassenkampfes zu organisieren und jede politische Arbeit, die dem entgegengesetzt ist, erscheint uns nicht korrekt. Wir wollen die besten Kämpfer in der Gewerkschaft sein, weil wir revolutionäre Kämpfer sind.“ [17]

So soll also der einzige sichtbare Unterschied zwischen dem Revolutionär und dem Gewerkschaftskämpfer derjenige sein, dass der Revolutionär militanter ist als der Gewerkschaftskämpfer, so wie die CPUSA behauptet, von allen Progressiven “am progressivsten” zu sein.

Ohne jegliche planmässige nationale Führung ihrer Gewerkschaftsarbeit waren die Mitglieder der Ligue auf sich selber verwiesen. Die “Gewerkschafts”-oder “Massenarbeit der Ligue bestand hauptsächlich in sensationellen Interventionen von aussen her Unterstützungsarbeit, der Bildung von ”Streikunterstützungskomitees”, nationaler Publizierung von Streiks usw. Dies war die Konstante von der Antikriegs-Kampagne im Stil der Neuen Linken über ihre Wahlkampagnen bis zu ihren Streikunterstützungen so wie bei Lip. Ein typisches Beispiel, welches weit ausposaunt wurde, war die Arbeit der Ligue während eines Streiks im Frühjahr 1972 in dem Joint Francais, wo ein militanter Streik geführt wurde, die Ligue jedoch keine Mitglieder hatte. Die Wirksamkeit dieser Intervention seitens der Ligue sieht man am besten an der Tatsache, dass die Kommunistische Partei, die vorher keine Zelle in dem Joint Francais gehabt hatte, sechs Monate später dort ihre erste Zelle gebildet hat [18]. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Ligue dort immer noch keine Mitglieder und keine andauernde Präsenz.

Zu verschiedenen Zeitpunkten hat die Gewerkschaftsarbeit der Ligue sich mit ihrer Pro-Guerilla-Orientierung verschränkt. So erscheint das Modell der Gewerkschaftsarbeit nach dem Masstab eines fortdauerenden Guerillakriegs entworfen zu sein: In einem knapp vor dem Dritten Kongress der Ligue von deren Nationalen Arbeiterkommission angenommenen Dokument (November 1973) wurde die Aufgabe des revolutionären Kämpfers darauf hin bestimmt, eine Massenbasis in den Gewerkschaften zu gewinnen: “Von dieser Basis aus führt [der Revolutionär] einen Guerillakrieg gegen die reformistische Gewerkschaftsführung.” (19) Die Guerilla-Analogie dient dazu, das Vermeiden einer harten politischen Konfrontation mit der KP zu rechtfertigen: Die “echt revolutionäre ‘Maschine'”, welche durch die heldenhaften Kämpfer der Ligue aufgebaut wird, steht “in verschiedenen Graden [Hervorhebung von uns] in Opposition zur stalinistischen Maschine”[20]. Da es an jeglichem politischen Programm fehlt, basiert die Opposition gegenüber der stalinistischen Führung in den Gewerkschaften auf “taktischen” Bedingungen der “Flexibilität”d.h. was die Ligue für Unfug treiben und trotzdem noch ungeschoren davonkommen kann.

Das Politische Büro der Ligue machte in einem Anfang 1973 geschriebenen Dokument ihren Opportunismus bezüglich dieser Frage explizit. Auf die Periode unmittelbar nach 1968 rückblickend, behauptete das PB, dass “wir [die Ligue] den Eindruck hatten, effektiv zu sein”. Heute sagt das PB im Gegensatz dazu, “Alle diese Interventionen bleiben notwendig (zentralisierte Präsenz, Arbeit unter Studierenden, Mobilisierung um exemplarische Kämpfe). Aber der hier angedeutete Aktivismus hinterlässt das Gefühl, dass dies nur einen relativen Gewinn hat.” Um aus der gegenwärtigen Situation Höchstgewinne- zu ziehen, “bedarf [die Ligue laut PB] einer solideren und breiteren Verankerung in der Arbeiterklasse” [21]. Für die Ligue scheinen politische Prinzipien von taktischen Eindrücken, was “effektiv” scheint und was sich “auszahlen” wird, bestimmt zu sein. Arbeit in der Klasse ist für die Ligue nur eine Taktik (die womöglich vermieden wird), nicht eine strategische Notwendigkeit für den Aufbau einer proletarischen Avantgarde.

Ihrer Kundgebung einer “proletarischen” Orientierung im Juni 1973 entsprechend kündigte die Ligue mit grossen Fanfaren die erste Gewerkschaftskonferenz der “Maulwurfsgruppen” an. Die Maulwurfsgruppen werden ganz als Fraktionen der Ligue geführt, haben aber keine offizielle Plattform und sind nicht Mitgliedergruppen in irgendwelchem formalen Sinn. Sowohl in organisatorischer als auch in politischer Hinsicht sind Mitglieder der Ligue die wichtigsten Bestandteile der Maulwurfsgruppen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet weisen die von der Ligue veröffentlichten Statistiken eher auf ihre Schwäche als auf ihre Stärke [22]. So waren von den 680 Teilnehmern nur 55 Prozent Mitglieder der Ligue. Wenn wir ausserdem die Liste in Gruppen unterteilen Schwerindustrie, Leichtindustrie und Angestellte/Büroarbeiter , bekommen wir einen anderen Eindrück. Wenn wir annehmen, dass der Prozentsatz derjenigen, die Mitglieder der Ligue waren, in jedem Fall der gleiche war (obwohl in der Tat keine Zweifel darüber bestehen kann, dass er niedriger in der Industrie und höher in den kleinbürgerlichen Berufen lag), so können wir schätzen, dass die Ligue, eine Organisation, die sich mit einer Mitgliedschaft von 5 000 prunkt, in Wirklichkeit aber nur 2 000 Mitglieder hat, etwa 90 Genossen in der Schwerindustrie, 32 in der Leichtindustrie und 235 als Angestellte und Kopfarbeiter hat. Dies bedeutet, dass nur 6 Prozent der Mitgliedschaft der Ligue in irgendeiner bedeutenden Weise in der Industrie arbeitet, während mehr als zweimal so viele Mitglieder in höheren Berufen als Lehrer, Bankangestellte, usw. tätig sind als in traditionellen Gewerkschaftsbereichen. Das ist die Wirklichkeit, die hinter den übertriebenen Behauptungen von Ligue-Anhänger bezüglichder Stärke der Ligue in den Gewerkschaften steht. Nach der oben erwähnten Einschätzung Santuchos hat die Ligue 10 Prozent Arbeiter, 20 Prozent Angestellte, Büroarbeiter, Lehrer und dgl. und 70 Prozent Studierende [23].

Kurz nach der Gewerkschaftskonferenz im Juni 1973 wurde die Ligue aufgrund ihrer Demonstration vom 21. Juni, zu welcher wir zurückkommen werden, verboten. Zwischen Juni 1973 und der Gründung der FCR im April 1974, existierten dieMitgliederder Ex-Ligue als Anhänger oder Abonnenten der jetzt auf “Journal der Kommunistischen Aktion” umbenannten Rouge. Ein Memorandum des Sekretariats dieser Abonnenten (9. März 1974) gibt zu, dass die wichtigste seit Mitte 1973 von Anhängern der Rouge unternommene Gewerkschaftsarbeit die Unterstützung der Kampagne für den Lip-Streik, die mehr als neun Monate dauerte zum grossen Teil ein Fehlschlag war: “Da ist kein Zweifel, dass wir bei Lip.. .die Gelegenheit grösstenteils verpassten.” Ausserdem hebt das Sekretariat hervor, dass “wir im Hinblick auf die Verankerung [in der Klasse] im allgemeinen keinen bemerkenswerten Fortschritt gemacht haben” und gibt zu, dass es jetzt keine funktionierende nationale Kommission zur Koordinierung der Gewerkschaftsarbeit gibt.

In der ganzen Geschichte der Ligue basierten alle ihre Beteuerungen bezüglich “Arbeit in der Klasse” auf einer bankrotten politischen Linie, und sogar diese Linie ist nicht durchgeführt worden. Da gab es 1971 keine funktionierende Gewerkschaftskommission; da ist noch keine 1974. So muss die erneute Behauptung einer “proletarischen Orientierung” der Rouge heute, gelinde gesagt, mit Skeptizismus betrachtet werden.

Die Arbeit der Rouge, die in den letzten neun Monaten auf Lip konzentriert war, wurde weithin als Katastrophe erkannt. Rouge trabte gläubig hinter der CFDT-Führung von Charles Piaget während des Streiks hinterher, nur gelegentlich und desultorisch wurden Übergangsforderungen irgendwelcher Art erhoben. Als Pompidou starb, ergriff Rouge eifrig die Chance, den Versager Piaget zu drängen, für die Präsidentschaft zu kandidieren. Dass Rouge vor dem Lip-Streik kapitulierte, ist nicht nur extern gut dokumentiert (siehe Workers Vanguard Nr. 42, 12. April 1974), sondern ist auch die Meinung eines bedeutenden Teils der Rouge-Anhänger, da der offizielle Bericht in einem von ihnen herausgegebenen Bulletin eine strenge Kritik daran ausübt:

„Den ganzen Streik hindurch sehen wir die ernsthaften Fehler der Strömung der revolutionären Marxisten, welche die Zeitung Rouge zu korrigieren helfen muss.

a) mangelhafte Führung, besonders was das Fehlen einer genügenden Anzahl von führenden Anhängernder Rouge bei Lip im August betrifft,

b) deswegen eine gewisse Nachtrabpolitik auf nationaler Ebene in bezug auf die Streikführung,

c) eine Schwäche in der Handhabung der Grundeinstellung des Übergangsprogramms sowie in der Anwendung von Übergangsforderungen, wobei Agitation und Propaganda verwechselt wurden.“ [24]

Aber eine empirische Kritik an vergangenen Fehlern der Ligue kann nur im Rahmen einer Kritik des Pabloismus fruchtbar sein. Nur von diesem Gesichtspunkt aus ist zu erklären, warum die Führung einer Organisation, die wiederholt “Selbstkritik” (und die gleiche Kritik noch dazu!) geübt hat, in den letzten Jahren unfähig oder unwillig war, ihre politische Linie zu ändern. Proletarische Kämpfer müssen verstehen, dass es sich hier um die Zurückweisung des trotzkistischen Übergangsprogramms zugunsten opportunistischer “Verkürzungen” geht, die niemals zum selben Ziel führen. Die pabloistische Zurückweisung des Übergangsprogramms, und mit diesem der permanenten Revolution, geht auf Pablos Jahrhunderte von deformierten Arbeiterstaaten zurück, was seither ein konstantes methodologisches Kennzeichen gewesen ist.

Auch die Gewerkschaftsarbeit der Rouge zeugt von der expliziten Zurückweisung des Übergangsprogramms. Das wöchentliche Rundschreiben des Vertriebsapparats der Rouge in Paris leitet eine Erklärung der programmatischen Achse, nach der sie ihre Arbeit durchführen will, mit den Worten ein,

„da…c die revolutionäre marxistische Avantgarde nicht die Mittel hat, diese Kämpfe reibungslos um ein durch Arbeiterkämpfe in den Betrieben erprobtes Übergangsprogramm zu organisieren. ,“ [25]

Diese Voraussetzung wird als eine der Vorbedingungen für die Arbeit der Rouge behauptet. Es wäre schwierig eine klarere Zurückweisung des Übergangsprogramms zu finden.

Kleinbürgerliche Ungeduld

Ebenfalls für die Ligue kennzeichnend sind die verschiedenen Formen der Kapitulation vor kleinbürgerlichen Bewegungen. Die Ligue war immer charakterisiert durch überladene Reklame”kampagnen”, was schon mit Krivines Kampagne für das Präsidentenamt 1969 einsetzte. Daher wird sehr häufig von Frontgruppenformationen Gebrauch gemacht, die oft zu Kampagnen neigen, die sich nicht allzusehr von denen der SWP unterscheiden. Zuerst war es die Indochina-Solidaritätsfront; vor kürzerer Zeit waren es die Anti-Armee-Arbeit, Arbeit in Mittelschulen und technischen Schulen und Arbeit in der Frauenbewegung. Obwohl jede dieser Kampagnen zweckmässig sein könnte, wenn sie im Rahmen eines Übergangsprogramms durchgeführt wäre, das auf einer Aufweisung der Klassenlinie zwischen kleinbürgerlichen Elementen und den proletarischen Revolutionären basierte, führt die Ligue diese als isolierte Kämpfe durch, mit der Rechtfertigung, es sei notwendig, “etwas zu tun”.

Die Notwendigkeit “etwas zu tun”, die Klasse anzusprechen”, “Massenarbeit” zu unternehmen, so oft und nachdrücklich von Anhängern der Rouge ausgesprochen, ist nichts anderes als eine Erscheinungsform kleinbürgerlicher Ungeduld: die Suche nach einem verkürzten Weg zu der Revolution ohne die langwierige Arbeit in der Klasse, um eine leninistische Avantgardepartei aufzubauen. Von dem ausgesprochenen Jugendavantgardismus der JCR bis zur passiven Aufnahme von Vertretern der französischen bürgerlichen “Familienplanung” in MLAC [Mouvement pour la Liberte d’Avortement et de Contraception Bewegung für die Freiheit der Abtreibung und der Empfängnisverhütung] und ihrer politischen Verantwortlichkeit für die Patenschaft der Frau des kapitalistischen Politikers Jean-Jacques Servan-Schreiber seitens der SWP, als diese die französische Frauenbewegung auf einer Tour durch die USA vertrat [26]; all dies sind nichts anderes als unterschiedliche Erscheinungsformen derselben Methode des kleinbürgerlichen Opportunismus. Solche Ungeduld hat eine lange und bedeutende Geschichte in der französischen Bewegung. Die gegenwärtige Politik der Rouge wird in einem von Pierre Frank im Februar 1947 geschriebenenDokument, “Die Zerstörung der Partei durch ihren kleinbürgerlichen opportunistischen Flügel”, treffend beschrieben, als er gegen eine rechte Tendenz in der PCI polemisierte; jetzt einer der Führer des VS, gehörte er damals dem linken Flügel der französischen Trotzkisten an:

„Unser opportunistischer Flügel braucht keine politischen Perspektiven, um zu wissen, wie man eine Partei aufbaut. Ist ihre Perspektive dem Aufbau der Bildung einer Massenpartei entgegen? Keine Angst: Sie irren nicht unter den ‚geheiligten Texten‘ herum, ihnen steht eine magische Formel zur Verfügung: ‚Massenarbeit plus Massenzeitung, um eine Massenpartei aufzubauen!‘“

Es wäre tatsächlich schwer, die Politik der Rouge treffender zu beschreiben!

Auch die Argumentation, welche die Ligue benutzt, um ihre offene Unterstützung der Union de la Gauche in den Parlamentswahlen vom März 1973 zu rechtfertigen, ist Ausdruck derselben Angst, “hinter der Bewegung zu stehen”, “nichts getan” zu haben. Nach der damaligen Ansicht der Ligue war die Union de la Gauche keine Volksfront, weil Arbeiterparteien diese “dominierten” und weil die Radikalen jetzt ihre frühere Rolle als führende Partei der französischen Bourgeoisie nur schwach widerspiegelten. So übersah die Ligue bequemerweise Trotzkis harte Verdammung der spanischen Volksfront vom Jahre 1936, die mit dem von ihm so bezeichneten “Schatten der Bourgeoisie” gebildet worden war. Es ist zweifelsohne der Wunsch der Ligue, im Fall eines Wahlsiegs der Union de la Gauche auch ihr eigenes Leckerbissen aus dem Topf zu holen, der Rouge dazu veranlasste, Mitterand, den Kandidaten der Union de la Gauche bei den Präsidentschafts wählen, zu unterstützen.

Wegen der Kritik ihrer Gegner in Frankreich sowie anderer Teile des VS musste die Ligue sich doch etwas zurückziehen. In seiner Antwort auf den Brief der SWP, der die Stellungnahme der Ligue angriff, gab das PB der Ligue zu, ihre Unterstützung für die gesamte Union de la Gauche in dem zweiten Wahlgang sei wohl ein “taktischer” aber doch kein prinzipieller Fehler gewesen, wobei es immer noch den Charakter jener verrotteten Koalition als Volksfront leugnete. Der Opportunismus der Ligue enthüllt sich durch die Taktik, die sie in ihrer Antwort an die SWP verwendet. Die Ligue versucht, “dogmatische” politische Urteile, die als Ausgangspunkt marxistische “Prinzipien” und “Kriterien” haben, ihren eigenen Urteilen entgegenzusetzen, deren Grundlage die “Umstände und Bedingungen …; die sich auswirkenden sozialen Kräfte; die Kräfteverhältnisse; die sich in der Entwicklung der Gesellschaft geltend machenden Tendenzen” ist [27]. “Bedingungen” bzw. “objektive Realität” (von der Pablo ausserordentlich angetan war), in der Weise wie es die Ligue tat, “Prinzipien” entgegenzusetzen, kann nichts anderes bezeichnen als eine Kapitulation vor dem Empirismus, wobei man die “objektive Situation” zitiert, um das jeweilig attraktivste Manöver zu rechtfertigen.

Der Sturz der Allende-Regierung in Chile durchdie reaktionäre Junta beleuchtete die für die Arbeiter katastrophalen Folgen einer Volksfront an der Macht. Die Ex-Ligue, welche die Allende-Regierung stillschweigend unterstützte und es systematisch vermied, die Unidad Populär als Volksfront zu bezeichnen, und sie eher als “reformistische” Regierung bezeichnete, war nach dem Sturz von Allende gezwungen, eine verbale linke Wendung zu machen. Durch das “Chile-Komitee” ist Rouge in der vordersten Reihe in der Denunzierung der Junta und in der Organisierung des Widerstands gewesen. Dass dies nichts anderes als ein Aushängeschild ist, wird durch die unveränderte Haltung gegenüber der Union de la Gauche und durch ihre Unterstützung für Mitterrand als den einzigen Kandidaten der Union de la Gauche klar gezeigt. Vor Pompidous Tod stellte ein Brief von dem Vertriebsapparat der Rouge in Paris (11. Januar 1974) fest:

„Der [Klassen]charakter der Union de la Gauche wird je nachdem bedeutend anders sein, wenn sie auf der Welle von grossen Arbeiterkämpfen ausserhalb einer Wahlperiode an die Macht kommt, oder wenn sie als geringeres Übel von einer Partei der Bourgeoisie als Lösung der Krise ausgewählt wird.“

Jedoch als Pompidou starb und neue Wahlen angekündigt wurden, beeilte sich Rouge, Mitterrand und der Union de la Gauche zu helfen, um so “das geringere Übel von einer Partei der Bourgeoisie ausgewählt” wieder zu unterstützen. Für Rouge lässt sich der Klassencharakter einer Organisation daraus feststellen, ob es opportun ist oder nicht, sie zu unterstützen; es sind taktische Manöver, die die Klassenlinie bestimmen, nicht die Klassenlinie, die die Grenzen der Taktik bestimmt. Die “taktischen Fehler”, zu welchen sich die Ligue bezüglich der Wahlen 1973 bekannte, sind nichts anders als eine Erkenntnis im nachhinein, dass ihr Opportunismus sich nicht auszahlte. Im Munde der Rouge wird Trotzkis Feststellung, alle Revolutionäre “müssen sagen, was ist”, zu einer Kapitulation gegenüber dem “was ist”, indem vorgegeben wird, dass es irgendwas anderes sei.

Abenteurertum oder Opportunismus

Wie Lenin vor langer Zeit bemerkte, nimmt der Opportunismus, der sich davor scheut, seinen Namen laut auszusprechen, leicht die Form von Abenteurertum an. Wie bei der Neuen Linken in den USA führt die Suche nach Abkürzungen auch in Frankreich schnell zur Unterstützung von kleinbürgerlichem blindem Aktivismus. Die Verbindung von empirischer Fasziniertheit durch die romantischen Guerilla-Eskapaden Che Guevaras mit den organisatorischen Methoden der Neuen Linken führte zunehmend zu der Suche nach “echt” revolutionären Methoden, zur Verherrlichung von “exemplarischer Minderheitsgewalt” und sogar zu Versuchen, eine Stadtguerillalinie in Frankreich anzuwenden.

Zuerst war dieser Trend beschränkt auf verbale Unterstützung von Bombenattacken auf US-Gesellschaften, wie Honeywell Bull in der Umgebung von Paris. Die Feuerbombe auf die argentinische Botschaft in Paris wurde durch ein in spanischer Sprache verfasstes Flugblatt, demonstrativ gezeichnet mit “Vierte Internationale”, das heisst, dem VS, unterstützt [28].

Die logische Folge dieses Trends kann in einem jetzt berüchtigten Text von einigen führenden Mitgliedern des Zentralkomitees der Ligue. darunter Jebracq, gefunden werden. Trotz Zurückweisung durch seine Autoren (in der Form einer “Klärung”) ist dieser Text für die Politik der Ligue kennzeichnend. In diesem Text stellt Jebracq fest:

„Die militärische Form der Organisation des Proletariats, die aus ihren Kämpfen heraus entstanden ist, ist Streikposten oder Milizen zur kollektiven Selbstverteidigung. Dies sind relativ sporadische Verteidigungsformen, die sich schlecht dazu eignen, der offensiven Herausforderung des Staates zu konfrontieren. Die Bauernschaft ist geschmeidiger und hat grössere Fähigkeit zu Ausweichmanövern … Die Schichten der städtischen Mittelklasse bilden durch ihre soziale Bewegungsfreiheit, ihre finanziellen Mittel und technischen Ressourcen die wesentliche soziale Basis für die Stadtguerillas; zumindest wird dies angedeutet durch die Berichte derTupas [Tupamaros] über sich selbst und über die soziale Basis der ERP….

… die leninistische Partei ist nicht mit der revolutionären Partei des ‘klassischen Schemas synonym, sondern mit derjenigen der proletarischen Revolution im allgemeinen…. Um und unter der Führung des Proletariats muss ein Bündnis zustande gebracht werden, das verschiedene soziale und Klassenschichten vereinigt, die ihre Hoffnungen nur mit diesen Mitteln verwirklichen können. Dadurch kann die Arbeiterklasse von den militärischen Fähigkeiten der Bauernschaft und der städtischen Mittelschichten profitieren. ,..“ [29]

Die Parlamentswahlen vom März 1973 waren ein Debakel für die Linie der Ligue-Führung. Sie hat daher die Notwendigkeit empfunden, den erschlaffenden Kampfgeist der Organisation wieder aufzumuntern. Ein vom PB der Ligue im Mai 1973 herausgegebenes Dokument stellt fest:

„Es ist offensichtlich, dass, obwohl von einer Krise keine Rede sein kann, die Organisation nicht von Enthusiasmus beherrscht wird. Wir können sogar von einer gewissen allgemeinen Verdriesslichkeit sprechen. “ [30]

Gibt es einen besseren Weg, den Kampfgeist zu steigern als einige Faschisten in einer militärischen Konfrontation anzugreifen? Es machte wenig aus, dass dies auch einen Angriff auf die Staatskräfte miteinschloss ein kleines Detail. So hat die Ligue ihre Operation vom 21. Juni als Beispiel ihres Begriffs von exemplarischer Minderheitsgewalt geplant. Obwohl man gegen eine Mobilisierung der Arbeiter, um eine Zusammenkunft von faschistischen Gruppen physisch zu verhindern, keinen Einwand erheben darf, war die Aktion der Ligue ein Abenteuer, diktiert einerseits durch ihre Anbetung von Guerilla-Aktionen und “Minderheitsgewalt”, andererseits durch die Notwendigkeit, den Kampfgeist zu stärken.

Als Folge der Konfrontationen vom 21. Juni mitder französischen Aufstandspolizei CRS wurde die Ligue verboten. Es besteht kaum ein Zweifel, dass die Ligue Opfer einer Manövers durch die Polizei wurde, das den Vorwand für eine solche Unterdrückung liefern sollte. Aber dies ist keine Rechtfertigung: Im Laufe der Vorbereitung für diese Aktion wurden Charakter und Ausmass der Vorbereitungen der Polizei klar, aber die Führung der Ligue sagte die Operation doch nicht ab und eilte so Hals über Kopf in die Provokation. Nach der Illegalisierung gab es so gut wie keine interne Diskussion über diesen Vorfall oder über andere Hauptfragen. Die pabloistische Führung hat dazu tendiert, den halblegalen Status als Rechtfertigung zu gebrauchen, um die Diskussion zu vermindern. Einige Verstimmung wird ; sich aber doch bemerkbar gemacht haben, da Rouge sich für verpflichtet hielt, sich zu verteidigen gegen die Beschuldigung, “ultra-links” zu sein. In einem Leitartikel vom 10. August 1973 erklärte Rouge weise, dass die Ereignisse vom 21. Juni kein “Fehler”, sondern das Resultat einer “unverantwortlichen Entscheidung” waren:

„Bezüglich des 21. Juni müssen wir von einer unverantwortlichen Entscheidung, nicht von einem Ultra -linken Fehler sprechen. Unverantwortliche Entscheidung, weil die Gegendemonstration [der Ligue] gerechtfertigt und notwendig war, die Vorbereitungen aber nicht getroffen worden waren, die die günstigsten Bedingungen für ihren Erfolg geschafft hätten: Schwäche der unerlässlichen antirassistischen Kampagne, Fehlen von vorbereitenden Einheitskomitees der einfachen Mitglieder, ungenügende Massenaufklärung über die Beziehungen zwischen der Demonstration für Bürgerrechte am 20. Juni und der vom 21. Juni.“

Mit anderen Worten: Die Demonstration der Ligue gegen die Faschisten am 21. Juni war ein kleinbürgerliches Abenteuer, in welchem die Ligue sich selbst als Substitut für die Arbeiterklasse zu setzen versuchte: Kurz gesagt, ein ultralinker Fehler. Der Versuch der Rouge zwischen einer “unverantwortlichen Entscheidung” und einem “ultralinken Fehler” zu unterscheiden, würde der gewandtesten jesuitischen Sophisterei zur Ehre gereichen.

Die neue(?) Massen(?)avantgarde(?)

Der Opportunismus von gestern ist immer die Verlegenheit von heute. In der Periode, welche dem “Zehnten Kongress” des VS voranging, war die internationale Mehrheit gezwungen, den Versuch zu machen, jede zu nahe Untersuchung ihrer vergangenen Politik zu verhindern, indem sie ihren alten Jargon (die “Dialektik der Interventionssektoren” und “von der Peripherie zum Zentrum”) beiseitelegte und ihn durch ein neues Schlagwort ersetzte. So wurde die “neue Massenavantgarde” geboren. Im Grunde genommen stellt die “neue Massenavantgarde” den Versuch dar, zwischen kleinbürgerlichen Workeristen und kleinbürgerlichen Adventuristen innerhalb der verschiedenen Sektionen des VS zu vermitteln.

Hauptvorteil des Begriffs “neue Massenavantgarde” ist, dass er sich praktisch auf alle und jeden anwenden lässt und so für eine “theoretische” Begründung für jeglichen auftauchenden Opportunismus vorsorgt. Er hat den zusätzlichen Vorteil, dass niemand genau weiss, was er bedeutet was der VS-Führung einen Augenblick zu verschnaufen gibt, während seine Mitglieder zu erraten versuchen, ob die von ihren Organisationen vorgelegte Politik sich mit den Kriterien deckt; bis sie dies feststellen und sich daran machen, zu einer Kritik an dieser Politik voranzuschreiten, wird das VS die “neue Massenavantgarde” zugunsten irgendeiner neuen Formel schon fallengelassen haben.

Alles, was man definitiv über die “neue Massenavantgarde” sagen kann, ist, dass sie nicht die leninistische Avantgarde ist, d.h. die im Proletariat verwurzelte revolutionäre Partei, welche Führung anbietet, die auf einem Programm der Ergreifung der Staatsmacht durch die Arbeiterklasse basiert. Obwohl sich die verschiedenen Sektionen und Tendenzen innerhalb des VS darüber uneinig sind, von wem die “neue Massenavantgarde” konstituiert wird, stimmen sie alle in einem überein: dass irgendwo eine Schicht existiert, spontan hervorgetreten, welche soziale Kämpfe führen kann ohne die programmatisch basierte Intervention der Trotzkisten.

Der Entwurf des europäischen Dokuments für den “Weltkongress” stellt fest, dass eine “neue Avantgarde mit Massencharakter erschienen” ist, welche ihren Ursprung, in der Radikalisierung der Studenten um 1968 hatte, sich aber bis in die Arbeiterklasse ausgebreitet hat und jetzt “nicht rückgängig zu machen” ist [31]. Aber wenn das Dokument zu präzisieren versucht, welche sozialen Schichten die “neue Massenavantgarde” . einschliesst, oder durch welche Eigenschaften sie gekennzeichnet wird, wird dies auf deren Aufzählen beschränkt. So werden in der “neuen Massenavantgarde” mit eingeschlossen: Studierende, die “natürlichen Führer der Klasse”, militante Gewerkschaftler, die mit dem Reformismus gebrochen haben (d.h. mit den Stalinisten), junge Arbeiter und Lehrlinge und auch sogar das “kleinbürgerliche Milieu die technische ‘neue Mittelschicht’, die wissenschaftlichen und künstlerischen Zirkel und in einigen Ländern, vor allem Frankreich, die jungen Bauern” [32]. Kurz, die “neue Massenavantgarde” besteht aus allem und jedem, vor dem das VS kapitulieren will.

Es ist unmöglich, die “neue Massenavantgarde” in bezug auf ihren Klassencharakterd.h. durch wissenschaftliche marxistische Begriffe zu definieren. Die Hauptdefinition der “neuen Massenavantgarde” scheint negativ zu sein: Sie ist nicht die Arbeiterklasse im marxistischen Sinn und bezeichnet nicht die Arbeiter, die noch unter dem Bann der traditionellen reformistischen Massenparteien stehen. In Ländern z.B. Frankreich, wo stalinistische Massenparteien existieren, schliesst die Orientierung an der “neuen Massenavantgarde” die Masse der Arbeiter aus und sichert so die Fortsetzung der kleinbürgerlichen Politik der Ligue.

Eine überragende Funktion dieses Begriffs ist es, die Differenzen innerhalb des VS zu maskieren, indem sie unter einen einzigen Begriff versteckt werden. So argumentiert die SWP in den USA oder auch die LSA in Kanada hauptsächlich für die “neue Massenavantgarde” in bezug auf Studenten, während die Pro-IMT-Gruppierung innerhalb der SWP oder die neue kanadische “sympathisierende Organisation” RMG/GMR für diese in bezug auf die jungen Arbeiter argumentiert. Eine der sechs offiziellen Fraktionen der britischen IMG wendet sich den Studenten zu, eine andere den Gewerkschaften, alle im Namen der “neue Massenavantgarde”. Es scheint, die Lateinamerikaner verzweifeln daran, sie überhaupt entdecken zu können.

Während der Debatte über den “Weltkongress” wurde der Begriff selbst durch Zusatzanträge zugunsten weniger anstössiger Formulierungen wegverbessert. So wurde aus der “Avantgarde mit Massencharakter” die “breite Avantgarde”, die “breite Arbeiteravantgarde”, die “Avantgarde der Arbeiterklasse”, die “revolutionäre marxistische Avantgarde” und so weiter. Aber die Funktion des Begriffs blieb unverändert: ein Feigenblatt zu liefern, das zwar beeindruckend aussieht, das aber die analytischen Werkzeuge des Marxismus wissenschaftlich nicht beschreiben können und das darum auf die verschiedensten und widersprüchlichsten Elemente angewandt werden kann, wobei es die entsprechend entgegengesetzten politischen Linien unterstützt.

Wohin gehen die Pabloisten?

Vor über 20 Jahren antwortete die französische PCI-Mehrheit auf Pablos “Wohin gehen wir?” mit einem Dokument, das “Wohin geht Pablo? “betitelt war. Heute können wir wohl die Frage stellen: Wohin gehen die Pabloisten?

In den Nachwirkungendes “Weltkongresses” und bei der jetzigen Konstellation der Ereignisse in Frankreich dem Tod von Pompidou und den neuen Wahlen mag die FCR sehr wohl gezwungen sein, noch tätiger in der Arbeiterklasse zu sein oder sogar ein Scheinprogramm anzunehmen, in dem Versuch ihr Image aufzumöbeln. Es ist wahrscheinlich, dass sichdie FCR in Richtung einer verstärkten Tätigkeit in der CFDT wenden wird, auf eine Orientierung zur PSU hin und vielleicht zu der früher von der Ligue abgespaltenen Gruppe “Revolution”‘, in einem Versuch ein glaubhafter Anziehungspunktim Gegensatz zu den Stalinisten zu werden. Aber ohne jegliche gründliche historische Kritik an den Wurzeln und Praktiken des Pabloismus (die auch unmöglich ist für das VS, welches die organisatorische und politische Fortsetzung der revisionistischen, ursprünglich um Pablo gruppierten Strömung ist) können neue Wendungen durch die FCR oder andere pabloistische Organisationen nicht über Bemühungen hinausgehen, einen Ersatz für die Bildung einer revolutionären proletarischen Partei zu finden.

Wie das ursprüngliche “Programm” der Ligue “Was die Ligue Communiste will” werden zukünftige Programme der FCR ohne Zweifel den gleichen verstümmelten und pervertierten Inhalt aufweisen, für welchen Trotzki 1935 die von R. Molinier und Pierre Frank geführte Gruppe La Commune scharf kritisierte, weil sie das revolutionäre Programm verwässern wollte:

„Was die Massen von einer Zeitung verlangen können, ist ein klares Programm und korrekte Führung, Aber genau hinsichtlich dieser Frage schweigt der Appell ganz. Warum? Weil es ihm mehr daran gelegen ist, seine Ideen zu verheimlichen als sie auszudrücken. Er akzeptiert das SAPistische [zentristische] Rezept: Im Versuch, den Weg des geringsten Widerstands zu finden, sage nicht, was ist. Das Programm der Vierten Internationale, das ist für ‚uns‘, für die ganz Grossen in der Führung. Und die Massen? Was sind die Massen? Die können sich mit einem Viertel oder sogar einem Zehntel des Programms begnügen. Diese Mentalität nennen wir opportunistische Aristokratie. Sie ist aber gleichzeitig eine abenteuerliche Haltung, eine sehr gefährliche Haltung, Genossen. Sie ist nicht diejenige der Marxisten.“ [33]

Revolutionäre Kämpfer müssen begreifen, dassdie Parteien des VS fest auf einer antitrotzkistischen Methode basieren und nicht “reformiert” werden können. Jede Kritik an der FCR muss mit, denjenigen Kriterien des Marxismus beginnen, welche die Führer der FCR verhöhnen. Die FCR und ihre Gesinnungsgenossen stellen, indem sie versuchen, die Arbeiterklasse durch ein kleinbürgerliches “abgestumpftes Instrument” zu ersetzen, indem sie “empirisch revolutionäre Parteien” unabhängig vom Programm unterstützen, ein Hindernis auf dem Weg zur proletarischen Weltrevolution dar. Die Trümmer, die durch die Pabloisten und ihre Anhänger während der letzten zwanzig Jahre aufgeworfen worden sind, müssen durch den Kampf um den Wiederaufbau der Vierten Internationale, der Weltpartei der sozialistischen Revolution, hinweggeräumt werden.

[1] Alain Krivine, Questions sur la revolution, Paris, 1973, S. 14.
[2] Avant-Garde Jeunesse, Nr. 5, April-Mai 1967.
[3] Quatrieme Internationale, Nr. 33, April 1968, S. 48.
[4] Pierre Rousset, Le Parti Communiste Vietnamien, Paris, 1973, S. 98 [Hervorhebung im Original].
[5] International Socialist Review, April 1974, S. 14.
[6] Ebd., S. 22.
[7] Krivine, S. 160.
[8] Rouge, 25. Mai 1973, Sonderteil über Mai 1968.
[9] Sirio Di Giuliomaria, “About the JCR”, in Revolt in France, hrsg. P. Frank, E. Mandel, J. Hansen, et. al., New York, 1969, S. 156.
[10] Krivine, S. 217.
[11] Krivine, S. 218.
[12] Ligue communiste, Bulletin de sociologie ouvriere, Nr. 2, November 1971, S. 7-8.
[13] Siehe Intercontinental Press, 15. Januar 1973, S. 19 und Informations ouvrieres, 13.-20. Dezember 1972, S. 7.
[14] Intercontinental Press, 8. April 1974, S. 430.
[15] Ligue, Bulletin…, Nr. 50, Mai 1973, S. 19.
[16] Resolution sur le travail ouvrier”, Resolution du Deuxieme congres de la Ligue Communiste, S. 5.
[17] Ligue, Bulletin, Nr. 27, S. 8.
[18] L’Humanite, 10. Oktober 1972.
[19] Construire la Ligue autour du travail dans la classe ouvriere”. Bulletin, Nr. 44-45, November 1972, S. 14.
[20] Ebd., S. 15.
[21] “Les indices du malaise”, Bulletin, Nr. 50, Mai 1973, S. 19.
[22] Rouge, 12. Juni 1973.
[23] Intercontinental Press, 8. April 1974, S. 430.
[24] Centre de rechereches socialistes, Nr. 4, S. 9.
[25] Rundbrief vom 11. Januar 1974.
[26] Militant, 16. Februar 1973; 23. März 1973.
[27] The Mote and the Beam”, SWP International Internal Discusion Bulletin, Bd. 31, Nr. 18, Oktober 1973, S. 15.
[28] Rouge, 13, Mai 1972; 2. September 1972.
[29] SWP International Information. Bulletin, Nr. 6 in 1973, S. 62.
[30] Ligue, Bulletin,Nr. 50, Mai 1973, S. 19.
[31] SWP International Internal Discussion Bulletin, Bd. 30, Nr. 5, November 1972, S. 13-19.
[32] Ebd., S. 20.
[33] “What is a Mass Paper?”, Trotsky, Writings, 1935-36, S. 59.